18. Mai 2014
Die Tugend des Gehorsams
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gehorsam ist jene Tugend, die den Willen geneigt macht, das Gebot eines Oberen zu erfüllen. Der Gehorsam bezieht sich ähnlich wie die Demut, von der wir am vergangenen Sonntag gesprochen haben, auf Gott und die Menschen. Es gibt einen Gehorsam gegen Gott und einen Gehorsam gegen die Menschen. In der christlichen Offenbarung wird der Gehorsam zu einem hohen Rang erhoben. Im Alten Testament ist Gehorsam die Unterwerfung unter den Willen Gottes, der sich in Gebot und Gesetz äußert. Deshalb ist Ungehorsam das Wesen der Sünde. Die Heilige Schrift betont den Gehorsam als Grundtugend. „Fürchte Gott und halte seine Gebote! Das ist der ganze Mensch“, so heißt es im Buche Kohelet. „Gehorsam ist besser als Opfer“, so steht im 2. Buch Samuel. Und „Wer den Herrn fürchtet, ehrt den Vater und dient seinen Eltern wie Herren“, so steht im Buche Jesus Sirach. Im Neuen Testament gibt der Gottessohn das Beispiel des vollkommenen Gehorsams gegenüber dem himmlischen Vater. „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und dass ich vollbringe sein Werk.“ Und Paulus sagt von Jesus: „Er war gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz.“ Jesus ist in der Kreuzesdemut das Gegenbild des ersten Adam, der in vermessener Weise nach Selbstherrlichkeit strebte. Seine Selbstherrlichkeit hat zur Zerstörung des Menschen, zum Verlust seiner Würde geführt. Der dienende Gehorsam des zweiten Adam, Christus, hat die Wiedereinsetzung der Menschen in das verlorene Königtum und die Zulassung zur Gottesgemeinschaft zur Folge. Unser Gehorsam gegen Gott wird von Jesus wiederholt eingeschärft: „Nicht jeder, der zu mir sagt Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“ „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“ Der Apostel Johannes verankert die Liebe zu Gott im Gehorsam gegen seine Gebote: „Darin besteht die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten.“ Die Apostel stellen den Grundsatz auf: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Hohe Rat hatte ihnen ja verboten, von Jesus, von seiner Auferstehung zu reden, aber die Apostel hielten sich nicht daran. Sie wurden vorgeladen, und der Hohepriester herrschte sie an: „Haben wir euch nicht geboten, nicht mehr in diesem Namen zu reden?“ Petrus antwortete: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Die Apostel schärfen aber den Gehorsam auch gegen die menschliche Obrigkeit ein. Paulus hat diese Lehre vorgelegt und begründet. Im Römerbrief sagt er: „Jedermann unterwerfe sich der menschlichen Obrigkeit. Wer sich der Obrigkeit widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes.“ Im Epheserbrief schreibt er: „Ordnet euch jeder menschlichen Einrichtung um des Herren willen unter: sei es dem König, der den Vorrang besitzt, oder den Statthaltern, die in seinem Namen abgeordnet sind, zur Bestrafung der Übeltäter und zur Belohnung der Guten.“ Der Gehorsam setzt sich dann fort in der Familie: „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern, denn das ist recht. Ihr Kinder, seid euren Eltern in allem gehorsam, denn das ist dem Herrn wohlgefällig.“ So steht es in den beiden Briefen an die Epheser und an die Kolosser.
Die Kirche, meine lieben Freunde, ist schon als Organisation aufgebaut auf dem Gehorsam gegen die kirchlichen Hirten. „Wer euch hört, hört mich“, sagt der Herr. Und im Hebräerbrief steht das schöne Wort: „Gehorchet euren Vorstehern und ordnet euch ihnen unter, denn sie wachen über eure Seelen, um einst darüber Rechenschaft abzugeben.“ Nur die Einheit und die Einigkeit macht ein Gemeinwesen stark, beständig und anziehend. Der Heiland hat einmal erklärt. „Wenn ein Reich uneins ist, dann zerfällt es. Und wenn ein Haus uneins ist, dann zerfällt es.“ Man hat manchmal der Kirche den Vorwurf gemacht, sie fordere den „blinden“ Gehorsam, vor allem in den Orden – „Kadavergehorsam“, „blinden Gehorsam“. Damit ist nicht die schrankenlose Willfährigkeit auch gegen unsittliche Gebote gefordert, sondern es ist damit gesagt: Man soll den Gehorsam dem Oberen auch dann nicht verweigern, wenn er persönliche Schwächen und Schwachstellen hat. Man soll auch nicht nur aus Einsicht in die Notwendigkeit des Befehls gehorchen, sondern weil die Autorität das Recht hat, zu gebieten. Kaum etwas fügt der Kirche, und damit ihrer Sendung, so viel Schaden zu wie der Ungehorsam, die Besserwisserei. Durch Ungehorsam ist in der Kirche stets das größte Unheil angerichtet worden. Denken wir an die zahllosen Spaltungen und Abspaltungen von der Kirche, an die Schismen. Das große Abendländische Schisma dauerte von 1378 bis 1417, über Jahrzehnte hin. Die Spalter haben stets versucht, ihr Abgehen von der Einheit zu rechtfertigen. Sie haben auf die Mängel und auf die Schwächen der Kirche, ihrer Oberen und ihrer Glieder hingewiesen, die zweifellos vorhanden sind. Aber diese Begründung schlägt nicht durch. Der heilige Cyprian, ein Mann des 3. Jahrhunderts, der ja mit Abspaltungen in seiner afrikanischen Diözese zu kämpfen hatte, der heilige Cyprian hat das wunderbare Wort gesprochen: „Das Übel der Spaltung ist stets schlimmer als die Übel, denen man durch die Spaltung entgehen will.“ Das Übel der Spaltung ist stets schlimmer als die Übel, denen man durch die Spaltung entgehen will.
Der Ungehorsam gegen die Autorität der Kirche ist besonders schwerwiegend, wenn er die Lehre ergreift, wenn er also zur Häresie wird. Denn der Glaube, die Lehre ist das grundlegende Einheitselement der Kirche. Wer daran rührt, der greift in die Substanz der Kirche ein. Immer wieder haben sich Irrlehrer in der Kirche erhoben und ihre Meinung gegen die verbindliche Lehre der Kirche gestellt. Denken Sie an den Wittenberger Mönch, Martin Luther. Er hat den ungenähten Leibrock Christi zerrissen, ganze Länder in die Irrlehre geführt. Ich habe gestern noch einmal nachgelesen, was Kaiser Karl V., dieser treue katholische Christ, über Luther gesagt hat, am 18. April 1521 in Worms: „Ein einfacher Mönch, geleitet von seinem privaten Urteil, hat sich erhoben gegen den Glauben, den alle Christen seit mehr als tausend Jahren bewahrt haben, und behauptet dreist, dass alle Christen sich bis heute geirrt hätten.“ Die Irrlehre erhebt sich zu allen Zeiten – auch heute. Alle Päpste der Vergangenheit, die ganze Kirche, sie alle haben einmütig die Normen der katholischen Sexualmoral vorgetragen und eingeschärft. Johannes Paul II., der jetzt heiliggesprochen wurde, hat diese Lehre mit besonderem Nachdruck immer wieder hervorgehoben. Aber das hindert den Bischof von Trier, Ackermann, nicht, die Aufhebung dieser Normen zu fordern! Ein Laie, ein wacher Laie hat dazu geschrieben: „Mit Ackermann hat sich ein weiterer Bischof öffentlich von der Morallehre der Kirche verabschiedet.“ Von den weltlichen Berufen können wir lernen, wie notwendig und unentbehrlich der Gehorsam ist. In allen Berufen besteht die Pflicht zum Gehorsam. Von der Ausbildung bis zur Fertigstellung von Objekten müssen die Untergebenen den Weisungen der Vorgesetzten nachkommen. Überall gibt es Vorarbeiter, gibt es Meister. Ich habe in der Telefunkenfabrik gearbeitet. Und der Meister, der saß an einem Schreibtisch und ging herum, und hat über uns gewacht und uns zurechtgewiesen und uns Weisungen gegeben. Eine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Gehorsam trifft die Beamten und die Soldaten. Der Beamte hat dienstliche Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen. Der Soldat muss nach besten Kräften die Befehle vollständig, gewissenhaft und unverzüglich ausführen. Mir sagte einmal ein Mitarbeiter des Opelwerkes in Rüsselsheim: „Wenn sich Mitarbeiter von Opel das erlauben würden, was sich Mitglieder der Kirche gegen die Bischöfe erlauben, dann wären sie längst entlassen.“ Niemand kann ein guter Oberer sein, der nicht gelernt hat, sich zu unterwerfen. Niemand kann gute Befehle erteilen, der nicht gelernt hat, zu gehorchen.
Der Gehorsam gegen die menschlichen Obrigkeiten ist selbstverständlich nicht uneingeschränkt, er hat seine Grenzen. Die Ansicht: Befehl ist Befehl, ohne Rücksicht auf den Inhalt, diese Ansicht ist falsch. Wenn Unsittliches befohlen wird, darf man dem Befehl nicht gehorchen. Ich hatte einen lieben Freund, einen Österreicher, der im Kriege in einer Gebirgsdivision im hohen Norden, bei Murmansk, eingesetzt war. Als sich die deutschen Truppen nach dem Abfall Finnlands von Deutschland zurückzogen, haben sie keine Gefangenen mehr gemacht, d.h. sie haben die Gefangenen umgelegt. Und mein Freund Hornig erhielt den Befehl, zwei gefangene Russen zu erschießen. Hornig ging etwas abseits, feuerte zwei Schüsse in die Luft und ließ die beiden Gefangenen zu ihren Kameraden zurückkehren. Er hat den unsittlichen Befehl nicht ausgeführt. Es kann geschehen, dass Umstände sich ändern, dass ein Befehl gegeben wurde, der sich nachträglich als unnütz oder auch als schädlich erweist. Und dann muss eben auch die Selbstständigkeit des christlichen Gewissens eintreten. Ein General hat einmal einen seiner Offiziere angeherrscht, weil er Befehle gedankenlos ausführte: „Mein Herr“, hat er zu ihm gesagt, „dazu hat Sie der König von Preußen zum Stabsoffizier gemacht, damit sie wissen, wann sie nicht zu gehorchen haben.“ Da ist die christliche Mündigkeit gefordert.
Der Gehorsam ist ein wesentliches Erfordernis des Gemeinschaftslebens. Eine Gemeinschaft kann nicht bestehen ohne Über- und Unterordnung, ohne Gehorsam und ohne Befehle. Das zeigt sich schon in der Natur. Da ist auch eine Über- und Unterordnung der bewegenden Kräfte zu beobachten. Das vegetative Leben dient dem tierischen Leben, und der Mensch mit seiner Vernunft kann und soll über beides herrschen. Kraftvolles Wirken eines Organismus setzt die Sammlung der Kräfte voraus. Nur durch Gehorsam werden die zerstreuten Kräfte gebündelt und zusammengefasst. Gehorsam ist korrelat zur Autorität. Autorität kann sich nur behaupten, kann sich nur durchsetzen, kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn ihre Befehle wirksam umgesetzt werden. Der Gehorsam ist aber auch für die eigene sittliche Persönlichkeit erforderlich. Er ist notwendig zur Entfaltung der sittlichen Persönlichkeit. Im Gehorsam opfern wir nicht unsere Freiheit, sondern wir geben unsere Willkür preis. Die wahre Freiheit besteht nämlich darin, dass man sich selbst bestimmt für das Wahre und Echte und Vollkommene. Und diese Selbstbestimmung setzt eine sittliche Bindung an die Autorität voraus. Unsittliche Befehle dürfen nicht erfüllt werden, aber gerechte Befehle müssen beobachtet werden. Mürrische Leistung des Gehorsams macht unzufrieden. Der Ungehorsame verliert den inneren und häufig auch den äußeren Frieden. „Viele sind untertan, mehr weil sie müssen, als weil sie es Gott zuliebe wollen. Sie haben Plage über Plage, und jede Kleinigkeit ist für sie groß genug, dass sie darüber murren. Nie werden sie die wahre Freiheit des Geistes erlangen, wenn sie sich nicht um Gottes willen und von ganzem Herzen den Oberen unterwerfen“, schreibt das Buch von der „Nachfolge Christi“. Und von Friedrich Nietzsche stammt das schöne Wort: „Mancher warf seinen letzten Wert weg, als er seine Dienstbarkeit aufgab.“ Die wahre Freiheit wird eben am meisten bedroht durch die ungeordnete Sinnlichkeit und durch die Enge des individuellen Denkens und Wollens. Beide Schranken werden heilsam durchbrochen durch den Eingriff des höheren Willens.
Für den gläubigen Christ, meine lieben Freunde, ist Gehorsam eine Form des Gottesdienstes. Wer sich dem Gehorsam zu entziehen sucht, entzieht sich der Gnade. Der Gehorsame stirbt leicht, weil er die Gewissheit hat, Gottes Willen erfüllt zu haben. Ihn erwartet der Lohn des Gehorsams. Von Theresia von Lisieux stammt das wunderbare Wort: „Im Himmel wird Gott meinen Willen erfüllen, weil ich auf Erden nie meinen Willen tat.“
Amen.