1. August 2010
Die Gehorsamspflicht gegen Gesetze und Gebote
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gesetze verpflichten. Das haben wir an den vergangenen Sonntagen erkannt. Verpflichtung bedeutet, dass ein moralisches Sollen auferlegt wird. Die Gesetzesuntergebenen sind gehalten, das zu tun, was der Gesetzgeber bestimmt hat. Es legt das Gesetz die Verpflichtung auf, in bestimmter Weise, nämlich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers zu handeln. Jede Verpflichtung, jede sittliche Verpflichtung kann nur von Gott kommen. Also hinter jedem gültigen Gebot steht der Wille Gottes. Aber das hindert nicht, dass auch der menschliche Gesetzgeber, Staat und Kirche, Gebote, Gesetze auferlegen, die im Gewissen verpflichten. Sogar heidnische und gottlose Herrscher können gültig verpflichten, wenn sie nämlich rechtmäßige und gesetzmäßige Gebote erlassen.
Das Gesetz kann eine schwere oder eine leichte Verpflichtung auferlegen. Das richtet sich nach dem Gegenstand. Je nach dem Inhalt des Gesetzes ist eine Verpflichtung schwer oder leicht. Gewöhnlich ist die Verpflichtung schwer, denn das gemeinsame Zusammenleben der Menschen verlangt die Treue gegen das Gesetz, den Gehorsam gegen das Gesetz. Die Willkür im Kleinen wirkt sich regelmäßig aus als Unordnung im Großen. Aber es gibt eine Abstufung der Werte, und danach richtet sich dann auch die Verpflichtung des Gesetzes. Im letzten Kriege wurden Postbedienstete, die ein Feldpostpäckchen raubten, mit dem Tode bestraft – mit dem Tode bestraft! Wer ausländische Sender hörte, kam ins Gefängnis, und wer weitererzählte, was er gehört hatte, der wurde hingerichtet. Die Gesetze, die das bestimmten, waren ohne Zweifel weit überzogen. So kann man diese Vergehen nicht rechtmäßig bestrafen.
Es kann auch passieren, dass sich zwei Pflichten widersprechen, wirklich oder scheinbar. Die Erfüllung der Sonntagspflicht ist geboten. „Du sollst jeden Sonntag eine heilige Messe mit Andacht mitfeiern!“ Aber auch die Hilfeleistung für den Nächsten ist geboten. Wenn nun diese beiden Pflichten zusammenstoßen, welche geht vor? Die dringlichere. Wenn der Kranke meiner bedarf, dann muss ich notfalls die Sonntagspflicht fahren lassen. Beten ist Pflicht, und Arbeiten ist Pflicht. Aber wenn mein Lebensunterhalt nur durch Arbeit gesichert werden kann, dann muss ich das Gebet einschränken und der Arbeit den gebührenden Ort belassen. Die sittlich gebotene Gesetzeserfüllung geschieht dadurch, dass man die Gesetze als bewußte und freie Handlungen setzt. Man muss eine sittlich erlaubte und befohlene Tat, eine sittlich gute Tat setzen wollen. Man muss auch die Art der Tat, die das Gesetz befiehlt, beachten. Wenn ich einen Vertrag schließe, dann muss ich wissen, dass ich mich verbinde, das im Vertrag Niedergelegte zu erfüllen.
Es gibt Gebote, die erlöschen, wenn die Zeit vorüber ist, in der sie erfüllt werden können. Die Pflicht, die Messe zu besuchen, gilt für den Sonntag. Am Montag ist die Pflicht erloschen. Man kann freiwillig eine Messe besuchen, selbstverständlich, und das ist erwünscht, und das wird auch immer wieder nahegelegt. Aber noch einmal: Die Pflicht, die Messe zu besuchen, gilt für den Sonntag. Wenn der Sonntag vorüber ist, ist die Pflicht erloschen.
Die Gesetze sollen uns erziehen. Die Gesetze haben einen versittlichenden Sinn. Die Kirche hat immer daran festgehalten, dass die Gesetze eine erzieherische Funktion haben. Sie sollen die Menschen anleiten, das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen. Der Kurfürst Maximilian von Bayern hatte ein Gesetz erlassen, dass in jedem Haushalt ein Rosenkranz sein muss. Damit wollte er seine Untertanen erziehen. Wenn der Staat immer mehr davon abkommt, durch seine Gesetze erzieherisch, also versittlichend zu wirken, dann werden seine Bürger immer weniger geeignet, sich nützlich und hilfreich zu betätigen. Sie verwildern.
Die Gesetze, die erziehen sollen, müssen natürlich auch solcherart ein, dass sie erziehen können. Wenn man, wie es heute geschieht, homosexuelle Verbindungen der rechtmäßigen Verbindung zwischen Mann und Frau gleichstellt, dann ist das eine schwere Verletzung des Gemeinwohls. Ein solches Gesetz kann nicht versittlichend wirken. Eine solche Gleichstellung degradiert die Ehe, bedeutet, dass dem Staat die Verknüpfung der Sexualität mit der Fortpflanzung gleichgültig ist. Wohin sind wir gekommen, meine lieben Freunde, auch in unserem deutschen Lande! Wohin sind wir gekommen! Gesetze sollen nicht nur gezwungen erfüllt werden, sondern wo es möglich ist, auch mit freudigem Gehorsam. Vor allem die kirchlichen Gesetze. Wir sollten nicht sagen: Wir müssen in die Kirche gehen. Wir sollten sagen: Wir dürfen Gott anbeten, wir dürfen das Höchste tun, was Menschen überhaupt möglich ist, nämlich Gott sich zu unterwerfen und Gott zu ehren.
Gesetze zu erfüllen kann schwer, ja manchmal unmöglich sein. Es gibt tatsächlich die moralische Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung. Wann ist ein Gesetz unmöglich zu erfüllen? Wenn es über die Kräfte geht; wenn es Schaden bringt, auch das kann passieren. Wenn ein Gesetz nur unter übergroßen Schwierigkeiten oder gar nur mit Schaden erfüllt werden kann, dann entfällt die Verpflichtung des Gesetzes. Natürlich muss man hier vorsichtig sein und die Größe des Schadens oder des Nachteils abwägen gegenüber dem Inhalt und der Bedeutung des Gesetzes. Je wichtiger ein Gesetz, um so größer muss der erwähnte Schaden oder die erwähnte Schwierigkeit sein. Da kommt es eben auf das recht gebildete Gewissen an. Menschen mit laxem Gewissen werden sich sehr leicht entschuldigen und sagen: Ja, das ist zuviel, das kann ich nicht, das kann man mir nicht zumuten. Denken wir etwa an die Pflicht, zur Arbeit zu gehen. Der eine sieht sich schon entschuldigt, wenn er erkältet ist. Ein anderer geht auch dann noch zur Arbeit, wenn er behindert ist oder große Schmerzen empfindet. Es besteht die Pflicht des Gottesdienstbesuches, auch auf Reisen. Wenn ich weiß, eine Reise zu den Galapagos-Inseln bei Ecuador macht es mir unmöglich, die Sonntagspflicht zu erfüllen, so muss ich eben zurückbleiben. Ich darf mich nicht unnötig in die Gefahr begeben, Pflichten zu versäumen.
Sie alle kennen den großen katholischen Komponisten Carl Maria von Weber. Er war ein gläubiger Mann. Carl Maria von Weber litt jahrelang an schwerer Tuberkulose, hatte also große Schmerzen, konnte schlecht atmen, war schwach, hatte immer Fieber. In diesem Zustand trat er, um seine Verpflichtungen zu erfüllen, die letzte Reise nach England an. Dort ist er seinem Leiden erlegen.
Dass ein Gesetz nicht oder bei schwerem Nachteil nicht verpflichtet, gilt nicht für bestimmte Gesetze. Gesetze, die in sich Böses verbieten, sind immer zu erfüllen, auch unter jedem Nachteil. Was sind das für Gesetze, die in sich Böses verbieten, die in sich schlechte Handlungen verbieten? Nun, das sind solche, die ihrer ganzen Art nach der sittlichen Ordnung widersprechen und die niemals gut werden können. Beispielsweise Gotteshaß, Ehebruch. Das sind Sünden, die können durch keine noch so große Widerwärtigkeit erlaubt werden. Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass hier ein fundamentaler Gegensatz zum Protestantismus besteht. Im Protestantismus gibt es auch Verbote und Gebote, aber es gibt keine Verbote, die immer und unter allen Umständen verpflichtend sind. Nehmen wir die Ehescheidung. Natürlich heißt es auch im Protestantismus, man soll sich nicht scheiden lassen. Aber wenn man will, kann man es. Es gibt im Protestantismus keine einzige Ehe, die nicht aufgelöst werden könnte. Deswegen haben wir so viele protestantische Pastoren und Bischöfe und Bischöfinnen, die geschieden und wiederverheiratet sind. Ebenfalls niemals erlaubt – niemals erlaubt! – sind Handlungen, auch wenn sie schwere Nachteile eintragen, wenn der Gehorsam gegen das Gebot des Naturgesetzes oder des positiven göttlichen Gesetzes oder des menschlichen Gesetzes im Einzelfall zur Probe der Religiosität und der Sittlichkeit wird. Ich wiederhole noch einmal diesen wichtigen Satz: Auch dann sind Gesetze immer zu beobachten und man ist nie entschuldigt, wenn der Gehorsam gegen das Gebot des Naturgesetzes, des positiven göttlichen Gesetzes und des menschlichen Gesetzes im Einzelfall zur Probe der Religiosität und der Sittlichkeit wird. Wie ist das zu verstehen? In der Französischen Revolution tobte der Kampf gegen den katholischen Glauben, gegen die katholische Kirche. Und zuerst betroffen waren natürlich die Priester. Und was hatten sich die Revolutionäre ausgedacht? Um die Priester zu korrumpieren, also zu verderben? Sie forderten sie auf, ihr Weihezeugnis auszuliefern – ihr Weihezeugnis auszuliefern. In dieser Handlung sahen sie nämlich die Aufgabe des Priestertums und die Lösung von der Kirche beschlossen. Das war eine Handlung, die niemals erlaubt sein konnte, auch wenn auf der Verweigerung Gefängnis, Deportation oder unter Umständen die Todesstrafe stand.
Von der Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung zu unterscheiden ist das, was die Theologen Epikie nennen. Was nennt man Epikie? Was versteht man unter Epikie? Das ist das Urteil, das ein Gesetz in bestimmtem Falle nicht verpflichtet, weil der Gesetzgeber, wenn er den Fall gekannt hätte, ihn von der Verpflichtung des Gesetzes ausgenommen hätte. Noch einmal: Was ist Epikie? Epikie ist das Urteil des Einzelnen, dass er ein Gesetz nicht zu beachten braucht, weil er meint, der Gesetzgeber hätte diesen Fall, wenn er ihn gekannt hätte, von der Verpflichtungskraft ausgenommen. Nun, das ist natürlich ein gewagtes Urteil, denn wir sind ja immer geneigt, zu unseren Gunsten zu urteilen. Aber das Prinzip bleibt richtig. Der Grundsatz ist wahr. Es kann Fälle geben, wo man sagen muss, den Fall hätte der Gesetzgeber, der ja nicht alles voraussehen kann, wenn er es vorausgesehen hätte, von der Verpflichtungskraft des Gesetzes ausgenommen.
Gesetze können auch im einzelnen Falle von der Verpflichtungskraft durch den Gesetzgeber ausgenommen werden. Der Gesetzgeber kann von seinem Gesetz entbinden, und das nennt man Dispens. Dispensieren heißt, von der Verpflichtungskraft des Gesetzes im einzelnen Falle ausnehmen. Ich bin gelegentlich von sehr gewissenhaften Gläubigen gefragt worden, ob sie denn am Freitag Fleisch essen können, denn sie seien eingeladen bei einem Geburtstag, dem sie sich nicht entziehen können, und sie baten mich dann zu dispensieren vom Freitagsgebot. Der Priester kann das. Er kann dispensieren vom Sonntagsgebot und vom Freitagsgebot. Der Bischof kann noch viel mehr. Er kann von fast allen Gesetzen entbinden; er besitzt Dispensgewalt für die allgemeinen Gesetze mit gewissen Ausnahmen. Er kann nicht von den Prozeßgesetzen und von den Strafgesetzen dispensieren. Der Heilige Vater dagegen kann von allen (menschlichen) Gesetzen befreien. Und er tut es gelegentlich. Wir hören, dass protestantische Pfarrer, verheiratete protestantische Pfarrer, die sich zum katholischen Glaube bekehren und dann die Priesterweihe empfangen, das mit Dispens des Heiligen Vaters tun. Der Heilige Vater befreit sie von der Verpflichtung, dass man ledig und ehelos sein muss, wenn man Weihen empfangen will.
Gesetze, meine lieben Freunde, können lästig, hindernd, hemmend, schwer verständlich, beschwerlich sein. Gehorchen ist nicht immer leicht. Gehorchen ist auch unbequem. Aber Gehorsam ist notwendig. Umgekehrt ist zu sagen: Wer sich dem gehorsam entzieht, der entzieht sich der Gnade Gottes. Wie ist es denn zu den heutigen Zuständen in unserer Kirche gekommen? Durch Ungehorsam, Disziplinlosigkeit, Mißachtung der Gesetze. Am 31. Juli ist der Festtag des heiligen Ignatius von Loyola, also des Gründers des Jesuitenordens, ein großer Festtag für die Jesuiten. Aber am 31. Juli 1953 mußte ich – ich als Weltpriester – in der Jesuiten-Niederlassung von Erfurt den feierlichen Gottesdienst halten. Warum? Weil die Herren Jesuiten alle nach Westen entflohen waren. So fing es an. So fing es an. Und so hat es sich fortgesetzt bis dahin, dass der Jesuitenorden heute nur noch die Hälfte der Mitglieder hat, die er vor 30, 40 Jahren hatte. So fing es an!
Auf dem Gehorsam liegt Segen. Dem Gehorsamen steht Gott bei. Der Gehorsame empfängt himmlischen Lohn. Das hat uns niemand anders gelehrt als die heilige Theresia von Lisieux. Sie hat einmal das schöne Wort gesagt: „Im Himmel wird Gott immer meinen Willen tun, weil ich auf Erden niemals meinen Willen getan habe.“
Amen.