2. Juni 2011
Ankündigung des Reiches Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der glorreichen Aufnahme unseres Heilandes in den Himmel Versammelte!
Das Lukasevangelium berichtet von mehreren Erscheinungen des Auferstandenen. Die Apostelgeschichte, die ja vom selben Verfasser stammt, ergänzt diese Ausführungen, vor allem durch den Hinweis, dass Jesus den Seinen 40 Tage hindurch erschien, nicht mehr und nicht weniger. 40 Tage hindurch haben die Erscheinungen des Herrn angehalten. Das ist kein Widerspruch zu den Nachrichten der übrigen Zeugen der Auferstehung Jesu. Auch Matthäus berichtet von einer Erscheinung in Galiläa, die also mindestens mehrere Tage nach der Auferstehung geschehen sein muss. Johannes berichtet von einer Erscheinung acht Tage nach Ostern, und Paulus berichtet von mehreren Erscheinungen, die eben in diese Zeit der 40 Tage fallen. Jesus hat nach seiner Auferstehung den Verkehr mit den Seinen in gewisser Hinsicht aufgenommen, aber nicht so wie vorher. Er kam nicht von einem bestimmten Wohnort auf der Erde zu den Jüngern, sondern er erschien ihnen plötzlich, unerwartet, bei verschlossenen Türen, bald in Jerusalem, bald in Galiläa. Es gibt keinen Aufenthaltsort auf Erde, den Jesus in diesen 40 Tagen bezogen haben sollte.
Diese Feststellung ist deswegen nicht unerheblich, weil manche Erklärer der Heiligen Schrift fragen, wo sich Jesus in den 40 Tagen nach der Auferstehung aufgehalten hat. Die Antwort lautet: Nirgendwo, nirgendwo auf Erden. Kein Evangelist macht eine Andeutung, dass Jesus das frühere gemeinsame Leben mit den Jüngern wieder aufgenommen hat. Alle berichten, dass er plötzlich – plötzlich! – unter ihnen erschien. Er war in diesen 40 Tagen weder bei ihnen noch anderswo. Das Wort „erscheinen“ schließt ein dauerndes Bleiben in den 40 Tagen aus.
Das irdische Leben Jesu galt allen Bewohnern der Orte, in die er auf seinen Wanderungen kam. Die Erscheinungen galten nur seinen Jüngern. Ihnen hat er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als lebend bezeugt. Das war sicher der Hauptgrund für das Erscheinen in den 40 Tagen. Er wollte ihnen Beweise liefern, Beweise für seine wirkliche, leibhaftige Auferstehung. Und deswegen hebt Lukas immer wieder hervor: Er aß mit ihnen. Also die Erscheinungen waren kein Hirngespinst, keine Halluzination, sondern eine wirkliche, lebendige Lebensaufnahme mit den Jüngern. Er wollte sie überzeugen von der Wirklichkeit seiner Auferstehung.
Er gab ihnen aber auch Belehrungen. Lukas sagt uns, worin sie bestanden. Er belehrte sie über das Reich Gottes. Wir alle beten ja täglich um das Kommen dieses Reiches: „Dein Reich komme!“ „Zu uns komme dein Reich!“ Das zeigt, dass das Reich noch nicht da ist. Wenn es erst kommen soll, kann es noch nicht da sein. Das Reich Gottes ist also eine zukünftige Wirklichkeit. Sie kommt erst mit der Parusie, mit der Wiederkunft Christi, und sie wird durch die Scheidung der Bösen und der Guten, durch das Gericht eröffnet. Freilich ist das Reich Gottes nicht in jeder Hinsicht zukünftig. Es ist schon gegenwärtig im Wirken Jesu und seiner Jünger. Es ist noch nicht in Herrlichkeit enthüllt, aber es ist auch nicht völlig verborgen. Es ist noch nicht in Macht erschienen, aber keineswegs nur in Schwäche da. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Es bricht an in der Überwindung der Teufels- und der Dämonenherrschaft durch Jesus. Mit ihm und seinem Wirken bricht die Gottesherrschaft an, denn er ist ja der verheißene, der gottgesandte Messias.
Das Reich Gottes ist wesentlich übernatürlich, kein irdisches Reich, ein himmlisches Reich, für Menschen unverfügbar. Gott gibt es, Gott schenkt es, und die Menschen empfangen es, nehmen es entgegen. Man kann deswegen nur um das Kommen des Reiches beten: „Dein Reich komme!“ „Zu uns komme dein Reich!“ Die Kirche ist mit dem Reiche Gottes nicht identisch, aber sie ist auf das Reich Gottes hingeordnet. Sie ist gewissermaßen der Herold und in gewisser Hinsicht sogar der Beginn des Reiches Gottes auf Erden. Die Zugehörigkeit zur Kirche, also zu der von Christus gestifteten Heilsgemeinde, ist die Voraussetzung dafür, dass man in das Reich Gottes eingehen wird. In der Kirche sammeln sich die Auserwählten. In der Eucharistiefeier halten sie Ausschau nach dem Reiche: „Wir verkünden seinen Tod und seine Auferstehung, bis er wiederkommt.“
Worüber belehrte der Herr während der 40 Tage seine Jünger? Nun, gewiß auch über die Notwendigkeit und Schriftgemäßheit seines Todes, wie wir es ja von Emmausjüngern wissen. Was Jesus widerfuhr, war nicht ein Mißgeschick, ein Unfall, ein Verhängnis. Was ihm geschah, das hatte seinen Grund im Willen des himmlischen Vaters. Wenn der himmlische Vater den Sohn, den geliebten Sohn in Nacht und Tod hineinschickte, dann hatte er eine doppelte Absicht. Er wollte einmal das Grauen der Sünde den Menschen vorhalten. Dass der Allerreinste, der Unschuldige so bitter leiden mußte, das sollte den Menschen ständig vor Augen führen, was sie Gott antun, wenn sie sündigen. Es sollte aber das schmerzhafte Leiden des Herrn auch die abgründige Barmherzigkeit des himmlischen Vaters den Menschen offenbaren. „Den Knecht zu erlösen, gabst den Sohn du dahin.“ Das ist das Geheimnis des Leidens Jesu: „Den Knecht zu erlösen, gabst den Sohn du dahin.“ Der Herr unterrichtete die Jünger in den 40 Tagen auch über die Zukunft. Er wußte, seine Sendung ist mit Tod und Auferstehung abgeschlossen. Jetzt beginnt die Sendung der Jünger. Sie sollen sein Heil und seine Botschaft weitertragen. Er hat ja den Bereich von Palästina kaum überschritten. Die Jünger sollen die Heilsbotschaft bis an die Grenzen der Erde tragen. Damit erfüllt sich ein Zitat aus dem Buch des Propheten Isaias: „Ich habe dich zum Lichte eingesetzt, damit du ihnen zum Heile seist bis an die Grenzen der Erde.“ Eben das erklärt der Heiland in den 40 Tagen seinen Jüngern. Sie sollen sich nicht auf das jüdische Land beschränken, sie sollen hinausgehen und alle Völker, also auch die Heidenvölker, bekehren und zu seinen Schülern machen.
Und noch etwas erklärt er ihnen: Sie werden nicht allein sein mit dieser schweren Botschaft. Sie werden die Kraft von oben empfangen, den Heiligen Geist. Die Aufgabe, die ihnen zukommt, ist eine hohe, schwere, übernatürliche, gottgegebene. Sie kann daher nur mit übernatürlicher Kraft erfüllt werden. Und Jesus macht sie gewiß, daß sie nicht allein in die Weiten der Welt hinausgeschickt werden. „Ihr werdet in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.“ Christliche Mission ist Zeugnis im Heiligen Geiste. Ohne den Geist kann man Agitation und Propaganda betreiben, aber Mission nach dem Willen Gottes kann man nur im Heiligen Geiste durchführen. Denn der Geist legt Zeugnis ab von Christus, und die menschlichen Zeugen sind nur seine Werkzeuge.
Der Herr scheidet nun endgültig von seinen Jüngern. So, wie sie ihn während seines irdischen Lebens und selbst während der 40 Tage erfahren haben, werden sie ihn nicht mehr erleben; denn er geht zum Vater. Von der Himmelfahrt Jesu berichtet an erster Stelle Lukas, und zwar in beiden Büchern, die er geschrieben hat, im Evangelium und in der Apostelgeschichte. Wir haben es ja vernommen, das Zeugnis aus der Apostelgeschichte, wie der Herr vor ihren Augen emporgehoben wurde in einer lichten Wolke und die Wolke ihn ihren Blicken entzog. Aber auch Markus, und dessen Evangelium haben wir vorhin gehört, auch Markus berichtet die Himmelfahrt. „Nachdem der Herr Jesus mit ihnen geredet hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und sitzt jetzt zur Rechten Gottes.“ Auch Paulus setzt die Himmelfahrt voraus. Wenn er von der „Erhöhung“ spricht, dann meint er immer die Herauskunft aus dem Grabe, also die Auferstehung vom Tode, und die Hineinnahme in die Herrlichkeit des Vaters. Die Erhöhung ist ein zweigestufter Vorgang: Überwindung des Todes und Verklärung in der Herrlichkeit Gottes.
Jesus ist sogleich nach seiner Auferstehung in den Himmel versetzt worden. Das Erwecken vom Tode und die Versetzung in den Himmel gehören zusammen, machen die Erhöhung Jesu aus. Vom Himmel her ist er den Jüngern 40 Tage lang erschienen. So erklärt sich die Frage, wo Jesus in den 40 Tagen gewesen ist. Im Himmel! Er ist immer vom Himmel erschienen, wenn er zu den Jüngern kam. Das ergibt sich auch aus anderen Bemerkungen im Evangelium. Zu Maria Magdalena sagt nämlich der Herr: „Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!“ „Rühr mich nicht an“. das heißt, sie soll nicht zu seinen Füßen niederfallen, „denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“ Das bedeutet doch, dass Jesus aus dem Grabe erstanden ist, aber noch nicht in die himmlische Herrlichkeit zurückgekehrt ist. Zur vollen Verherrlichung gehört die Rückkehr zum Vater, und dorthin will er gehen, und dorthin ist er auch im Begriff, zu gehen. Und deswegen sagt er: „Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“ Deswegen soll ihn Maria Magdalena auch nicht festhalten; manche übersetzen nämlich das Wort: „Halte mich nicht fest!“ Durch seine Auferstehung ist Jesus in die himmlische Daseinsweise eingetreten. Sie erlaubt die Wideraufnahme der alten, vertrauten Beziehungen nicht. Und dann fährt er fort und gibt Magdalena den Auftrag, zu den Brüdern zu gehen und ihnen eine Botschaft auszurichten. Sie lautet: „Ich gehe hin zu meinem und zu eurem Vater, zu meinem und zu eurem Gott.“ Dieser Auftrag ist nur dann sinnvoll, wenn er eben jetzt zum Vater hinaufsteigt, bevor er den Jüngern erscheint. Er kommt zu den Jüngern als der, welcher zum Vater aufgestiegen ist. Er kommt vom Himmel, vom Vater, in den Erscheinungen zu den Jüngern.
Das letzte Hinaufgehen zum Vater unterscheidet sich allerdings von den früheren Fällen der Rückkehr zum Vater. Nämlich früher, während der 40 Tage, erschien er den Jüngern und verschwand. Er entglitt ihren Blicken. Bei letzten Mal, bei der letzten Heimkehr zum Vater, bei der Himmelfahrt, die wir heute begehen, wurde er sichtbar in den Himmel aufgenommen. Die Himmelfahrt ist die letzte Auffahrt zum Vater, sie ist der Abschluß der Erscheinungen.
Manche haben Schwierigkeiten mit der Aufnahme Jesu in den Himmel. Sie haben vielleicht vor Jahrzehnten gehört, wie der russische Raumfahrer Gagarin angeblich erklärt hat, er sei ins Weltall gefahren, aber Gott habe er nicht angetroffen. Das ist gar keine Schwierigkeit, die uns in Verlegenheit versetzen kann, meine lieben Freunde. Das Wort Himmel wird in doppeltem Sinne gebraucht. Einmal besagt Himmel im kosmologischen Sinne das Firmament, das wir über uns sehen, also das Gewölbe, das scheinbare Gewölbe, das sich über dem Horizont eines Beobachters aufspannt, den Ort der Vögel, der Wolken und der Sterne. Wie viele Milliarden von Gestirnen es auch geben mag, sie alle gehören zu dem, was wir den Himmel im kosmologischen Sinne nennen. Der Himmel, in den Jesus aufgefahren ist, ist ein anderer. Es ist der Himmel im theologischen Sinne; es ist die Existenzweise Gottes. Beides sind völlig verschiedene Wirklichkeiten. Das Hinauffahren in die Höhe ist wirklich. Jesus ist wirklich in die Höhe hinaufgefahren, um zu zeigen, dass er eben nicht in die Hölle verbannt worden ist, die unten ist, sondern dass er in den Himmel hinaufgefahren ist, der oben ist. Aber das sind nur Vorstellungen, Hilfsvorstellungen, weil wir eben ohne Vorstellungen überhaupt nichts aussagen können. Er will nicht damit sagen, dass er an einen bestimmten Ort im Weltall erhoben worden ist. Nein, er will nur ausdrücken, dass er in die Daseinsweise des Hellen und Lichten, des Hohen und Erhabenen eingesetzt worden ist. Seine Erhöhung ist die Erhebung in die Teilhabe an der Wirklichkeit Gottes, die Erhöhung zur Teilhabe an der Existenzweise Gottes. Der Himmel, in den der Herr entrückt wurde, ist die Gott eigene, Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Sie liegt jenseits jeder Erfahrung. Und deswegen nennen wir die Daseinsweise Gottes transzendent. Das bedeutet: Gott ist überweltlich und unerfahrbar. Soweit die Raumschiffe auch dringen möchten, sie werden Gott niemals antreffen, denn Gott ist nicht dort, wo die Raumfahrer sich hinbegeben. „Gott wohnt in unzugänglichem Lichte“, heißt es im 1. Timotheusbrief, in „unzugänglichem Lichte“, also in einem Lichte, das uns nicht zugänglich ist.
Es macht geradezu die Göttlichkeit Gottes aus, dass er in einer Wirklichkeit lebt, die alle irdischen Möglichkeiten übersteigt. Gottes Unendlichkeit überragt alles Endliche. Es ist deswegen lächerlich, die Raumfahrt in Verbindung mit Gott zu bringen. Wie weit die Sonden und Raumschiffe auch vordringen mögen, sie bleiben stets im Bereich der geschaffenen Wirklichkeit. Sie dringen niemals in die unerschaffene Existenzweise Gottes ein. Der deutsche Astronaut Thomas Reiter, ein gläubiger katholischer Christ, war mehrere Monate unterwegs mit der Raumstation MIR, mit der russischen Raumstation. Er kam zurück und sagte: Ich sehe nur alles bestätigt, was ich im Katechismus gelernt habe. Er ist also überhaupt nicht in Verlegenheit gekommen, weil er ja gar nicht Gott dort erwartet hat, wo die Raumschiffe sich bewegen. Wer die Raumfahrt mit Gott in Verbindung bringt, der zeigt sein Unverständnis von Wesen und Wirklichkeit Gottes.
Jesus wird nicht immer, meine lieben Freunde, der Welt entrückt bleiben. Er wird eines Tages aus der Herrlichkeit des Vaters aufbrechen und der Welt erscheinen. Seine zweite Ankunft, von uns Parusie genannt, wird anders sein als die erste. Die erste Ankunft geschah in menschlicher Weise, in Armut und Ohnmacht. Die zweite wird eine Ankunft in Macht und Herrlichkeit sein. Die erste Ankunft galt nur einer kleinen Zahl von Menschen, die eben im Umkreis seines Wirkens lebten. Die zweite Ankunft gilt allen Menschen und wird von allen Menschen wahrgenommen werden. Dann erfüllt sich das, was der Apostel Johannes in der Apokalypse schreibt: „Siehe, sehen wird ihn jedes Auge, auch die, die ihn durchbohrt haben.“ Alle werden ihn sehen, die Ungläubigen und die Zweifelnden, die Feinde und die Widersacher, die Hetzer und die Verführer, die Demagogen und die Agitatoren, „die Hunde, die Zauberer, die Unzüchtigen, die Mörder, die Götzendiener“, so zählt sie nämlich Johannes auf, sie werden ihn sehen.
Auch wir werden ihn sehen. Dann wird unser Glaube gerechtfertigt, dann wird unsere Hoffnung erfüllt, dann wird unsere Geduld gekrönt, dann werden unsere Leiden belohnt, dann hört die höhnische Frage auf: Wo ist denn euer Gott? Denn dann ist Gott alles in allem.
Amen.