1. Mai 2008
Der Himmel – eine transzendente Wirklichkeit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!
Erfurt ist eine Patenstadt von Mainz. Die Hauptstraße von Erfurt trägt den Namen „Juri-Gagarin-Ring“. Juri Gagarin war ein sowjetischer Fliegermajor, der am 12. April 1961 als erster Mensch in einer Raumkapsel die Erde umkreiste. Nach seiner Rückkehr von der Weltraumfahrt stellte er fest, dass er im Weltraum „keine Spur von Gott, den Engeln oder dem Himmel entdeckt“ habe. Ähnliches hatte er schon während seines Fluges an die Bodenstation gefunkt. Darüber brach große Freude aus in der atheistisch ausgerichteten Sowjetunion. Jetzt endlich, so hieß es, ist wissenschaftlich bewiesen, dass das mit dem Himmel eine fromme Einbildung oder ein Schwindel der Kirchen ist. Ein Jahr später, im Februar 1962, schickten die Amerikaner ihren ersten Astronauten in den Weltenraum, John Glenn. Als John Glenn zurückkam, erklärte er, der Gott, an den er glaube, sei größer als das, was man durch die winzige Luke eines Raumschiffes sehen könne. Er fügte hinzu: „Von hier auf die Schöpfung zu schauen und nicht an Gott zu glauben, ist für mich unmöglich.“
Nicht nur Russen und Amerikaner beteiligten sich an der Raumfahrt, sondern auch Deutsche. Im Jahre 1997 blieb der aus Mönchengladbach stammende Kosmonaut Reinhold Ewald 18 Tage an Bord der russischen Raumstation Mir. Nach seiner Rückkehr hielt er in seiner rheinischen Heimat einen Vortrag, und in diesem Vortrag erklärte er wörtlich: „Der Himmel, in den ich als Raumfahrer fliege, nimmt mir nicht den Himmel des Kommunionunterrichts, in den unserem Glauben nach alle Menschen eine Chance haben, nach dem Tode zu gelangen.“ Ich wiederhole noch einmal diesen schönen Satz von Reinhold Ewald: „Der Himmel, in den ich als Raumfahrer fliege, nimmt mir nicht den Himmel des Kommunionunterrichts, in den unserem Glauben nach alle Menschen eine Chance haben, nach dem Tode zu gelangen.“ Wir sehen, der Glaube Ewalds wurde durch die Raumfahrt nicht erschüttert. Aber er war nicht nur gläubig; er besaß auch einen denkenden Glauben. Erfügte nämlich hinzu: „Für Gott bleibt allemal genug Raum, wenn er denn überhaupt welchen bräuchte.“ Ich wiederhole auch diesen schönen Satz: „Für Gott bleibt allemal genug Raum, wenn er denn überhaupt welchen bräuchte.“
Menschliche Himmelfahrten widersprechen dem Glauben nicht, den wir am heutigen Tage bekennen. Vierzig Tage nach Ostern ist Christus vor den Augen seiner Jünger in den Himmel aufgenommen worden. Die Apostelgeschichte berichtet davon: „Er wurde emporgehoben, und die Wolke nahm ihn vor ihren Augen weg.“ Im Lukasevangelium, das ja derselbe Verfasser geschrieben hat wie die Apostelgeschichte, heißt es: „Hierauf führte er sie hinaus, Bethanien zu. Er hob seine Hände und segnete sie, und es geschah, während er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr in den Himmel hinauf.“
Die Zeit des vom Staate verordneten Atheismus ist vorbei. Aber der Himmel bleibt auch danach eine problematische Angelegenheit. Wenn man die Kinder im Kindergarten auffordert, den Himmel zu zeichnen, dann sitzt auf einem Thron ein alter Mann mit Bart, mit einem weißen Gewande angetan, umgeben von umher fliegenden Engeln. Wir lächeln über solche Vorstellungen; wir lächeln mit Recht. Aber man kann auch ein gewisses Verständnis dafür haben; denn wie soll man denn das Unsagbare aussagen? Wie soll man sich denn das Unvorstellbare vorstellen? Es liegt auch hier ein Missverständnis vor. Es wird nicht unterschieden zwischen dem Himmelsgewölbe, wo die Raumschiffe fahren, wo die Wolken ziehen und die Flugzeuge kreisen, und der Himmelsherrlichkeit, in welche die Vollendeten nach Gottes Willen eintreten und ihn schauen. Aber eine solche Unterscheidung ist unbedingt notwendig. Der Himmel, den wir sehen, ist eine materielle Angelegenheit; der Himmel, an den wir glauben, ist eine geistige Wirklichkeit. Das Deutsche besitzt leider für beide Gegenstände nur ein Wort, nämlich Himmel. Die Engländer haben zwei. Sie bezeichnen den Wolkenhimmel mit sky, und sie bezeichnen die Gott vorbehaltene Wirklichkeit mit heaven. Sky und heaven sind völlig verschiedene Wirklichkeiten. Das eine bezeichnet eine Quantität, das andere eine Qualität.
Der Himmel, von dem wir heute sprechen, als Bereich Gottes, ist eine transzendente Wirklichkeit. Transzendent heißt übersteigend. Das heißt, der Himmel übersteigt alles, was uns aus der Erfahrung bekannt ist. Er übersteigt alles, was wir mit den Mitteln der Erfahrung erkennen und erreichen können. Weder Satelliten noch Raumschiffe können in die Wirklichkeit vorstoßen, die wir mit dem Wort Himmel bezeichnen. Es wäre also ganz falsch, wenn man meinen würde: Ja, die Raumfahrer müssen halt weiter fliegen. Sie sind nicht weit genug vorgedrungen. Wenn sie weiter mit ihren Raumschiffen in den Weltraum vorgestoßen wären, dann hätten sie Gott doch gefunden. Nein, meine lieben Freunde, Gott ist nicht zu finden. Er ist mit Raumschiffen nicht zu erreichen. Der Himmel ist jenseits jeder Entfernung, und wäre sie noch so groß.
Der Himmel ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Das heißt nicht, dass diese Wirklichkeit nirgendwo ist. Sie muss irgendwo sein, denn die Seelen der Verstorbenen, die Seelen der Vollendeten müssen sich irgendwo aufhalten. Sie sind ja nicht zerstört, sie haben sich nicht aufgelöst; also müssen sie irgendwo sein. Aber wir können keinen Ort angeben, an dem sie sich befinden könnten. Und der Ort, an dem sich die vollendeten Seelen befinden, ist von anderer Art als alle Orte, die wir aus unserer Erfahrung kennen. Dieser Ort kann von keinem Menschen wahrgenommen werden. Dieser Ort ist jenseits der Ausdehnung, die wir mit jedem Ort verbinden. Örtlichkeit ja, aber Örtlichkeit anderer Qualität, als wir sie kennen.
Man kann also auch nicht sagen: Der Himmel, wo die Vollendeten sind, sei oben oder unten. Das alles sind Angaben, die uns verwehrt sind. Aber da könnte jemand fragen: Ja, warum ist denn dann der Heiland nach oben aufgefahren? Warum ist er nicht in die Erde versunken? Er hätte ja auch in die Erde eintauchen und darin verschwinden können. Er ist nach oben aufgefahren. Die Richtung nach oben ist von tiefer Symbolik. Wir Menschen verbinden mit „oben“, wo die Sonne ist, das Helle, das Lichte, das Freie, und mit dem Begriff „unten“ verbinden wir das Dunkle, das Finstere, das Gebundene. Und diesen Vorstellungen hat sich Gott angeschlossen; dieser Vorstellungen hat er sich bedient, um auszusagen, dass Jesus in die Welt der Herrlichkeit Gottes, in den Glanz seiner überirdischen Schönheit eingekehrt ist. Wenn wir sagen: Gott wohnt im Himmel, dann wollen wir damit nicht ausdrücken, Gott habe einen abgeschlossenen Raum, einen Palast oder ein Wohnhaus. Nein. Wenn wir sagen: Gott wohnt im Himmel, dann soll damit ausgesagt werden: Gott lebt in einer Wirklichkeit, die über alles Geschaffene unendlich erhaben ist. Gott übersteigt nicht bloß die Erde, er übersteigt nicht bloß das Weltall, er übersteigt auch den Himmel. Achten Sie bitte darauf, was wir jetzt in den nächsten 9 Tagen tun werden, was wir in der Pfingstnovene beten: „König der Glorie, Herr der Heerscharen, als Sieger bist du heute über alle Himmel – über alle Himmel – emporgestiegen.“
Gott wohnt in unzugänglichem Licht. Er ist unermesslich und absolut raumlos. Er erfüllt jeden Raum, denn er ist in jedem Raum gegenwärtig, aber er wird von keinem Raum umschlossen. Die Unermesslichkeit oder Raumlosigkeit Gottes besagt, dass jede räumliche Beschränkung von ihm ferngehalten werden muss. Die Heilige Schrift bezeugt die Erhabenheit Gottes über alle räumlichen Maße. Das Weltall reicht nicht aus, ihn zu fassen. Als König Salomon den Tempel, den herrlichen Tempel in Jerusalem gebaut hatte, da betete er: „Herr, siehe, der Himmel und die Himmel können dich nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus, das ich erbaut habe.“ Noch einmal: „Die Himmel der Himmel können dich nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus, das ich erbaut habe.“
Meine lieben Freunde, so muss es sein. Es muss so bleiben, wenn Gottes Wirklichkeit für den Menschen unerreichbar und unangreifbar bleiben soll. Wenn Gott im Weltenraum anzutreffen wäre, dann wäre er von derselben Art wie die geschaffenen Dinge, dann wäre er nicht mehr Gott. Der Gott, der im Weltraum auffindbar wäre, hörte auf, Gott zu sein. Gott ist der ganz andere. Er ist anders als alles, was uns in der Erfahrung begegnet. Er ist anders als alles in der Welt. Er ist überweltlich. Deswegen tritt die Raumfahrt dem Glauben an Gott nicht zu nahe, und Gott wird durch die Raumschiffe nicht gestört. Der Himmel bleibt eine Wirklichkeit, auch wenn die Kosmonauten sie nicht erreichen können. Gott allein verfügt über den Eintritt in sein himmlisches Reich. Wer aus der Raumfahrt falsche Folgerungen für den Himmel und für Gott zieht, der hat Gott und den Himmel nicht verstanden; an dem wiederholt sich, was im 2. Psalm geschrieben steht: „Es toben die Volker, die Nationen machen vergebliche Pläne. Die Großen haben sich verbündet gegen den Herrn und seinen Gesalbten. Laßt uns ihre Fesseln zerreißen.“ Und was antwortet Gott auf diesen Aufstand? „Der im Himmel thront, lacht, er lacht ihrer und verspottet sie.“
Amen.