8. Juni 2014
Das Wirken des Geistes nach den synoptischen Evangelien
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Ausgießung des Heiligen Geistes Versammelte!
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes und Jesu Christi. Wenn wir den Heiligen Geist verstehen wollen, müssen wir fragen, wie er handelt. Aus seinem Wirken können wir auf sein Sein schließen. Und so wollen wir heute und morgen das Wirken des Heiligen Geistes betrachten. Heute, wie es in den ersten drei Evangelien und in der Apostelgeschichte uns dargeboten wird und morgen, wie es uns der Apostel Paulus in seinen Briefen schildert.
Das Wirken Jesu steht von Anfang an unter dem Einwirken des Heiligen Geistes. Als Maria von ihrer Bestimmung erfuhr, den Messias zu gebären, war sie ratlos, denn sie wusste, dass ein neuer Mensch aus der Begegnung von Mann und Frau entsteht. Aber sie hatte keine Beziehung zu einem Manne. Deswegen fragt sie: „Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Der Engel klärt sie auf: „Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Die Frucht ihres Leibes kommt ohne Mitwirkung eines männlichen Prinzips zustande durch die wunderbare Einwirkung des Heiligen Geistes. In den fantastischen Mythen der Heiden ist von Götterhochzeiten die Rede. Nach diesen Einbildungen verkehren Götter in geschlechtlicher Weise mit Menschen und zeugen Helden und Riesen. Davon ist das Entstehen Jesu im Schoße Mariens meilenweit entfernt. Hier findet nicht eine Hochzeit statt, sondern hier geschieht ein Wunder der göttlichen Allmacht. Der Gott des Christentums ist unendlich über alle geschlechtlichen Bestimmtheiten erhaben. Und so kann Josef, der verzagte Mann, beruhigt werden: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; das in ihr gezeugte stammt vom Heiligen Geist.“ Jesus steht fortan in engster Beziehung zum Geiste Gottes. In der Taufe erfolgte die Salbung des messianischen Gottesknechtes und Propheten mit dem Heiligen Geist. Als Jesus sich taufen ließ, da öffnete sich der Himmel, und der Geist stieg wie eine Taube auf ihn herab und eine Stimme erscholl: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an ihm habe ich Wohlgefallen gefasst.“ Von diesem Ereignis wird Petrus später sagen: „Gott hat Jesus von Nazareth mit Heiligem Geist und Kraft gesalbt.“ Der Heilige Geist treibt Jesus in die Wüste, in die Versuchung. Er muss erprobt werden; der Messias muss sich bewähren. Und so wird er in dreifacher Weise vom Satan versucht, seine messianische Sendung zu missbrauchen. Aber er besteht die Versuchung, denn er besitzt den Geist, der in ihm ist und der stärker ist als Satan. „Der, den Gott gesandt hat, redet die Werke Gottes, denn ohne Maß gibt er den Geist.“ Geist haben auch andere empfangen, wie der greise Simeon im Tempel. Aber sie haben den Geist nur in einer bruchstückhaften Weise empfangen, während Jesus ihn in Fülle besitzt. In der Synagoge von Nazareth reicht man ihm die Buchrolle des Isaias. Und da findet er eine Stelle, wo es heißt: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, Armen die Frohbotschaft zu bringen. Er hat mich gesandt, zu heilen, die zerbrochenen Herzens sind, Befreiung zu künden den Gefangenen, Augenlicht den Blinden, freizulassen Niedergebeugte, auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn.“ Dann rollte er die Buchrolle zusammen und sagte: „Heute ist dieses Schriftwort vor euren Augen in Erfüllung gegangen.“ Eingetroffen ist das Wort, das Gott durch den Propheten Isaias gesprochen hat: „Siehe, mein Knecht, ihn habe ich erwählt. Mein Geliebter, an ihm hat meine Seele Wohlgefallen. Legen will ich meinen Geist auf ihn, und er wird den Völkern das Recht verkünden.“ Jesus ist gekommen, die Bollwerke des Satans zu zerstören. Er tut dies in der Kraft des Geistes. Durch ihn ist der Stärkere über den Starken (Satan) gekommen. In der Synagoge von Karphanaum war ein Mann mit einem unreinen Geist. Er schrie auf, als er Jesus sah: „Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Ich weiß, wer du bist. Du bist der Heilige Gottes. Du kamst, um uns zu zerstören.“ Jesus fährt ihn an und spricht: „Verstumme und fahre aus aus ihm!“ Der unreine Geist riss ihn hin und her – wir können an epileptische Anfälle denken – und er fuhr aus aus ihm. Alle verwunderten sich und sagten: „Was ist das eine machtvoll neu sich zeigende Lehre? Selbst den unreinen Geistern gebietet er und sie gehorchen ihm.“ Mit dem Sieg über Satan bricht die eschatologische Herrschaft Gottes an. Die Feinde Jesu hatten ihn verdächtigt, er habe ein Bündnis mit Satan und durch dieses Bündnis sei er fähig, die bösen Geister auszutreiben. „Weit gefehlt“, sagt Jesus, „weit gefehlt. Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Dann weist er auf die Schwere der Verfehlung hin: „Wer den Heiligen Geist lästert, der hat in Ewigkeit keine Vergebung zu erwarten. Er ist schuldig ewiger Verfehlung“ – weil sie gesagt hatten, er hat einen unreinen Geist. Das gesamte öffentliche Leben Jesu steht unter der Führung des Geistes: seine Verkündigung, seine Heilungen, seine Machttaten. Alles das entspringt der Kraft des Geistes. Das größte aller Wunder aber ist seine Auferweckung vom Tode. Durch die Macht des Geistes wird Jesus dem Totenreich entrissen. Gottes Geist verwandelt ihn, verklärt seine Natur, sodass er durch verschlossene Türen gehen kann. Seit der Auferstehung ist die menschliche Natur Jesu durchherrscht und verwandelt vom Heiligen Geist. Eine Ahnung davon haben die Jünger auf dem Berge Tabor empfangen, als Jesus vor ihnen verklärt wurde. Jetzt aber ist er übergegangen in die Seinsweise des Geistes. „Jesus ist bestimmt als Sohn Gottes in Macht dem Geiste der Heiligkeit nach durch die Auferstehung von den Toten“, schreibt Paulus im Brief an die Römer.
Jesus hat den Geist nicht für sich behalten. Er hat ihn denen, die sich ihm anschließen, weitergegeben. Schon der Vorläufer Johannes hat Jesus als den „eschatologischen Geisttäufer“ angekündigt: „Ich taufe mit Wasser. Der nach mir kommt, wird euch taufen mit Heiligem Geist.“ Jesus selbst hat die Ausgießung des Geistes verheißen: „Siehe, ich sende die Verheißung des Geistes auf euch herab. Ihr sollt in der Stadt bleiben, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe.“ Jesus hat diese Verheißung nach seiner Verherrlichung erfüllt. Am Osterabend hauchte er die Jünger an und sagte zu ihnen: „Empfanget Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen, welchen ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten.“ Dieses Ereignis war die Einsetzung des Bußsakramentes. Es ist das Ostergeschenk des Heilandes. Am Pfingsttag erschienen den Aposteln die zerteilten Zungen wie von Feuer. Sie setzten sich auf einen jeden, und alle wurden vom Heiligen Geiste erfüllt. Sie fingen an, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen zu reden eingab. Es muss das ein ekstatisches Reden gewesen sein, wie ich Ihnen gleich erklären werde. Und es war so fremdartig, so unerhört, dass die herbeigelaufene Menge glaubte, sie seien betrunken. Petrus klärt sie auf: „Es ist 9 Uhr. Um 9 Uhr früh fängt man höchstens an, zu trinken, aber da ist man nicht betrunken. Was ihr hier seht, das ist die Erfüllung der Weissagung des Propheten Joel: ‚In den letzten Tagen wird es geschehen. Da will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden; eure Jünglinge werden Gesichte schauen, und eure Alten werden Träume haben. Auch über meine Knechte und Mägde will ich meinen Geist ausgießen.‘“
Die Wirkungen des Geistes sind vor allem charismatischer Art. Es sind Glossolalie und Prophetie. Was ist Glossolalie? Die Glossolalie ist ein vom Heiligen Geist eingegebenes Sprechen. Es ist ein ekstatisches, in unverständlicher Sprache, ja in unartikulierten Worten und Lauten sich äußerndes, ausschließlich an Gott gerichtetes Beten und Singen, Loben und Danken. Es erbaut nur den Redner, lässt aber die anderen Anwesenden ohne Nutzen. Wenn es anderen verständlich gemacht werden soll, dann muss jemand da sein, der es auslegt. Und so müssen wir uns das Pfingstereignis vorstellen. Die überwiegende Auffassung der Erklärer geht dahin, dass die Apostel in den fremden irdischen Sprachen geredet hätten. Aber es ist durchaus möglich, dass sie dieses ekstatische, glossolalische Sprechen geübt haben und dass dem Sprechwunder ein Hörwunder korrespondiert hat. Es wurde dann nicht nur den Aposteln eingegeben, was sie sprechen sollten, es wurde auch den Hörenden eingegeben, was sie vernehmen sollten. Über dem Zungenreden jedenfalls steht die Gabe der Prophetie. Die Getauften wurden vielfach prophetisch begabt. Als Paulus in Ephesus den Getauften die Hände auflegte, da redeten sie in Sprachen und prophetisch – prophetisch! Ein von Jerusalem nach Antiochien gesandter Prophet namens Agabus kündete durch den Geist eine große Hungersnot an. Sie traf ein im Jahre 47 unter Kaiser Claudius. Derselbe Prophet Agabus nahm in Caesarea einen Gürtel und band sich Füße und Hände und sprach: „So spricht der Heilige Geist: Den Mann, dem dieser Gürtel gehört, werden in Jerusalem die Heiden so binden und in die Hände der Heiden ausliefern.“ Damit war das Schicksal des Paulus vorgezeichnet. Der Geist wird an die Glaubenden vermittelt durch die Handauflegung der Apostel. Handauflegung und Gebet geben ihnen den Geist. Der Glaube erkennt in diesem Gestus die Spendung des Sakramentes der Firmung. In Samaria fanden Petrus und Johannes schon Getaufte vor. Sie legten ihnen die Hände auf und sie empfingen den Heiligen Geist. Das Wirken des Geistes zeigt sich auch in der Führung der Mission. Mission erfolgt nicht aus menschlicher Berechnung, sondern unter dem Antrieb des Geistes. Der Diakon Philippus begegnete dem äthiopischen Kämmerer. Da sprach der Geist zu ihm: „Schließe dich an und steige auf in seinen Wagen.“ Er tat es, und Philippus bekehrte den Kämmerer. In der Gemeinde zu Antiochien war es der Geist, der anregte, Barnabas und Paulus für das Werk der Mission auszusenden. Und der Geist führte sie nach Zypern.
Das Wirken des Geistes in den Gläubigen offenbart sich auch in ihrem Zeugnis für Christus. Die Apostel wurden vor den Hohen Rat geführt. Sie sollten sich verantworten wegen der Predigt von der Auferstehung Jesu. Petrus, der schlichte Fischer aus Galiläa, trat mutig vor die Obrigkeit, „erfüllt vom Heiligen Geist“, wie die Apostelgeschichte schreibt, und bekannte sich zum auferstandenen Herrn. Wenig später kam er noch einmal vor dieses Tribunal. Und er wiederholte sein Bekenntnis: „Wir sind Zeugen für diese Dinge wie auch der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen.“ Die Kraft des Geistes zeigt sich auch in den weittragenden Entscheidungen, vor welche die junge Kirche gestellt war. Eine der wichtigsten Fragen war: Dürfen wir auch Nichtjuden, Heiden das Heil Christi vermitteln? Soll das Evangelium auch ihnen verkündet werden? Und wenn sie es annehmen: Dürfen wir sie in die Gemeinde Christi aufnehmen? Diese schwere Frage wurde gelöst durch den Heiligen Geist. Es geschahen Ereignisse, die den Aposteln zeigten: Das Heil des Evangeliums ist für alle Menschen ohne Ausnahme bestimmt. Die Führung des Geistes zeigt sich vor allem in Petrus. Er wurde nach Caesarea gerufen, vom Heiligen Geist, und dort hatte er eine Vision, die ihm zeigte, dass die Heiden nicht unrein seien, sondern, genauso wie die Juden, zum Heil berufen. Er selber führte die Entscheidung, die Heiden in das Christentum zu führen, auf die Einwirkung des Geistes zurück. Den Höhepunkt erreichte das Wirken des Geistes in dem so genannten Apostelkonzil. Die Apostel kamen nämlich zusammen in Jerusalem und überlegten, was geschehen soll mit dem Alten Bunde, mit dem Alten Testamente. Ja, ist das Alte Testament auch den Heiden aufzuerlegen? Auf diesem Apostelkonzil wurde die Entscheidung gefällt: Das Alte Testament ist überholt. Die Heiden brauchen sich nicht an die zahlreichen (zeremoniellen) Gesetze des Alten Testamentes zu halten. Und sie begründeten die Entscheidung damit: „Es hat uns und dem Heiligen Geiste gefallen.“ Das Wirken des Geistes zeigt sich auch in der Einsetzung der Gemeindevorsteher. In Milet hatte Paulus die Bischöfe versammelt zu einer Abschiedsbesprechung, und da beteuerte er ihnen, dass der Heilige Geist sie eingesetzt hat. Er will damit nicht bestreiten, dass Menschen bei der Auswahl der kirchlichen Vorsteher beteiligt sind. Aber ihre Vollmacht führt er auf die Mitteilung durch den Heiligen Geist zurück: Die Menschen wählen aus, und Gott gibt die Kraft der Betätigung.
Nicht alle Anstöße und Wirkungen des Geistes in der Zeit der entstehenden Christengemeinde sind bis heute zu beobachten. Die Glossolalie, das Zungenreden, ist erloschen. Es gibt zwar immer wieder Sekten wie die „Pfingstler“, die versuchen, dem Zungenreden neuen Raum zu schaffen, sie veranstalten Versammlungen, in denen ekstatische Laute ausgestoßen werden. Aber das alles wirkt gekünstelt und nicht überzeugend als Wirkung des Heiligen Geistes. Manche Erscheinungen waren eben nur für den Anfang des Christentums bestimmt. Aber sehr viele Wirkungen des Geistes haben sich erhalten bis heute. Denken wir an die Prophetie. Es gibt auch heute Männer, Frauen, ja Kinder, die prophetisch reden. Die Prophetie von Fatima ist von der Kirche feierlich anerkannt worden. Viele Wirkungen des Geistes sind institutionalisiert, also mit kirchlichen Einrichtungen verbunden, vor allem in den Sakramenten. In den Sakramenten der Firmung und der Priesterweihe wird den Empfängern, die richtig disponiert sind, mit Sicherheit die Gabe des Heiligen Geistes vermittelt. In der Firmung werden die Firmlinge mit Kraft aus der Höhe ausgerüstet zum Zeugnis für Christus. In der Priesterweihe werden die Kandidaten Christus verähnlicht, um sich von ihm als Werkzeuge gebrauchen zu lassen. In jeder heiligen Messe ruft der Priester auf die Opfergaben – Brot und Wein – den Heiligen Geist herab: „Komm, Heiligmacher, allmächtiger ewiger Gott, und segne dieses Opfer, das deinem heiligen Namen bereitet ist.“ Nicht der Priester wandelt die Gaben, sondern der Heilige Geist wandelt sie durch das werkzeugliche Handeln des Priesters. Der Geist zeigt seine Lebendigkeit auch im Leben der Kirche, meine lieben Freunde. Ich denke an die wunderbaren Menschen, die im erwachsenen Alter zur Kirche finden, an unsere Konvertiten. Wer in dem gegenwärtigen Zustand der Kirche sich entschließt, sich dieser Kirche anzuschließen, der ist unweigerlich geführt vom Heiligen Geiste! Der Geist lebt in den Jugendlichen, die sich entschließen, Gott und den Menschen in jungfräulichem Stande zu dienen. Die Psychologie reicht nicht aus, um die hochherzigen Entschlüsse, sein Leben zur Ehre Gottes und zum Heile der Menschen aufzuwenden, zu erklären. Es ist die Kraft von oben, es ist das Wirken des Geistes, das sie veranlasst, sich selbst zu überschreiten. Meine lieben Freunde, der Herr hat verheißen: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück. Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Helfer geben, der immerfort bei euch bleibt.“ Der Herr hat seine Verheißung erfüllt. Der Geist ist gekommen und bei uns geblieben. Er wirkt im Einzelnen und er wirkt in der Gemeinschaft der Gläubigen. Der Pfingsttag, meine lieben Freunde, kennt keinen Abend, weil seine Sonne, der Heilige Geist, keinen Untergang kennt.
Amen.