2. Dezember 2007
Die Gerechtigkeit am Tage Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor einiger Zeit wurde in einer kleinen holländischen Stadt ein Ordensbruder aus dem Orden der Schulbrüder zu Grabe getragen. Er war in jungen Jahren verstorben. Eine große Gemeinde begleitete ihn zur letzten Ruhe. Und als die Gemeinde sich dann vom Friedhof entfernte, da dachte wohl jeder: Wieder ein Leben, ein junges Leben abgeschlossen, den Blicken der Welt entschwunden. Aber es kam anders; denn nicht lange danach wurden Gebetserhörungen und Krankenheilungen berichtet, die auf die Fürbitte des verstorbenen Frater Andreas geschehen waren. Man begann sich mit seinem Leben zu beschäftigen, man las nach, was er gesagt, was er geschrieben hatte, man forschte nach seinen Briefen, und siehe da: Man stellte fest, dass sein Leben ein Leben heroischer Tugend gewesen war.
Das Beispiel spricht deutlich. Was wissen wir Menschen voneinander? Wie sieht es im Inneren der Menschen, die uns umgeben oder die fern von uns sind, aus? Wir wissen es nicht. Und ähnlich ist es auch mit der Weltgeschichte. Was wissen wir vom tieferen Sinn der Weltgeschichte? Aufstieg und Abstieg eines Volkes, Männer, die groß genannt werden, das alles ist uns im Letzten verborgen. Die Wahrheit ist uns nicht bekannt. Da muss uns ein Gedanke kommen, nämlich wenn einmal der Herrgott seine Weltgeschichte schreiben wird, was wird das für ein Buch werden? Und so ganz anders als die Bücher, die die Menschen schreiben; eine Geschichte der Seelen. Wie Kinder würden wir mit brennenden Wangen davorsitzen und mit zitternder Hand die Seiten umblättern. Mein Gott, wie ist doch deine Geschichte so wundersam tief! Und dann würden wir hinter manchem Namen den Zusatz „der Große“ streichen und würden vielleicht zu manchem schlichten Grab hinpilgern und sagen: Du Verstorbener, wie war doch dein Leben, wie war doch deine Seele so groß! Wie mag Gott die Weltgeschichte sehen?
Sprechen wir aber lieber von uns selber. Jeder von uns hat schon seinen Lebenslauf schreiben müssen: bei der Schulentlassung, bei einem Examen, bei der Bewerbung um eine Stelle. Wir haben da das Wichtigste, das uns als das Wichtigste schien, bemerkt und aufgezeichnet. Aber wie wird es sein, wenn der Herrgott einmal unseren Lebenslauf schreiben wird? Was wird er wohl herausheben? Wie wird er über unseren Lebenslauf urteilen? Eine wundersame Geschichte, ein Kampf zwischen Gott und dem Satan, zwischen Sünde und Gnade. Warum wissen wir so wenig von uns und von den anderen? Warum lässt uns Gott im Dunkeln? Weil der Herrgott sich einen Tag aufgespart hat, an dem er seine Geschichte schreiben wird; nicht nach Menschenart auf Papier, sondern in leuchtenden Farben in das Weltall hinein am Jüngsten Tage. Da wird er zerbrechen all die Werturteile, die sich Menschen zurechtgemacht haben, und wird seine Geschichte schreiben.
Wie haben wir uns das zu denken? Der Herr wird kommen, sichtbar kommen, umgeben von seinen Engeln und Heiligen, und alle Völker, die je gewesen, werden sich vor seinem Throne versammeln, und er wird die Menschen voneinander scheiden, wie man auf Erden die Böcke von den Schafen scheidet. Auf dem Areopag in Athen hat vor 2000 Jahren der Apostel Paulus ausgerufen: „Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die Welt in Gerechtigkeit richten wird durch einen Mann, den er dazu bestellt und beglaubigt hat, indem er ihn von den Toten auferweckte.“ Wir wissen, wer dieser Mann ist; es ist unser Heiland Jesus Christus. Wir dürfen uns sein Gericht nicht wie ein irdisches Prozeßverfahren denken. Auf Erden müssen wir sorgfältig die Beweise zu erheben versuchen, alles schön nacheinander. Nein, das Gericht, das Gott über uns hält, das verläuft blitzartig: in Blitzesgeschwindigkeit, mit Blitzesklarheit und mit Blitzeskraft. Eine göttliche Macht wird bewirken, dass uns in einem Nu, in einem Augenblick alle unsere Werke, gute und böse, vor das Gedächtnis treten und in wunderbarer Schnelligkeit überschaut werden. Dann werden Gottes Maßstäbe offenbar werden. Dann wird vielleicht ein Bauer höher stehen als ein Kirchenfürst und ein Kind höher als sein Erzieher, und ein Präsident wird vielleicht unter den letzten seiner Arbeiter stehen. Groß wird nur der sein, den Gott als groß ansieht. Ja, der Jüngste Tag wird einmal kommen. Er muss kommen. Er muss deswegen kommen, weil Gott sich einmal rechtfertigen wird vor blöden Menschenaugen, und alles Volk wird dann in die Knie sinken und sagen: Du bist der Allweise, du bist der Allgerechte.
Auf Erden, meine lieben Freunde, scheint es uns ja oft ungerecht zuzugehen. Wir begreifen nicht, wie Menschen emporgehoben werden, von denen wir allem Schein nach nicht sehr viel halten, und wie andere geduckt werden, die uns vorzüglich für eine Aufgabe geeignet scheinen. Auf Erden fordern die Menschen Gott in ihre Schranken: Warum hast du mich in diese Familie hineingestellt? Warum hast du meinen Lebensplan misslingen lassen? Warum hast du mir diese Stelle, die auf mich zugeschnitten gewesen wäre, nicht gegeben? Ja, wenn ich einen anderen Partner gehabt hätte, sagte mir einmal eine Ehefrau, da wäre mein Leben anders verlaufen. Am Jüngsten Tage werden alle Fragen beantwortet, alle Zweifel gelöst, alle Anklagen zum Schweigen gebracht. Dann wird Gott die Seelengeschichte aller, die heute über die Erde gehen, aufzeichnen, die Seelengeschichte derer, die sich weder um Gott noch um den Teufel scheren, für die Worte wie Unsterblichkeit und ewiges Leben längst abgetane Dinge sind, über die man lächelt. Und auch die Seelengeschichte der Missionare, die hinausziehen in eine Fremde mit dem Bewusstsein: Ich verzichte auf Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten, ich weiß, dass ich mit Malaria nach Hause kommen werde, aber ich gehe. Der Menschensohn wird einem jeglichen vergelten nach seinen Werken, und die Guten wie die Bösen werden bekennen müssen: Deine Urteile, o Herr, sind gerecht.
Gott wird die Seelengeschichte derer messen, deren ganzes Leben eine einzige große Sünde der Lüsternheit war, die imstande waren, ein Menschenleben für eine Stunde der Lust zu knicken. Lesen Sie einmal – oder lesen Sie besser nicht – die Biographie von Curd Jürgens! Und dagegen die jungfräulichen Segen, die hinter Klostermauern sich verbergen in unseren strengen Männer- und Frauenorden, um zu büßen und zu beten für andere. Der Menschen Werke und Gedanken kenne ich, spricht der Herr. Und Gott wird allen gerecht werden. Er wird jedem das Seine zuteilen, denn er kennt die Voraussetzungen und die Bedingungen, unter denen jeder sein Leben vollziehen musste. Er weiß um die Motive, er kennt die Beweggründe, unter denen die Menschen gehandelt haben. Er sieht das Ringen und das Verzweifeln. Und er wird die Seelengeschichte derer schreiben, die schon als Kinder in ihrer Seele vergiftet wurden, deren Leben ein einziger gewaltiger Schrei gegen ihre Verführer war. Und auch die Seelengeschichte derer, die gemächlich und bequem dahinleben, die zufrieden sind, wenn man sie einen guten Kerl nennt. Es ist zu wenig, wenn die Menschen das von uns sagen.
Er wird die verheirateten Frauen, die sich selbst verwirklichen wollten am Computer und deswegen auf Kinder verzichtet haben, fragen, wie sie über ihr Leben denken, und er wird sein Urteil bekannt geben. Er wird das Leben derer messen, die nicht geboren wurden, denen das Leben genommen wurde, ehe sie das Licht der Welt erblickten. Und daneben das Bild der Mütter, die acht oder zehn Kindern das Leben geschenkt haben, deren ganzes Leben nur Mühe und Arbeit war. Sie alle werden erhalten, was recht ist. Gott wird allen zuteilen, was sie verdient haben. Nach deinem Wandel, nach deinen Entschlüssen will ich dich richten. „Ich sah die Toten groß und klein vor dem Throne Gottes stehen“, heißt es in der Apokalypse, „und die Bücher wurden aufgetan, und sie wurden gerichtet nach ihren Werken.“
Und dann wird Gott auch die erblich Belasteten richten, die die Sünden ihrer Väter von Jugend an zu tragen hatten. Die Menschen wussten nicht, welche Last sie an Körper und Seele mit sich herumschleppen; sie haben sie als unbrauchbar beiseite geschoben. Gott aber kennt das schwere Erbe, das sie mit sich herumtrugen. Jetzt endlich – jetzt endlich! – beim Jüngsten Gericht wird ihnen Gerechtigkeit zuteil werden. Und Gott wird auch jenen Mann vor sein Gericht fordern, der ein Buch nach dem anderen unter die Menge wirft, gefeiert von allen Seiten, erhöht, wo immer es möglich ist, der bekannteste Theologe der Christenheit, den Schweizer Hans Küng. Mit seinen Büchern, in denen er die katholische Religion untergrub, hat er Millionen verdient. Sein Einfluß reicht bis in das letzte Dorf. Kein einziger Theologe ist so oft ausgezeichnet worden wie er. Was wird Gott zu ihm sagen? Wird er in das Loblied einstimmen, das die Massenmedien, aber auch die Freimaurer, über ihn anstimmen? Und dann die, die wir nach unserer armseligen Menschenkenntnis zu den Entgleisten rechnen, deren Leben uns oft so dunkel, so sinnlos und zwecklos erscheint. Gott wird auch dieses Leben entwirren. Er ist der Herr und Meister auch des Lebens dieser armen Menschen. Es ist ein feines Tuch gewebt, wo die Fäden für uns auf Erden durcheinander zu gehen scheinen, aber Gott wird sie ordnen und in ein Muster bringen, und wir werden erkennen: Es ist doch Plan und Ordnung in diesem Leben gewesen. So werden wir sprechen, wenn einst das Leben dieser Armen, die wir bedauert haben, im Lichte der Ewigkeit vor uns erscheinen wird.
Und dann, wie werden die vor Gott stehen, die wir heute als die Großen bezeichnen? Ich habe schon als Knabe das Urteil, das uns in der Schule unaufhörlich vorgesetzt wurde über König Friedrich II. von Preußen, nicht verstanden. Ich habe nie begriffen, dass man diesen Mann den „Großen“ nennen konnte, der ein rücksichtsloser Gewaltherrscher war, ungläubig bis da hinaus. Als am Karfreitag eines Jahres wieder die Runde im Schloß Sanssouci in Potsdam stattfand, da fragte er den frommen General Ziethen: „Nun, wie hat ihm das wahre Fleisch und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus geschmeckt?“ Offenkundiger Hohn über den Empfang des Abendmahls, das dieser fromme Mann empfangen hatte. Wie werden diese Großen, diese angeblich Großen im Gerichte Gottes bestehen können? Und diese gefeierten Philosophen, die heute in allen Schulbüchern stehen und von allen Studierenden verehrt werden? Wie wird Herr Martin Heidegger vor Gott erscheinen, der bekannt dafür war, dass er Studentinnen verführte? Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden wird, und nichts heimlich, was nicht gewusst wird.
Und wie wird es mit den Menschen sein, die nie mit sich fertig geworden sind, die ewig Suchenden und nie Findenden? Ich las einmal von einem bekannten Dichter, sein ganzes Leben war ein einziger Kampf mit sich selbst. Einmal interessierte er sich für Christus, dann für Buddha, später für Friedrich Nietzsche. Er selbst konnte sich nicht beherrschen, aber seinem Sohn sagte er: „Bleib keusch!“ In seiner letzten, furchtbaren Krankheit rang er mit Gott, aber das letzte Wort fand er nicht. Man hat ihn begraben, in seinen erstarrten Händen das Evangelium. Auf sein Grab hat man geschrieben: „Ave crux, spes unica“ – Sei gegrüßt, heiliges Kreuz, einzige Hoffnung! Wie wird diese Seele vor dem Gericht Gottes erscheinen? Wir wollen nicht urteilen, wir wollen nur die Frage stellen; denn diese Frage kommt uns ja, und wir wissen die Antwort nicht. Aber einmal kommt der Tag, an dem Gott sie beantworten wird. Dann wird alles offenbar werden, dann wird helles Licht werden, wo wir nur Dunkel sahen.
Warum spreche ich davon, meine lieben Freunde? Damit wir innehalten, wenigstens jetzt, wenigstens heute innehalten in dem Getriebe unserer Arbeit, unseres Berufes, damit wir nachdenklich werden und damit die Frage in unserer Seele zu brennen anfängt: „Sitzt der Richter dann, zu richten, wird sich das Verborg’ne lichten, nichts kann vor der Strafe flüchten.“ Es gibt doch, so hoffe ich, in einem Leben, in einem jeden Leben Stunden, in denen die Scham aufkommen möchte, dass wir nicht so ganz anders sind, viel edler, viel reiner, viel vollkommener. Und wir warten und warten. Worauf? Seite um Seite im Buch unseres Lebens füllt sich für immer, Tag für Tag. Warum haben wir uns auf Erden so viel gesorgt und gemüht? Waren es nicht oft Lappalien? Und worüber haben wir gelacht und gescherzt? Waren es nicht oft Lappalien? Und worüber haben wir geweint und getrauert? Waren es nicht oft Lappalien? Und unsere Seele? Herr Gott, an dem Tage, an dem die ganze Welt in Stücke geht, rette meine Seele!
Der Letzte Tag ist ein Tag der Abrechnung, aber nicht nur des Zornes, sondern auch des Lohnes. An diesem Tage wird nicht nur das Böse offenbar werden, sondern auch das Gute. Dann werden die vielen Stillen im Lande, die man geringschätzte, die man beiseite schon, von denen man nichts wissen wollte, sie werden dann auf die Aufforderung des Herrn ihr Haupt erheben. Wenn das alles geschieht, dann erhebet eure Häupter! Jetzt sollt ihr, die ihr im Urteil der Menschen klein gewesen wart, jetzt sollt ihr groß werden. Schaut auf, es naht eure Erlösung!
Amen.