27. April 2014
Das leere Grab
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Osterverkündigung der Kirche geht auf zwei Tatsachen:
1. das leere Grab,
2. die Erscheinungen des Auferstandenen.
Am Morgen nach dem stillen Sabbat fanden die Frauen und die Jünger das Grab Jesu leer. So berichten einstimmig die vier Evangelien. Und die judenchristlichen Evangelienfragmente bezeugen das gleiche. Aber nicht nur und nicht erst die Evangelien wissen vom leeren Grab. Es hat nie eine christliche Jesustradition oder Auferstehungsbotschaft gegeben ohne das Zeugnis des leeren Grabes. Das beweist schon die Osterterminologie, sie spricht ja von Auferwecken und Aufstehen. Das sind die entscheidenden Grundbegriffe. So waren sie schon im Buche Daniel gebraucht worden. Dort heißt es: „Die Heiligen Gottes sollen schlafen, bis Gott sie am Jüngsten Tag auferweckt. Dann werden sie auferstehen und die Gräber verlassen, so wie ein Mensch am Morgen sein Nachtlager verlässt.“ Genau in diesem Sinne verkünden die Apostel seit Ostern: Die Auferstehung der Toten hat begonnen. Der Erstling der Auferstandenen ist Jesus von Nazareth. Gott hat seinen Christus nicht im Grabe gelassen, sondern ihn auferweckt. Der Herr ist auferstanden. Überall aber, wo die Auferstehungsbotschaft verkündet wird, ist das Faktum des leeren Grabes vorausgesetzt. Es gibt keine Auferstehung ohne das leere Grab! So wird in den ältesten Zeugnissen von der Auferstehung – nämlich in den Petrusformeln der Apostelgeschichte – von der Auferstehung gesprochen, dass immer das leere Grab vorausgesetzt ist. „Ihn hat Gott auferweckt, indem er die Wehen des Todes löste. Denn es war unmöglich, dass er festgehalten wurde von ihm.“ „Den Urheber des Lebens habt ihr getötet“, hält Petrus den Juden vor, „ihn, den Gott auferweckt hat von den Toten. So sei euch und allem Volk Israel kund: Durch den Namen Jesu, des Nazaräers, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat, durch ihn steht jener Mann gesund vor euch. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Kreuz gehängt und getötet habt. Ihn hat er auferweckt am dritten Tage und sichtbar werden lassen.“ Dieselbe Verkündigung, nämlich der Zusammenhang von Auferstehung und leerem Grab, findet sich in der vorpaulinischen Verkündigung, die im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes wiedergegeben ist: „Ich habe euch vor allem mitgeteilt, dass Christus starb für unsere Sünden, dass er begraben und auferweckt wurde.“ Das Begrabenwerden wird natürlich nur erwähnt, weil das Grab jetzt leer ist. Und in den Paulusbriefen ist die Situation dieselbe: Auferstehung und leeres Grab sind untrennbar miteinander verbunden. „Wir sind mitbegraben mit ihm durch die Taufe“, schreibt Paulus an die Römer, „durch die Taufe auf seinen Tod. Damit so, wie Christus auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ Es ist völlig irrig zu meinen, Paulus habe vom leeren Grab nichts gewusst. Die Verkündigung des Begrabenwerdens ist nichts anderes als der Hinweis auf das Leersein des Grabes am Ostermorgen. Die gesamte Urkirche bezeugt es einmütig: Das Grab Jesu war am Ostermorgen leer.
Aber auch die Gegner Jesu geben unwillig zu, dass das leere Grab ein Faktum ist, die Juden und, so scheint es, auch die Römer. Die Verkündigung der Apostel von der Auferstehung Jesu hat in Jerusalem heftigsten Widerstand gefunden. Aber keiner der Feinde Jesu hat jemals daran gezweifelt, dass das Grab leer ist. Niemand ist dem Zeugnis vom leeren Grabe entgegengetreten. Das Synhedrium (der Hohe Rat) hat die Tatsache des leeren Grabes nicht zu bestreiten gewagt, sondern rationalistisch zu erklären versucht, nämlich durch den Leichendiebstahl, den sie den Jüngern in die Schuhe schoben. „Dieses Märchen“, schreibt Matthäus – vielleicht so im Jahre 60/65 –, „dieses Märchen (vom Leichenraub) wird bis zum heutigen Tage unter den Juden verbreitet.“ Und Justin, der in der Mitte des 2. Jahrhunderts schreibt, Justin erklärt, es habe ein amtliches Rundschreiben des Hohen Rates gegeben. Ein Rundschreiben, in dem es hieß „ein gewisser Jesus, ein galiläischer Abfallprediger, den wir gekreuzigt, den die Jünger aber gestohlen haben nächtlings aus dem Grabe, wohin er gelegt war nach der Kreuzabnahme, um die Menschen zum Abfall zu bringen durch die Botschaft, er sei auferweckt und gen Himmel aufgefahren“. Ein anderes Tendenzgericht wird schon im Johannesevangelium vorausgesetzt und zurückgewiesen, nämlich das Gerücht, der Gärtner habe den Leichnam Jesu aus irgendwelchen Gründen heimlich beiseite geschafft. Tertullian, der Jurist, der im Anfang des 3. Jahrhunderts schreibt, Tertullian kennt beide Kampfparolen: Jüngerdiebstahl und Gärtnertransport. Er erwähnt mit augenscheinlichem Hohn das Motiv des Gärtners, er habe den Leichnam in aller Stille weggeschafft, damit seine Salatpflanzen nicht zertrampelt werden von den wahrscheinlich zahlreichen Besuchern des Grabes. Beiden Kampfparolen begegnen wir auch in den jüdischen „Toledot Jesu“. Das ist ein interessantes Buch, meine lieben Freunde, die „Toledot Jesu“. Es ist entstanden im Mittelalter zwischen dem 7. und 12. Jahrhundert und ist eine einzige Schmähung Jesu durch die Juden. Aber in diesen Toledot Jesu wird ausdrücklich erklärt, dass die Juden das Grab untersucht und leer gefunden haben. Die Judengemeinden von Worms, von Toledo, von Regensburg, diese Judengemeinden haben noch im Spätmittelalter die Sendschreiben des Hohen Rates über den Prozess Jesu vorgewiesen. Diese Urkunden waren gefälscht, aber sie beweisen, dass die jüdische Rechtsüberlieferung an der Absendung des Jerusalemer Sendschreibens nicht ge-zweifelt hat.
Schon Matthäus deutet an, dass das Tendenzgericht vom Leichendiebstahl nicht zuletzt auch für römische Ohren bestimmt war. Und Eusebius, der Kirchenschriftsteller, berichtet, „dass bald ganz Palästina von diesem Gerücht erfüllt war“. Die Verwaltungschefs der Provinzen hatten die Pflicht, über alle wichtigen Vorkommnisse an den Kaiser in Rom zu berichten. Pilatus musste selbstverständlich die Hinrichtung Jesu dem Tiberius unterbreiten. Und er hat es mit den Meldepflichten in diesen Monaten zweifellos genau genommen. Er konnte aber auch über das Gerücht vom leeren Grab nicht hinweghören oder dazu schweigen. Nach Tertullian hat der Prokurator auf schnellstem Wege einen Lagebericht nach Rom geschickt und um Weisungen gebeten. „Das alles“, schreibt Tertullian, „berichtete Pilatus dem damaligen Caesar Tiberius über Christus, es habe sich nichts im Grabe gefunden als die Tücher und die Behauptung der Oberen, der Begrabene sei von den Jüngern geraubt worden.“ Es hat zweifellos auch heidnische Pilatusakten gegeben. Aber sie sind uns nicht überliefert. In diesen heidnischen Pilatusakten muss auf die beiden Gerüchte vom Leichendiebstahl und vom Gärtnertransport eingegangen worden sein. Aber ich kann nur noch einmal sagen: Sie sind uns nicht erhalten.
Das leere Grab, meine lieben Freunde, ist vor allem ein Gegenstand des Glaubens. Aber die Beschädigung von Gräbern und die Entnahme von Leichnamen ist ein Delikt. In allen Rechtsordnungen wird dieses Delikt bestraft, in unserem deutschen Strafgesetzbuch im §168. Dort heißt es: „Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen wegnimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Wer hat also sich dieses Deliktes damals schuldig gemacht? Wer sind die Täter gewesen? Wer kommt als Täter für den Leichenraub – für den angeblichen Leichenraub – in Frage? Nicht in Frage kommt die römische Verwaltung. Denn Pontius Pilatus, der auf Verlangen der Juden das Grab militärisch bewachen ließ, hatte nur ein hoheitliches Interesse an der Befolgung seiner Anordnung. Vermutlich war er sehr erleichtert, dass die Sache Jesu jetzt zu einem Ende gekommen war. Der viele Ärger, den er damit hatte, schien mit der Beisetzung des Leichnams beendigt. Nicht einmal im Traum konnte er daran denken, sich mit der Entfernung der Leiche neuen Verdruss einzuhandeln. Er war es gewiss nicht, der den Leichnam Jesu aus der Beisetzungsstelle hat entfernen lassen. Die Soldaten hatten auch kein Interesse, dass der ihnen gegebene Befehl vorsätzlich verletzt wurde. Sie waren vermutlich in größter Verlegenheit, weil der Leichnam, den sie bewachen sollten, verschwunden war. Hier schien ein Wachvergehen vorzuliegen, wegen dessen sie zur Verantwortung gezogen werden konnten. Nur durch die Intervention mit Geld, nur durch die Intervention mit Geld konnten die Juden verhindern, dass die Soldaten bestraft wurden. Den Soldaten lag also nichts am Verschwinden, sondern ihnen lag alles am Vorhandensein des Leichnams. Nicht in Frage kommen die den Christen feindlich gesinnten Juden, denn sie waren ja erklärtermaßen an einem toten Christus, auf dessen Grab man zeigen konnte, interessiert. Wenn sie den beerdigten Jesus beiseite geschafft hätten, wäre es ihnen ein Leichtes gewesen, die Verkündigung der Apostel ad absurdum zu führen. Sie hätten ja den Leichnam bloß auszustellen und in Jerusalem herumzutragen brauchen, um das Gerücht von der Auferstehung zu töten. Ihnen lag alles daran, dass Jesus im Grabe verblieb! Das Verschwinden Jesu brachte sie in arge Verlegenheit. Sie bot ja den Jüngern Jesu die Möglichkeit, ihre Behauptung, Jesus sei auferweckt worden, durch eine massive Tatsache zu stützen.
Nicht in Frage für das Verschwinden des Leichnams kommen auch die Anhänger Jesu, denn wie hätten sie das von römischen Soldaten bewachte Grab, das sicher auch von vielen Juden mit Argusaugen beobachtet wurde, unbemerkt öffnen und den Leichnam daraus entfernen können? Es handelte sich ja bei Jesus nicht um irgendeinen Juden, der da bestattet wurde, sondern um den eben noch triumphal gefeierten Messias, um den in zwei Prozessen schmählich zum Tode verurteilten angeblichen König von Israel. Jetzt war er zur Strecke gebracht. Jetzt konnte man konstatieren, wo sein geschundener, entseelter Leib die letzte Ruhe gefunden hatte. Sein Grab war für die Feinde Jesu auch eine Stätte des Triumphes. Josef von Arimathäa hatte die Beisetzung Jesu in der Absicht vorgenommen, ihm ein ehrenhaftes Begräbnis zu verschaffen. Die Stätte der Beerdigung war von ihm selbstverständlich für Dauer berechnet, für immer. Der Gedanke, den Leichnam daraus zu entfernen, musste ihm als Frevel vorkommen. Selbstverständlich werden die Anhänger Jesu den Toten nicht vergessen haben. Sie werden entschlossen gewesen sein, das Grab in Ehren zu halten. Jesu Leichnam war ja nicht in einer Mördergrube verscharrt worden, sondern in eine Art Mausoleum, in das Grab eines vornehmen Mannes verbracht worden. Dort konnten sie jederzeit ein Totengedenken halten. Aber an eines haben sie mit Gewissheit nicht gedacht, nämlich den Beigesetzten zu entwenden und fortzuschaffen – und das noch am Sabbat, wo alle Arbeit ruht. Den über den grausamen Tod ihres Meisters verstörten und verzweifelten Christen fehlten alle seelischen Voraussetzungen für ein so gewagtes Vorhaben, das nur mit großer verbrecherischer Energie hätte durchgeführt werden können. Sie waren durch die Katastrophe des Karfreitags wie gelähmt. Ihre Erwartungen und Hoffnungen waren zerstört. Es war nichts mit der Aufrichtung des messianischen Königreiches, denn der dafür Vorgesehene lag entseelt im Grabe. Die Jünger Jesu waren sicher auch in Angst und Sorge. Sie mussten befürchten, dass die jüdischen Behörden, nachdem sie den angeblichen Messias beseitigt hatten, sich auch an seine Jünger heranwagten und sie festnahmen und bestraften. Johannes berichtet in seinem Evangelium, dass die Juden damals, als Jesus den Blindgeborenen heilte, beschlossen hatten: Jeder, der Jesus als den Messias bekennt, wird exkommuniziert, wird mit dem Bann belegt, wird aus der Gemeinde der Juden ausgeschlossen. Diese Drohung schwebte auch über dem Haupt der Jünger, die Jesus hatten im Grabe beisetzen hören. Völlig abwegig ist die von den Feinden des Christentums aufgebrachte Behauptung, die Jünger Jesu hätten den Leichnam Jesu entfernt, um erklären zu können, er sei auferstanden. Das ist die jüdische Parole, die aber – Gott sei es geklagt – auch immer wieder von abgefallenen Christen vorgebracht wird. Ich habe Ihnen vor einigen Tagen den Hermann Samuel Reimarus erwähnt. Er war Professor in Hamburg. Und er hat in einer umfangreichen Darlegung, die erst vor wenigen Jahren vollständig veröffentlicht worden ist, die Behauptung aufgestellt, die Jünger hätten Jesus gestohlen, um behaupten zu können, er sei auferstanden. Dieser Hermann Samuel Reimarus gab sich nach außen hin als frommer evangelischer Christ. Er besuchte jeden Sonntag den Gottesdienst, war im Herzen aber völlig vom Christentum abgefallen. Diese Ungläubigen behaupten, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen und diesen Diebstahl mit einer unerhörten Lüge verbunden, nämlich er sei auferstanden. Und diese Lüge sollen sie selbst geglaubt und anderen vermittelt haben. Sie hätten sich selbst und anderen etwas vorgemacht. Man darf fragen: Seit wann, meine lieben Freunde, seit wann begründen ein Verbrechen und eine Lüge eine Überzeugung? Und gar die unerhörte Überzeugung vom Lebendigwerden einer Leiche? Durch ein Verbrechen und eine Lüge sollen sie mutig geworden und vor die Öffentlichkeit und vor die Behörden hingetreten sein. Seit wann wird man durch Selbsttäuschung und Täuschung anderer mutig? Durch ein Verbrechen und eine Lüge sollen sie Anfeindung und Verfolgung, Geißelhiebe und Tötung tapfer ertragen haben. Meine lieben Freunde, wer ist nicht gewillt, von einer Lüge zu lassen, wenn ihm dadurch Nachteile und Strafen erspart bleiben? Nein, die Jünger Jesu kommen als Täter eines angeblichen Leichenraubes nicht in Frage.
Die Evangelienberichte über das leere Grab stimmen. Ja, wer ist es dann gewesen, der den toten Christus aus dem Grab entfernt hat? Er kann es nur selber gewesen sein. Der Tote ist wieder lebendig geworden. Der himmlische Vater hat ihn auferweckt. Er ist auferstanden vom Tode. Da sagen manche: „Das ist noch nie passiert.“ Richtig, das ist noch nie passiert. Das konnte gar nicht passieren. Denn nie zuvor ist Gott vom Himmel herabgestiegen, hat die Natur eines Menschen angenommen, hat sich kreuzigen und hinrichten lassen. Jetzt aber wird ihm Gerechtigkeit, jetzt erhält er den Lohn für seinen Gehorsam und für sein schuldloses Leiden. Jetzt darf er heimkehren, von wo er ausgegangen ist. Wir tun recht, meine lieben Freunde, wir tun recht, wenn wir singen: „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“
Amen.