Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. November 2008

Die Sakramente des Alten Bundes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor 50 Jahren feierte ich täglich die heilige Messe in der Kirche der Mädchenschule zu Freising. Die Schule wurde von Nonnen geführt, von Armen Schulschwestern. Eines Tages im Advent kam die Frau Rektorin zu mir und sagte: „Die Kinder fragen im Advent immer wieder. Wie wurden denn die Kinder vor Christus gerettet? Wie haben sie denn das Heil erlangt, wo es noch keine Taufe gab? Wie wurden sie von der Erbsünde befreit?“ Sie sehen, wie wach und lebendig damals Kinder waren, dass sie auf solche Fragen gestoßen sind. Und tatsächlich muss man sich ja auch fragen: Ja, gab  es für die Menschen vor Christus, ohne Christus, vor der Taufe, ohne Taufe Heil? Oder mussten sie verloren gehen? Aber wie stimmt dann überein, dass im 1. Timotheusbrief steht: „Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Alle, nach oder vor Christus. „Wir haben unsere Hoffnung gesetzt“, heißt es in demselben Brief, „auf den lebendigen Gott, den Retter aller Menschen.“ Vor Christus und nach Christus. Und noch einmal im 1. Timotheusbrief: „Christus hat sich selbst als Lösegeld hingegeben für alle.“

Wir wissen, dass das Heil, also die heiligmachende Gnade und der Himmel, die Freuden des Himmels, dass das Heil nur gewonnen wird durch den Anschluß an Jesus Christus. Vor dem Hohen Rate in Jerusalem hat Petrus bekannt: „Es ist kein anderer Name gegeben unter dem Himmel, in dem die Menschen selig werden können, als der Name Jesu Christi.“ Die Verbindung mit Jesus wird hergestellt durch Glaube und Taufe. Der Herr sagt es selber: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden.“ Aber wie werden diejenigen gerettet, die Christus nicht kannten und die die Taufe nicht hatten? Werden sie auch durch Glaube und Taufe gerettet? Muss man vielleicht diese Rettungsmöglichkeit ausweiten, muss man vielleicht das Verständnis dieser beiden Elemente, Glaube und Taufe, vertiefen, um zu begreifen, wie die Menschen vor Christus und ohne Christus gerettet werden konnten? Ich bin überzeugt, dass eine solche Auslegung sachgemäß und notwendig ist. Was ist Glaube? Der Glaube ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, das Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. Gab es einen solchen Glauben schon vor Christus? Ja. Es war nicht der Glaube an den gekommenen Christus, es war der Glaube an den kommenden Christus. Wir glauben an Jesus, der erschienen ist; unsere Vorväter in grauer Vorzeit hofften auf Jesus, der kommen würde. Also der Glaube war auch damals möglich. Und der Herr hatte die Menschen nicht ohne Hoffnung gelassen. Schon nach dem Sündenfall im sogenannten Protevangelium, im ersten Evangelium, hat er ihnen gesagt, dass er Feindschaft setze zwischen dem Satan und der Frau und ihrem Nachkommen, und dass ein Schlangentreter kommen werde, der der Schlange den Kopf zertreten werde. Dieses Protevangelium ist niemals widerrufen worden, und der Herr hat seine Verheißungen immer wieder erneuert und bekräftigt.

Also, die Menschen vor Christus waren nicht ohne göttliche Hilfe. In dieser Zeit wurden die Menschen durch das sacramentum naturae von der Erbsünde befreit, durch das Natursakrament. Und worin bestand es? Es bestand in einem Akt des Glaubens an den künftigen Erlöser. Indem die Eltern ihr hoffendes Vertrauen auf Gott setzten, auf den kommenden Erlöser, wurden ihre Kinder, ihre unmündigen Kinder gerechtfertigt und geheiligt. Ihre, der Eltern Sehnsucht und Zuversicht rettete, ohne dass sie es wussten, auch ihre Kinder. Diese Hoffnung verschaffte ihren Kindern das Heil. Die Erwachsenen wurden selbstverständlich ebenso durch diesen Glauben und diese Hoffnung gerechtfertigt. Dazu kam, wenn man will, eine Art Natursakrament, dass sie das ganze Leben aus der Hand Gottes annahmen. Indem sie sich unter das Gericht Gottes stellten, erkannten sie Gott als Richter an. Der Mann wurde gerechtfertigt durch die Mühen und Plagen der Arbeit, durch den Kampf bis zur Aufreibung der Kräfte. Die Frau wurde gerechtfertigt durch die Wehen der Mutterschaft, durch die häuslichen Plagen, durch die Geduld in der Ausdauer. Diese Folgen der Erbsünde dienten als eine Art Natursakrament der Heiligung der vor Christus lebenden Erwachsenen und ihrer Kinder.

Später kam dann zu dem Glauben als bleibendem Element die Beschneidung hinzu. Die Beschneidung war das ordentliche Mittel zur Reinigung von der Erbsünde. Die Menschen, die beschnitten wurden, wurden dadurch Jahwe, dem Gott des Alten Bundes, geweiht. Sie wurden zum Bundesvolk geführt, in das Jahwe-Volk aufgenommen. Die Beschneidung war das Bundeszeichen. Und wer beschnitten ist, der war rein und gehörte zum Bundesvolke. In diesem Sinne hat einmal der große Papst Innozenz III. geschrieben: „Die Erbschuld wurde durch das Geheimnis der Beschneidung nachgelassen, und so wurde die Gefahr der Verdammnis vermieden.“ Die Heilszeichen vor Abraham waren Naturzeichen. Die mit Abrahams Berufung von Gott verfügten Heilszeichen waren Geschichtszeichen, also Elemente der geschichtshaften Selbsterschließung Gottes.

Dann kam die Zeit des Mosaischen Gesetzes. Für die Zeit des Mosaischen Gesetzes gab es neben der Beschneidung noch andere vorchristliche Sakramente, z.B. das Osterlamm oder die Speiseopfer, ein Vorbild der Eucharistie, Waschungen und Reinigungen, Vorbilder des Bußsakramentes, Segnungs- und Weiheriten, Vorbilder der Weihesakramentes. Es gab also auch schon vor Christus eine bestimmte Art von Sakramenten. Zusammen mit dem Glauben haben sie die Menschen, die sich ihnen gläubig unterwarfen, heiligen können.

 Wohl waren die alttestamentlichen Sakramente den neutestamentlichen ähnlich, aber die Unähnlichkeit ist größer als die Ähnlichkeit. Es bestanden beträchtliche Unterschiede. Das Wesen der neutestamentlichen Sakramente besteht darin, dass sie bewirken, was sie anzeigen. Sie bewirken, was sie anzeigen. Also wenn der Priester spricht: „Der Leib Christi“, dann ist das der Leib Christi; und wenn das Taufwasser über das Kind rollt, dann wird es gereinigt. Die Riten des Alten Testamentes hatten diese Kraft nicht. Sie waren aus sich nicht rechtfertigungsfähig. Kraft ihres Vollzuges haben sie nicht die Gnade verliehen, sondern nur eine äußere, gesetzliche Reinheit. So hat das Konzil von Florenz im Jahre 1439 erklärt: „Die Sakramente des Alten Bundes vermittelten nicht die Gnade, sondern sie wiesen nur darauf hin, dass sie durch Christus gegeben werden müsse.“ Deswegen konnte auch Paulus die Kulteinrichtungen des Alten Testamentes als schwache und armselige Elemente abtun. Sie waren nicht imstande, die innere Gewissensreinheit zu verschaffen. Sie konnten nur eine äußere, gesetzliche Reinheit bewirken. „Im ersten Zelt“, heißt es im Hebräerbrief, „werden Gaben und Opfer dargebracht, welche den Dienenden in seinem Gewissen nicht vollkommen reinigen können.“ Und an einer anderen Stelle heißt es: „Das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh sind unfähig, die Gewissen zu reinigen, sie heiligen nur zur Reinheit des Fleisches.“

Das ganze Alte Testament war eben ein Erzieher auf Christus hin. Im Alten Testament ist das Neue Testament verborgen, und im Neuen Testament ist das Alte Testament zur Klarheit gebracht. Die Gerechtigkeit Gottes, durch die der Gläubige zum Heil geführt wird, ist im Alten Testament verhüllt, im Neuen Testament enthüllt. Und so sind die Sakramente des Alten Testamentes Typen, d.h. Vorbilder, Schattenrisse, entfernte Entwürfe der Sakramente des Neuen Testamentes. Sie waren ein Bekenntnis des Glaubens zum kommenden Erlöser. Unter Mitwirkung aktueller Gnaden erweckten sie im Empfänger das Bewußtsein der Sündhaftigkeit und den Glauben an den kommenden Erlöser. Dadurch disponierten, bereiteten sie den Empfänger vor zum Empfang der heiligmachenden Gnade und bewirkten so die innere Heiligung. Die alttestamentlichen Sakramente waren also schwache Schattenrisse der neutestamentlichen. Aber sie waren doch – und das ist ihr Größe – ein objektives Bekenntnis des Glaubens an den kommenden Erlöser. Und Gott nahm dieses Bekenntnis zum Anlaß, die Heiligungsgnade regelmäßig zu geben.

Es bleibt also dabei: Die Altväter wurden durch den Glauben an das Leiden Christi, der in seiner vollen Gestalt ihnen noch verborgen war, gerechtfertigt, genauso gut wie wir. Aber die Sakramente des Alten Bundes hatten aus sich keine Kraft, sondern sie mussten durch das gläubige Empfangen der Empfänger gewissermaßen mit Gnade aufgeladen werden, um die Heiligung zu bewirken. Das Alte Gesetz schenkte nicht, wie das Neue, den Heiligen Geist. Dennoch gab es eben aufgrund des Glaubens und der gläubigen Unterwerfung unter Gottes Willen auch im Alten Bunde Gerechte, Menschen, welche die Liebe und die Gnade des Heiligen Geistes hatten. Die Kirchenväter sprechen oft davon, dass es Gerechte von Adam an gegeben hat, „vom gerechten Abel an bis zum letzten Erwählten“. Es gab also auch vor dem Erscheinen Christi Gerechtfertigte. Ja, im Hebräerbrief wird von den „Martyrern des Alten Bundes“, also z.B. von den Makkabäischen Brüdern, gesagt: „Sie alle, bewährt als Zeugen des Glaubens, wurden erfunden in Christus.“ Obwohl sie ihn noch gar nicht kannten, haben sie ihr Martyrium im gläubigen Vertrauen auf den kommenden Erlöser bestanden. Nicht das Gesetz machte sie gerecht, sondern der Glaube. Weil sie den verheißenen Erlöser erwarteten, wurden sie gerechtfertigt.

Wir haben also, meine lieben Freunde, das Verständnis dafür gewonnen, dass immer und nur der Glaube rechtfertigt. Wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass er ist und dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird. Das ist ein ehernes Gesetz, das vom Hebräerbrief aufgestellt wurde. Es rettet immer der Glaube, im Alten wie im Neuen Bunde, aber in je verschiedener Weise. Im Alten Bunde ist der Glaube die Antwort des Menschen auf das verheißene Heil, im Neuen Testament ist er die Antwort auf das gewährte Heil. Der Heilsmittler ist immer Christus, und alle, die im Alten Bunde sich an Gott gehalten haben, haben auf Christus gehofft. Aber ihre Sehnsucht nach dem vollendeten Heil. das noch unter Schleiern verborgen war, wurde erst erfüllt im Neuen Bunde. „Das, was wir jetzt christliche Religion nennen“, hat einmal der heilige Augustinus geschrieben, „war der Sache nach auch bei den Alten und fehlte vom Anbeginn des Menschengeschlechtes nicht, bis Christus im Fleische erschien. Von da an begann die wahre Religion, die schon immer da war, die christliche zu heißen.“

Die ersten Sakramente, die alttestamentlichen Sakramente, waren nur Hinweise auf den kommenden Christus. Als Christus sie mit seinem Kommen erfüllte, wurden sie abgeschafft, und sie wurden abgeschafft, weil sie erfüllt waren.

Meine lieben Freunde, wir stehen in der schönen, ergreifenden Zeit des Advents, wo wir die so vertrauten und inhaltsreichen Adventslieder singen. „O komm, o komm, Emmanuel, nach dir sehnt sich dein Israel. In Sünd und Elend weinen wir und flehn und flehn hinauf zu dir.“ Das ist der Gesang des alttestamentlichen Volkes gewesen. O komm, o komm, Emmanuel, nach dir sehnt sich dein Israel. O komm, du wahres Licht der Welt, das unsre Finsternis erhellt. Wir irren hier in Trug und Wahn. O führ uns auf den Lichtes Bahn.

Amen.

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