1. November 2014
Unsere himmlischen Freunde
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Unsere Heiligen sind unser Stolz und unsere Freude. Dass wir solche Verwandte haben, dass wir uns auf sie berufen können, dass sie zu uns gehören, und dass wir zu ihnen gehören, das macht uns stolz, demütig stolz, denn es ist ja nicht unsere Leistung, es ist ja Gottes Gnade. Aber wir dürfen stolz sein auf unsere Heiligen. Und wir dürfen uns ihrer freuen, denn sie sind es, die es geschafft haben. Sie haben den Sieg errungen. Sie sind durch das Tränental hindurchgeschritten, ohne sich zu verlieren. Und darüber herrscht Freude bei ihnen im Himmel und bei uns. Die Heiligen sind eine unermessliche Schar. Wir denken an die einzelnen Gruppen: an die Martyrer und Bekenner, an die heiligen Bischöfe und Päpste und Kirchenlehrer, an die großen Glaubensstreiter und Glaubensboten, an die Einsiedler und Büßer, an die gottgeweihten Jungfrauen und Witwen, an die Helden der christlichen Liebe, alle, die durch ihre tägliche Treue im Leben heilig geworden sind in dieser Welt. Männer und Frauen, „eine Schar“, so heißt es ja in der Apokalypse, „die niemand zählen konnte“. So groß ist sie: aus allen Stämmen, Völkern, Sprachen und Nationen. Die Heiligen sind erstens unsere Vorbilder und zweitens unsere Fürbitter. Das ist ihre unerlässliche Funktion für uns: Sie sind Vorbilder, sie sind Fürbitter. Die Heiligenverehrung beginnt mit dem Kult der Martyrer. Die Christen waren von Anfang überzeugt, dass, wer sein Blut für Christus vergießt, in die Welt Gottes, in den Himmel aufgenommen wird. Und so haben sie seit dem 2. Jahrhundert an den Gräbern der Martyrer die Eucharistie gefeiert. Sie haben Kirchen und Kapellen über den Gräbern der Martyrer erbaut. Sie haben sie angerufen und sie haben zu ihren Ehren Opfer und Gaben dargebracht.
Unsere Beziehung, meine lieben Freunde, zu den Heiligen ist eine fünffache. Erstens: Wir beten zu ihnen. Wir beten sie nicht an. Das ist eine Verkennung, vielleicht auch eine gewollte Diffamierung der Heiligenverehrung. Nein, wir beten sie nicht an, sondern wir beten zu ihnen. Anbeten, d.h. als den höchsten Herrn anerkennen, kann man nur Gott. Wir verehren die Heiligen als Diener Gottes, als Freunde Gottes, als Meisterwerke der Gnade Gottes. Sie sind heilig geworden durch die Macht der Gnade, und deswegen sind sie die Meisterwerke Gottes. Wenn wir sie verehren, verehren wir Gott. Wir verehren Gott in seinen Heiligen. Wir beten zu den Heiligen anders als zu Gott. Gott bitten wir, dass er uns selbst Gutes verleihe und Übles abwende. Zu den Heiligen dagegen beten wir, dass sie als Freunde Gottes bei ihm als unsere Sachwalter und Fürsprecher tätig werden. Deswegen wenden wir zwei verschiedenen Bittformeln an: Zu Gott sagen wir: Erbarme dich unser, erhöre uns. Zu den Heiligen sagen wir: Bittet für uns. Auf unseren Altären wird das Messopfer dargebracht, aber es wird nur Gott dargebracht, nicht einem Heiligen. Der Heiligen wird gedacht beim Messopfer. Aber das Messopfer wird nur Gott dargebracht. „Wo ist ein Bischof“, sagte einmal der heilige Augustinus, „der sagt: Wir opfern dir: Petrus, Johannes, Cyprian. Nein, unser Opfer gilt Gott allein, der den Martyrern die Krone verliehen hat.“ Wir beten zu ihnen.
Zweitens: Wir feiern ihre Feste. Der Heiligen sind so viele, dass die Tage des Jahres nicht ausreichen, um jedem Heiligen einen Tag zu widmen. Und so hat die Kirche das Fest Allerheiligen geschaffen, wo wir alle in die Herrlichkeit Gottes gekommenen Menschen feiern und verehren. Der Festtag der Heiligen ist meistens ihr Todestag. Gestern feierten wir das Fest des heiligen Wolfgang, und gestern war der 31. Oktober. Am 31. Oktober 994 ist Wolfgang gestorben, ist er in den Himmel eingegangen. Wir feiern ihren Todestag, weil es der Geburtstag für den Himmel ist. An diesem Tage stehen die Heiligen leuchtend vor uns und rufen uns zur Nachfolge. Jedes Heiligenfest ist ein Siegesfest. Sie haben besiegt das Fleisch, die Begierde und die Welt. Jeder Tag der Heiligengedächtnisse ist ein Tag der Dankbarkeit. Wir danken Gott, dass er uns diesen Heiligen geschenkt hat. Er ist ein Tag der Erinnerung. Wir vergessen die Heiligen nicht. Das Andenken der Heiligen darf nicht untergehen. An ihrem Festtag soll es wieder lebendig werden. Die meisten von uns tragen den Namen eines Heiligen. Er soll uns heilige Verpflichtung sein und auch sichere Hut – heilige Verpflichtung und sichere Hut. Der Name soll uns verpflichten, das Leben des Heiligen nachzuahmen, seine Tugenden zu erwerben, so zu leben, wie er gelebt hat. Und sie sollen auch unsere Patrone sein. Sie sollen für uns bitten. Es sollte kein Tag vergehen, meine lieben Freunde, wo wir nicht unseren Namenspatron um seine machtvolle Hilfe anrufen. Wir feiern die Feste der Heiligen.
Drittens: Wir ehren ihre Bilder. Bilder von Heiligen sind so alt wie die Kirche. Sie erscheinen anfänglich als Geleiter Verstorbener bei ihrer Aufnahme in die Seligkeit oder bei ihrer Krönung durch Christus. Seit dem 5. Jahrhundert aber werden die Heiligen allein für sich dargestellt. Das christliche Mittelalter hat seine Dome und Kirchen mit Heiligenbildern und Heiligenfiguren geschmückt. In dieser Bilderbibel konnte auch der Ärmste und Ungebildetste lesen und verstehen: Was sie getan haben, das soll ich nachahmen. Sie rufen uns zur Nachahmung auf, sooft wir sie anschauen. Das Konzil von Trient hat gegen Überschwang und Verirrungen ausgesprochen: „Wir glauben nicht, in den Bildern wohne etwas Göttliches oder eine besondere Kraft.“ Nein, sondern die Bilder erinnern uns an den Heiligen. Sie haben nicht eine besondere Kraft in sich, oder sie machen nicht den Heiligen gegenwärtig – das sind Verirrungen, sondern es ist so, dass die Heiligenbilder uns an ihre Tugenden erinnern und zu ihrer Nachfolge aufrufen. Heiligenbilder werden besonders an Wallfahrtsorten ausgeteilt. Sie werden auch als Erinnerungsbilder verschenkt bei Geburt, bei Erstkommunion, bei Priesterweihe, bei Todesfällen. Sie werden in Gebetbücher eingelegt. Man gibt Heiligenbilder sogar mit ins Grab. Wir sollen die Bilder der Heiligen ehren.
Viertens: Wir verehren ihre Reliquien. Reliquien sind Überbleibsel von Heiligen, sei es direkt von ihren Körpern oder von Gebrauchsgegenständen, die sie benutzt haben. Die Reliquienverehrung ist uralt und wird auch im weltlichen Bereich geübt. Man zeigt den Degen Napoleons oder das Tagebuch Walter Scotts. Wir halten die Reliquien der Heiligen in Ehren, weil der Heilige Geist sich ihrer Körper als Organe und Gefäße zu allen guten Werken bedient hat. Reliquien werden in den Altar eingelegt; man spricht vom Reliquiengrab. Und das ist die Stelle, die der Priester während der heiligen Messe immer wieder küsst. Gott selbst hat die Reliquien der Heiligen durch Wunder verherrlicht. Vom heiligen Pfarrer von Ars wird berichtet, dass er ein besonderer Verehrer der heiligen Philomena war. Und als eines Tages sein Getreide ausging, das er ja für die Armen und für die Kinder verwandte, da brachte er eine Reliquie der heiligen Philomena auf den Kornspeicher, und der Kornspeicher füllte sich von oben bis unten. Man zeigt noch heute die Stelle, wie hoch das Korn durch das Wunder gestanden hat. Gott will mit solchen Reliquienwundern unser Vertrauen auf die Fürbitte der Heiligen stärken und uns selbst zur Verehrung der Heiligen anleiten.
Fünftens: Das ist vielleicht für uns das Gewichtigste: Wir ahmen ihr Beispiel nach. Meine lieben Freunde, die Heiligen waren keine anderen Menschen als wir. Sie waren von Natur aus genauso geartet wie wir. Sie haben sich gefreut und sie haben gelitten wie wir. Den Heiligen hat es noch nicht gegeben, dem Schmerz nicht weh getan hätte und den Lust nicht erfreut hätte. Aber sie haben eben den Hang zum Vergnügen, zum Genuss bekämpft und überwunden. Sie haben den Unmut und den Widerwillen gegen das Leiden besiegt. Der Pfarrer von Ars, unser Vorbild – unser beschämendes Vorbild – der Pfarrer von Ars pflegte sich vor Tagesanbruch zu erheben und weilte stundenlang vor dem Tabernakel, damit Jesus nicht allein sei. Viele Stunden saß er im Beichtstuhl und hörte immer wieder die gleiche Leier vom Verrat der Menschen an. Er aß nur einmal am Tag und schlief wenig. Die Heiligen hatten Kämpfe zu bestehen. Die Angriffe kamen von innen und von außen. Von innen: Selbstzweifel, Verzagtheit, Trockenheit nagten an ihnen. Sie fühlten sich von Gott verlassen. Von außen: Demütigungen, Zurücksetzungen trafen sie. Ihre besten Unternehmungen wurden verdächtigt und verhindert, trafen auf Widerstand. Ein Held ist, der standhält – und die Heiligen haben standgehalten. Den Heiligen haben auch Versuchungen nicht gefehlt. Der Satan macht sich immer noch mehr an die heran, die schon auf einem hohen Stand der Heiligkeit stehen als an diejenigen, die erst am Anfang sind. Der Satan hat Sinn für Qualität. Und so haben die Heiligen Versuchungen ohne Maß über sich ergehen lassen, aber sie haben sie überwunden. Sie haben die Mittel gebraucht, die zu ihrer Überwindung erforderlich sind. In den dunklen Stunden der Versuchung wird die Heiligkeit geboren.
In dieser Stunde können wir nicht schweigen von der Königin der Heiligen, von Maria. Sie ist aus zweifachem Grunde die Königin der Heiligen. Erstens: Sie steht Gott am nächsten. Sie war sein auserwähltes Werkzeug, als er seinen Sohn in die Welt sandte. Zweitens: Sie ist von ihm ausgestattet worden wie kein anderer Heiliger. Ihr blieb die Zuziehung der Erbsünde erspart. Sie wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Da könnte man meinen: Ja, ist Maria uns nicht durch solche Auszeichnungen und solche Erhebungen fern gerückt? Nein, sie ist bei uns geblieben. Sie ist unsere Schwester, und sie ist auch unsere Mutter. Am Kreuz hat sie der Herr uns als seine Mutter und unsere Mutter bezeichnet. Darum sammeln sich um Maria ihre glücklichen Kinder: die Jugend, Männer und Frauen. Unaufhörlich strömt der Ruf zu ihr: Maria hilf! Er wäre schon längst erloschen, wenn er nicht erhört würde. Denn wenn Maria mit uns die Hände faltet, dann steigt unser Gebet wahrlich zum Himmel auf. Darum singen wir Maria unsere Lieder: „Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn. Du bist ja die Mutter, dein Kind will ich sein.“ Maria, die Mutter, die uns einst Jesus gebracht hat, will uns alle zu Jesus bringen, damit wir durch ihn im Heiligen Geist zum Vater kommen. Das ist unsere große Sehnsucht, dass wir alle das Ziel erreichen, das die Heiligen erreicht haben. Das ist unser Gebet am heutigen Tage: Ihr Freunde Gottes allzugleich, verherrlicht hoch im Himmelreich, erfleht am Throne allezeit, uns Gnade und Barmherzigkeit!
Amen.