20. Januar 2008
Arbeiten für das Reich Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die zentrale Verkündigung Jesu ist das Reich Gottes. Immer und immer wieder hat er vom Reiche Gottes gesprochen, hat in Bildern und Gleichnissen den Jüngern zu erklären versucht, was das Reich Gottes ist und wie es um das Reich Gottes bestellt ist. Einmal sagte er: „Das Reich Gottes gleicht einem Sämann, der Samen streut.“ Oder: „Das Reich Gottes gleicht einem Senfkorn, das in den Boden gelegt wird.“ Oder: „Das Reich Gottes ist einer Frau gleich, die Sauerteig unter das Mehl mischte.“ Alle diese Bilder wollen etwas aussagen vom Reiche Gottes. Die Jünger haben sich um das Verständnis bemüht, auch wenn es ihnen manchmal schwer gefallen ist. Sie hatten ihren Vater und ihre Mutter, ihren Beruf und ihren Besitz verlassen, und sie erhofften sich dafür Lohn. „Was wird uns dafür zuteil werden?“ fragt Petrus einmal den Herrn. „Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet, wenn der Menschensohn mit seiner Herrlichkeit kommt, auf zwölf Thronen sitzen und die Stämme des Volkes Israel richten.“ Lohn ist also angesagt. Freilich haben die Jünger auch in dieser Hinsicht oft mehr irdischen Vorstellungen nachgehangen. Die Mutter des Jakobus und des Johannes trat vor den Herrn und sagte: „Herr, sage, dass meine beiden Söhne in deinem Reiche auf den Ehrenplätzen sitzen, rechts und links von dir!“ Der Herr entgegnete ihr: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“ Ihr wisst nicht, um was ihr bittet! „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“
Nun hat uns der Herr das Gleichnis von dem Weinberg und den Arbeitern im Weinberg erzählt. Wir können das Gleichnis relativ leicht deuten. Der Weinbergsbesitzer ist zweifellos Gott, und die Arbeiten im Weinberg, nun, das sind eben die Anstrengungen im Reiche Gottes. Aber das Gleichnis hat eine Reihe von Merkwürdigkeiten. Zunächst einmal fällt auf, dass sich die Arbeiter nicht nach der Arbeit drängen. Sie sind dort, wo damals das Arbeitsamt arbeitete, nämlich auf dem Marktplatz, dort stehen sie herum. Aber sie drängen sich nicht zur Arbeit. Sie warten, bis sie gerufen werden. Und das scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass alle, die im Reiche Gottes, also auch in der irdischen Gestalt dieses Reiches, in der Kirche sind, warten, warten müssen, bis der Ruf an sie ergeht. Die Theologie und dann auch das Lehramt haben das so ausgedrückt, dass man sich die erste Gnade, also die Gnade der Berufung, nicht verdienen kann. Sie wird ungeschuldet dem Menschen gegeben. Der Mensch muss auf den Ruf warten, und dann kann er den Eintritt ins Gottesreich vollziehen. Freilich ist er dafür verantwortlich, dass er dem Rufe folgt. Das ist die erste Merkwürdigkeit: Man muss auf die Gnade warten, man muss sich für die Gnade bereiten, aber man ist verantwortlich dafür, dass die Gnade in unserem Leben wirksam wird.
Aber dann geht es noch merkwürdiger zu. Es kommt nämlich der Abend, und da beginnt die Auszahlung. Die Auszahlung findet in umgekehrter Reihenfolge wie die Einstellung statt, nämlich zuerst kommen die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, von 5 bis 6 Uhr. Und sie erhalten 1 Denar. Dann kommen die anderen, die der Herr um 3 Uhr eingestellt hat, um 12 Uhr, um 9 Uhr. Und erst zum Schluß kommen die, die schon um 6 Uhr früh angefangen haben zu arbeiten. Auch sie erhalten 1 Denar. Ein Denar, das sind etwa 87 Pfennige; davon konnte man damals einen ganzen Tag leben. Alle erhalten das gleiche, ohne Rücksicht auf die Dauer der Arbeit. Kein Wunder, dass die zuerst Eingestellten zu murren beginnen: „Wir haben die Last und Hitze des Tages getragen, und du hast uns denen gleichgestellt, die nur 1 Stunde gearbeitet haben.“ Das ist doch empörend! Der Herr fasst einen dieser unwilligen Arbeiter ins Auge: „Freund, ich tue dir kein Unrecht. Sind wir nicht über 1 Denar übereingekommen? Ich will aber dem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder darf ich nicht tun, was ich will? Ist vielleicht dein Auge neidisch, weil ich gut bin?“ Man wird sagen können, Unrecht ist den Arbeitern der ersten Stunde nicht geschehen, denn der Vertrag lautete: 1 Denar für die Arbeit von 6 Uhr bis 18 Uhr. Aber freilich, unser moralisches Empfinden ist verletzt, weil der Lohn ungleich scheint. Er scheint deswegen ungleich, weil die einen, die so viel gearbeitet haben, nicht bevorzugt werden gegenüber jenen, die so wenig getan haben.
Wir müssen hier auf ein einziges Wörtchen achten, nämlich: „Ich will“. Der Herr will es, und sein Wille ist für uns verbindlich. Unter seine Willensmacht müssen wir uns unterwerfen. Es ist der menschliche Stolz und der menschliche Neid, der nicht ertragen will, dass einem anderen Gutes geschieht, dass ein anderer ebenfalls mit einem Lohn bedacht wird, den er, wie uns scheint, eigentlich nicht verdient hat.
Meine lieben Freunde, wir haben es uns, zumal in der nachkonziliaren Kirche, angewöhnt, Gott nur als den gütigen Vater anzusehen. Das ist er zweifellos. Und das ist auch sicher ein Hauptinhalt der Frohen Botschaft des Neuen Testamentes: Gott ist unser Vater, zu dem wir im Vaterunser rufen. Aber Gott hört deswegen nicht auf, der Herr und Schöpfer zu sein. Wenn wir das Bild des Herrn und Schöpfers verdecken mit dem Bilde vom Vater, dann kommen wir zu falschen Schlussfolgerungen. Gott bleibt der souveräne Herr. Durch seine Vaterschaft verliert er nichts von seinem Herrentum, von seinem göttlichen Herrentum, von seiner göttlichen Herrenhoheit. Wir denken oft zu menschlich von Gott. Im Kriege haben die Leute gesagt: Warum ist aus dieser Familie der Vater zurückgekehrt, und aus meiner Familie ist er nicht zurückgekommen? Und in den Bombennächten haben die Menschen gesagt: Ja, warum ist unser Haus zerstört worden und nicht das Haus des anderen? Und noch heute sagen die Menschen: Warum wird der mir vorgezogen, warum wird der befördert, und ich werde hintangesetzt? Meine lieben Freunde, wir haben keine Ansprüche gegen Gott. Der Gott des Alten Bundes hat das einmal dem Propheten Jeremias klargemacht. Er schickte den Jeremias in eine Töpferwerkstatt. In dieser Töpferwerkstatt sah er, wie der Töpfer an der Drehscheibe Gefäße formte, Tongefäße, und wenn sie missrieten, da warf er sie weg. Als Jeremias die Töpferwerkstatt verließ, hat Gott zu ihm gesprochen und ihm gesagt: „Kann ich nicht wie der Töpfer mit dem Haus Israel verfahren?“ Natürlich kann er das. Er ist der Herr, und alles muss sich ihm beugen.
Das gilt auch für die Arbeit im Reiche Gottes. Meine lieben Freunde, es ist nicht unser alleiniges Verdienst, wenn wir für Gott arbeiten, für Gott arbeiten dürfen. Es ist auch zugleich und noch viel mehr Gottes Gnade und Gottes Kraft. Er hat uns die Fähigkeit gegeben, für ihn zu arbeiten. „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ So schreibt einmal der Apostel Paulus. Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest? Also: Die Arbeit im Weinberg ist gewiß Arbeit im Reiche Gottes, und die Seligkeit des Himmels ist der Lohn für diese Arbeit. Aber es ist nicht nur, nicht zuerst die eigene Leistung, die hier gelohnt wird, es ist Gottes Kraft, die uns diese Arbeit verrichten lässt. „Wenn Gott unsere Verdienste krönt, krönt er seine Gaben.“ Das ist ein ehernes Wort des heiligen Augustinus. Wenn Gott unsere Verdienste krönt, die wir ja haben, das sei nicht geleugnet, dann krönt er seine Gaben. Das Zusammen von Verdienst und Gnade ist freilich schwer aufzuhellen. Es wird uns im Himmel einmal klar werden. Aber es besteht ein solcher Zusammenhang. Der Apostel Paulus wusste, dass er ein tüchtiger Arbeiter im Reiche Gottes ist. „Ich habe mehr gearbeitet als alle anderen.“ Nanu. Gleich nachher aber sagt er: „Nein, nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir.“ Das ist die katholische Haltung. Ich habe mehr gearbeitet als alle anderen, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir.
Wie der Ruf zum Eintritt in das Gottesreich, so ist auch das Leben- und das Arbeitendürfen im Gottesreich unverdiente Gnade. Der eine wird früh gerufen, der andere später. Der eine darf schon im Kindesalter im Glück des katholischen Glaubens aufwachsen, ein anderer findet erst nach einem irrenden Leben, nach einem verirrten Leben den Weg zum Glauben. Meine Freunde, ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass man sagt: Ja, im Alter, da werden sie fromm, die Christen. Ja, warum denn nicht? Ja, Gott sei Dank, dass sie wenigstens im Alter fromm werden! Oder sollen sie das Lotterleben auch im Alter fortsetzen? Das ist kein rechter Vorwurf. Gott sei Dank, wenn einer im Alter sich besinnt und zu Gott zurückkehrt. Gott sei gedankt dafür. Niemand konnte eher im Gottesreiche stehen, als bis Gottes Gnade ihn rief. Und niemand konnte mehr arbeiten und leisten als das, was Gottes Gnade ihm an Kraft und Streben gab.
Ich meine, damit ist auch die Frage des Lohnes einigermaßen beantwortet. Die Apostel erhofften sich von ihrer Arbeit den entsprechenden Lohn, und das ist richtig so. Im 1. Korintherbrief, wie wir ja heute gehört haben, steht der Satz: „Jeder aber wird seinen eigenen Lohn erhalten nach dem Maß der angewandten Mühe.“ Es gibt also doch Gerechtigkeit, auch für die Arbeiter. Jeder wird den eigenen Lohn erhalten nach dem Maß der angewandten Mühe. Die sogenannten Reformatoren haben die Verdienstlichkeit unserer Werke geleugnet. Sie wollten von Verdienst nichts wissen. Alles macht Gott, der Mensch macht gar nichts. Ganz falsch! Ganz falsch! Dagegen ist das Konzil von Trient aufgestanden: „Wenn einer sagt, die guten Werke des gerechtfertigten Menschen seien so die Geschenke Gottes, dass sie nicht auch zugleich Verdienste des Gerechtfertigten selber seien, oder der Gerechtfertigte verdiene durch die guten Werke, die er verrichtet, nicht in Wahrheit selbst die Vermehrung der Gnade, das ewige Leben und die Erreichung des ewigen Lebens und die Vermehrung der Glorie, der sei ausgeschlossen!“ Das ist die Sprache des Konzils von Trient. Alles ist Gottes Geschenk, und alles ist unsere Leistung, wenn auch in je verschiedener Hinsicht. Wir arbeiten in der Kraft der Gnade, aber wir arbeiten, und wir haben nach Gottes Willen, nach seiner gnädigen Verordnung Anspruch auf Lohn. „Wenn jemand sagt, die Gerechten dürften für die guten Werke, die sie in Gott getan, wenn sie im Gutestun und der Beobachtung der Gebote Gottes bis zum Ende ausgeharrt haben, von Gott keinen ewigen Lohn erwarten noch hoffen, der sei im Banne!“ So ist es.
Die Seligkeit des Himmels wird allen zuteil, die von der Gnade gerufen sich ihrem Rufe angeschlossen und für Gott gearbeitet haben, ohne Rücksicht darauf, wann der Eintritt in das Reich Gottes erfolgt ist. Aber die Seligkeit kann verschieden sein. Es kann einer im Himmel mehr von Gottes Herrlichkeit durchdrungen sein als der andere. Auch im Himmel gibt es die Möglichkeit, dass Gott in der verliehenen Herrlichkeit die Verdienste des Menschen berücksichtigt. Das ist katholische Lehre.
Wir wollen also in unserer Zuversicht nicht nachlassen, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist. Wenn wir in der Gnade arbeiten, dann dürfen wir nach Gottes Willen Lohn erwarten. Im letzten Buch der Heiligen Schrift wird das noch einmal bekräftigt. Da sagt Gott dem Apokalyptiker Johannes: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn kommt mit mir, einem jeden zu vergelten nach seinen Werken.“
Amen.