5. Oktober 2008
Die Kirche – siegreich durch Kreuz und Gnade
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
In der Natur gibt es ein Gesetz, und das hat der Herr in die Worte gefasst: „Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht.“ Das organische Leben ist durch das Gesetz bestimmt, dass durch Absterben neues Wachstum geschieht. Dieses Gleichnis in der Natur hat der Herr in seinem Leiden auf der übernatürlichen Ebene wahr gemacht. Durch sein heiliges Blut hat er uns erlöst. Der Gottessohn stirbt, damit die Menschen seines göttlichen Lebens teilhaftig werden. Dieses Gesetz muss weitergehen durch das ganze Leben der Christenheit. Immer und immer wieder muss sich das Gesetz erfüllen, denn: „Der Knecht ist nicht über seinem Herrn. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.“
Der Herr hat sich große Mühe gegeben, seinen Jüngern diese Lehre nahezubringen. Aber sie verstanden ihn nicht; sie wollten ihn nicht verstehen. Sie wollten mit ihm herrschen, mit ihm triumphieren, die ersten Plätze einnehmen, aber nicht das Kreuz auf ihre Schultern nehmen. Doch hat ihnen der Herr erklärt: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt, kann mein Jünger nicht sein.“ Sie verstanden es erst, als der Herr aus dem Grabe erstanden war; denn da begriffen sie, dass Jesus dies alles leiden musste, um so in seine Herrlichkeit einzugehen. Und als dann der Pfingstgeist über sie kam, da waren sie gerüstet, das Kreuz ihres Meisters auf ihre Schultern zu nehmen. Sie gingen „jauchzend“ – so steht es in der Apostelgeschichte – vom Hohen Rate fort, als sie geprügelt worden waren, weil sie gewürdigt worden waren, für den Namen Jesu Schmach zu leiden. Dieses Gesetz hat sich an allen seinen Jüngern erfüllt. Als Paulus sich bekehrte, da erfuhr er aus dem Munde des Ananias: „Ich will ihm zeigen, was er um des Namens Jesu willen leiden muss.“ Und dieses Gesetz hat sich wahrhaft an ihm in überreichem Maße erfüllt. Misshandlungen, Nöte, Gefängnis, Geißelschläge, das alles hat er in großem Maße erduldet. Aber er jauchzte ob dieser Missetaten: „Ich freue mich der Leiden, die ich für euch erdulde, denn ich ersetze an meinem Leibe, was von den Leiden Christi für die Kirche noch aussteht.“ Da hat er das Gesetz begriffen, unter dem die Kirche angetreten war.
Die Kirche ist ja die Braut Christi, und wenn sie ihrem Bräutigam ähnlich sein will, dann muss sie durch Leiden gehen. Meine lieben Freunde, der Vater im Himmel weiß, warum die Kirche so viele Leiden ertragen muss. Es hat der Kirche noch niemals gut getan, wenn sie längere Zeit einen ungestörten Frieden genießen konnte, wenn Reichtum und Ehrenstellen ihr in Fülle zuteil wurden. Das hat ihr noch nie gut getan. Im Wohlleben geht die Tugend zugrunde. Die Glieder der Kirche erschlaffen, sie werden bequem und leidensscheu, sie passen sich der Welt an, die sie ja an ihren Genüssen teilnehmen lässt. Wie erwirbt ein Priester, wie erwirbt ein Bischof den Beifall der Welt, das Wohlgefallen der Presse? Indem er wichtige, unerlässliche Gegenstände des Glaubens nicht verkündigt, indem er schweigt vom Kreuztragen, von der Sünde, vom Fegfeuer und von der Hölle. Dadurch erwirbt er sich den Beifall der Öffentlichkeit. Indem er ein bequemes Evangelium verkündet: dass man es sich auf der Erde gut gehen lasse, dass man sich nicht anzustrengen brauche, um in den Himmel zu kommen. Wer so predigt, der ist angesehen, ist beliebt..
Aber das ist nicht die Weisung Christi. Er lässt Leiden über die Kirche kommen, damit in diesen Leiden, in der Verfolgung, die Kraft seines Heiligen Geistes wieder in den Menschen aufwache, damit die Menschen zu heldischem Martyrium kommen und Zeugnis geben für das Evangelium. Der Leidensweg der Urkirche begann mit der Steinigung des Stephanus, ein, so meinen wir, unersetzlicher Verlust. Aber nein, der die Kleider der Steiniger bewachte, hieß Saulus, und er wurde von Gott erweckt, damit er an die Stelle des Stephanus trete. Es erfüllt sich in ihm das Gesetz, das fortan über der ganzen Kirchengeschichte steht: Das Blut der Martyrer ist der Same für neue Christen. Das Blut der Martyrer ist der Same für neue Christen.
Wohin die Kirche kam, in das Römische Reich, da galt sie als der Abschaum, als das Verkommenste, was man sich denken konnte, als die Religion der Sklaven. Verfolgung in Jerusalem, Verfolgung in Rom. Rot färbte sich die Arena vom Blute der Martyrer. Und die Christen, die Nero an Pfähle anbinden und anzünden ließ, leuchteten wie Fackeln. Durch drei Jahrhunderte hat die Kirche der Verfolgung unterworfen sein müssen. Zehn Verfolgungen hat sie erlitten. Blutig war der Weg der alten Kirche. Aber eines Tages war er zu Ende, da stieg die Kirche aus den Katakomben, und da wurde das Kreuz zum Siegeszeichen.
Das Schicksal der Urkirche wiederholt sich in der Geschichte. Sooft kühne Glaubensboten vordrangen, wurden sie von den Völkern übel aufgenommen. Die Hölle wollte sich ihren Besitz nicht entreißen lassen. Martyrer in Trier, in Köln, in Mainz, Martyrer in Japan im 17. und 18. Jahrhundert voll grausamer Verfolgungen, Martyrer in Amerika, hingeschlachtet von den Indianern, Martyrer in Afrika, ermordet von Negern. Es ist, als könne der Same des Christentums erst aufgehen, wenn der Boden getauft ist mit dem Blut der Martyrer. Der polnische Kardinal Wyschinski hat einmal das ergreifende Wort geprägt: „Die Erde dürstet nach Priesterblut.“ Heute sind die Christenverfolgungen in Indien an der Tagesordnung. Christen auf der Flucht, Christen verjagt, ihre Häuser angezündet, ihre Kirchen zerstört, ihre Priester ermordet. Ähnlich in Nordkorea und in Vietnam. Und jetzt geht es auch in Lateinamerika los. Der Präsident von Venezuela richtet eine spalterische Sekte auf, um die Kirche zu treffen. Der Präsident von Ecuador baut ein atheistisches Staatswesen auf. Blutig sind die Wunden, die der Kirche durch Diktatoren und diktatorische Regimes zugefügt werden.
Aber noch schmerzlicher leidet die Kirche unter den Irrlehrern. Behutsam sucht sie den Schatz, den Christus ihr vermacht hat, zu bewahren. Da kommen sie von allen Seiten, um ihr das anvertraute Erbe zu entreißen. Man schmäht sie, dass sie es nicht hergibt; rückständig sei die Kirche, verbohrt, dumm, unduldsam. Man reißt und zerrt an ihrem heiligen Leibe, Abfall von Menschen, ganze Länder trennen sich von ihr. Heute fallen Tausende und Abertausende jeden Tag, meine Freunde, Tausende und Abertausende jeden Tag in Südamerika vom katholischen Glauben ab. Die Sekten arbeiten mit allen Mitteln, um unsere Kirche zu vernichten. Sie verteilen, mit reichen amerikanischen Geldern versehen, Lebensmittel an die Armen, sie schmähen die Kirche, sie verdächtigen den Priesterstand, sie ziehen gegen den Papst in Rom zu Felde, sie predigen ein billiges Evangelium. Und so laufen die Menschen ihnen zu. Die Wahrheit scheint ohnmächtig. Und doch: Modetorheiten überleben sich schnell. Der Sieg der Wahrheit ist es, dass sie bleibt.
Christi größtes Leid war die Untreue seiner Jünger. Judas wurde ein Verräter, Petrus sagte sich feige von ihm los: „Ich kenne diesen Menschen nicht. Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Das ist der größte Schmerz der Kirche: die Sünden ihrer Kinder. Sie trauert um die vielen, die sie in Zeiten der Anfechtung verlassen. Wir haben es im Dritten Reich erlebt, wie so viele katholische Christen ihre religiöse Betätigung einstellten, wie sie zu den Nazis überliefen, wie sie sich von der Kirche trennten. Gewiß unter Druck, das sei zugegeben. Der Staat, die Partei, die Organisationen übten einen schlimmen Druck auf die Menschen aus, sich von der Kirche zu trennen. Man musste Spott und Verachtung auf sich nehmen, berufliche Zurücksetzungen, wenn man der Kirche treu blieb. Aber getötet wurde keiner wegen seines Glaubens. Dennoch haben viele sich von der Kirche losgesagt. Und das ist ja auch heute noch das Leid eines jeden Erziehers, eines jeden Predigers, eines jeden Priesters. Machtlos steht er der Torheit, der Schwäche und der Bosheit seiner Zöglinge gegenüber. Das christliche Abendland ist zum Ärgernis für die Heiden und für die Muslime geworden, und das bedrückt die Kirche schwer.
Wer hoch steht, kann tief fallen. Das erfüllt sich auch am Priesterstand der Kirche. Unablässig bemüht sich der Erbfeind Christi, in der Kirche selbst Sünde wachsen zu lassen: Priester fallen ab, Bischöfe versündigen sich. Das ist Satans größter Triumph, dass arme Menschen zu Fall gebracht werden, dass sie vom Glauben abfallen, dass sie sittlich entgleisen. Die dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte kann man überschreiben: Priestersünde und Priesterabfall. Und dennoch, auch hier erleben wir immer wieder Siege der Gnade, Siege der siegreichen Gnade, der gratia victrix, wie die Theologie sie nennt. Es war schon des Heilands größte Freude, zu suchen und selig zu machen, was verloren war. „Größer“, so sagt er, „ist die Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Bußte nicht bedürfen.“ Und so wiederholt sich immer wieder das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Immer wieder gelingt es der Kirche, verlorene Söhne und Töchter, die zerknirscht zurückkehren, in ihre Arme zu schließen. Es gibt Triumphe der Gnade. Wenn die Gnadenorte der Beichtstühle reden könnten, dann würden sie sprechen, wie die Gnade Gottes über die Bosheit der Sünde siegt. Wenn sie alle hier aufträten, die im Leben und im Sterben, manchmal in letzter Stunde, den Weg zurückgefunden haben, dann sähen wir, dass es große Siege gibt, welche die Kirche verzeichnen kann. Und auch noch einen anderen Sieg gibt es nämlich: Inmitten dieser Marasmen, inmitten dieser Fäulnis gibt es noch reine Menschen, Jungfrauen und junge Männer, die in Treue zu Christus und seinem Gesetz stehen. Auch das sind Siege Christi.
Christi erbittertster Feind war die römische Staatsmacht und die jüdische Behörde. Die jüdische Behörde und die römische Staatsmacht sind angetreten, um die junge Kirche zu ersticken. Das ist im ganzen Lauf der Kirchengeschichte so geblieben. Immer wieder hat die Staatsmacht die Kirche zu überwältigen, ja zu vernichten gesucht. Die Cäsaren Roms wollten die Kirche auslöschen, die Kaiser des Mittelalters wollten die Kirche in ihren Dienst zwingen. Heinrich VIII. von England hat wegen seiner Leidenschaft die englische Kirche von Rom losgerissen. Die bourbonischen Höfe haben die Kirche unter ihre Knute gezwungen. Napoleon wollte es nicht ertragen, dass eine Macht ihm noch widerstand, nämlich die im Papst zentrierte Kirche. Und Bismarck entfesselte den Kulturkampf gegen die Kirche. Er fürchtete, dass „von jenseits der Berge“ – nämlich von Rom – sein Werk, die deutsche Einheit, zerstört werden könnte. Und so ist es auch bis heute geblieben. Staaten, die als katholisch gelten, bedrücken und bedrängen die Kirche. Täglich lesen wir von kirchenfeindlichen Gesetzen, welche die sozialistische Regierung in Spanien erlässt, um die Kirche zu erdrosseln. Der Islam wird begünstigt, und die Kirche wird bedrückt. Die Regierung Zapatero betreibt die Entchristlichung Spaniens. Und in Frankreich, da stehen die Freimaurer und alle Feinde der Kirche bereit, um ja nicht der Kirche ein wenig mehr Lebensmöglichkeit zu gönnen, wachen rigoros über die Trennung von Kirche und Staat. Im Jahre 1789 hat der französische Staat das gesamte Vermögen der katholischen Kirche in Frankreich eingezogen. Er verpflichtete sich, für den Kult, also den Gottesdienst, und den Unterhalt der Priester zu sorgen. Ein Jahrhundert wurde diese Zusage eingehalten. Aber 1905 wurden alle Leistungen an die Kirche eingestellt. Es gibt keine Kirche in Europa, die so bettelarm ist wie die Kirche in Frankreich. Dazu kommt die verbreitete Christenfeindlichkeit in Europa, in den europäischen Gremien in Brüssel und in Straßburg. Der ungarische Primas, Erdö, hat dieser Tage darauf hingewiesen, dass es eine Verschwörung in den Medien gibt, die mit Verleumdung, mit falscher Information und mit Sensationsgier die Kirche zu unterdrücken versucht.
Christi Leid und Christi Sieg werden weitergehen. Karfreitag und Ostertag der Kirche werden noch oft wechseln und einander durchdringen. Aber im Gesamtbild wird der Kreuzweg vorherrschen. Wir sind eben die streitende Kirche. Der größte Teil des Ostersieges bleibt unsichtbar. Den Ostersieg feiern wir jenseits des Grabes, droben bei unserem König. Das ist unser siegesfroher Glaube, der die Welt überwindet. Wir wissen nicht, meine lieben Freunde, wie lange dieser Kampf noch gehen wird. Niemand weiß, wann er endet. Er wird enden, wenn das Siegeszeichen Christi am Himmel erscheint, wenn das Kreuz seines Leidens und seines Siegens am verklärten Horizont aufscheint. Dann werden sie alle dastehen, die Menschen aller Zeiten und Zonen, vor ihm, ihrem König, die Bedrücker, die Bedränger, die Verfolger. Sie werden vor ihm stehen. Und alle, die für ihn gelitten und gekämpft und gerungen haben, und alle – alle! – werden dasselbe sprechen müssen, was einstmals der abtrünnige Kaiser Julian gesagt hat, als er sterben musste: „Galiläer, du hast gesiegt!“
Amen.