Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Juli 2012

Fleisch und Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Paulus hatte in dem Text, den wir eben in der Epistel, in der Lesung, vernommen haben, davon gesprochen, dass der Geist Gottes  in den Christen wohnt. Daran knüpft er Folgerungen. Er spricht den Gegensatz zwischen Geist und Fleisch an. „Wir sind nicht dem Fleische verpflichtet, so dass wir nach dem Fleische leben müssten.“ Was meint Paulus unter ‚Fleisch‘? Was versteht er darunter? Das Wort ‚Fleisch’ bedeutet im Sinne Pauli ein Dreifaches:  Einmal, den Menschen und das Menschliche und das Irdische als solches.  Dann aber auch das Menschliche und Irdische in seiner Schwachheit, in seiner Begrenztheit. Und schließlich das Menschliche  und Irdische in seiner Sündhaftigkeit.  Also ‚Fleisch‘, so können wir sagen, ist der Mensch in seiner Schwäche, in seiner Neigung zum Bösen.  Und von dem sagt nun Paulus: „Wir sind nicht dem Fleische verpflichtet, so dass wir nach dem Fleische leben müssten.“ ‚Nach dem Fleische leben‘ ist klar, was das nach Paulus bedeutet. Das heißt: Den Trieben nachgeben.  Nach dem Fleische leben, das heißt, das tun, was Spaß  macht, auch  wenn es gegen Gottes Gebot steht. Der Sinnlichkeit folgen unter Außerachtlassung der Vernunft. Den Leidenschaften freie Bahn lassen. Das heißt: ‚Nach dem Fleische leben‘. Das Leben nach dem Fleische aber ist für den Christen beendet. Durch die in der Taufe geschehene Vereinigung mit Christus und die Begabung mit dem Geiste, mit dem Heiligen Geiste, ist der Christ aus der Sphäre des Fleisches entnommen und in die Sphäre des Geistes versetzt. Jetzt kommt aber eine merkwürdige Wendung. Es ist eine Feststellung, eine Tatsache, ein Indikativ, dass die Christen durch die Taufe, durch die Gemeinschaft mit Christus, vom Fleische in den Geist übergegangen sind. Das ist ein Indikativ, eine Aussage. Daran knüpft Paulus einen Imperativ, einen Befehl: „Wenn „ im Geiste lebt, müsst ihr auch nach dem Geiste handeln!“ Ihr seid mit Christus gestorben, das Fleisch ist erledigt. Aber das neue Leben ist in Euch zwar wirksam, aber es ist Euch zugleich aufgegeben. Erlösungslehre und Ethik gehören bei Paulus eng zusammen. Die Aufrufe zum sittlichen Handeln sind Folgerungen, die sich aus der geschehenen Verwandlung vom Fleisch des Menschen zum Geist des Menschen mit Notwendigkeit ergeben. Denn die neue Wirklichkeit des Christen ist eine verborgene. Die neue Weltzeit ist noch verhüllt. Die alte Welt ist grundsätzlich abgetan. Aber sie ist tatsächlich noch vorhanden. Der neue Äon ersetzt den alten noch nicht; er ist über den alten gekommen. Aber der alte ist noch nicht verschwunden. Er zeigt seine Wirklichkeit darin, dass er immer wieder versucht, den Menschen vom Geiste zum Fleische zurückzuführen. Der Christ muss deswegen auf dem Boden  der Versetzung in den Geist kämpfen. Er ist Sieger. Er ist in den Sieg Christi über die Sünde, über das Fleisch hineingenommen. Aber er muss diesen Sieg ständig in der Tat, in der sittlichen Tat des Geistes ergreifen. Die Sittlichkeit des Christen ist also nichts anderes, als das Bekenntnis zu der geschehenen Erlösung. Paulus zeigt dann auf, was auf das Leben nach dem Fleische folgt.

„Wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben.“ Der Tod ist die Folge des Lebens nach dem Fleisch. Das Leben nach dem Fleische führt zum Tod! Gemeint ist natürlich nicht der körperliche Tod, sondern der Verlust des ewigen Lebens, der ewige Tod. Wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben. Es geht also hier um Leben und Tod, um ewiges Leben oder ewigen Tod! Gerade das, was dem natürlichen Menschen, dem im Fleische lebenden Menschen, etwas Begehrenswertes ist, nämlich das Leben nach seinen Lüsten, das führt in den Tod. Die fleischlichen, sündhaften Regungen machen den Menschen unfähig, das Leben zu gewinnen. Das hat er an weiteren Stellen, eben dieses Römerbriefes, wiederholt ausgesprochen. An einer anderen Stelle heißt es nämlich: „Das Sinnen des Fleisches ist Tod.“ Oder am Anfang schreibt er schon: „Welche Frucht  hattet ihr von den Dingen, deren ihr euch jetzt heute schämt?“ Das Ende derselben ist der Tod! Das fleischliche Trachten kann nur zum Tode führen. Und ich sage noch einmal, das ist nicht bloß der irdische Tod, sondern das ist der Verlust des ewigen Lebens.  Für den im Geiste Lebenden ist der Tod des Leibes der Übergang in das ewige Leben. Für den, der im Fleische lebt, ist der irdische Tod der Eingang in den ewigen Tod. Der Sieg über das Fleisch führt zum Leben. „Wenn ihr durch den Geist die Werke des Fleisches tötet, werdet ihr leben!“ Noch einmal: Wenn ihr durch den Geist die Werke des Fleisches tötet, werdet ihr leben!

Das ist der andere Begriff. Was ist mit Begriff ‚Geist‘ gemeint?  ‚Geist‘, ist der Geist Gottes; ‚Geist’ ist der Heilige Geist, den wir als die dritte Person in Gott verehren. Er ist der Geist Christi, denn Christus war vom Geiste erfüllt. ‚Geist‘ ist aber auch die Wirkung, die er in uns entfacht. Und das ist das übernatürliche Leben, das ist die heiligmachende Gnade. ‚Im Geiste leben‘ heißt also, in der Gnade leben, in der heiligmachenden Gnade leben. Der ganze Mensch ist entweder im Fleische oder im Geiste. Ohne Christus hat der Mensch den Geist nicht. Da ist er Fleisch. Aber wenn er mit Christus zusammenwächst, da wird er Geist, denn Christus  gibt denen, die mit ihm zusammenwachsen Anteil an seinem Geiste. Das besagt zunächst eine Erneuerung des Denkens, des Wollens, des Fühlens, denn die heiligmachende Gnade wirkt sich ja eben in einem anderen Leben aus. Außerdem zieht sie die aktuelle Gnade, die Wirkgnade nach sich. Und zusammen schaffen heiligmachende Gnade und Wirkgnade den neuen Menschen, den Menschen, der im Geiste, im heiligen Geiste lebt, ist also eine wirkliche Erneuerung, die in uns geschieht, wenn der Geist über uns kommt. Und noch etwas: Der Besitz des Geistes verbürgt die Vollendung im ewigen Leben. Der Geist ist die Anwartschaft, die Anzahlung. Und diese Anzahlung wird einmal zur vollen Auszahlung des Lohnes führen in der Ewigkeit.

Wer die Anwartschaft hat, dem folgt mit großer Sicherheit auch die Fülle des ewigen Lebens.

Das Leben im Geiste bedeutet deswegen ‚Leben‘, weil wir dadurch Kinder Gottes werden. Gott ist der Lebendige und wer zu ihm kommt, den macht er lebendig. Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes. Die Kinder Gottes sind in eine enge Gemeinschaft mit Gott gekommen, die man nur als Kindschaft bezeichnen kann. Der Ertrag der Erlösung ist eben, dass wir Söhne und Töchter Gottes werden. Unser Verhältnis zu Gott ist so nahe, wie das eines Kindes zu seinem Vater. Christus hat uns zu seinen Brüdern gemacht und damit zu Kindern des ewigen Vaters. Er ist der naturhafte Sohn, Gott von Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wir sind Adoptivsöhne. Wir sind angenommene Söhne. Wir sind angenommene Töchter. Wir sind angenommene Kinder. Aber wir sind wahrhaft Kinder Gottes. Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes.  Und dieses Kindschaftsverhältnis zeigt sich, indem wir zu Gott sprechen dürfen: „Abba, lieber Vater.“

Das Wort ‚Abba‘ ist ein hebräisches, ein aramäisches Wort. Es wurde gebraucht im Familienkreis. Die Kinder sprachen ihren Vater als ‚Abba’ an. Aber es wurde nicht verwendet, um das Verhältnis zu Gott zu bezeichnen. Diese Verwendung ist durch Christus in die Welt gekommen. Er nennt seinen himmlischen Vater „Abba, lieber Vater“. Und die Christen, die eben Brüder und Schwestern Jesu geworden sind, dürfen, wie er, sagen: „Abba,  lieber Vater“. Es ist aufschlussreich, dass dieses hebräische Wort auch in den Gemeinden, die griechisch sprachen, Verwendung gefunden hat. Es sind ganz wenige Worte aus dem Hebräischen, die von den griechisch-sprechenden Christen übernommen wurden. Aber das Wort gehört dazu: „Abba, lieber Vater“. So wie das andere Wort: ‚Maranatha“. Komm Herr Jesus. „Maranatha“. Komm Herr Jesus. Ihr habt ja den Geist der Kindschaft empfangen, indem wir rufen: „Abba, lieber Vater.“  Und dieser Geist lehrt uns, richtig beten. Dass wir zu Gott rufen können und sprechen dürfen: „lieber Vater“, das bewirkt der Geist in uns. Wir ducken uns nicht wie Knechte vor einem Despoten, sondern wir treten frei und zuversichtlich Gott gegenüber, als dem Vater. Welche Wendung durch Gottes Fügung! Der Geist selbst bezeugt unserem Geiste, dass wir Kinder Gottes sind.

Die Ausleger verstehen diese Stelle verschieden. Der Geist selbst bezeugt unserem Geiste, dass wir Kinder Gottes sind. Die einen sagen, das ist nichts anderes als eine Erklärung der vorhergehenden Aussagen. Aber es gibt auch Erklärer, die meinen, nein, hier wird auch etwas Neues ausgesagt, nämlich, es gibt eine Unmittelbarkeit der Geistwirkung in uns, die uns bezeugt, dass wir Kinder Gottes sind. Also gewissermaßen, ein Impuls des Geistes, der uns klarmacht, wie wir zu Gott stehen. Eine Stimme, die in uns auftaucht, von Gott gesprochen, und unser Bewusstsein darauf lenkt, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn wir Kinder Gottes sind, hat das eine Folge, denn Kinder werden Erben. Wenn wir Kinder sind, so sind wir auch Erben. Erben Gottes und Miterben Christi. Hier geht also Paulus in das Erbrecht über und sagt, was im weltlichen Bereich gilt, das gilt schon längst im göttlichen Bereich. Wenn wir die Gewissheit haben, dass wir Kinder sind, dann haben wir auch die noch größere Gewissheit, dass wir erben werden. Wir werden erben das himmlische Erbe, wir werden erben die ewige Seligkeit. In Gemeinschaft mit Christus. Miterben Christi.

Freilich, und das ist in der heutigen Epistel leider Gottes nicht enthalten, freilich setzt das Erben mit Christus voraus, dass wir auch den Weg mit Christus gehen. Und was heißt das? „Wenn wir nämlich mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ Also: Erben werden wir sein, aber nur dann, wenn wir denselben Weg gehen, wie Christus. Und was heißt das? Es ist der Weg der Leiden! Das ist untrennbar mit dem Christenstande verknüpft. Der schmerzliche Anteil an Christi Leiden verbürgt die Teilnahme an seiner Herrlichkeit. Also, die Leiden, die der Christenstand mit sich bringt: der Schmerz um eigene und fremde Sünde, die Not in der Versuchung, die Schmerzen des Kampfes, der Entbehrungen, der Verzichte, der Widerstand der Welt, die Verfolgung, das Märtyrertum. Das ist das Leiden mit Christus. Und das gibt dem christlichen Leben den Ernst, aber auch gleichzeitig die tiefe Freude und die hohe Hoffnung, dass wir in Gemeinschaft mit Christus auch das ewige Leben erben werden. Paulus hat diese Wahrheit wiederholt ausgesprochen. Ich erinnere an das schöne Wort im Philipperbrief: „Ihn möcht‘ ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden.“ Ihn möcht‘ ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden. „Ihm möchte ich im Tode ähnlich werden, um so zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“  Den Korinthern bekennt er: „Immerdar tragen wir das Todesleiden Christi an unserem Leibe.“ Immerdar tragen wir das Todesleiden Christi an unserem Leibe.  Damit meint er seine Mühsale, seine Tag und Nacht betriebene Arbeit, seine Krankheit. Ich habe schon einmal erwähnt, dass manche Ausleger meinen, Paulus war Epileptiker. Er hat also unter diesen Anfällen, unter diesen schrecklichen Anfällen gelitten. Immerdar tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe  offenbar werde, in der großen Erwartung, deren Erfüllung uns bevorsteht.

Meine lieben Freunde, die Epistel des heutigen Tages ist nicht einfach zu verstehen. Der Gegensatz von Fleisch und Leib ist aber eine Wirklichkeit, die man den Gläubigen nicht ersparen kann. Denn sie ist uns zutiefst und innerlichst zugegen. Wir spüren, wie wir im Geiste leben, aber wie das Fleisch immer wieder aufbegehrt. Darunter sind nicht nur die Triebe, wie der Nahrungstrieb und der Geschlechtstrieb gemeint, sondern alle diese bösen Neigungen zur Lieblosigkeit, zur Gehässigkeit, zur Abneigung, alles das ist damit gemeint. Das ist das Fleisch, das wir töten müssen, das getötet ist. Aber, das sich immer wieder regt. Wegen dieser Zusammenhänge, wegen der Wirklichkeit des Geistbesitzes, wegen der innigen Gemeinschaft mit Jesus Christus im Geiste, können die Christen ein Siegeslied anstimmen. Und das folgt bald darauf nach der Epistel, die wir heute gehört haben. Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns?  Er, der seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer soll Anklage erheben gegen die Auserwählten Gottes? Gott? NEIN!  Denn er ist es, der rechtfertigt! Wer wird verdammen? Christus Jesus? NEIN! Denn er ist es, der gestorben ist, der auch wiedererstanden ist, der zur Rechten Gottes sitzt, der für uns mit seiner Fürbitte eintritt! Wer wird uns also scheiden von der Liebe Christi?  Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? In all dem  überwinden wir durch ihn, der uns geliebt hat! Ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe vermögen uns zu trennen von der Liebe Gottes, welche ist in Christus Jesus, unserem Herrn!

Amen!

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