Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. März 2009

Die Sünde und die Freude

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Soeben haben wir vernommen, wie der Versucher an den Herrn herantrat, um ihn zu Fall zu bringen. Auch der Herr ist dem Kampf unterworfen geblieben. Die Angriffe Satans blieben ihm nicht erspart. Und so ist auch uns wie ihm der Kampf aufgegeben, der Kampf gegen den bösen Feind. Und wir wollen an diesem 1. Fastensonntag uns zum Thema wählen: Die Sünde und die Freude. Ja, paßt das zusammen? werden Sie sagen, Sünde und Freude? Ist die Sünde nicht die Freudenmörderin? Ja, das ist sie. Gott ist die Freude, die absolute Freude, die wesenhafte Freude, und wer sich ihm widersetzt, der kann – metaphysisch ausgeschlossen – nicht in der Freude leben. Es ist metaphysisch ausgeschlossen, dass jemand, der sich Gott widersetzt, in der Freude leben kann. Vielmehr erwächst jedem Menschen aus der Sünde seine eigene Züchtigung. Sein Vergehen schlägt zugleich in seine Strafe um. Neben dem Lustbecher sinnlicher Genüsse liegt der Revolver der Verzweiflung. So ist es immer gewesen, und so ist es auch heute. Die Sünde kann nicht froh machen. Die Sünde, so sagt der heilige Pfarrer von Ars, ist der Henker des lieben Gottes in unserem Herzen und der Mörder der Seele. Sie reißt uns aus dem Himmel und versetzt uns in die Hölle. Es ist klar, keine Sünde kann uns glücklich machen, und keine Krankheit ist so schlimm wie die Sünde.

Und dennoch möchte ich heute die Sünde und die Freude miteinander in Verbindung bringen und möchte sagen: Die Sünde ist nicht das Schlimmste, sondern das, was nach ihr kommt. Nicht das, was der Mensch im Augenblick der Sünde tut, ist das Gefährlichste, sondern das, was nachher in seiner Seele vorgeht. Überlegen wir einmal, wie es zur Sünde kommt. Erst lockt sie die Seele mit ihrem gleißenden Glanz, der Mensch gibt nach, und nachher ergreift ein tiefes Unbehagen seine Seele. Was hast du getan! Es ist ein Mürrischwerden der Seele, ein Mürrischwerden gegen sich selbst, gegen Gott und gegen alles. Gleichzeitig zieht die Mutlosigkeit in die Seele ein. Es ist verständlich: Vor jeder Sünde gibt es einen Kampf. Wenn noch ein Funke von Religion in der Seele lebt, dann wehrt sie sich gegen die Sünde, und wenn sie doch fällt, kommt gleich der Gedanke: Wozu aller Kampf? Wozu aller Widerstand? Es ist doch alles umsonst. Die Opfer, die ich gebracht habe, das Gute, das ich getan habe, alles ist dahin, denn ich habe mich von Gott losgesagt.

Was geschieht, wenn der Mensch sündigt? Er verfällt in einen Zustand, der Gott mißfällt. Es ist der Zustand der Sündenschuld. Ihm folgt die Strafschuld. Sündenschuld und Strafschuld sind die beiden unmittelbaren Folgen der Sünde. Dazu kommt: Wer immer Gott durch eine schwere Sünde beleidigt, verliert im gleichen Augenblick alles, was er aus Christi Kreuzestod an Verdiensten erhalten hat. Es wird ihm jede Möglichkeit genommen, in den Himmel zu kommen. Es ist eine Stimmung, wie wir sie in der Inflation erlebt haben. Da hat mancher brave Mann gesagt: Nun habe ich mein ganzes Leben geschafft, aber jetzt bin ich am Ende und stehe wie ein Bettler da. Ein Bankrott. Aber noch schlimmer als der irdische Bankrott ist der himmlische Bankrott, der seelische Bankrott, die Ermattung, die Mutlosigkeit, die sich in der Seele ausbreitet nach der Sünde. Welches ist die tiefste Quelle der Mutlosigkeit? Der zerbrochene Stolz. Der Mensch kann und will sich nicht daran gewöhnen, dass er ein armes, gebrechliches Wesen ist. Es sagte mir einmal ein Mann: „Seit 31 Jahren begehe ich diese Sünde, immerfort und immer wieder. Ich komme nicht davon los. Ich schaffe es nicht.“ Ist das wahr? Kann er wirklich nicht davon loskommen? Nein und tausendmal nein. Er kann, wenn er will. Er kann, weil er muss. Das ist das Furchtbarste, wenn jemand meint, es gebe für ihn keine Möglichkeit der Umkehr. Es gibt eine solche Möglichkeit. Dem Menschen, der tut, was in ihm ist, versagt Gott nicht seine Gnade. Der Mensch muss nur einen Entschluß fassen; er muss ihn durchhalten, er muss ihn erneuern. Er muss, wenn die Versuchung kommt, sich daran erinnern. Er muss wirklich aufstehen von der Sünde und einen entschiedenen Willen haben, die sündhafte Neigung zu überwinden. Er muss die Gelegenheit – die Gelegenheit! – zur Sünde meiden. Er muss die Mittel – die Mittel! – zur Überwindung der Sünde anwenden. Also nicht mutlos werden aus falschem Stolz, aus Trotz.

Aber es gibt noch einen zweiten Grund der Mutlosigkeit, nämlich man kennt die Barmherzigkeit Gottes nicht. Wohl hat der Herr alles für uns getan. Überall hängt sein Kreuz, und überall steht der Tabernakel. Jedes Kreuz und jeder Tabernakel erzählt von der Liebe Gottes. Und was erzählt das Kreuz? Was erzählt der Tabernakel? Die Sünde gibt wohl einen Grund zur Reue, aber nicht einen Grund zur Mutlosigkeit. Es ist schlimm, wenn man zugeben muss: Es war alles umsonst, alle Opfer, alle Gebete, alle Taten der Liebe. Es gilt das furchtbare Wort, das beim Propheten Ezechiel steht: „Wenn sich der Gerechte von seiner Gerechtigkeit abwendet und Böses tut, aller seiner Gerechtigkeit wird nicht mehr gedacht werden.“ Es ist schrecklich, eine Todsünde zu begehen. Aber jetzt geschieht das andere. Der Sünder geht in sich, er legt eine reuige Beicht ab, er bekehrt sich. Es wird über ihn das „Absolvo te“ gesprochen. Da geschieht ein Wunder, ein Wunder in der Seele, ein himmlisches Wunder, viel zu wenig bekannt im gläubigen Volke, nämlich alle die guten Werke, die Gebete jeder angstvollen Stunde, die Hilfe für einen entfernten Verwandten, all das lebt in der Seele wieder auf. Die im Stande der Gnade verrichteten guten Werke, die durch die Sünde unwirksam gemacht wurden, leben wieder auf, wenn der Sünder sich bekehrt. Das ist eine Wahrheit, die in jedem guten Katechismus steht, nämlich: „Zugleich mit der heiligmachenden Gnade werden alle Verdienste wiedergegeben, die durch die schweren Sünden verlorengegangen sind.“ Und das ist unser Glück, meine lieben Freunde, denn wir brauchen Verdienste. Es ist nicht gleichgültig, ob wir Verdienste haben. Nach den Verdiensten werden wir gerichtet. „Ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist. Ich war durstig, und ihr habt mich getränkt. Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters und nehmt in Besitz das Reich!“

Es ist eine herrliche Totenerweckung in der Seele, wenn der Mensch sich bekehrt. Und da ist es ganz falsch, zu sagen: Jetzt muss ich wieder von vorn anfangen. Nein, du fängst nicht von vorn an, du fängst da an, wo du standest, ehe du die Sünde begingst. Machen wir uns das einmal an einem Beispiel klar. Es war einer ein gutes Kind, ein frommes Kind, ein unschuldiges Kind, und die Reinheit hat aus seiner Seele geleuchtet und aus seinen Augen. Dann ging das Kind in das Leben hinaus, und seine Seele ist verlumpt und verkommen. So hat das Kind, der Junge, das Mädchen, der Mann, die Frau die Jahre zugebracht, aber in seinem letzten Stündlein sagt er sich aufrichtig los von seinem Sündenleben und ergreift Gott. Auch dieser Mensch fängt nicht von vorn an. Er fängt da an, wo er als Kind stehengeblieben ist. All die Gebete, die Werke der Kindesliebe wachen wieder auf in seiner Seele, gehen mit der scheidenden Seele vor seinen Richter und fordern ihren Lohn. „Die Gottlosigkeit“, auch das steht beim Propheten Ezechiel, „wird dem Gottlosen nicht schaden an dem Tage, da er sich bekehrt von seiner Gottlosigkeit.“ Ach, was ein Trost, ach, was ein Glück! Ein Gedanke von unbegreiflicher Schönheit. Wer kann vergeben, wie Gott vergibt, so alles vergessen, was man ihm angetan. Gott will nicht, dass jemand verlorengeht, sondern dass alle zur Sinnesänderung kommen. „Wahrhaftig“, so heißt es noch einmal beim Propheten Ezechiel, „ich habe kein Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose sich von seinen Sünden bekehrt und lebt. Bekehret euch, bekehret euch von eurem bösen Herzen!“

Wenn ein Priester zu einem Kranken kommt und dieser legt eine lange, schwere Beicht ab, dann fragt der Kranke manchmal: „Ist jetzt wirklich alles gut?“ Es ist alles gut. Auch wir dürfen das annehmen, nein: wir wissen, wenn wir gut gebeichtet haben, wenn wir uns wahrhaft bekehrt haben. Gott ist wieder gut. Er ist so gut, wie er vorher zu mir gewesen ist, als ich ohne Sünde lebte. Die Gottlosigkeit wird dem Gerechten nicht schaden an dem Tage, da er sich bekehrt von seiner Gottlosigkeit.

Ein Heiliger hat einmal in einem Briefe an eine vertraute Person geschrieben, was er wohl tun würde, wenn er, der Heilige, in eine schwere Sünde fällt. Wir horchen auf. Ein Heiliger eine schwere Sünde? Er müßte doch verzweifeln, wenn er sieht, wie sein ganzes jahrelanges Streben durch einen Fehltritt vernichtet wird. Und was schrieb der Heilige? „Ich würde bereuen und dann wieder anfangen, dem Herrgott zu dienen mit derselben Ruhe, als hätte ich ihn niemals beleidigt.“ Wie kann ein Heiliger so reden? Wie ist das möglich? Weil er die Barmherzigkeit Gottes kennt, viel besser als wir. Was wissen wir von Gottes Barmherzigkeit? Jetzt verstehen Sie, meine lieben Freunde, warum ich sagte: Nicht die Sünde ist das Gefährlichste, sondern das, was nachher in unserer Seele vorgeht; dass wir nicht an die Barmherzigkeit Gottes glauben, dass wir wie ein törichtes Kind sind, das nicht zurückkommen will. Eine Ordensschwester, die in einem Waisenhaus arbeitete, wo auch verwahrloste Kinder aufgenommen wurden, erzählte einmal: „Wir hatten ein solches Kind, einen Knaben aus einer verwahrlosten Familie bei uns. Eines Tages lief er fort. Wir suchten ihn, wir fanden ihn nicht. Der Knabe blieb verschwunden. Nach 14 Tagen hatte ich im Garten zu tun. Da hörte ich meinen Namen rufen. Da stand der Knabe in völlig verwahrlostem Zustand.“ Von weitem nur rief er den Namen der Schwester. Die Schwester sagte: „Ich werde das Bild nie vergessen. Ich ging hin und nahm ihn bei der Hand.“ „Komm, Kind“, sagte sie, „komm. Es ist gut, dass du wiederkehrst. Wir haben schon lange auf dich gewartet.“ Sie führte ihn ins Haus, die Schwestern tadelten ihn nicht, sie straften ihn nicht, sie taten so, als wäre nichts gewesen. Wie dieses törichte Kind ist unsere Seele. Äußerlich scheint sie trotzig, aber schauen wir nur tief hinein, dann sehen wir die Mutlosigkeit. Wenn es wirklich einmal vorkäme, dass eine Verirrung nie gesühnt wird und dass sie auch im Tode nicht bereut wird, dann hat das seinen Grund in der Angst vor Gott, in der Angst vor der eigenen Schwäche.

So mancher scheint ein erklärter Feind des Glaubens zu sein. So mancher abgefallene Priester weiß so entschieden zu reden, um seinen Abfall zu vereidigen. Aber seine Seele ist doch nur wie ein Kind, das am Tor steht und nicht wagt hineinzukommen. Das ist der größte Fehler, dass man nicht an die Barmherzigkeit Gottes glaubt. Aber Gottes Barmherzigkeit ist glaubwürdig, sie ist glaubwürdig gemacht worden durch das Opfer von Golgotha. Im Buche des Propheten Isaias steht geschrieben: „Den ganzen Tag halte ich meine Arme ausgestreckt.“ Wir wissen, von wem das gesagt ist. Wir wissen, wer der ist, der die Arme ausgestreckt hält. Es ist unser Heiland am Kreuze. Warum hält er sie ausgesteckt? Um uns einzuladen, zu ihm zu kommen, um uns einzuladen, an sein Herz zu gelangen, um uns einzuladen, aus seinen Wunden das Heil zu schöpfen, um uns einzuladen, uns in seine Arme schließen zu lassen.

Amen.

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