Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Januar 2008

Das Gleichnis vom Sämann

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unser Heiland saß am Bug eines kleinen Fischerbootes auf dem See und predigte dem Volke. Das Volk hatte sich auf den Hügeln, die ringsum aufragen, gelagert, und der Herr beobachtete, was um ihn herum sich begab. Da sah er die breite Uferstraße, die festgetreten war von den Füßen der Menschen und der Tiere und den Rädern der Wagen. Dann erblickte er die Felshänge, die mit leichtem Boden nur bedeckt waren, den der Wind verwehte und den die Sonne durchglühte. Und dann sah er die kleinen Felder, die abgegrenzt waren durch Dornenhecken als lebendige Zäune, und vermutlich erblickte er auch die Sperlinge, die in der Luft sich bewegten und auf die Erde niederstießen, wenn sie etwas Essbares fanden. Dann hob er an, sein Gleichnis zu sprechen mit der Meisterschaft, die wir an ihm gewähnt sind: „Der Sämann ging aus, zu säen…“

Dieses Gleichnis hat eine große Bedeutung, denn, meine lieben Freunde, es kommen die Menschen immer wieder mit demselben Einwand: Die Kirche hat versagt. Sie herrscht jetzt 2000 Jahre, und sie hat es nicht fertiggebracht, die Menschen zu verwandeln. Immer noch toben Kriege, auch unter christlichen Völkern. Immer noch beuten die Menschen sich gegenseitig aus. Immer noch wahren sie die Gesetze der Sittlichkeit nicht, sondern fallen übereinander her. Da ist dieses Gleichnis wie eine Antwort auf diesen Vorwurf; denn es schildert uns, was die Kirche seit 2000 Jahren tut. Sie wirft den Samen des Wortes Gottes aus. Es ist guter Same, aber der Same benötigt zum Wachstum auch ein gutes Erdreich. Und so schildert der Herr die erste Gruppe von Menschen, deren Verhalten dem Samen gleicht, der auf den harten Weg fällt. Wenn Sie auf Asphalt oder auf Beton den Samen auswerfen, dann ist jede Hoffnung verloren, dass dieser Same jemals aufgehen könnte. Er kann keine Frucht bringen, denn er kann ja nicht Wurzeln schlagen; er kann ja nicht aufgehen. Und so kommen die Vögel des Himmels und picken ihn auf. So gibt es Menschenherzen, deren Herz hart ist wie eine Betonstraße. Es gibt Menschenherzen, die hart sind wie Stein, wo keine göttliche Anregung, kein Wort des Priesters, kein Glockenläuten die harte Schicht durchstoßen kann. Kein äußeres Ereignis kann diese Herzen erreichen. Sie sind verschlossen für Gott und sein Wort. Sie hören nicht das Flüstern der Gnade, aber auch nicht das Grollen des göttlichen Zornes. Sie sind, so scheint es, gottunfähig geworden.

Solche Menschen gibt es, und sie finden sich vor allem unter Gebildeten und Halbgebildeten. Sie haben in den Büchern von Friedrich Nietzsche oder Gotthold Ephraim Lessing gelesen. Sie haben die oberflächlichen Weisheiten aus dem Spiegel geschöpft oder aus den Büchern von Drewermann. Und sie meinen, sie hätten es nicht mehr nötig, den Kirchenglauben, den Kinderglauben zu bewahren. Es sind hochmütige, wissensstolze, selbstgefällige Menschen, die ihren Glauben abgeworfen haben. Ihre Seele ist wie ein festgetretener Boden, den die Saat des Gotteswortes nicht mehr durchdringen kann.

Das Verhalten der zweiten Gruppe gleicht dem Samen, der auf den Felsen fiel. Der Fels trägt eine leichte Humusschicht; der Regen durchweicht sie und die Sonne durchwärmt sie, und so geht der Same rasch auf. Aber er schlägt keine Wurzeln. Der Humus ist zu dünn, und dann glüht die Sonne, und dann peitscht der Regen, und das zarte Pflänzlein geht zugrunde. Auch das ist wieder ein Bild für eine bestimmte Schicht von Menschen. Es sind jene, die auch die Botschaft vom Reiche Gottes gehört haben: in der Kindheit oder in der Jugend. Aber sie hat in ihnen keine Wurzeln geschlagen; sie ist an der Oberfläche geblieben. Der Glaube ist in ihnen nicht zur Überzeugung geworden. Sie haben sich von der Gnade und von der Wahrheit Gottes nicht durchdringen lassen. Es sind das häufig Menschen, die gar nicht unreligiös sind. Sie schätzen das religiöse Erlebnis, das religiöse Gefühl. Sie fühlen sich erbaut, wenn sie manche Werke von Johann Sebastian Bach hören. Aber, meine lieben Freunde, religiöse Stimmung ist kein christlicher Glaube! Religiöse Stimmung genügt nicht, um den Fährnissen von außen und den Versuchungen von innen zu begegnen. Die Religion darf nicht an der Oberfläche bleiben, sie muss die Tiefe der Seele durchdringen. Die Religion darf nicht ein Teil des Lebens sein, sondern das Leben muss ein Teil der Religion sein. „Alles, was ihr tut in Werk oder Wort, tut alles zur Ehre Gottes!“ mahnt der Apostel Paulus.

Das Verhalten der dritten Gruppe wird dem Samen verglichen, der unter die Dornen fiel. Das passiert, wenn der Sämann ausgeht, sehr leicht. Sie haben vielleicht nicht mehr erlebt, wie ein Sämann mit der Hand den Samen ausstreut; wir haben jetzt die Sämaschinen, nicht wahr. Aber in früherer Zeit, auch noch im 20. Jahrhundert, bevor es die Sämaschinen gab, hatte der Sämann eine Schürze umgebunden, und in dieser Schütze war der Samen, und dann warf er ihn rechts und links aus. Da konnte es passieren, dass ein paar Körner auch neben das Ackerfeld fielen, auf den Weg fielen, auf den Rain, wo die Dornen sind. Und die Dornen wachsen auf, aber sie sind stärker als der Samen; sie ersticken ihn. So ist es mit Menschen, die das Wort Gottes hören, aber dem Wort Gottes nicht Raum geben. Der Herr nennt drei Weisen, wie man den guten Samen des Wortes Gottes ersticken kann, nämlich durch die Sorgen, die Freuden und den Reichtum.

Die Sorgen. Wen von uns begleiten die Sorgen nicht? Wir alle sind von Sorgen eingehüllt. Mehr oder weniger trägt jeder ein gerütteltes Maß an Sorgen mit sich herum: die Sorgen um die Gesundheit, um das Einkommen, um das Fortkommen, Sorgen um das Wohnen, Sorgen um das Essen, Sorgen um die Zukunft. Das alles ist ja berechtigt. Aber wir sollten uns an das schöne Wort erinnern, das ich als Knabe in der Wohnung meiner Eltern gelesen habe. Da stand an der Wand: „Sorg’, aber sorge nicht zuviel, es kommt doch, wie Gott es haben will.“ Ein wunderbares Wort. Sorg’, aber sorge nicht zuviel, es kommt doch, wie Gott es haben will. Man kann auch zuviel um seine Gesundheit besorgt sein. Man nennt solche Menschen Hypochonder, die fortwährend um sich kreisen, um ihre Gesundheit, und damit auch den größten Teil ihres Lebens verpassen. Man soll sich um eine Wohnung, um eine schöne Wohnung bemühen, aber wenn ich erlebe, wie manche Menschen gewissermaßen für ihr Haus leben und sterben, wie das ihre Hauptsorge ist und wie sie über dieser Sorge alles andere hintansetzen, dann kann ich nur sagen: Die Dornen dieser Sorge überwuchern den religiösen Keim. Oder die Sorgen um die Nahrung. Selbstverständlich müssen wir um Essen und Trinken besorgt sein. Aber es gibt Menschen, die sind fortwährend auf der Jagd nach Spezialitäten, die machen das Essen zu einer Art Kult. Das sind die Dornen, die das Religiöse ersticken. Wegen dieser Sorgen haben sie keine Kraft und keine Zeit und keine Muße mehr für das Reich Gottes. Die Religion erstickt, weil sie keine Luft zum Atmen hat.

Die zweiten Dornen sind die Freuden. Der Mensch benötigt Freuden, meine lieben Freunde. Der Mensch kann ohne Freuden nicht recht leben. Ein freudloser Mensch ist ein zutiefst unglücklicher und lebensunfähiger Mensch. Der Mensch benötigt Freuden. Aber die Jagd nach der Freude, die Sucht nach der Freude, die Jagd nach dem Genuß und die Sucht nach dem Genuß, das sind die Dornen, die die Religion ersticken. Wer fortwährend nur an Fahrten und Reisen, an Ausflüge und Urlaube denkt, der ist unfähig geworden, den Samen Gottes in seinem Herzen wachsen zu lassen. Wir stehen jetzt mitten in der Fastnacht. Ich bin skeptisch. Ich gönne einem jeden die wirklichen oder vermeintlichen Freuden, die er dort sucht. Aber sind es immer reine Freuden? Freuden müssen aus reinen Quellen fließen. Und wird bei diesen Freuden das Maß eingehalten? Freuden müssen mit Maß genossen werden. Für andere ist der Sport die Freude. Aber auch er kann zum Dornstrauch werden. Ich werde nie vergessen: In meinem ersten Priesterjahr hatte ich einen jungen Mann in meiner Jugend, der zunächst eifrig mitmachte unser Jugendleben, aber dann entdeckte er das Kanufahren. Er war ein begeisterter, ein leidenschaftlicher Kanufahrer, und da das meistens am Sonntag geschah, vernachlässigte er die Sonntagsmesse und fiel schließlich ganz ab. Die Freuden auch des Sporterlebnisses können die Religion ersticken. Freuden dürfen die Religion nicht ersetzen. Die Religion ist nicht billig zu haben; sie kostet etwas, und sie muss von den Menschen bezahlt werden.

Die dritten Dornen sind der Reichtum. Es ist dem Menschen nicht verboten, Reichtum zu erwerben. Wendelin Wiedeking, so war gestern zu lesen, Wendelin Wiedeking, der Vorstandsvorsitzende von Porsche, verdient im Jahre 50 – 60 Millionen Euro. Ich habe mich nicht versprochen. Er verdient 50 – 60 Millionen Euro im Jahre. Was tut er mit dem Vermögen? Wie verwendet er es? Das Vermögen, das so anwächst, kann eher zur Gefahr werden als die Dürftigkeit oder die Armut. Die Wohlhabenheit ist gewöhnlich für den Menschen eine größere Gefahr als die Bescheidenheit des Besitzes. Und deswegen warnt der Herr vor den Gefahren des Reichtums: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr (also das größte Tier des Orients), eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr (durch das kleinste Loch, das man sich denken kann), als dass ein Reicher ins Himmelreich eingeht.“ Er kennt die Gefahren des Reichtums, und er hat auch das andere schöne Wort gesagt: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ So ist es.

Die Dornen können leicht den Samen des Wortes Gottes ersticken. Alle diese drei Gruppen haben das Wort Gottes gehört, aber alle haben es entweder nicht aufgenommen oder nicht gehegt.

Und doch war die Arbeit des Sämanns nicht umsonst. Es gibt ein Ackerfeld, wo der Samen aufgeht, wächst und Frucht trägt, hundertfältige Frucht. So ist es auch unter den Menschen, die den Samen Gottes aufnehmen, die ihn mit gutem und wackerem Herzen festhalten und Frucht bringen in Geduld. Mir soll niemand sagen, die Gläubigen, die Kirchgänger, sind nicht besser als die anderen. Das stimmt nicht. Dem widerspreche ich, und ich habe Erfahrung aus 57 Jahren Seelsorge. Die Kirchgänger, die Gläubigen, sie sind besser! Sie bringen Frucht. Sie mühen sich. Sie sind gewiß nicht frei von Sünde und von Schuld, aber sie geben ihre Sünde und ihre Schuld nicht als Tugenden aus.

Die Menschen, die Frucht bringen, zeigen, dass das Christentum nicht versagt hat. In ihnen hat es sich bewährt. Sie haben es angenommen, sie haben es gelebt, sie haben es bezeugt. Sie sind nicht schuld daran, dass andere das Christentum missachten, schmähen und schänden. Es ist auch ganz falsch, zu sagen, das Christentum habe seit 2000 Jahren geherrscht. O, meine Freude, wann hat das Christentum jemals geherrscht? Hat man nicht vielmehr unaufhörlich erlebt, wie die Menschen das Christentum benutzen, ausnutzen und wie sie das Christentum unterdrücken? Ist nicht der Satan seit 2000 Jahren unterwegs, Unkraut unter den Weizen zu streuen? Und ist er nicht unterwegs, den Samen aus den Herzen zu reißen? Welche anderen Mittel hat die Kirche, als den Samen auszustreuen, d.h. zu verkünden, zu bitten, zu mahnen, zu warnen? Wie kann man der Kirche vorwerfen, sie habe versagt, wenn ihre Verkündigung nicht gehört, vergessen oder unterdrückt wird?

Christentum vererbt sich nicht. Auch in 2000 Jahren gibt es keine Vererbung des Christentums, sondern das Christentum muss in jedem Menschen neu aufgebaut werden. Die Kirche muss ihre Sämannsarbeit ständig neu beginnen, bei jeder Generation, bei jedem Menschen. Jeder einzelne ist verantwortlich dafür, dass er den Samen des Wortes Gottes aufnimmt. Jeder einzelne ist auch verantwortlich dafür, ob der Samen zerdrückt, ob er fortgetragen oder ob er erstickt wird. Achten wir darauf, meine Freunde, dass der Samen des Wortes Gottes in uns keimt, aufwächst und Frucht trägt, Frucht trägt hundertfältig in Geduld und Liebe.

Amen.

 

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