21. Dezember 2014
Die Vollendung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Mit dem Verfall des Glaubens an Gott hat sich der Glaube an den Menschen immer mehr verstärkt. Seit man aufhörte, von Gott etwas zu erwarten, begann man, alles vom Menschen zu erwarten. Insbesondere trat an die Stelle der Hoffnung auf das Reich Gottes die Erwartung auf das Menschenreich. Man erwartet nicht mehr das himmlische Paradies, sondern das irdische. Dieses soll herbeigeführt werden durch Erziehung und Bildung, durch Unterricht und Lehre, durch Arbeit und Leistung, durch Technik und Naturwissenschaft. Der Fortschritt, so sagt man, sei unaufhaltsam. Wir Menschen werden eines Tages nur noch wenige Tage in der Woche arbeiten müssen; die Arbeitszeit wird nicht mehr als 5 Stunden betragen. In Feiertagskleidern werden die Menschen an den Maschinen stehen. Alle Beschwerlichkeit und ermüdende Fron wird von der Arbeit gewichen und sie wird zu einer Lust geworden sein. Die Menschen werden in dieser Zeit des kommenden Paradieses von Krankheiten entrückt sein, ihr Leben wird 190, 200 Jahre dauern, die Organe wird man auswechseln können, die Medizin lindert alle Leiden. Die Völker werden dann eingesehen haben, dass Streitigkeiten und Auseinandersetzungen nichts bringen. Sie vermeiden Kriege; der Friede hält Einzug auf der Erde und weicht nicht mehr von ihr.
Der Christusgläubige, meine lieben Freunde, ist gegen solche Erwartungen der Ungläubigen gefeit. Er ist zu nüchtern, um dem Fortschrittsglauben der Aufklärer und Marxisten zu verfallen. Er weiß, dass in alle menschlichen Werke der Tod hineingebaut ist. Er hält sich an die Erfahrung, und diese bezeugt, dass die Summe des Glücks auf der Erde eher abnimmt als zunimmt. Er sieht, dass die Angst unaufhörlich steigt. Er bedenkt, dass die Vernichtungsmittel ins Unermessliche gestiegen sind. Im Einzelnen erwägen wir folgendes: Was die Arbeit angeht, so wird immer deutlicher, dass der Übergang in den Ruhestand mit 65 Jahren überdacht werden muss, dass eine längere Lebensarbeitszeit immer dringlicher wird. Schon jetzt arbeitet die Mehrzahl der Deutschen mit Überstunden. Und wie ist es mit den Millionen von Kinderarbeitern in Asien? Für viele Menschen ist ja auch die Arbeit gar nicht die Not, sondern die Arbeitslosigkeit. Der Mangel an Arbeit ist es, was sie quält. Millionen in unseren sogenannten westlichen Ländern sind ohne Beschäftigung. Was die Ernährung betrifft, so wissen wir, dass hunderte Millionen von Menschen nicht genug haben, um sich zu sättigen. Sie sind unterernährt, von Krankheiten bedroht oder befallen, besitzen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das Wasser überhaupt, das lebensnotwendige Wasser wird knapp auf unserer Erde. Es sind Hunderte von Millionen, die nicht Zugang zu einwandfreiem Wasser haben. Im Himalaya schmelzen die Gletscher, von denen aber die Ströme Asiens gespeist werden. Der Bevölkerung fehlt das Wasser, um ihre Felder zu bewässern, fehlt das Wasser, um ihre Tiere zu tränken: die Yaks und die Schafe und die Ziegen. Der Reichtum der Meere an Fischen schien einst unerschöpflich. Heute ist es so weit gekommen, dass die Weltmeere beinahe leergefischt sind. Und was das gesunde, lange Leben betrifft: Die Medizin hat unbestrittene Leistungen aufzuweisen im Kampf gegen Krankheit und Sterben. Aber die Bedrohungen des menschlichen Lebens haben deswegen nicht aufgehört. Was ist mit AIDS, mit Ebola, mit der Vogelgrippe? Und was bedeutet das Immunwerden von Viren und Bakterien gegen die Antibiotika? Was bedeutet die Wiederkehr der Tuberkulose? Und immer noch sind wir ohnmächtig bei der Alzheimer-Krankheit. Auch wollen nicht alle Menschen lange leben; viele beendigen selbst ihr Leben. Im Augenblick diskutiert man, ob nicht Ärzte behilflich sein sollen beim Abschied von dieser Erde mit einer Spritze oder mit Tabletten. Ist es überflüssig, zu bedenken, dass eines Tages – in absehbarer Zeit – die Fremdtötung aufkommen könnte, die Vernichtung lebensunwerten Lebens, wie man schon vor hundert Jahren gesagt hat – der Mediziner Hoche in Freiburg? Wir schauen besorgt auf die Natur. Der Mensch, der ihre Gesetze nicht beachtet, zerstört seine eigenen Lebensgrundlagen. Wir stehen vor einer Umweltkatastrophe. Das Tauen des Eises in Grönland, in der Arktis, in der Antarktis ist bedrohlich. Auf manchen Inseln im Indischen und im Pazifischen Ozean überlegen die Menschen, ob sie nicht ihre Heimstätte verlassen müssen, weil der Meeresspiegel steigt. Niemand ist imstande, Naturkatastrophen zu bannen: Taifune, die die Philippinen und Japan verwüsten, Tsunamis, die Tausende in den Tod reißen, Erdbeben, Vulkanausbrüche. Und dann die vom Menschen verursachten Katastrophen von Tschernobyl bis Fukushima. Es sieht nicht so aus, als ob das Paradies bevorsteht. Und wie sieht es mit dem Frieden auf Erden aus? Aufstände, Kämpfe, Kriege an vielen Stellen. Eine große Zahl von afrikanischen Ländern befindet sich im Streit der Stämme. In Ruanda sind in 100 Tagen 800 000 Menschen getötet worden. In Kambodscha haben die Roten Khmer 2 000 000 Menschen umgebracht. Und der unerklärte Krieg in Palästina zwischen Israelis und Arabern? Und die Mordkommandos der Islamisten in Nigeria, in Afghanistan, in Pakistan? In diesen Tagen haben sie in Peshawar 130 Kinder umgebracht. Im November 2014 wurden über 5 000 Menschen von mohammedanischen Mordkommandos getötet. Es gibt viele Gründe, besorgt zu sein und mit Bangen in die Zukunft zu schauen. Wir müssen uns auf Bedrohungen und Gefahren mannigfaltiger Art gefasst machen. Ende des 18. Jahrhunderts schrieb der Königsberger Philosoph Immanuel Kant seine Schrift „Zum ewigen Frieden“. Darin entwickelte er das Projekt eines allgemeinen und dauerhaften Friedenszustandes. Seine Gedanken sind utopisch. Seit dem Erscheinen seiner Schrift hat die Gewalt auf Erden nicht ab-, sondern zugenommen. Der Weltfriede kommt nicht heute und nicht morgen. Er kommt erst dann, wenn das Reich Gottes seine Tage vollendet; er kommt am Silvesterabend der Geschichte. Er kommt nicht aus menschlicher Anstrengung, sondern als Gottes Geschenk. Er kommt, wenn Gott die Verheißung erfüllt, die im Buche des Propheten Isaias aufgezeichnet ist: „Siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Dessen, was vorher war, wird man nicht mehr gedenken, noch wird es in den Sinn kommen. Aber freuen und frohlocken sollt ihr euch über das, was ich schaffe.“
Warum, meine lieben Freunde, warum müssen alle menschlichen Versuche, das irdische Paradies zu schaffen, scheitern? Weil der Mensch weder die Welt noch sich selbst verwandeln kann. Nur eine neue Welt und ein neuer Mensch könnten das Paradies herbeiführen. Der neue Mensch und die neue Welt aber sind jene, die unlöslich und untrennbar mit dem offenbaren Gott verbunden sind. Und diese Verbindung kann Gott allein herstellen. Wir sind gewiss: Er wird sie herstellen. Im Durchgang durch das Weltgericht – das wir am vergangenen Sonntag betrachtet haben – im Durchgang durch das Weltgericht kommt die menschliche Geschichte und die Menschheit als Ganzes zu ihrem Ziele. Die Christusgehörigen rücken ein in den Himmel; die Bösen werden in die Hölle geworfen. Die Gottverbundenen gehen ein in die Himmelsstadt. Sie hat einen altbekannten Namen: Jerusalem. Johannes, der Apokalyptiker, sieht das neue Jerusalem herabsteigen von Gott aus dem Himmel. Und er hört eine laute Stimme vom Himmel rufen: „Seht, das Zelt Gottes unter den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein.“ Das ist der Gegenstand unserer heutigen Überlegungen: die Vollendung am Ende der Zeit. Das himmlische Jerusalem ist das Gegenstück zu der Lasterstadt Babylon. Die Stadt, die Johannes sieht, ist ein Bild der Fülle und der Sicherheit, ein Bild der Ruhe und der Geborgenheit, ein Bild der Gemeinschaft und der Ordnung, wonach der Mensch sich immer gesehnt hat. Die ganze Erde wird für immer verwandelt sein in jene von Gott verheißene Stadt, die den Menschen die Erfüllung schenkt. Die Stadt, die Johannes herabschweben sieht, ist geschmückt wie eine Braut. Das will sagen: Die Menschheit wird am Ende innig, wie eine Braut mit ihrem Bräutigam, mit Gott verbunden sein. Das neue Jerusalem hat keinen Tempel mehr. Sie bedarf eines Tempels nicht mehr, denn Gott ist in ihr allgegenwärtig. Der Sinn eines Gotteshauses ist ja, Stätte der Hingabe an Gott zu sein. Dieser Sinn wird im ganzen neuen Jerusalem an jeder Stelle erfüllt. Da wird Gottes Herrlichkeit nicht bloß hie und da zu erfahren sein, sondern auf der ganzen Erde, nicht mehr verschleiert, sondern in offenbarer Gestalt. Dann hört auch die Verkündigung des Evangeliums auf, denn es bedarf ihrer nicht mehr. Es bedarf der Zeugnisse im Wort nicht mehr, denn Gottes Herrlichkeit wird von jedem unmittelbar geschaut. Dann hört auch die Feier des Messopfers auf, denn es bedarf nicht mehr des Gedächtnisses des Todes und der Auferstehung des Herrn. Der durch den Tod hindurchgegangene, erhöhte Herr ist ja selbst gegenwärtig. Da muss auch nicht mehr ein Stück der Erde nach dem anderen heimgeholt werden zu Gott, sondern in jener Stunde übergibt der menschgewordene Sohn das ganze All dem Vater. Der ganze Erdball, nein, das ganze All ist dann Stätte der Gottesherrschaft, ist der Raum der Gottesherrschaft. Die Anbetung wird freilich auch in der Vollendung nicht aufhören, denn der Mensch ist wesenhaft dazu veranlagt, anzubeten. Als Geschöpf muss er den Schöpfer anbeten, wenn immer er seinsgerecht leben will. Die Anbetung wird also nicht verstummen. Aber Johannes vernimmt den Lobgesang der Himmlischen, den ewigen Lobgesang: „Heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott, der war und der ist und der sein wird und der kommt. Würdig bist du unser Herr und Gott“, so hört Johannes, „Lobpreis zu empfangen und Ehre und Macht; denn du schufest alle Dinge und durch deinen Willen waren sie und es wurden sie durch ihn geschaffen.“ Aber es bedarf eben dann für den Lobpreis Gottes nicht mehr einer besonderen hervorgehobenen Stätte. Denn Gott selbst ist in dem neuen Jerusalem mit unverhüllter Herrlichkeit, mit unverhülltem Antlitz gegenwärtig. Die Menschen werden in Wohngemeinschaft mit Gott leben. Sie werden ihm so nah und verbunden sein wie Personen, die in einem Zelt zusammenleben. Unaufhörlich strömt die Anbetung aus ihrem Herzen Gott entgegen.
Die Vollendung bringt auch die Freiheit von jedem Übel. Auf Erden haben wir jeden Tag gebetet: „Erlöse uns von dem Übel.“ In der Vollendung ist dieses Flehen erfüllt. Die Vollendeten sind frei von der Not um Gott. Das ist ja eigentlich die Urnot, die Hauptnot, die Not, die den ganzen Lebenslauf beherrscht, nämlich der Gegensatz zwischen Himmel und Erde, zwischen Gotteswelt und Menschenwelt. Die Not um Gott wird dann in vollkommener Weise überwunden sein. Solange die Geschichte dauert, können die Ungläubigen den Gläubigen höhnend zurufen: „Wo ist denn euer Gott?“ Die Gläubigen können nicht auf Gott in offenbarer Gestalt verweisen. Sie können nicht sagen: „Hier ist Gott“ oder „da ist Gott“, sondern sie müssen sich selbst fragen: „Wo ist unser Gott?“ In der Vollendung ist dieser Ruf und dieser Hohn überwunden. Sie sind gewichen dem Preislied, mit dem die Himmlischen dem Vater Lob und Dank sagen. Johannes hörte eine mächtige Stimme aus dem Himmel rufen: „Die Weltherrschaft ist unserem Herrn zuteil geworden und dem, den er gesalbt hat, und er wird nun herrschen in alle Ewigkeit.“ Die Vollendung bringt auch die Befreiung von der Sünde. Das ist ja unsere große Schwäche und auch unsere große Not, dass wir immer zurückbleiben gegenüber dem Willen Gottes, dass wir uns verstricken in Schuld. „Der Übel größtes ist die Schuld“, sagt Schiller – und das mit Recht. In der Gottesstadt gibt es keine Sünde mehr und auch keine Schuld. In ihr leben die, welche Christus mit seinem Blute von ihren Sünden erlöst hat. Die Feiglinge und die Treulosen, die Unheiligen und die Mörder, die Unzüchtigen und die Zauberer, die Götzendiener und die Lügner werden draußen bleiben. „Nur die Guten werden im Lande wohnen, nur die Rechtschaffenen darin übrigbleiben. Die Frevler werden vertilgt aus dem Lande, die Gottlosen aus ihm entwurzelt.“ Die Vollendung wird auch die Freiheit von der Not des Leibes bringen. Die Gegenwart Gottes bannt aus dem himmlischen Jerusalem alles Leid. Die Wurzel des Leides ist die Gottesferne des Menschen. Die Tränen und das Herzeleid kommen aus der Abwendung von Gott. Und da diese überwunden ist, sind auch die Tränen getrocknet und die Schmerzen geheilt. Johannes schreibt so tröstlich: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Überwunden ist auch die Trennung. Hier auf Erden sehnen wir uns immer nach einem gütigen, edlen, liebenden Menschen, und viele finden ihn nicht. Und wenn sie ihn finden, dann ist er von ihnen durch unübersteigbare Klüfte getrennt – die Königskinder kommen nicht zusammen. Und wenn sie mit ihm vereint sind, dann wird der liebende Mensch entrissen. Was für ein Leid der Trennung in dieser Welt. In der kommenden Welt werden wir immer bei denen sein, die wir lieben und die uns lieben. In der Vollendung ist auch der Mangel am Lebensnotwendigen überwunden. Hier auf Erden herrschen Hunger und Durst; in der anderen Welt wird aller Hunger und Durst gestillt sein. Christus hat sich ja während seines irdischen Lebens als das Brot des Lebens kundgetan. Er hat die Mühseligen und Beladenen zu sich gerufen, er hat das Wasser des Lebens versprochen. Während der irdischen Geschichte kann der Hunger und Durst der Menschen nicht gestillt werden. In der himmlischen Stadt werden die vollendeten Menschen alles haben, was zur Erfüllung ihres Lebens erforderlich ist. Johannes sieht in der himmlischen Stadt einen „Strom mit dem Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall“. Dieser Strom geht vom Throne Gottes und des Lammes aus. Und er sieht auch den „Baum des Lebens, der zwölfmal Früchte trägt“ – also immer. Die Vollendeten sind schließlich auch befreit vom Tode und von der Todesangst. Der Tod, meine lieben Freunde, ist der mächtigste Feind des Menschen. Er ist der Sold der Sünde. Er kann sich auch am längsten an der Macht halten, aber am Ende wird auch er vernichtet. „Der Tod wird nicht mehr sein“, schreibt der Apokalyptiker Johannes, „und nicht Trauer und Klage, denn was vorher war, ist vergangen. Der Sieger wird kein Leid erfahren vom zweiten Tod. Über die Vollendeten hat der Tod keine Gewalt.“ Der heilige Thomas gibt auch an, warum das so ist, welches der Grund dafür ist: „Christus“, schreibt er, „ist das Leben, und darum ist in seinem Reich kein Platz für den Tod.“ Die Zukunftshoffnungen, die ich versucht habe, vor Ihnen auszubreiten, müssten als Schwärmereien gebrandmarkt werden, wenn wir von menschlicher Anstrengung ein kommendes Paradies erwarten würden. Allein ein Paradies aus Menschenhand zu schaffen, ist eine Illusion und ein Wahn. Wir erwarten den Zustand der Weltvollendung nicht aus menschlicher Leistung, sondern als Gottes Geschenk. Die Erwartungen der Marxisten und der Aufklärer und der Liberalen sind Illusionen. Unsere Hoffnung gründet auf der Verheißung Gottes, und sie ist stärker als der Tod. Sie ist die Kraft unseres Lebens. Sie befähigt uns, den Lockungen der Welt zu widerstehen, und es gibt uns diese Hoffnung die Möglichkeit, Widerstand zu leisten gegen das Böse, zu leuchten in einem verirrten und verkehrten Geschlecht wie die Sterne im Weltall.
Amen.