Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Juni 2014

Die Messe als Opfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir sind hier zusammengekommen, um das heilige Messopfer zu feiern. Was heißt opfern? Opfern heißt: Gott eine sichtbare Gabe darbringen, um ihn als den höchsten Herrn zu ehren. Das Opfer besteht aus zwei Elementen: einem äußeren Zeichen und einer inneren Gesinnung. Der innere Wille, die Gesinnung, wird symbolisiert durch die äußere Gabe. Wer opfert, legt die äußere Gabe hin und spricht zu Gott: „So wie diese Gabe vor Dir liegt, so liege ich vor Dir, so bin ich Dir ergeben, so will ich Dein Gesetz befolgen.“ Seitdem es Menschen gibt, hat es auch Opfer gegeben. Von Kain und Abel wird berichtet, dass sie ihre Feldfrüchte und ihre Herdentiere darbrachten, auf den Altar legten und verbrannten. Sie wollten damit sagen: So wie dieses Brandopfer liege ich vor Dir. Niemand soll über mich verfügen als Du allein. Zahllose Opfer wurden in dem Tempel zu Jerusalem und in allen Tempeln der Erde dargebracht. Der Sinn der Opfer war gut, aber sie waren nicht vollkommen. Sie enthielten eine heimliche Lüge. Die Menschen sagten: „So gebe ich mich Dir hin, wie dieses Opfer vor Dir liegt“, aber sie gaben sich nicht hin. Darum hatte Gott keine Freunde mehr an ihren Opfern. Er sprach: „Ich will mir ein neues Opfer suchen, das meinen Namen verherrlichen wird vom Aufgang bis zum Niedergang, in dem keine Lüge, sondern nur Wahrheit ist.“ Dieses Opfer, dieses eine, reine Opfer hat Jesus Christus, unser Herr, dargebracht. Worin bestand dieses Opfer Jesu? Es bestand in seinem Opferwillen: „Ich komme, Deinen Willen zu erfüllen. Es ist meine Speise, Gottes Willen zu erfüllen.“ Dieser Opferwille prägte sein ganzes Dasein. Es verzehrte sein Leben, sodass er buchstäblich seinem Opferwillen zum Opfer fiel. Er hat das Opfer seines Lebens vollendet in seinem Opfertod. Bis zum letzten Blutstropfen hat er sich ausgegeben. Mit Bedacht sagt deswegen Johannes in seinem Evangelium: „Es floss Blut und Wasser heraus“, d.h. es war nichts mehr drin. Es war alles ausgegeben bis zum letzten Tropfen; das Opfer war vollendet, es war nichts übrig, was er Gott noch hätte schenken können.

Dieses einzig vollkommene Opfer, das Christus am Kreuze dargebracht hat, ist unser Heil, an diesem Opfer hängt unser Heil. Mit ihm müssen wir in Verbindung kommen, wenn wir gerettet werden wollen. Damit wir an ihm wirksamen Anteil gewinnen, hat Jesu in der Nacht, in der er verraten wurde, eine Einrichtung geschaffen, die für die ständige Erreichbarkeit seines Kreuzesopfers sorgt. Er hat die Eucharistie, das eucharistische Opfersakrament gestiftet. Er hat dafür gesorgt, dass sein Opfer jeweils in der Zeit der Menschen Gegenwart werden kann. Die Eucharistie ist dieses Opfer, das Christus im Abendmahlsaal eingesetzt hat. Sie ist unter zwei Gestalten eingesetzt: Brot und Wein, und zwar unter getrennten Gestalten. Auch die Einsetzungsworte sind getrennt: Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Durch die Trennung der Gestalten und der Worte wird die Trennung von Leib und Blut Christi symbolisch angedeutet, wird die Hingabe in den Tod dargestellt und gegenwärtig gesetzt. Aufgrund des sakramentalen Geschehens sind Leib und Blut Christi voneinander getrennt, und dadurch stellt die Eucharistie den Tod Christi dar. Durch die sakramentale Trennung der Gestalten kommt das eucharistische Opfer zustande. Der Zusammenhang, die Verbindung zwischen der in der Eucharistie geschehenen Darstellung des Todes Christi und dem geschichtlichen Tod Christi besteht darin, dass Leib und Blut Christi selbst gegenwärtig sind. Die Eucharistie ist ein wahres Opfer, weil der am Kreuze geopferte Leib Christi und das am Kreuz geopferte Blut Christi als Opfergaben gegenwärtig werden. Wir, das Volk Gottes, bringen dem Vater Leib und Blut Christi dar, wir opfern sie ihm auf in jener Hingabebewegung, in der Jesus Christus selbst Leib und Blut dem Vater dargebracht hat. Es ist dieselbe Opfergabe, es ist derselbe Opferpriester, aber die Weise des Opferns ist verschieden: am Kreuze in blutiger Weise, in der heiligen Messe in unblutiger Weise.

Von nichtkatholischer Seite wird häufig der Vorwurf gemacht, dass wir ein zweites Opfer neben das Opfer Christi am Kreuze setzen. Diese Auffassung ist völlig verkehrt. Das eucharistische Opfer ist ein relatives, ein beziehentliches Opfer, d.h. es ruht nicht in sich selbst, es hängt gänzlich vom Kreuzesopfer ab. Es geht darin auf, zum Kreuzesopfer in Beziehung zu stehen. Es ist dieselbe Opfergabe, derselbe Opferpriester, dasselbe Opfergeschehen. Die Eucharistie ist das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens erscheinende Kreuzesopfer. Die Eucharistie ist das von der Kirche gefeierte Kreuzesopfer. Jedes geschichtliche Geschehen ist einmalig. Es kann nicht wiederholt werden, und so kann man auch nicht sagen, dass die Eucharistie eine Wiederholung des Kreuzesopfers wäre. Nein, das ist unmöglich. Die Messe ist keine Wiederholung, sie ist eine sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. Sie ist kein zweites Opfer neben dem Kreuzesopfer, sondern sie ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt.

Die Eucharistie ist ein Gedächtnis, wie wir wissen. Der Herr sagt ja selber: „Tut dies zu meinem Andenken.“ Und wir beten in jeder heiligen Messe: „So sind wir denn eingedenk des Todes, der Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn.“ Die Messe ist ein Gedächtnis – daran ist nicht zu rütteln –, aber sie ist ein Gedächtnis besonderer Art. Man könnte die Messe in gewisser Hinsicht vergleichen mit einem Schauspiel, in dem ein historisches Ereignis auf die Bühne gebracht wird. Denken Sie etwa an das Drama „Maria Stuart“ von Schiller. In diesem Bühnenstück wird das Geschick der schottischen Königin gewissermaßen aus der Vergangenheit geholt und auf der Bühne gegenwärtig gemacht. Aber der wesenhafte, der unermessliche Unterschied zwischen dem „Schauspiel“ der Messe und dem Schauspiel der Maria Stuart liegt darin, dass Maria nicht in Person erscheint, während Christus in Person gegenwärtig wird. Das ist der wesentliche Unterschied. Der Gekreuzigte wird wahrhaft, wirklich und wesentlich auf dem Altar gegenwärtig. Die schottische Königin wird nur durch eine Schauspielerin dargestellt. Das Messopfer ist ein Gedächtnis – ich nehme nichts zurück –, aber es ist nicht bloß ein intentionales, ein psychologisches, sondern ein wirklichkeitserfülltes Gedächtnis. Es ist eine Nachahmung des Todes Christi, insofern in der Eucharistie durch das sakramentale Symbol der Tod Christi wahrhaft erscheint. „Die Eucharistie ist“ – ich zitiere meinen unvergesslichen Lehrer Schmaus – „die Eucharistie ist eine sakramentale Epiphanie von Golgotha“.

Das Geschehen des Kreuzesopfers ist in dem sakramentalen Symboldrama der heiligen Messe auf eine geheimnisvolle Weise gegenwärtig. Christus war der Opferpriester am Kreuze, er ist auch der Opferpriester in der Eucharistie. Aber er vollzieht das eucharistische Opfersakrament nicht wie das Kreuzesopfer unmittelbar an seinem Leibe, sondern durch den Dienst der Kirche. Die Kirche wiederum handelt durch den Priester. Nur der Amtspriester kann das eucharistische Opfersakrament gültig darbringen. Warum? Weil er in der Priesterweihe dem Opferpriester Christus verähnlicht worden ist. Weil er, wie Pius XI. sagte „ein zweiter Christus“ geworden ist. Der Priester spricht nicht mehr als er selbst, er spricht als Christus kraft der besonderen Teilhabe am Priestertum Christi, die ihm durch die Priesterweihe zuteil geworden ist. Christus wird beim eucharistischen Geschehen durch den irdischen Priester dargestellt. Wenn der Priester das Messopfer darbringt, handelt er, wie Johannes Paul II. erklärte, handelt er in „real-mystischer Identität mit Christus“. Er vertritt gleichsam Christus bei der sakramentalen Repräsentation des Kreuzesopfers. Er handelt in der Person Christi; er schlüpft gewissermaßen in die Person Christi hinein, und dadurch ist er fähig, bei der Wandlung zu sprechen: Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.

Der Priester opfert nicht allein. Alle, die um den Altar versammelt sind, opfern mit ihm. Alle Glieder der Kirche sind am Opfer beteiligt. In dem von Christus ermächtigten Priester handelt das gläubige Volk. Der Priester stellt Christus dar, gewiss, aber er vertritt hierbei die ganze Kirche, und deswegen ist jedes Glied der Kirche am eucharistischen Opfergeschehen beteiligt. Die Gläubigen bringen in ihrer Weise die göttliche Opfergabe dar. Sie bringen sie, wie Pius XII. erklärt hat, „durch die Hände des Priesters und zusammen mit ihm“ dar – durch die Hände des Priesters und zusammen mit ihm.

Priester und Opfergemeinde sind Opferer. Sie bringen dem himmlischen Vater das Opfer seines Sohnes dar. Aber sowohl Priester als auch Gemeinde opfern nicht nur Christus. Wenn sie den Sinn des Opfergeschehens verstehen, opfern sie auch sich selbst! Sie opfern die ganze Gemeinde, sie opfern die ganze Christenheit, sie opfern die Menschheit. Das wird in der Messe, die wir feiern, jeden Tag deutlich ausgesprochen. Wenn der Priester das Brot darbringt, spricht er, er bringe die Opfergabe dar für sich, für die Umstehenden, für alle Christgläubigen, für die Lebenden und die Verstorbenen. Und wenn er den Wein darbringt, erklärt er, die Opfergabe möge der ganzen Welt zum Heile gereichen. Da sehen Sie einmal die ungeheure Macht und Verantwortung, das ungemeine Glück, das wir haben, wenn wir das heilige Opfer darbringen. Wir sind keine isolierte Sektengemeinde, wir sind die Vorhut der gesamten Menschheit! Wenn das Opfer Christi in vollem Sinne unser Opfer werden soll, dann müssen wir nicht nur ihn, sondern auch uns selbst opfern. Was heißt das? Das heißt: wir müssen alle Hindernisse der Gnade entfernen. Wir müssen uns gänzlich unterwerfen unter den Schöpfer. Wir müssen in vollem Einklang unseres Willens mit seinem Willen leben. Wir müssen restlos aufgehen in seiner Gesinnung. Und welches war seine Gesinnung? „Ich will in allem den Willen meines Vaters erfüllen. Ich bin gekommen, ihm mein Opferleben darzubringen.“ Die Opfernden müssen also ihre Entschlossenheit, den Willen Gottes zu erfüllen, Gott darbringen. Sie müssen ihre Entschiedenheit, jeden Tag besser zu werden und sich im Dienste Gottes auszuzeichnen, Gott versichern. Natürlich ist der Priester in besonderem Maße gefordert. Er ist zur persönlichen Hingabe aufgerufen. Wenn er den Sinn des Geschehens, das er vollzieht, begriffen hat, dann muss er sich selbst mitopfern: seinen Eigenwillen, seine Eigenliebe, seine Eigensucht. Der große bayerische Theologe und Bischof Johann Michael Sailer hat einmal geschrieben, was der Priester beim Messopfer tun muss: „Da schlachtet er seine liebste Leidenschaft!“ Der sich opfernde Christus ist in diesem heiligen Geschehen zugegen, und wir opfern mit ihm. Den himmlischen Christus, den sich opfernden Christus dem himmlischen Vater darbringen und dabei sich selbst, ja die ganze Menschheit, Gott übergeben, das ist der Gipfel priesterlichen Tuns. Davon schreibt das Buch von der „Nachfolge Christi“: „Wenn der Priester am Altar die heiligen Geheimnisse feiert, verherrlicht er Gott, erfreut er die Engel, erbaut er die Kirche, hilft den Lebenden, verschafft den Verstorbenen die ewige Ruhe und macht sich selbst aller Güter teilhaftig.“ Meine lieben Freunde, der Priester, der das Messopfer nicht als das höchste Glück seines Lebens begreift, der Priester hat sich selbst nicht verstanden.

Amen.

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