20. November 2011
Das Weltgericht am Ende der Zeiten
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Paulus, der Apostel des Herrn, wurde gefangengenommen und in der Residenzstadt des Prokurators, des Landpflegers, Felix, gefangengehalten. Felix, der Landpfleger, war mit einer Jüdin verheiratet, Drusilla, und er hörte Paulus gern über das Evangelium sprechen. Eines Tages ließ er ihn kommen, und Paulus fing an, von der Gerechtigkeit, von der Keuschheit und vom Gericht zu sprechen. Da begann Felix zu zittern und sagte: „Nein, ich will dich ein andermal hören.“ Von der Gerechtigkeit, von der Keuschheit, vom Gericht wollte er nichts hören. Er fing an zu zittern.
Wahrhaftig, meine lieben Freunde, das Gericht Gottes ist eine furchtbar ernste Angelegenheit. Wenn Sie nach Rom kommen und die Sixtinische Kapelle besichtigen, da sehen Sie an der Wand das große, das erschreckende Gemälde von Michelangelo „Das Jüngste Gericht“. Da hat er, soweit es Menschen möglich ist, die Schrecken, die furchtbaren Schrecken dieses Gerichts mit dem Pinsel nachzuahmen versucht.
Das Weltgericht wird geschehen am Weltende. Vom Weltende redet nicht nur die Religion, sondern auch die Naturwissenschaft. Sie unterscheidet zwischen dem Ende der Erde und dem Ende des Weltalls. Das Ende der Erde wird als ein beobachtbarer Prozeß beschrieben. Man erinnert an die atomare Rüstung. Mit Atom- und Wasserstoffbomben kann der Mensch tatsächlich die Erde verwüsten, vielleicht sogar zum Untergang bringen. Man erinnert an die ökologischen Katastrophen, die beängstigend sind, das Rauschen des Wassers, das Ansteigen des Meeresspiegels. Der Mensch scheint in der Lage zu sein, die Erde unbewohnbar zu machen. Die natürlichen Grundlagen der Erde werden fortlaufend zerstört. Das Ackerland nimmt ab, obwohl die Zahl der Menschen zunimmt. Die Wüste wächst nicht nur in Afrika, auch in Asien, ja sogar in Europa. Man spricht davon, dass in Spanien die Wüste wächst. Die Rohstoffe werden knapp, das Wasser geht aus, hunderte Millionen Menschen haben nicht den Zugang zu frischem Wasser. Erduntergang scheint möglich, scheint naturwissenschaftlich möglich. Und er wird auch von vielen Menschen für möglich gehalten. Wo alltäglich so viel Untergang geschieht, da erscheint es plausibel, dass bald alles untergehen kann.
Aber nicht nur der Erduntergang wird für denkbar gehalten, sondern auch der Weltuntergang, also der Untergang des Weltalls, das ja unermeßlich ist. Die Welt kann untergehen. Die moderne Kosmologie spricht vom denkbaren Wärmetod des Weltalls. Falls die jetzige Ausdehnung des Weltalls nach endlicher Zeit in eine Zusammenziehung umschlägt, führt das zu einer unendlich hohen Energiedichte und entsprechend zu einer unendlich hohen Temperatur. Und umgekehrt: Falls sich das Weltall unbegrenzt ausdehnt, führt dies zum Kältetod, denn dann wird die Energiedichte im Weltall beliebig klein, und die Temperatur sinkt entsprechend. Die Naturwissenschaft rechnet mit dem Untergang des Weltalls.
Der Glaube lehrt das Weltende, die Wiederkunft Christi und das Weltgericht. Wir haben es soeben gehört: Die Sonne wird verfinstert werden, der Mond wird seinen Schein nicht mehr geben, die Sterne werden vom Himmel fallen, die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird der Menschensohn kommen mit großer Macht und Herrlichkeit. Er wird kommen, um Gericht zu halten. Wir nennen dieses Gericht das Endgericht, weil es danach keines mehr gibt. Es heißt auch das allgemeine Gericht, weil alle Menschen sich dem Gericht stellen müssen. Es heißt auch das Jüngste Gericht, weil es nämlich am letzten Tage der Welt abgehalten wird.
Da kann man fragen: Ja, wozu denn? Wozu denn ein allgemeines Gericht am Jüngsten Tage? Die Menschen werden doch gerichtet unmittelbar nach dem Tode. Das ist das besondere Gericht. Da erfährt jeder, wie es mit ihm ausgeht und wie es mit ihm weitergeht. Warum ein besonderes Gericht? Warum ein allgemeines Gericht, wenn es ein besonderes Gericht gibt? Meine lieben Freunde, das allgemeine Gericht geschieht um Gottes willen und um der Menschen willen.
Zunächst: Das Gericht geschieht um Gottes willen. Er ist auf dieser Erde hinweggeschritten mit der Feuersäule in der Nacht und in dem Wolkendunkel am Tage. Der Herr ist in der Weltgeschichte wirksam gewesen. Er hat sie mit seiner Weisheit regiert. Aber mit der Erkenntnis dieser Weisheit, da hapert es. Uns kommt die Führung der Welt durch Gott vor wie ein Kirchenfenster, von außen mit Schmutz besetzt, von Spinnenweben umgeben. Aber wenn man innen ist, dann sieht man die Farben leuchten, von der Sonne erhellt. Oder es ist so wie mit einem Teppich. An der Unterseite ein Gewirr von Fäden, die durcheinander zu liegen scheinen, auf der Schauseite dagegen ein wunderbares Muster. Um Gottes willen muss ein Weltgericht sein, damit die Menschen die Weisheit seiner Weltregierung erkennen, damit der Sinn des Ganzen ihnen offenbar wird, damit Gott gerechtfertigt wird in seiner Weisheit. Der allwissende Gott hat alles aufgezeichnet. Um es den Menschen begreiflich zu machen, spricht die Apokalypse von Büchern, die aufgeschlagen werden. Das ist natürlich ein Bild. Das Gedächtnis Gottes bewahrt alles auf. Und da wird sich zeigen, welchen Sinn die von Gott zugelassene Sünde, der von ihm nicht verhinderte Irrtum, die auch über die Guten hereingebrochenen Schicksalsschläge gehabt haben. Da werden vor den Blicken aller die Sinnlosigkeiten dieses Lebens, die den Glauben an Gott so sehr belasten, dahinschwinden. Der Glaube an das Weltgericht ist der Glaube an die endliche Sinnerfüllung des scheinbar Sinnlosen. Dann werden alle Zweifel und aller Unglaube schwinden; dann werden wir sehen, wie kurzsichtig wir waren, als wir sagten: Wo ist denn die Führung und die Fügung Gottes?
Das Weltgericht offenbart aber auch den Ernst der sittlichen Weltordnung. Man sagt zwar: Alle Schuld rächt sich auf Erden. Aber damit hat es nicht immer sein Bewenden. Es scheint auch Schuld zu geben, die sich auf Erden nicht rächt. Man sagt: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Es trifft häufig zu, aber nicht immer ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Auch die Alliierten, die den Verbrecher Hitler besiegt haben, haben Verbrechen begangen, aber sie sind ungesühnt. Hier auf Erden triumphiert vielfach das Unrecht, und die Tugend wird verlacht, die Lüge herrscht. Wo ist Gerechtigkeit? Man findet sie nicht. Aber dann, wenn das Weltgericht erfolgt, dann werden wir sehen, dass es eine Gerechtigkeit gibt, dass es eine Vergeltung gibt, dass Gott jedem vergilt nach seinen Werken. Gott ist kein Hampelmann, er ist kein Spielkartenkönig. Er ist Gesetzgeber und Richter mit unendlicher Macht. Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters und jedem vergelten nach seinen Werken. Hier haben Menschen Gott herausgefordert. „Ich habe gesündigt, und was ist mir geschehen? Nichts!“ So sprechen die trotzigen Sünder unserer Tage. Es kommt eine Stunde, wo sie nicht mehr so sprechen können. Dann wird sich zeigen, was sie mit ihrer Sünde verdient haben.
Das Weltgericht offenbart die Liebe Gottes, die Liebe Gottes, die in Christus erschienen ist. Erschienen ist die Liebe Gottes in Christus. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn für sie hingab. Um den Knecht zu erlösen, hast den Sohn du hingegeben, o ewiger Gott.“ Aber haben die Menschen seine Liebe erkannt? Haben sie sie anerkannt? Wie viele haben sie verkannt. Wie oft hat sich wiederholt, was Johannes in seinem Prolog schreibt: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht worden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ So ist es in der Weltgeschichte. Am Ende wird es anders sein. Alle werden ihn sehen, und zwar unübersehbar, „auch die, die ihn durchbohrt haben“, wie der Apokalyptiker schreibt. Auch die, die ihn durchbohrt haben, werden ihn sehen. Dann folgt die wirkliche und unumstößliche Anerkennung seiner Liebe, am Schluß der Tage. Dann werden die Gläubigen gerechtfertigt, die sich seiner Liebe ausgeliefert haben.
Die Geschehnisse des Weltgerichtes sind notwendig um Gottes willen. Sie sind aber auch notwendig um der Menschen willen, der Menschheit wegen. In der Entscheidung des Weltgerichtes wird das Gute, das auf Erden vollbracht wurde, vor aller Welt veröffentlicht werden. Vor aller Welt! Trotz aller bösen Absichten der Menschen. „Ihr sannet Böses wider mich, aber Gott wandte es zum Guten“, sagt der ägyptische Joseph. Gott lenkt die Taten der Menschen; sie müssen seine Werkzeuge sein. Es wird sich zeigen, was im einzelnen Schicksal und was Schuld war. Es wird sich zeigen, was entlastend und was belastend für einen Menschen spricht. Es wird sich zeigen, was verklärend und was verfinsternd wirkte. Hier, während dieser Weltzeit, gehen die Urteile der Menschen über andere Menschen häufig fehl. Wir irren, wir täuschen uns. Wir tun unrecht mit unserem Urteil, weil wir nicht in die Tiefe schauen. Beim Weltgericht wird Gottes allwissendes und gerechtes Urteil den Menschen offenbar werden.
Das allgemeine Gericht nimmt dem besonderen Gericht nichts von seiner Bedeutung. Das besondere Gericht, also über den einzelnen im Tode, ist endgültig. Im Tode wird ein für allemal über den Menschen entschieden. Aber dieses endgültige Gericht wird im Weltgericht bestätigt. Es wird nicht überprüft, es wird nicht korrigiert, es wird bestätigt. Das Weltgericht ergeht auch über den ganzen Menschen. Im besonderen Gericht wird ja nur die Seele gerichtet, dann aber, wenn die Auferstehung erfolgt ist, wird der ganze Mensch gerichtet, Leib und Seele. Es werden auch die Folgen des Tuns des Einzelnen gerichtet und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Folgen, die Wirkungen, die von uns ausgingen, die Strahlungen, die guten und die bösen, sie werden in aller Öffentlichkeit kundgemacht werden. Das Weltgericht verherrlicht die Guten und beschämt die Bösen öffentlich.
Es werden im Weltgericht nicht nur Einzelne gerichtet, sondern auch Personengesamtheiten. Menschengruppen, Völkergruppen werden gerichtet. Es gibt ja auch eine Völkersünde; es gibt ja auch eine Völkerschuld. Die Völker haben eine Aufgabe. Nach Gottes Plan soll das deutsche Volk, das französische Volk, das italienische Volk eine bestimmte Aufgabe verrichten. Im Mittelalter wies man dem italienischen Volk das Priestertum zu und dem deutschen Volke das Lehramt. Alle Geschichte ist Annäherung oder Entfernung der Völker von Gott. Beim Weltgericht wird offenbar, ob und wieweit jedes Volk die ihm von Gott gestellte Aufgabe erfüllt hat. Es wird die Leistung oder das Versagen, der Wert oder der Unwert eines jeden Volkes im Angesicht der Weltöffentlichkeit festgestellt werden.
Da werden auch die Institutionen gerichtet, die Parteien, die Gewerkschaften, die Konzerne, die Universitäten, die Europäische Union und die Nato, die Römische Kurie und die Bischofskonferenzen. Jawohl, sie alle werden beim Weltgericht vor dem Richter erscheinen müssen. Da wird sich offenbaren, welchen Nutzen die wirtschaftlichen, industriellen, politischen, militärischen Einrichtungen der Menschen hatten. Da werden Staat und Recht in ihrer Bedeutung vorgestellt werden. Da wird sich zeigen, welchen Wert die von den Menschen geschaffenen kulturellen Werke, die wissenschaftlichen Forschungen, die künstlerischen Schöpfungen, die philosophischen Systeme hatten. Das wird sich zeigen.
Es wird sich aber auch zeigen, welche Bedeutung religiöse Lehren und Maßnahmen gehabt haben. Das Zweite Vatikanische Konzil. Die Würzburger Synode. Da wird sich zeigen, was die Revolte wert war, die der Mönch von Wittenberg angezettelt hat. Jetzt wird in einer Dekade, in zehn Jahren, dieses Ereignisses gedacht. Zehn Jahre lang soll Martin Luther jetzt verherrlicht werden. Gottes endgültiges Urteil werden wir erfahren im Weltgericht.
Noch ein Letztes ist von Bedeutung für die Menschen beim Weltgericht, nämlich es wird die Erfüllung der sozialen Pflichten überprüft werden. Die Menschheit ist ja eine große Gemeinschaft. Sie lebt miteinander, und sie soll auch füreinander leben. Wir tragen heilige Verantwortung füreinander. „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ fragte Kain. Ja, du bist es! Das Letzte Gericht wird uns darüber belehren, was es heißt: „Herr, wann haben wir dich nackt oder gefangen oder krank gesehen? Wann haben wir dich hungrig und durstig gesehen?“ „Alles, was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Oder: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Wer es nicht getan hat, wird hinausgeworfen wie ein unnützer Knecht.
Meine lieben Freunde, wir brauchen nicht irre zu werden an Gottes Macht und Weisheit. Wir brauchen nicht irre zu werden an seiner Gerechtigkeit und Liebe. Wir müssen nur Geduld haben. Es wird ein Tag kommen, an dem unser Glaube zum Schauen wird, an dem unser Vertrauen belohnt wird, an dem unsere Geduld gekrönt wird. Dieser Tag wird so sicher kommen, wie auf die Nacht der Tag folgt. Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag. Sein Plan ist fertig und liegt bereit. Die Stunde der Ausführung wird kommen, wenn die Zeit erfüllt ist. Gott täuscht uns nicht und betrügt uns nicht. Er ist wahrhaftig und zuverlässig.
„Es kommt ein Tag der Rache für aller Sünder Haupt, dann sieget Gottes Sache, dann schauet, wer geglaubt.“
Amen.