30. Juni 2013
Du sollst nicht töten
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Sie kennen alle die Zehn Gebote. Unter ihnen das fünfte: Du sollst nicht töten! Es ist geoffenbartes Recht, dass die Tötung Unschuldiger von Gott ausnahmslos verboten worden ist. Es ist das auch ein sittliches Naturgesetz. Es ergibt sich aus dem Wert des Menschen, dass er nicht der Vernichtung überantwortet werden darf. Es ist eine Pflicht der Gerechtigkeit, sein Leben zu schonen. Und es ist eine Pflicht der Nächstenliebe, alles zu vermeiden, was sein Leben gefährden oder schädigen könnte. Die Tötung eines unschuldigen Menschen ist ein Vergehen gegen den Nächsten, es ist ein Vergehen gegen die Familie, es ist ein Vergehen gegen die Gesellschaft, und es ist ein Eingriff in die Rechte Gottes.
Unser Strafgesetzbuch unterscheidet zwischen Mord und Tötung. Mord ist die Tötung aus niedrigen Beweggründen oder die grausame oder hinterhältige Tötung. Alle anderen Tötungen werden als Totschlag eingeordnet, wobei aber zu unterscheiden ist zwischen dem vorsätzlichen und dem fahrlässigen Totschlag. Alle diese Vergehen sind in unserem Strafgesetzbuch mit Strafe bedroht. Im Bereich des Sittengesetzes, und damit auch der Kirche, unterscheiden wir zwischen direkter und indirekter Tötung. Direkte Tötung ist die Vernichtung eines Lebens, bei der entweder die Absicht besteht, zu töten oder doch Mittel anzuwenden, die ihrer Natur nach den Tod herbeiführen. Sie liegt also auch dann vor, wenn der Wille einen erlaubten Zweck verfolgt, aber für ihn Mittel gebraucht werden, die naturgemäß auf die Tötung abzielen, also etwa Darreichung von Gift bei einer qualvollen Erkrankung. Die direkte Tötung des Nebenmenschen ist immer schwere Sünde. Im Ersten Buch der Heiligen Schrift heißt es: „Du sollst nicht töten. Das Blut deines Bruders Abel schreit zu mir zum Himmel.“ Im Buche Exodus wird noch einmal gesagt: „Einen Unschuldigen und Gerechten darfst Du nicht töten!“ Eigentlich sollte man das 5. Gebot anders übersetzen. Das hebräische Wort „rasach“ heißt nämlich „ungerecht töten“, morden. Also eigentlich müssten wir sagen: „Du sollst nicht morden, du sollst nicht willkürlich, eigenmächtig und gegen alles Gesetz und alles Recht töten.“
Tötungsdelikte sind auch in unserer Gesellschaft nicht selten. Wir brauchen nur eine Zeitung aufzuschlagen, da finden Sie Berichte von Tötungen. Besonders schmerzlich, wenn es Kinder sind, die getötet werden. In Stuttgart hat eine vierunddreißigjährige Frau ihre einzige Tochter von der Neckarbrücke in den Strom gestoßen und auf diese Weise getötet. In Köln fand ein Entsorgungsbediensteter ein Kind, das nicht von selbst gestorben, sondern das getötet worden war auf der Müllhalde. In Hildesheim hat ein Vater seine vier Kinder umgebracht, als die Frau ihm am Telefon mitteilte, sie werde nicht mehr zu ihm zurückkehren. Eine besondere Qualität nimmt das Töten an, wenn es auf Verlangen eines Menschen geschieht. Auf Verlangen eines Menschen, der nicht mehr leben will. Dieser Fall tritt immer häufiger ein und breitet sich aus. Tötung auf Verlangen. Diese Bewegung hat begonnen in den angelsächsischen Ländern, in England und Amerika. Sie hat sich ausgebreitet auf dem Kontinent. Sie wissen, dass in den Niederlanden die Tötung auf Verlangen möglich ist, straffrei ist, freigegeben ist. Und in der Schweiz ist es nicht viel anders. In einem Jahre haben etwa 120 Deutsche sich in die Schweiz begeben, um sich dort töten zu lassen. Das merkwürdige ist, dass diese Kampagne für den sogenannten Freitod von vielen anglikanischen Geistlichen unterstützt wird. Der Bischof von Birmingham zum Beispiel ist ein solcher, der dieses Treiben fördert. Es gibt eine eigene „Voluntary Euthanasia Society“, eine eigene Gesellschaft in England mit zwanzigtausend Mitgliedern, die für die Selbsttötung oder die Tötung auf Verlangen eintritt. Sie hat sich bedeutende Schriftsteller als Paten besorgt: Bernard Shaw, Herbert George Wells und Virginia Woolf sind es, die diese Bewegung unterstützten. Wir sprechen hier von aktiver Sterbehilfe. Aktive Sterbehilfe besteht darin, dass ein Patient von einem anderen Menschen getötet wird, etwa durch eine Spritze mit einem tödlichen Gift, die bewusste Tötung eines Sterbenden oder Kranken durch medizinische Maßnahmen. Noch, noch ist die aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten. Der Paragraph 216 des Strafgesetzbuches stellt sie unter Strafe – von 6 Monaten bis 5 Jahren Haft. Immer mehr wird ein Recht auf Sterbehilfe propagiert. Der Rechtssoziologe Klaus Lüdersen schlägt ein Recht auf aktive Sterbehilfe vor. In einer Leserzuschrift hat ein Medizinprofessor aus Magdeburg ihm die Antwort gegeben: „Wenn dieses Recht durchgesetzt würde, dann sollte man die Rechtsphilosophen damit beauftragen, die Tötung vorzunehmen.“ In vielen europäischen Ländern gibt es bereits eine Mehrheit der Bevölkerung, die für aktive Sterbehilfe eintritt. Nach einer Studie der Universität Brüssel sind es die Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland, Island, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Tschechei, Russland und Slowenien, wo eine Mehrheit der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe eintritt. Bei uns gibt es Leute, die das Recht auf den eigenen Tod fordern. Meine lieben Freunde, ein solches Recht existiert nicht. Der Herr über Leben und Tod ist Gott. Es gibt kein Recht auf den eigenen Tod.
Es gibt eine weitere Form der Sterbehilfe, die man die passive nennt, die passive Sterbehilfe. Sie besteht darin, dass, wenn eine Krankheit einen nicht umkehrbaren Verlauf genommen hat, die Ärzte die Behandlung abbrechen können oder erst gar nicht aufnehmen müssen. Eine solche passive Sterbehilfe ist nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zulässig. Die Beendigung der ärztlichen Behandlung, also der Verzicht auf künstliche Lebensverlängerung, bei einem ohnehin Sterbenden, wenn ärztliche Maßnahmen nur noch Leiden, Schmerzen und das Sterben unnötig verlängern würde. Wenn der Patient dem zustimmt, dass die Apparate abgeschaltet werden, ist die passive Sterbehilfe straflos. Auch die Kirche hat gegen eine solche Weise der Sterbehilfe keine grundsätzlichen Einwände.
Von der aktiven und passiven Sterbehilfe verschieden ist die Tötung von Menschen, die als Ballast empfunden werden, ohne ihren Willen und gegen ihren Willen. Man nennt das „Euthanasie“, schönen Tod. Die Bewegung, Menschen, die angeblich unnütz sind, zu töten, hat wiederum in England und in den USA begonnen. Lange, bevor die Nationalsozialisten in Deutschland dazu übergingen, solche Menschen zu töten, hat man in England und Amerika diese Weise, sich Menschen vom Leibe zu schaffen, gefordert. Auch hier waren anglikanische Geistliche führend beteiligt. Die nationalsozialistische Regierung hat von 1940 bis 1945 ein Programm zur systematischen Tötung missgebildeter Kinder und erwachsener Geisteskranker durchgeführt. Ich selbst habe in dem Hause, in dem meine Familie lebte, zwei Personen erlebt, die in Anstalten geschafft wurden, von denen dann nach kurzer Zeit die Nachricht kam, sie seien an Grippe oder an Lungenentzündung gestorben. Man hatte sie umgebracht. Die Nationalsozialisten konnten sich auf Gelehrte berufen, welche die Tötung lebensunwerten Lebens gefordert hatten. Es war der Jurist Karl Binding, und es war der Psychiater Alfred Hoche. Sie haben 1920 das Buch geschrieben: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Von 1940 bis 1941 wurden etwa 70.000 Menschen auf diese Weise getötet. Von 1941 bis 1945 noch einmal 20.000 bis 30.000. Und jetzt, meine lieben Freunde, muss ich Ihnen etwas sagen, was wieder uns katholische Christen erheben und erfreuen kann. Am 2. Dezember 1940, also als diese Tötungsaktion anlief, hat der Heilige Vater in Rom folgende Erklärung veröffentlichen lassen: „Frage: Ist es erlaubt, auf Geheiß der öffentlichen Autorität solche direkt zu töten, die, obwohl sie kein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, dennoch wegen psychischer oder physischer Fehler der Nation“ – man achte auf dieses Wort, das zielt natürlich auf Deutschland – „nicht mehr nützen können und sie vielmehr, wie man meint, belasten und ihrer Kraft und Stärke entgegenstehen?“ Das war die Frage. Dann die Antwort, vom Papst bestätigt: „Nein, da es dem natürlichen und dem geoffenbarten göttlichen Recht entgegensteht.“ Das ist die katholische Kirche. Da hat der Heilige Vater gesprochen. Deswegen trifft sie auch der Hass der Tötungsbereiten. In einer Leserzuschrift hieß es: „Sind wir denn vom Vatikan regiert oder von aufgeklärten Menschen?“ Eine andere Leserzuschrift antwortete darauf: „Ja, es wäre mir lieber, wir würden vom Vatikan regiert, als von den aufgeklärten mephistophelischen Gestalten.“ Das war die direkte Tötung, die von der indirekten Tötung zu unterscheiden ist.
Indirekte Tötung gibt es, wenn ein tödlich Kranker medizinisch gebotene schmerzlindernde Mittel erhält, die zu seinem früheren Tode führen können, ohne dass dies beabsichtigt ist. Also indirekte Tötung geschieht ohne die Absicht der Tötung und ist nur die Anwendung von Maßnahmen, die einen anderen Zweck verfolgen, nämlich die Schmerzen zu lindern. Eine solche indirekte Sterbehilfe ist zulässig, auch wenn dadurch der Tod rascher eintritt als nach natürlicher Entwicklung. Solche Dinge können auch bei anderen Gelegenheiten geschehen. Denken Sie etwa an die Entschärfung einer Fliegerbombe. Es ist nie auszuschließen, dass dabei Menschen ums Leben kommen, aber die Notwendigkeit zwingt zu einer solchen Maßnahme. Die indirekte Tötung fällt auch unter das 5. Gebot, aber sie kann durch schwerwiegende Gründe erlaubt oder sogar geboten sein. Das Leben darf niemals leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, aber es kann geopfert werden, wenn höhere Güter auf dem Spiele sind. Bei der indirekten Tötung ist der Tod nicht als Wirkung des eigenen Tuns direkt gewollt, sondern als Ergebnis äußerer Lebens- und Wirkumstände bloß zugelassen.
Eine besondere Art der Tötung ist die Abtreibung. Abtreibung ist die direkte Tötung der Leibesfrucht, und zwar sowohl die gewollte und direkt herbeigeführte Ausstoßung der noch nicht lebensfähigen Leibesfrucht aus dem Mutterschoß als auch die direkte Tötung im Mutterschoß. Nicht selbständig lebensfähig ist eine Frucht vor Beginn des 7. Monats. Die Kirche hat das Laster der Abtreibung alle Jahrhunderte von Anfang ihrer Existenz bekämpft, denn die Heiden haben dieses Mittel der Beseitigung von Menschen auch praktiziert. In vielen Entscheidungen, vor allem des Heiligen Stuhles, ist ein derartiger Eingriff in das Kindesleben absolut und ohne Ausnahme verboten worden. Der Protestantismus denkt anders. Nach protestantischer Auffassung kann man sich schuldig machen, wenn man nicht abtreibt. Das hat das höchste Organ der evangelischen Kirche in Deutschland im Jahre 1976 feierlich erklärt. Die Abtreibungszahlen sind, wie Sie alle wissen, erschütternd hoch. Offiziell werden 100.000 genannt. Nach den Berechnungen des großen Gelehrten Manfred Spieker in Osnabrück sind es 200.000 in Deutschland, zweihunderttausend Abtreibungen jedes Jahr. Diese Differenz der Zahlen ist auf das Meldedefizit zurückzuführen, denn zahlreiche Abtreibungen werden überhaupt nicht gemeldet. Wir holen Afrikaner und Türken nach Deutschland, weil uns die Menschen fehlen. Die Politiker und Politikerinnen beklagen den demographischen Wandel, d.h. das Ausbleiben einer genügenden Zahl von Geburten. Aber sie lassen es geschehen, dass hunderttausende Kinder vor der Geburt zerstückelt oder abgesaugt werden. Wer jedes Jahr hunderttausend Abtreibungen faktisch fördert, der sollte über fehlende Geburten nicht jammern. Natürlich gibt es Einwände gegen das ausschließliche Verbot der Abtreibung. Man sagt, der Embryo sei an bloßer Annex, ein Anhängsel, ein bloßer Annex oder ein erkranktes Glied der Mutter. Das ist natürlich Unsinn. Der Embryo ist kein Annex, sondern ein selbständiges Wesen. Man kann auch nicht sagen, die Abtreibung sei Notwehr, denn es liegt ja kein ungerechter Angriff vor durch das Kind. Andere sagen, das Kindesleben sei wertlos, wegen der Gefährdung. Dann müssten viele Leben für wertlos erklärt werden. Und auch die Behauptung, das Leben der Mutter sei kostbarer als das des Kindes, lässt sich nicht halten. Man kann nicht Leben gegen Leben aufzurechnen. Am meisten Eindruck macht die Behauptung, wenn man nichts tut, dann gehen möglicherweise zwei Leben zugrunde. Das kann sein, aber – das muss hingenommen werden. Wir, die wir glauben, dass es ein anderes Leben gibt, wir werden dem Tod nicht mit derselben Scheu entgegentreten wie diejenigen, die nur die Erde anerkennen.
Meine lieben Freunde. Bei dem Thema „Tötung“ lassen sich drei Feststellungen nicht umgehen: 1. Die staatliche Gesetzgebung ist kein ausreichender Schutz gegen ungerechte Tötung. Sie gibt Stimmungen und Umfragen nach, sie wandelt sich. Im parlamentarischen System wird heute umgeworfen, was gestern gegolten hat. Hier gilt nicht die Wahrheit, sondern die Mehrheit, und die Mehrheiten wandeln sich. 2. Allein das Gottesrecht wehrt dem Unrecht gegen das Leben. Dieses Recht zieht klare Grenzen, ist unveränderlich, gilt für alle Menschen und ist allen Nützlichkeitsgesichtspunkten enthoben. Wo das Gottesrecht fällt, da fällt auch der Schutz des menschlichen Lebens. 3. Von den Religionsgemeinschaften ist nur eine einzige, die das Leben bedingungslos schützt: Es ist die katholische Kirche. Sie steht unerschüttert im Ansturm von Nutzen und Leidenschaft. Sie ist der Herold des göttlichen Willens. Unbeirrt vom Hass der Abtreiber und der Mörder hält sie Gott die Treue. Lassen wir uns an Treue zu dieser Kirche von niemandem übertreffen.
Amen.