16. Mai 2010
Die sündentilgende Kraft wahrer Reue
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Es spricht zu dir mein Herz, dein Antlitz, o Gott, suche ich.“ Diese Worte sind der Anfang der heutigen heiligen Messe. „Es spricht, o Gott, mein Herz zu dir. Dein Antlitz suche ich.“ Diese Worte mögen dem einen oder anderen wenig sagen, aber es gibt ein einfaches und jedem zugängliches Mittel, um den Sinn der Worte der Heiligen Schrift zu verstehen, und dieses Mittel besteht darin, sich das Gegenteil von dem vorzustellen, was gebetet wird. „Mein Herz, o Gott, spricht zu dir. Dein Antlitz suche ich.“ Was ist denn der Gegensatz zum Sprechen des Herzens? Das ist das Lippengebet, die Äußerlichkeit, der die Innerlichkeit fehlt. „Es spricht mein Herz zu dir“ will also sagen, das Innerste des Menschen, das Zentrum seines geistigen und geistlichen Lebens, das wendet sich Gott zu. Nicht nur der Verstand und schon gar nicht bloß die Lippen, sondern das Herz. „Dein Antlitz, o Gott, suche ich.“ Dieses Wort kann man wieder verstehen, wenn man das Gegenteil sich vorstellt. Das Gegenteil heißt: Ich fliehe vor deinem Antlitz, ich will es nicht sehen, ich wende mich ab. „Dein Antlitz, o Herr, suche ich“, das heißt also, ich verlange, ich flehe um deine Zuwendung, ich ersuche dich, mir in meiner Schwachheit, in meiner Niedrigkeit zu helfen. „Es spricht zu dir, o Gott, mein Herz, dein Antlitz, o Herr, suche ich.“
Wann sind denn diese Verse auf uns anwendbar? Sie sind vor allem anwendbar, wenn wir gesündigt haben, wenn wir in Schuld geraten sind. Dann sind diese Worte so aktuell wie nur irgend möglich. „Es spricht mein Herz zu dir, dein Antlitz, o Gott, suche ich.“ Das heißt: Wir müssen, wenn wir das Unglück gehabt haben, in Sünde zu fallen, Reue haben. Die Reue ist die zerknirschte Zuwendung zu Gott, ist das demütige Flehen um seine gnädige Aufnahme. „Es spricht, o Herr, mein Herz zu dir. Dein Antlitz suche ich.“ Reue ist ein Wort, das in der Gegenwart weithin zu einem Fremdwort geworden ist. Heute spricht man von Freude und Frohlocken, vom Jubel. Denken Sie nur an den Zirkus in München, nicht wahr? Von Reue ist da nicht die Rede, sondern von Bequemlichkeit, von Heiterkeit. Wir lehnen es heute ab, dass Männer weinen. Wir meinen, es sei unmännlich, wenn Männer Tränen vergießen. Aber Petrus war auch ein Mann, und er hat Tränen vergossen, bittere Tränen, als er den Herrn verleugnet hatte. „Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Von ihm können wir lernen, was Reue ist. Es ist jener Schmerz der Seele, der einem Menschen die Tränen aus den Augen treiben kann. „Mein Herz, o Gott, spricht zu dir. Dein Antlitz suche ich.“
Wie kommt man zu dieser Reue, die von Herzen kommt und zum Herzen geht, aus dem eigenen Herzen entströmt und das Herz Gottes findet? Man kommt zu dieser Reue, wenn man die Sünde betrachtet als das, was sie ist, nämlich als eine Beleidigung Gottes. Alles andere ist auch wichtig, dass sie ein Schaden ist für mich und für die Welt, dass sie das geistliche Leben raubt. Aber zuerst und zuoberst ist die Sünde eine Beleidigung Gottes. Es gibt heute Leute, die das bestreiten. Sie sagen: Gott kann nicht beleidigt werden. Wirklich nicht? Beleidigung ist die vorsätzliche Kränkung der Ehre eines anderen, die vorsätzliche Kränkung der Ehre eines anderen. Sie kann erfolgen durch Worte, durch Zeichen, durch Tätlichkeiten. Auch Gott hat eine Ehre. Ehre ist die durch Worte oder Zeichen oder Taten bezeugte Achtung vor einer Person, das Angesehensein aufgrund eines Wertes. Eine solche Ehre kommt auch Gott zu. Er hat eine Ehre, und sie besteht darin, dass die Schöpfung seinen Willen erfüllt, dass sie ihm Gehorsam leistet. Die außermenschliche Schöpfung tut Gottes Willen fraglos. Sie lebt den Gesetzen nach, die Gott in sie gelegt hat. Die vernunftbegabte Schöpfung erweist Gott Ehre, indem sie willentlich nach seinen Geboten handelt. Der menschliche Gehorsam ist Ausdruck der Ehrung Gottes. Und wer ihm den Gehorsam versagt, der entehrt Gott, der verunehrt Gott.
Die Wurzel der Sünde ist der Unglaube, das Nein zu Gott, die Absicht, ohne Gott und gegen Gott selbständig zu sein. Die Sünde verweigert Gott, worauf er Anspruch hat, nämlich den Gehorsam. Die Sünde ist Feindseligkeit gegen Gott, denn der Sünder wendet sich von Gott ab, zeigt ihm gleichsam die kalte Schulter. Der Sünder beugt seine Knie vor falschen Göttern, und das ist Götzendienst. Schlimmer kann man Gott nicht verunehren, als indem man Götzendienst betreibt. Durch die Sünde wird Gott verunehrt. Die Sünde verstellt und entstellt die Herrlichkeit Gottes. Durch die Sünde wird nämlich der Anschein erweckt, nicht Gott sei der Herr der Welt, sondern der Satan, dem man sich mit der Sünde übergibt. Durch die Sünde wird vorgespiegelt, nicht Gott sei der Herr der Schöpfung, sondern der Teufel, dem man mit der Sünde huldigt. Die Sünde verunstaltet die Schöpfung, so dass sie nicht mehr ein reiner Spiegel der Herrlichkeit Gottes ist. Sie fügt dem Werk Gottes Schaden zu. Sie bringt das Preislied, das ja die Schöpfung auf Gott singt, zum Verstummen. Die der Sünde verfallene und durch die Sünde gestörte Welt kann zu der Frage verleiten: Wie muss Gott sein, der eine solche Welt geschaffen hat? Und darin liegt die Verunehrung Gottes. Es muss also dabei bleiben: Die Sünde ist eine Kränkung, eine Entwürdigung, eine Herabsetzung Gottes. Die Sünde ist eine Beleidigung Gottes.
Wenn es allein auf den Menschen ankäme, bliebe die Gott durch die Sünde angetane Schmach bestehen, denn der Mensch ist unfähig, wieder gutzumachen, was er angerichtet hat. Er ist unfähig, Gott zu der Freundschaft zu nötigen, die er mit der Sünde verraten hat. Aber die Gott durch die Sünde zugefügte Ehrverletzung wird durch die genugtuende und sühnende Kraft des Opferleidens Christi aufgehoben. Indem Gott seinen eingeborenen Sohn in den Kreuzestod hingibt, offenbart und verwirklicht er seine Liebe und seine Gerechtigkeit in einer so wirksamen Weise, dass diese Offenbarung durch keine Sünde verdunkelt werden kann. Indem der Unschuldige, nein, der Schuldlose am Kreuze für uns verblich, hat er die Sünde hinweggenommen und die Gott geschuldete Ehre zurückgegeben. In der Hingabe Christi wird Gottes Herrlichkeit unübersehbar geoffenbart.
Das Opfer Christi ist aber für uns nur wirksam, wenn wir es uns zu eigen machen. Wir müssen uns in die Sühne und Genugtuung Christi einreihen. Wir müssen uns bekehren. Wir müssen unsere Sünden bereuen. Es muss Schmerz über die Sünde in uns sein und der Vorsatz, sie künftig nicht mehr zu begehen. Unsere Reue empfängt ihre Kraft aus dem Sühneleiden Christi, vor allem die vollkommene Reue. Vollkommen ist eine Reue, wenn sie aus der vollkommenen Liebe hervorgeht. Wann ist eine Liebe vollkommen? Wenn sie nichts anderes will als lieben, nichts für sich haben will, sondern alles für den anderen. Die vollkommene Reue ist ein wunderbares Geschenk. Wir wissen, wenn es unmöglich ist, einen Priester zu besuchen, der die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben, dann kann die vollkommene Reue uns in einem Augenblick von den Sünden befreien. Die vielen Kriegsgefangenen in den Lagern der Sowjetunion hatten oft keine Gelegenheit, einen Priester anzugehen, um ihre Sünden zu beichten. Aber wenn sie recht belehrt waren, konnten sie auch ohne den Priester kraft der vollkommenen Reue in den Frieden Gottes zurückkehren. Die Reue besitzt sündentilgende Kraft.
Die Reue ist ein inneres Ergriffensein, ein herzlicher Akt neuer Hinwendung zu Gott. Sie muss ein Schmerz der Seele sein, ein Schmerz, dass man Gott die gebührende Ehre verweigert hat. Und sie muss den Vorsatz einschließen, die Sünde künftig zu meiden. „Mein Herz, o Gott, spricht zu dir. Dein Antlitz, o Gott, suche ich.“ Wir können das Antlitz Gottes nicht suchen, wenn wir nicht von ganzem Herzen bereuen, was uns von seinem Antlitz wegwendet. Herzenszerknirschung ist verlangt. „Ein demütiges und zerknirschtes Herz, o Gott, wirst du nicht verschmähen“, heißt es im ergreifenden 50. Psalm.
Die Reue fällt dem gottfernen, unkirchlichen, unchristlichen Menschen schwer. Sie erinnern sich vielleicht, dass vor einigen Jahrzehnten der „Stern“, dieses Organ in Hamburg, Hitlertagebücher veröffentlichte, gefälschte Hitlertagebücher. Und als sich die Fälschung herausstellte, da sagte der Chefredakteur Henri Nannen: „Ich meine, wir sollten uns schämen.“ Schämen, mehr nicht, nicht bereuen, nicht umkehren und nicht wiedergutmachen. Umkehr ist verlangt, damit wir bereuen können, Abscheu vor der Sünde ist verlangt. Petrus kehrte um, und seine Umkehr hat sich auch gewissermaßen nach außen dokumentiert, indem er hinausging und seine Tränen draußen vergoß. So ist auch bei uns Umkehr notwendig, wenn wir wahrhaft Reue empfinden wollen. Reue ist ein Schmerz, aber sie ist auch ein Wille. Die Reue ist der entschiedene Wille, mit der Sünde zu brechen. Wie bricht man mit der Sünde? Indem man sich selbst Gewalt antut. „Wenn du dir nicht selbst Gewalt antust, wirst du die Sünde nicht besiegen“, schreibt der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi. Wenn du dir nicht selbst Gewalt antust, wirst du die Sünde nicht besiegen. Was heißt Gewalt antun? Gewalt antun heißt schmerzliche Verzichte bringen; Gewalt antun heißt das unterlassen, was wir gern tun möchten, und das tun, was wir gern unterlassen möchten; Gewalt antun heißt die Mittel anwenden, die notwendig sind, um die Sünde zu überwinden; Gewalt antun heißt die Gelegenheit meiden, von der wir wissen, dass wir darin zu Fall kommen. Tun das alle, die vorgeben, Reue zu haben?
Mich hat schon manchmal jemand gefragt: Warum komme ich in meinem sittlichen Streben, im Kampfe gegen die Sünde nicht voran? Dann antworte ich mit einer Gegenfrage: Wieviel Gewalt haben Sie gegen sich angewendet, um die Sünde, um die Gewohnheitssünde zu überwinden? In den meisten Fällen muss man mir antworten: Gar keine. Es war keine rechte, keine tiefgehende, keine umwandelnde Reue vorhanden. Der Sünder konnte nicht ehrlich sprechen: „Es spricht mein Herz zu dir, mein Gott. Dein Antlitz suche ich.“ Das Herz war in der Reue nicht dabei. Ist es nicht so, wie wiederum der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi schreibt: „Heute bekennst du und verfluchst die Sünde, und morgen begehst du wieder die gleiche Sünde, die du heute bekannt und verflucht hast.“ Warum ist es so? Weil du dir keine Gewalt antust. Du bist bequem, du bist nachlässig, du scheust vor der Überwindung zurück. Wir kannst du dich da wundern, dass dein sittliches Streben nicht zum Ziele führt?
Die Reue schließt auch die Demut ein. Der Stolze meint, er habe weiter nichts angerichtet. Aufrichtige Reue demütigt. Sie läßt uns erkennen, wie schwach wir sind, wie wenig wir Gott wirklich lieben. Wer von herzlicher Reue ergriffen ist, der erkennt in aller Demut seine Erbärmlichkeit. Diese Reue war in dem verlorenen Sohn. Wir achten, wenn wir das Gleichnis hören, nicht auf den letzten Satz, und das ist vielleicht der wichtigste. Er sagt vorher: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.“ Dann kommt der Satz: „Halte mich wie einen deiner Tagelöhner!“ Das heißt, er wollte Buße tun, er wollte Strafe auf sich nehmen. Nicht mehr als Sohn des Hauses wollte er gelten, sondern als ein Lohnarbeiter. Da wissen wir, dass echte Reue Strafe fordert, Strafe, die wir uns selbst auferlegen. Die winzige Buße, die der Beichtvater auferlegt, ist nicht sinnlos, denn sie ist ja im Sakrament vereint mit dem Sühneleiden Christi. Aber darüber hinaus sollten wir nicht versäumen, uns selbst Buße, also Strafe, aufzuerlegen. Dann ist wirklich die Gebetsmeinung erfüllt: „Es spricht mein Herz zu dir, o Gott. Dein Antlitz suche ich. Wende dein Antlitz nicht von mir.“
Amen.