29. November 2009
„Es ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen.“
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Mit dem ersten Adventssonntag beginnt das Kirchenjahr, nicht das bürgerliche, sondern das kirchliche Jahr. Die Adventszeit ist die Zeit der Erwartung, und das in einem doppelten Sinne. Advent besagt einmal Ankunft des Herrn als kleines Kindlein in der Krippe zu Bethlehem. Aber Advent besagt auch Ankunft des Herrn als Richter und Rächer am Ende der Tage.
Die Kirche lenkt am heutigen Sonntag unsere Blicke nicht auf die erste Ankunft des Herrn im Lande der Juden, nein, sie zeigt uns den Herrn, wenn er kommt, zu richten die Lebenden und die Toten. Und das mit Absicht. Denn das ganze Kirchenjahr ist umsonst gelebt, wenn wir uns nicht ausrichten auf den Herrn, auf die Rechenschaft, die wir vor ihm zu leisten haben, auf sein Gericht, das er über uns und die ganze Welt abhalten wird. Alle Gefühlsseligkeit des Advents und der Weihnacht sind umsonst, wenn wir uns nicht bekehren. Und deswegen die Mahnung der heutigen Epistel: „Brüder, es ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen.“ Der Schlaf ist ein Bild. Er ist ein Bild für die Gottvergessenheit der Menschen, für ihre Taubheit gegenüber den göttlichen Einsprechungen. Die Menschen sollen wach sein, um ihren Herrn zu erwarten, auch wenn er in der dritten oder in der vierten Nachtwache kommt; denn der Herr kommt „wie ein Dieb in der Nacht. Er kommt dann, wenn ihr es am wenigsten erwartet.“
Ankunft eines Monarchen, eines Präsidenten setzt immer eine ganze Stadt oder ein ganzes Land in Bewegung. Da werden viele Vorbereitungen getroffen; da werden die Menschen aufgerufen, sich zu rüsten für diesen Besuch. Wenn der Herr der Welt kommt, wenn unser Gott und Heiland kommt, dann gerät nicht nur eine Stadt in Bewegung, dann gerät das Weltall in Bewegung. Die Sterne, die uns so fest scheinen, zu denen wir aufblicken in jammervollen Nächten, die Sterne werden in Bewegung geraten, sie werden ihre gewohnte Bahn verlassen. Wir erleben ja jetzt schon Sonnenfinsternisse, Mondfinsternisse, besondere Konstellationen der Sterne. Aber das ist ein Kinderspiel gegenüber dem, was sich ereignen wird, wenn der Herr kommt. Die Sterne, die so fest am Himmel zu stehen scheinen, werden ihre gewohnten Bahnen aufgeben; sie werden vom Himmel fallen. Die Sonne, meine lieben Freunde, die Sonne, die unsere Erde erhellt und erwärmt, die Sonne, ohne die wir kein Leben haben könnten, die Sonne wird ihren Schein nicht mehr geben. Und der Mond, der doch auch unser treuer Gefährte ist, an dem wir die Jahreszeiten und die Monate ablesen, der Mond wird vom Himmel fallen. Ein gewaltiger Aufruhr wird sich in der Sternenwelt ereignen.
Diese Ereignisse an den Gestirnen lösen natürlich ein schauriges Echo auf der Erde aus. Die Menschen werden verwundert, nein, sie werden erschreckt sein, wenn das alles seinen Anfang nimmt, wenn das Meer braust und die Orkane toben. Keine Märchenerzählungen, meine lieben Freunde, denn wir wissen ja schon, was sich an Stürmen und was sich an Erschütterungen auf der Erde zutragen kann. Denken wir an die Hurricans und Tornados, denken wir an die Tsunamis, die Hunderttausende von Menschen in Südostasien in den Tod gerissen haben. Das scheinen Vorentwürfe der Schrecken zu sein, die einmal über die Erde kommen werden. Und dann werden sich die Menschen zusammendrängen in Angst und Furcht. Auch das haben wir schon erlebt. Die Älteren, die unter uns sind, haben die Bombenangriffe mitgemacht. Und wie haben sich da die Menschen kleingemacht und zusammengekauert in den Kellern und in den Unterständen! Da ist ihnen der Atem ausgeblieben, wenn das Zischen der Bomben ihr Ohr erreichte.
So wird es ähnlich-unähnlich sein, wenn der Herr kommt, zu richten. Die Angst wird die Menschen ergreifen, der Atem wird ihnen wegbleiben, das Herz droht zu zerspringen. Aber der Herr mahnt uns als Christen: „Erhebt euer Haupt, denn es naht eure Erlösung.“ Wir Christen sollen nicht voll Furcht und Schrecken auf das Wiederkommen des Herrn schauen, wir sollen in Freude den Herrn erwarten, in Sicherheit, denn der, auf den wir Christen so lange gewartet haben, er naht jetzt endlich: er kommt in unverhüllter Herrlichkeit. Jetzt wird unser Glaube gerechtfertigt, jetzt wird unsere Treue belohnt, jetzt wird unser Gehorsam vergolten. Wenn er kommt, dann erhebet euer Haupt, denn es naht eure Erlösung. Dann tritt das ein, worum wir jeden Tag beten: „Zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden.“ Sollen wir diesen Tag verwünschen, den wir so herbeigesehnt haben? Nein. Wenn das Weltgericht kommt, dann beginnt die endgültige und die offenbare Erlösung der Welt. Dann sitzt der Richter, zu richten, und da „wird ein Buch aufgeschlagen, in dem eingetragen alle Schuld aus Erdentagen“. Dann werden die Frevler das noch viel schlimmere Urteil des Herrn hören: „Weicht, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Satan bereitet ist und seinen Engeln!“ Die Getreuen des Herrn aber werden in die Seligkeit des Himmels aufgenommen; dann werden sie den sehen, an den sie geglaubt haben. Sie werden ihn von Angesicht zu Angesicht schauen, und es wird eine Seligkeit ohne Maß und ohne Ende sie erfüllen. Da wird das Glück aus den Augen der Frommen leuchten, weil sie den besitzen, auf den sie geharrt haben.
Der Gedanke an das Letzte Gericht dürfte eigentlich in uns keine Schrecken und keine Ängste wecken. Es ist das ja gewissermaßen die Erfüllung des Ostertages. Der Herr hat an seinem Ostertag das neue Leben gewonnen, und an jenem Ostertage, da die Welt im Feuer verbrennen wird, wird uns das neue Leben geschenkt. Und deswegen haben die Christen der alten Zeit den Ruf, den hebräischen Ruf, oft gebetet: „Maranatha“ – Unser Herr, komm! Sie haben ihn ersehnt, den Tag. Im 2. Jahrhundert lebte und wirkte der heilige Martyrer Justinus. Er schrieb in einer seiner Apologien (Verteidigungsschriften für die Christen): „Wir, die aus allen Völkern durch den Glauben an Christus gottesfürchtig und gerecht geworden sind, warten auf seine Wiederkunft.“ Wir warten auf seine Wiederkunft. Wir spähen die grauen Horizonte ab nach dem ersten Schimmer seines Lichtes. Die Irrlehrer unter den Theologen – und ihrer sind viele! – sprechen von der fehlgeschlagenen Naherwartung. Sie erzählen uns, die ersten Christen hätten das baldige Kommen Jesu erwartet, aber ihre Erwartung sei enttäuscht worden. Auch Paulus, der diese Erwartung geteilt hat. sei getäuscht worden, habe sich selbst getäuscht. O, meine Christen, das ist völlig falsch! Die ersten Christen haben das getan, was die Christen aller Zeiten tun müssen, nämlich warten auf den Herrn, warten auf seine Wiederkunft. Jede Epoche hat das Recht und die Pflicht, mit dem Kommen des Herrn zu rechnen, denn was jederzeit eintreten kann, das ist immer nahe.
Wer nicht mit der Wiederkunft des Herrn rechnet, der ist ein Träumer. Aber wer mit der Wiederkunft rechnet, der ist ein Realist. Die Evangelisten haben die Wiederkunft des Herrn mit der Zerstörung Jerusalems verknüpft. Das sind zwei verschiedene Ereignisse, aber in der prophetischen Schau sieht man die Ereignisse in einer Linie, so wie man, wenn man auf einem Berge steht, die Bergkuppen hintereinander aufragen sieht, obwohl zwischen ihnen gewaltige Klüfte klaffen. So ist es bei der prophetischen Sicht. Der Untergang Jerusalems war eine Vorankündigung der Schrecken der Endzeit. Der römische Feldherr Titus hat mit seinem Heere Jerusalem belagert, und dann haben seine Soldaten die Stadt gestürmt. Sie haben tatsächlich keinen Stein auf dem anderen gelassen. In einem entsetzlichen Massaker und im Feuer ging Jerusalem zugrunde, „weil es die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt hat“. Der Herr hat es vorhergesagt, und seine Vorhersage ist eingetroffen. So wird auch am Ende der Tage die Voraussagung des Herrn eintreffen, dass die Welt im Feuer zugrunde gehen wird. Denn Gott, unser Heiland, deutet nicht nur die Zukunft, er schafft sie. Er wirkt die Geschichte, er erzählt sie nicht nur.
Wir beten im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Jesus Christus, der sitzet zur Rechten Gottes, des Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Er wird kommen, wie das Schicksal kommt, denn er ist das Schicksal. Er wird kommen, anders als beim ersten Mal. Damals kam er verborgen, um sich richten zu lassen. Dann wird er kommen, um selbst zu richten. Er hat bei der ersten Ankunft in seinem Leiden geschwiegen; dereinst bei der Vergeltung wird er nicht schweigen. Denken wir, meine lieben Freunde, daran, uns für die Wiederkunft des Herrn zu richten! Wir Priester lesen am heutigen Sonntag in unserem Gebetbuch, dem Brevier, dass im 5. Jahrhundert der Papst Leo der Große die Wiederkunft des Herrn erwartet hat. Wir lesen, dass im 6. Jahrhundert Papst Gregor der Große die Wiederkunft des Herrn erwartet hat. Sie haben sich nicht getäuscht, sie waren nur gerüstet. Sie waren nur gerüstet auf den Tag, an dem der Herr kommen wird, die Welt mit Feuer zu richten.
Amen.