13. April 2009
Grund für die christliche Osterfreude
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir wünschen einander ein frohes Osterfest, und das ist richtig, denn Ostern ist ein Fest der Freude. Deswegen ertönt tausendfach der Ruf: „Alleluja – Laßt uns den Herrn preisen! Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, laßt uns frohlocken und fröhlich sein!“ Worüber freut sich denn so die Kirche? Gewiß in nächster Linie über die Täuflinge, denn in den alten Zeiten der Kirche war das Osterfest der Tauftag, der einzige Tauftag des Jahres, und da entstiegen den fruchtbaren Wassern die Scharen in weißen Gewändern. Aber die Kirche hat freilich immer gewußt, dass die Erneuerung im Wasser und im Heiligen Geiste nur die Auswirkung einer ganz anderen Erneuerung war, eine Auswirkung der Auferstehung Jesu. Was den Täuflingen mitgeteilt wurde, das hatte Jesus verdient, und das wurde ihnen jetzt zugewendet.
Und welches waren die Motive, von denen die Auferstehungsfreude in Bewegung gesetzt wurde? Können wir noch an dieser Freude teilnehmen, so wie Paulus es empfunden hat, der geschrieben hat: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist eitel unsere Predigt, dann ist eitel euer Glaube, dann seid ihr noch in euren Sünden, dann sind wir die armseligsten aller Menschen.“ Die Osterfreude der Kirche hat einen dreifachen Grund. 1. Christus wurde verherrlicht, 2. Die Jünger wurden getröstet, 3. Jede gläubige Seele wurde gestärkt.
Christus wurde verherrlicht. Aus bitterstem Leiden und Sterben ist er hervorgegangen in die Herrlichkeit und Seligkeit. Unbegreiflich tief wie seine Verlassenheit ist auch die Glücksfreude, die jetzt sein Herz erfüllt. Und die Kirche nimmt daran teil, wie sie an allem teilnimmt, was über Jesus gekommen ist, was ihn bewegt von seiner Geburt im armen Stalle, sie nimmt teil an seiner Verborgenheit in Nazareth, an seinem mühevollen Wanderleben, an seiner Ölbergsnot, an seinem Kreuztragen, an seinem Sterben. So nimmt sie auch teil an seiner Herzensfreude. Sein Leid ist ihr Leid, seine Freude ist ihre Freude. Eine solche Freudens- und Leidensgemeinschaft ist aber nur möglich, wenn es eine Herzensgemeinschaft gibt, wenn eine Liebesgemeinschaft damit verbunden ist. Nur wer die Liebe hat, der versteht das. Die Freude und das Glück über den, den man liebt, ist eine Freude, die auch uns überströmt mit Glück und Freude. Wenn einer die Ölbergsnot des Herrn so gesehen hat wie der Engel, den das Erbarmen zwang, herniederzusteigen, um den Gebeugten zu trösten, wenn er so hinter dem geliebten Kreuzträger hergegangen wäre wie seine Mutter, mit so schwerem Herzen, wenn einer das Kreuz des Meisters so umfangen hätte wie Maria Magdalena mit ihrem todeswunden Herzen, dann würde er verstehen, was Osterfreude sein könnte. Dann würde er Himmel und Erde hineinreißen wollen in seine Freude. Und das tut die Kirche. Sie sucht die glückselige Mutter Maria noch zu übertreffen mit ihrer Freude. Wochenlang, tausendmal, hunderttausendmal singt sie in diesen Tagen: „Sei gegrüßt, Königin. Regina caeli laetare, freue dich, Himmelskönigin, das Leid ist alles hin. Der Herr ist erstanden.“ Und an der Osterbotschaft der Maria Magdalene kann sich die Kirche gar nicht genug hören. Die ganze Oktav von Ostern wird der herrliche Hymnus, diese herrliche Sequenz gesungen: „Maria, künd uns, was staunend deine Augen sah’n.“ „Ich sah das Grab, vom Tod befreit, der Herr erstand in Herrlichkeit. Und als Zeugen die Engel drinnen, das Schweißtuch und die Linnen. Ich weiß, dass mein Herr erstand, der meine Hoffnung ist, mein Heiland.“
Christus wurde verherrlicht. Er ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden. Achten Sie bitte, meine lieben Freunde, auf das Wort „wahrhaft“. Darin liegt nämlich die Abweisung der Meinung, Jesus sei nur in das Kerygma auferstanden, wie Herr Bultmann in Marburg meinte. Christus ist wahrhaft auferstanden, d. h. mit seinem Leibe. „Secundum carnem“, wie die Kirche im Brevier und in der Ostermesse die ganze Festzeit über uns verkündet: „secundum carnem“ – nach dem Fleische ist er auferstanden. Nicht in seiner irdischen Gestalt. Das ist geschehen mit Lazarus, mit dem Töchterchen des Jairus und mit dem Jüngling von Naim. Nein, er ist auferstanden in einer himmlischen Seinsweise. In dieser verklärten Wirklichkeit ging er zum Vater, kehrte zurück zu dem, von dem er ausgegangen war. Jetzt, nachdem er alles vollbracht hatte, was der Vater ihm aufgetragen hatte, nahm er den Lohn für seinen Gehorsam, für sein unerhört schweres Leben und für sein bitteres Sterben entgegen. Jetzt thront er zur Rechten des Vaters. Jesus wurde verherrlicht.
Und damit kommen wir schon zu dem zweiten Grund der Osterfreude: Die Jünger wurden getröstet. Wir können uns kaum vorstellen, welche Verwüstungen der Karfreitag in ihren Seelen angerichtet hatte. „Wir hatten gehofft“, sagten die beiden Jünger, die von Jerusalem nach Emmaus gingen. „Wir hatten gehofft.“ Und was hatten sie gehofft? Nun, dass Jesus sein Volk erlösen werde. Die größte, die sehnlichste Hoffnung, die in diesem Volke lebte, die sollte durch ihn erfüllt werden, die Hoffnung des auserwählten Volkes, dass er es erlösen werde. Aber jetzt war alles zu Ende. Er war verraten, von einem Jünger ausgeliefert, von der geistlichen und von der weltlichen Obrigkeit verurteilt, grausam und schmählich hingerichtet. Und jetzt hofften sie nicht mehr. Und siehe da, es kam seine Auferstehung. Mitten im starren Entsetzen, in der Nacht einer lichtlosen Verzweiflung ging das Leben und das Licht auf, so strahlend und siegreich, wie sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Nun war also nichts zu Ende; jetzt begann erst alles, nun, da die Sonne schon aufgegangen war, wie uns Markus berichtet. Morgen war es, Morgenstunde der Weltgeschichte, Morgenstunde eines unsagbar herrlichen Tages, Morgenstunde ewigen Lichtes. Und wenn auch das Volk in seiner Masse und mit seinen Führern noch nicht allzugleich an die Auferstehung glauben konnte, die Jünger wissen doch, dass ihr Heiland lebt, dass der Meister die Welt überwunden hat, denn sie haben ihn gesehen. Sie wissen, dass er ihr Herr und Gott ist und dass er es immerdar und in alle Ewigkeit bleiben wird.
Diese triumphierende Gewißheit, meine lieben Christen, ist auf die Kirche übergegangen und sie ist nicht kleiner, sie ist eher stärker geworden. Die Kirche ist ja die fortlebende, wachsende Jüngerschar von damals. Sie ist es, die mit jahrtausendelanger Unermüdlichkeit den Weg von Emmaus nach Jerusalem läuft und die Osterbotschaft trägt. Sie ist es, die Petrus und die Elf mit sich führen, denen er erschienen ist. Sie ist die Gemeinschaft der fünfhundert Brüder, die ihn auf einmal gesehen hat. Sie ist das neue Volk, das aus den Finsternissen und den Schatten des Todes an das Licht kam, gerufen von der Botschaft des Lichtes und der Freude. Und so stark ihr Dasein ist, so gewaltig ist der Ruf, der sie zusammengeführt hat, der Ruf: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden.“ Das Dasein der Kirche, meine Freunde, das Dasein der Kirche ist der Beweis für die Auferstehung des Herrn. Ohne die Auferstehung Jesu wäre die Sache Jesu zu Ende gewesen, hätte sich die kleine Jüngerschar verlaufen, wäre jeder wieder zu seiner Erwerbsarbeit zurückgekehrt. Man muss ja blind sein, wenn man den Zusammenhang zwischen der Entstehung der Kirche und der Auferstehung nicht sehen will. Jesus lebt, und die Jünger wurden getröstet.
Darum ist die Kirche auch so zuversichtlich. Sie ist so zuversichtlich wie die Ostergemeinde in Jerusalem, so froh und sicher trotz aller Dämmerungen und Ärgernisse, die noch über dieser Erde liegen, ihres Weges gewiß und ihres Sieges trotz des langen Wartens auf die Herrlichkeit des Herrn Die Sonne ist aufgegangen, ist eben aufgegangen. Sie zieht schon ihre Bahn, freilich mit der Langsamkeit der Jahrtausende. Aber sie ist schon aufgegangen. Die Kirche weiß unbeirrbar sicher: Ich wandle bereits am Tag und nicht in der Nacht. Und es wird nie wieder Nacht werden. Es wird Abend, so sagen die beiden Emmausjünger, es wird Abend, Herr, und die Schatten haben sich geneigt. Das war eine Äußerung des Kleinmuts der Jünger, die noch nichts wußten. Aber nein, es wird nicht mehr Abend werden. Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Dunkelheiten über die Kirche gekommen, aber Nacht ist es nicht mehr geworden. Die Sonne steht allzeit über den Weinbergen des Herrn. Und auch heute, meine lieben Freunde, wenn wir die Betrübnisse und die Bitterkeit der letzten Wochen und Monate bedenken, die Irrungen und Wirrungen, die Angriffe gegen den Stellvertreter Jesu, unseren Heiligen Vater: Das sind nur Wolken, die über den Himmel ziehen, aber Nacht wird es nicht mehr. Und darum ist die Kirche, die Jüngerschar so geduldig und so ruhig. Die ersten Jünger wollten ja den Lauf der Dinge beschleunigen, und deswegen fragten sie Jesus vor der Himmelfahrt: „Wirst du jetzt das Reich Gottes aufrichten?“ Jesus sagte: „Es ist nicht eure Sache, die Zeitläufte und die Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner Allmacht bestimmt hat.“ Die Kirche von heute will ihren Lauf nicht mehr beschleunigen. Sie weiß, dass der Vater im Himmel mit Jahrtausenden rechnet und dass diese Jahrtausende ihr gehören. Wie lange sie auch dauern mögen, sie sind doch schon von der aufgegangenen Sonne erleuchtet. Es ist Tag, ewiger Tag, der Tag, der der Herr gemacht hat.
Wahrhaftig, die Jünger wurden getröstet. Und so ist denn auch das Dritte zu sagen, nämlich: Jede einzelne Seele wurde gestärkt; denn Jesus lebt. In ihm ist ihr ein lebendes Herz und ein liebendes Herz gegeben worden, eine Heimat und eine Nähe jenseits von Grab und Tod. Wir Menschen können eben doch das Gefühl nicht loswerden, dass die Toten weit fort sind, weit fort in einem Lande, wohin zwar unsere Gebete gehen, aber nicht unsere Tränen, unsere Einsamkeit und unser Heimweh. Darum liegt ein Hauch von Schwermut und Kleinmut selbst noch über den christlichen Gräbern. Und wenn wir auch darüber schreiben: „Wiedersehen ist eine Hoffnung“, so ist es halt doch nur eine Hoffnung und noch nicht Wirklichkeit. Und nun siehe, das liebste Herz, der vertrauteste Freund, das kostbarste Leben, das wir je hatten, ist zurückgekommen aus dem fernen Land der Toten. Wenn wir an Jesus denken, ist es nicht, wie wenn man an einen Toten denkt, nein, er lebt. Seine Seele lebt, sein Leib lebt, sein Herz schlägt, sein Auge strahlt, seine Hand ist warm und sein Mund redet. Und wenn er auch in seiner Unsichtbarkeit verharrt für eine kleine Weile, er kann doch jeden Augenblick hervortreten. Er ist da und nahe. Er hört unsere leisen und lauten Worte. Er sieht unsere kleinen und armseligen Werke, aber auch unser starkes und gutes Tun. Wir hören seine Worte: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Es ist wahr, es ist keine Illusion: Er ist bei uns. Er nährt und tränkt uns mit seiner Gnade und Wahrheit. Er stärkt und tröstet uns mit seinen Führungen und Einsprechungen. Er erhellt und erleuchtet uns mit seinem Licht uns seinen Geboten und mit seinen Verheißungen. Er ist bei uns, und er bleibt bei uns, denn Jesus lebt und stirbt nicht mehr!
Mag der Unglaube toben, mögen die Feinde der Kirche kläffen, Jesus ist ihren Angriffen entzogen. Er thront in himmlischer Höhe, und er wartet. Er wartet auf die Stunde, die der Vater bestimmt hat, und in der es einmal heißen wird: „Ich sah den Gottlosen hoch erhaben wie eine Zeder. Ich ging vorüber, und er war nicht mehr.“ An seiner Hand gehen wir in die Unsterblichkeit, dem seligen ewigen Leben entgegen, dem Leben mit ihm und in ihm. Wir wissen nun, dass auch wir überwinden werden den Tod und die Sünde und alle Schrecknisse der Höhe und der Tiefe, überwinden um dessentwillen, der uns geliebt hat, denn er lebt und stirbt nicht mehr. Die Sonne ist schon aufgegangen für einen jeden einzelnen von uns. Und das ist die erste Morgenstunde, die Jahre und Jahrzehnte, die wir hienieden wandeln. Wie die Jünger, die zum Grabe eilten, stehen auch wir an der Schwelle eines dunklen Gewölbes. Auf der einen Seite schauen wir die Finsternis des Todes, die aus dem Grab zu uns spricht, in das wir selbst hineingelegt werden, ich heute, du morgen. Auf der anderen Seite aber sehen wir der aufgehenden Sonne entgegen, die aus dem Grab erstiegen ist und über den Gräbern steht. Und in ihrem warmen Schein werden auch wir ruhen, wenn einmal unser Leib dahinfällt. Ihr warmer Schein wird auch uns auferwecken, auch dem Leibe nach. Denn es ist unmöglich, dass etwas von der Liebe im Grabe bleibt. Es ist unmöglich, dass die Liebe etwas im Grabe verkommen läßt. „Ich stehe auf“, so heißt es im Eingang der Ostermesse, „um immerfort bei dir zu sein.“ So spricht die im Grab versenkte Liebe Gottes. „Ich stehe auf, um immerfort bei dir zu sein.“ Und so wird auch uns dereinst unsere heilandliebende Seele und unser Leib aus dem Tod heraus Gott entgegenlaufen: „Ich stehe auf, um immerfort bei dir zu sein.“ Die Auferstehung ist das Werk einer Liebe, die nur leben kann, einer Liebe, die nur lebendig machen kann. Und sie stirbt nicht mehr. Der Tod hat keine Macht mehr über sie.
Amen.