16. Oktober 2011
Die heiligen Engel, Diener Gottes und Helfer der Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Ein französischer Maler hat in dem Kloster Saulchoir in Frankreich ein ergreifendes Bild geschaffen. Da sieht man, wie die Dominikanermönche sich beim Chorgebet verneigen, als sie das „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste“ sprechen. Aber man sieht nicht nur das, sondern hinter ihnen und über ihnen ist etwa anderes zu beobachten. Hinter ihnen neigen sich alle vollendeten Brüder dieses Dominianerkonvents, und über ihnen wölbt sich die Anbetung der Engel. Der Maler hat begriffen, was im Hebräerbrief geschrieben steht, nämlich: „Ihr seid hinzugetreten zum Berge Sion, der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu den zahllosen Engelscharen und zum Festjubel, zur Gemeinde der Erstgeborenen.“
Kirche und Engel gehören zusammen. Seit ihrem Anfang weiß die Kirche, dass sie in der Gemeinschaft der heiligen Engel lebt, dass sie aufgenommen ist in diese Gemeinschaft, in ihren Sieg und in ihre Hut. Sie weiß auch ihre Vollendeten, die Blutzeugen, die Bekenner, die Jungfrauen bei den Engeln im Himmel. Der Gottesdienst, den die Kirche hält, ist niemals bloß eine Menschenangelegenheit. Der Gottesdienst der Kirche ist eine Verehrung, die in den Himmel reicht. Mit den Menschen sind die Engel im Dienste des Herrn, in der Anbetung Gottes begriffen. Himmlisches und irdisches Gotteslob klingen zusammen. Wir werden es ja bald wieder beten in dieser heiligen Messe: „Darum singen wir mit den Engeln und Erzengeln, mit den Thronen und Mächten, mit den Cherubim und Seraphim und mit der ganzen himmlischen Heerschar den Lobgesang deiner Herrlichkeit und rufen ohne Unterlaß: Heilig, heilig, heilig.“
Engel und Menschen gehören zusammen im Leben, aber auch im Tode. Ja, die Engel spielen eine besondere Rolle, wenn es ans Sterben geht; wenn wir heimgerufen werden zu Gott, da sind sie zur Stelle. Davon zeugen die Gesänge, welche die Kirche beim Tode eines Menschen anstimmt. Sie stellt sich den Heimgang der menschlichen Seele vor wie einen Empfang, der in der alten Zeit einem Mächtigen, einem König in einer Stadt bereitet wurde. Da gingen ihm die Bewohner entgegen, und im Triumphzug führten sie ihn in die Stadt. Und so betet die Kirche, wenn einer von uns stirbt: „Es mögen ihm entgegeneilen die Engel. Sie mögen ihn zur heiligen Stadt Jerusalem geleiten.“ Und sie ruft die Engel auf: „Eilt ihm entgegen, ihr Engel, und bringt die Seele vor das Angesicht des Allerhöchsten.“
Die Engel und die Menschen sind verbunden, weil sie vom selben Schöpfer stammen. In Gott ist alles geschaffen, das Sichtbare und das Unsichtbare, und das Unsichtbare sind eben die Engel. „In ihm ist alles erschaffen“, wie es im Kolosserbrief heißt: „In ihm ward alles erschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare. Alles ist durch ihn und zu ihm hin geschaffen.“ Gott ist der gemeinsame Vater, der gemeinsame Schöpfer von Engeln und Menschen.
Die Engel leben in der Seligkeit des Himmels, aber sie wurde ihnen nicht ohne Erprobung geschenkt. Auch die Engel haben eine Probe zu bestehen gehabt, bevor sie in die Seligkeit Gottes aufgenommen wurden. Man hat gerätselt, worin diese Erprobung bestanden haben könnte. Gelehrte, fromme, hervorragende Theologen meinen, den Engeln wurde bekannt, dass die Spitze der Schöpfung ein Mensch sein sollte, der Mensch Jesus von Nazareth, der Sohn Mariens, und nicht ein Engel, auch keine Engelfürst. Die Spitze der Schöpfung sollte ein Mensch sein. Das haben manche Engel nicht vertragen. Sie haben sich empört, sie fielen ab, und sie wurden verstoßen. Die guten Engel dienen dem Heiland. Engel begleiten sein Leben. Der Christusdienst der Engel ist eine oft von der Heiligen Schrift bezeugte Tatsache. „Und ich schaute“, so heißt es in der Apolalypse des Johannes, „und hörte einen Chor vieler Engel rings um den Thron (um den Thron Gottes). Es waren an Zahl zehntausendmal zehntausend.“ Ja, meine lieben Freunde, das sind ja ungeheure Zahlen. Ist das nicht fast unwahrscheinlich? Es waren an Zahl zehntausendmal zehntausend. Ich gestehe, mit dieser Zahl keine Schwierigkeit zu haben. Mein Interesse galt immer auch der Astronomie. Die Astronomen rechnen mit etwa 70 Trilliarden Sternen. 70 Trilliarden Sterne, das ist 7 x 1022. 7 x 1022. Die Astronomen rechnen mit 100 Galaxien, und jede Galaxie besteht aus 100 Milliarden Sternen. Ja, wenn Gott in der unbelebten Natur solche ungeheuren, unfaßlichen Wirklichkeiten schaffen konnte, warum sollte er nicht zehntausendmal zehntausend Engel erschaffen haben? Diese Engel, die den Thron umgeben, rufen: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet ward, zu empfangen Macht und Reichtum und Stärke und Ruhm und Preis.“ Das ist der erste und oberste Dienst der Engel.
Aber sie haben auch den auf Erden erschienenen Logos begleitet. Wie heißt es in der Botschaft an Maria, die der Engel Gabriel überbrachte: „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Und Joseph erfährt dieselbe Botschaft von einem Engel: „Joseph, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Was in ihr geworden ist, das stammt vom Heiligen Geiste.“ Das war die Ankunftsverkündigung des Messias durch die Engel. Sie setzt sich fort auf den Halden von Bethlehem. Dort spricht ein Engel: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude. Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Die Geburt wird von Engeln verkündet, aber auch die Auferstehung. Als die Frauen zum Grabe kommen, da erblicken sie zwei Jünglinge in weißen Kleidern. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.“ Und als es zur Himmelfahrt geht, da erscheinen wieder zwei junge Männer in weißen Kleidern, zwei Engel. Die Apostel schauen nach oben. „Ihr Männer von Galiläa“, sagen die Engel, „warum schaut ihr nach oben? Dieser Jesus, der von euch weg erhoben wurde, wird so wiederkommen, wie ihr hn habt auffahren sehen.“
Die Engel und das Leben Jesu sind untrennbar. Als er versucht wurde, da hungerte ihn. Und nach der Versuchung, die er bestanden hatte, traten Engel zu ihm und dienten ihm. Das heißt, sie brachten ihm zu essen. Im Ölgarten flehte Jesus, der Kelch des Leidens möge vorübergehen. Er fing an zu zittern und zu zagen, wie der Evangelist Markus berichtet. Aber nur der Evangelist Lukas erzählt uns: „Da erschien ein Engel vom Himmel und tröstete ihn.“ Der Herr wußte es, dass die Engel bereitstehen, ihm zu helfen. „Meint ihr“, sagt er den Aposteln, „mein Vater könnte mir nicht zwölf Legionen Engel schicken?“ Das sind 72.000 Mann. Aber wie sollte dann erfüllt werden, dass der Messias leiden muss? Eine letzte Rolle spielen die Engel bei der Wiederkunft Christi. Wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters, dann kommen die Engel mit ihm, und sie werden aus seinem Reiche alle Übeltäter aussondern und in den Feuerofen werfen. Denn der Herr wird einem jeden vergelten nach seinen Werken, wenn er mit seinen Engeln kommt.
Die Engel sind Diener Gottes, sie sind Diener Christi. Sie sind auch Diener der Menschen. Ja, jeder von uns hat seinen Schutzengel. „Die Engel sind ausgesandt zum Dienste derer, welche das Heil erben sollen.“ So schreibt der Hebräerbrief. Die Engel sind ausgesandt zum Dienste derer, die das Heil erben sollen. Ein jeder Mensch ist einem Schutzengel anvertraut.
In Straßburg am Münster steht ein Engel auf der Gerichtssäule und schaut uns forschend an. Was will der Engel uns sagen? Vielleicht das, was im „Seidenen Schuh“ von Paul Claudel steht: „Wer das Gute in seiner Fülle erkennt, der allein versteht auch das Maß des Bösen.“ Die Engel, die das Gut in der Fülle erkennen, verstehen auch das Maß des Bösen. Der Straßburger Engel schaut uns forschend an, betroffen, so scheint es, schaut er auf das verlorene Treiben der Menschen, auf den Leichtsinn, mit dem sie ihre unsterbliche Seele beflecken, die mit dem kostbaren Blute des Herrn erkauft ist.
Die Engel haben einen durchdringenden Blick. Ihre Intelligenz ist höher als die unsere, dennoch sind sie nicht allwissend. Sie können also nicht in das Innere des Menschen eindringen, sondern nur von außen wirken. Aber das tun sie auch. Sie geben uns gute Gedanken ein, sie stellen uns die Ziele Gottes vor, die er vor uns aufgerichtet hat. Sie können uns auch in unserem Handeln und in unseren Unternehmungen beistehen. Die Engel sind mächtig, sie sind mächtige Helfer. Das wissen wir aus der Heiligen Schrift. Wer hat den Stein weggewälzt vom Grabe? Ein Engel. Er muss also Kraft haben. Die Engel besitzen Macht. Ich hatte einen Freund, meine lieben Christen, ich hatte einen Freund, einen priesterlichen Freund, der reiste jedes Weihnachtsfest in das Uran-Sperrgebiet in der DDR, um den Menschen, die dort lebten, Gottesdienst zu halten und die Sakramente zu spenden. Das Uran-Sperrgebiet war streng abgeschirmt. Man konnte nur mit einer Sondergenehmigung hinein. Niemand sollte wissen, was da geschieht, wo das Uran gefördert wurde. Aber mein Freund, der Priester, kam immer hinein, und zwar ohne Genehmigung. Ich fragte ihn: „Ja, wie kommst denn du hinein?“ „Ich reise mit den Engeln.“ Eine gläubige Antwort auf eine profane Frage. „Ich reise mit den Engeln.“
Die Engel bewahren, soweit es der Vorsehung Gottes entspricht, unser irdisches Leben. Ich sage noch einmal: „Soweit es der Vorsehung Gottes entspricht.“ Denn Gott führt Wege, die uns verborgen sind. Aber noch wichtiger ist der Dienst, den sie uns leisten für die Ewigkeit. Sie helfen uns in unserem Kampfe mit den bösen Mächten. Sie stehen uns bei, wenn der Versucher uns naht. Die Engel wollen uns in die ewige Seligkeit geleiten. Freilich müssen wir uns ihnen erschließen. Wie macht man das? Von Maria heißt es: „Der Engel trat bei ihr ein.“ Wir müssen so gesinnt sein wie Maria. Wir müssen die Engel einlassen. Sie müssen bei uns eintreten können. Sie müssen also die Freunde, die Mitwisser unserer Pläne, unserer Anliegen, unserer Sorgen sein. Wir müssen mit ihnen sprechen. Wir müssen zu ihnen sprechen. Sie hören uns. Wir müssen uns den Engeln verbinden. Es darf kein Tag vergehen, meine Freunde, wo wir nicht ein Schutzengelgebet verrichten, kein Tag. Sie sind unsere Helfer. Sie geben uns Gebete ein, gute Gedanken. Der Glaube an die heiligen Engel ist etwas vom Tröstlichsten in unserer heiligen Religion. Keine Illusion, lein schönes Märchen, sondern eine Wirklichkeit, eine von Gott geoffenbarte Wirklichkeit.
In einem englischen Gedicht heißt es: „Die Engel halten ihre Stellung noch immer. Dreh einen Stein um, wag den Flügelschlag. Das bist nur du, der Augen abgewandter Schimmer, der ihren Vielglanz nicht zu schaun vermag.“
Amen.