30. September 2007
Von der Dankespflicht des Menschen gegen Gott
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die heutige Epistel beginnt, wie wir soeben gehört haben, mit einem Dankgebet des Apostels Paulus, und zwar dankt Paulus nicht für sich, sondern für andere, nicht für äußere Gaben, sondern für innere Gnaden. So stellt das Gebet einen Gipfelpunkt des Dankens dar, und es soll uns Anlaß sein, über das Danken und das Dankgebet nachzudenken.
Drei Merkwürdigkeiten fallen auf, nämlich erstens: Dankbarkeit ist selten. Am wenigsten dankt der Mensch Gott. Wir haben das Tischgebet und die Abendgebete, und sie sollen ja auch den Dank einschließen. Tun wir das auch? Sind unsere Tisch- und Abendgebete Dankgebete? Jedem Kind, das uns eine Blume reicht, sagen wir Dank. Auf jede Frage nach unserem Befinden antworten wir mit einem „Dankeschön“. Den großen Wohltaten Gottes gegenüber aber sind wir stumm. Man klagt heute viel über Undank. Wenn man mit besitzenden Leuten spricht, so kann man hören bezüglich der Wohlfahrtspflege: „Lassen Sie doch den Unsinn. Die Menschen verlernen ja ganz das Danken, wenn man ihnen alles in den Rachen wirft. Man zahlt die Steuern, und kein Mensch dankt dafür.“ Da möchte man sagen: Ja, die Leute behandeln die Wohlhabenden so, wie diese den Herrgott behandeln.
Eine zweite Merkwürdigkeit besteht darin, dass gerade für die größten Wohltaten dem Herrgott am wenigsten Dank gesagt wird. Man kann sagen: Je größer die Wohltat, desto seltener der Dank. Wenn der Kranke auf seinem Lager liegt, und sein Zustand bessert sich, dann spricht er ein kurzes Dankgebet. Aber hat er denn vorher, in den Zeiten der Gesundheit und der Frische, gedankt? Je größer die Wohltat, um so seltener der Dank. Für Speise und Trank sagen wir Gott Dank; aber für das ewige Leben, das uns Christus mit seinem Blute erkauft hat, danken wir selten oder gar nicht. Für die Kirche, für die Sakramente, für die Gottesdienste, für alles das müssten wir Gott Dank sagen.
Eine dritte Merkwürdigkeit besteht darin, dass gerade die Frommen so wenig danken. Ein Schriftsteller hat einmal geschrieben: „Undank ist der Fehler der frommen Leute.“ Woran mag das liegen? Vielleicht daran, dass sie von Gott mit Gnaden überschüttet werden, und deswegen haben sie ein so kurzes Gedächtnis für die Gaben Gottes. Besonders auffällig ist, dass sie dort, wo sie danken müssten, oft tun, als ob der Herrgott ihnen danken müsste. Wenn sie die heilige Messe besuchen, wenn sie die heilige Kommunion empfangen, wenn sie zum Bußsakrament gehen, dann spricht man vielleicht eine kurze Danksagung, aber mancher hat das Bewusstsein: Der Herrgott kann eigentlich ganz zufrieden sein mit mir. Man erwartet beinahe, dass Gott sich erkenntlich zeigt für das, was man tut.
Woher kommt dieses merkwürdige Verhalten der Menschen Gott gegenüber? Ich glaube, der Grund ist die irrige Ansicht, Gott liegt nichts an unserem Dank, Gott hat nichts davon. Ist das wahr? Meine lieben Freunde, der Dank ist der wesensgemäße Ausdruck der Abhängigkeit. Der Dank ist die wesensgemäße Antwort auf die Abhängigkeit. Wer empfängt, darf nicht stumm bleiben. Wer empfängt, muss den Geber und die Gabe anerkennen. Wer gibt, hat Anspruch auf Bestätigung seiner Gabe. Das gilt auch gegenüber Gott. Der Gott, der uns das Leben, die Gesundheit, der uns den Frieden, der uns die Gaben des Feldes gibt, hat Anspruch auf unseren Dank. Dass Gott den Dank will, zeigt uns eine Begebenheit aus dem Leben Jesu. Da waren zehn aussätzige Männer, getrennt von ihrer Familie, von ihrer Frau, von ihren Kindern. Sie hausten nicht im Ort, sondern vor dem Orte in Höhlen oder kümmerlichen Hütten. Kein Lichtstrahl erhellte ihre Dunkelheit. Nur eine einzige Hoffnung hatten sie, nämlich der Rabbi Jesus. Er ist der Wundertäter, er kann helfen. Und als sie ihm begegnen, da rufen sie von ferne – denn sie dürfen ja nicht nahe herankommen zu den Menschen – da rufen sie von ferne: „Jesus, Meister, erbarme dich unser!“ Und Christus hört sie und gibt ihnen die Antwort: „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“ Warum denn den Priestern? Weil die Priester eben für die Gesundheitspflege verantwortlich waren. Die Priester konnten und mussten die Genesung feststellen, deswegen: „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“ Und während sie hingingen, wurden sie rein. Alle. Zehn Männer wurden von ihrem Aussatz befreit. Eine maßlose Freude mag sie erfüllt haben und eine Ergriffenheit gegenüber dem Wundertäter. Aber nur einer eilte zurück, so schnell er konnte, und bedankte sich bei Jesus. Er fiel zu Boden und dankte und dankte und dankte. Die Schrift führt an, dass er ein Samariter war, also einer von dem bei den Juden verachteten Volk der Samaritaner. Nun kommen im Evangelium nach Lukas zwei Verse, die uns einen tiefen Blick tun lassen in das Fühlen Jesu. Jesus sieht den Mann und sagt: „Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind denn die anderen neun?“ Er hat also mit höchster Verwunderung gesehen, dass von zehn Geheilten nur einer dem Wundertäter dankte. „Wo sind denn die anderen neun?“ Also hat er erwartet, dass sie kommen und sich bedanken. In seiner Seele war ein stilles, vornehmes Warten, dass sie kommen würden. Und noch einmal öffnet er seinen Mund, und schmerzlich kommt es aus seinem Herzen: „Hat sich denn keiner gefunden, der Gott die Ehre gäbe, als diese Fremdling?“ Da klingt das ganze Leid der Heilandsseele über die Undankbarkeit der Menschen heraus. Hat sich denn keiner gefunden von zehn als einer, der Gott die Ehre gäbe, als dieser Fremdling?
Diese Verse zeigen uns mit erschütterndem Ernst: Christus, Gott will den Dank. Es ist Gott nicht gleichgültig, ob wir seine Wohltaten anerkennen. Er liebt die Demut, die in Ehrfurcht dankt. Er liebt die Liebe, die in Dankbarkeit sich verströmt. Er will angebetet sein als Geber alles Guten. Er hat ein Recht darauf. Und wenn es heute eine pädagogische Richtung gibt, die sagt, man soll nicht danken, weil man sich damit erniedrigt, so sagen wir, und so sagen wir mit Christus: Du sollst danken. Dank ist Demut. Dank ist Liebe. Dank ist Freude. Es wäre viel mehr Freude in der Welt, wenn mehr gedankt würde.
Nun, wir werden die Welt nicht umwandeln, aber uns selbst können wir wandeln. Uns selbst können wir ändern und anders werden. Zwei Gedanken sollten wir, meine lieben Freunde, heute mit nach Hause nehmen, erstens: Du sollst so lange danken, wie du um eine Gabe gebeten hast. Also nicht bloß ein flüchtiges Dankgebet, sondern du sollst so lange danken, wie du um eine Gabe gebeten hast. Das ist nicht übertrieben; das ist Selbsterziehung zur Dankbarkeit. Und zweitens: Danken wir Gott auch für das Leid! Ja, das klingt merkwürdig, dass man sich bei Gott bedankt für die Schmerzen, für die Kümmernisse, für die Leiden, die über einen kommen. Ja, auch das sind Wohltaten Gottes. „Trifft dich ein Schmerz, so halte still und frag dich, was er von dir will. Der liebe Gott, er schickt dir keinen nur darum, dass du solltest weinen.“ Also: Wir sollen nicht bitten um das Leid, das ist zu schwer für uns. Aber wir sollen danken für das Leid. Fangen wir mit Kleinigkeiten an, wir werden einmal spüren, wieviel Freude das in uns gibt.
In Paris lebte einmal ein frommer Priester, der Ratgeber sogar des Papstes war, der Abbé Sigur. Dieser Priester war ein begnadeter Schriftsteller, ein großer Gelehrter. Aber auf einmal stellte sich ein Augenleiden ein, und er erblindete. Er wurde vollständig blind. Aber jetzt zeigte sich seine große Seele. Er setzte seine Arbeit fort, soweit es ihm möglich war. Nur einen Kummer hatte er, dass er so selten zum Allerheiligsten gehen konnte. Der Papst gestattete ihm, das Allerheiligste in seiner Wohnung aufzubewahren. Jetzt war er ganz zufrieden, und später sagte er: „Ich danke Gott für drei Gnaden: 1. dass ich Priester geworden bin, 2. dass ich das Allerheiligste in meiner Wohnung bewahren darf, und 3. dass ich erblindet bin.“ Der Herr möge uns bewahren, dass wir das Augenlicht verlieren. Aber dieser Priester hat sogar für den Verlust des Augenlichtes gedankt.
Wir danken kaum für die größten Wohltaten. Wir leben in Gesundheit und haben kein Dankeschön für unseren Herrgott. Wie Blumen streut er die Wohltaten auf unseren Weg. Muss das so sein? Keineswegs. Wir sollen, wir müssen danken Gott für alle Gaben, Gnaden und Wohltaten. Schon am Morgen, meine lieben Freunde, sollen wir sprechen: Ich danke dir für diesen Tag, dass ich aufstehen kann, dass ich meine Arbeit verrichten kann, dass ich mein Werk tun kann. Am Abend sollen wir danken, dass der Tag bewältigt worden ist mit seinen vielen Aufgaben und vielen Lasten. In der heiligen Messe beten wir jedes Mal: „Lasset uns Dank sagen dem Herrn, unserem Gott“, und die Messe heißt ja Eucharistie, das heißt Danksagung. Sie ist tatsächlich Danksagung für die Wohltaten Gottes, vor allem für das, was er in Christus Jesus zu unserem Heile getan hat. Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott, denn das ist würdig und recht.
Amen.