15. April 2007
Der Friede des Herrn
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Noch immer befinden wir uns in der österlichen Zeit. Ja, das Evangelium des heutigen Tages führt uns in den Ostertag, in den Ostersonntag. Denn am Abend dieses Ostersonntags waren die Jünger im Saal, wie es heißt, im Abendmahlssaal zu Jerusalem versammelt, die Türen verschlossen aus Furcht vor den Juden. Ängstlich lauschten sie wahrscheinlich auf das Geräusch in der Straße. Sie waren noch vom Entsetzen erfüllt über das, was sich zugetragen hatte am Karfreitag. Und doch keimte eine leise Hoffnung in ihnen. Die Frauen berichteten, dass das Grab leer sei, und ein Bote vom Himmel habe ihnen verkündigt, dass Jesus auferstanden sei. Es keimte also wieder eine leise Hoffnung in ihnen.
Freilich, sie hatten keine Gewissheit. Und das ist es immer, was wir brauchen, meine Freunde: wir brauchen Gewissheit. Wir dürfen nicht in der Ungewissheit, im Zweifel, in der Unsicherheit bleiben; wir brauchen Gewissheit über unseren Glauben, und wir brauchen Gewissheit über die wahrhafte Auferstehung des Herrn secundum carnem (nach dem Fleische). Und diese Gewissheit wurde den Jüngern zuteil. Bei verschlossenen Türen stand Jesus plötzlich unter ihnen. Da erhebt sich wieder ein neues Problem. Wenn einer bei verschlossenen Türen hereinkommt, so meint man, dann kann das nur ein Geist sein oder ein Gespenst. Aber nein, der Herr weist diese Vermutung ab. Damit die Jünger gewiß werden, dass er nicht ein Gespenst ist oder ein Geist, lässt er sie die Wirklichkeit seines Leibes spüren. Er lässt die Zeichen seines Leidens vor ihnen aufleuchten, seine Wunden. Der Jünger darf die Hand in seine Seitenwunde legen und die Finger in die Stelle, wo die Nägel die Hände durchtrieben haben. Meine lieben Freunde, das ist das Wunderbare, das Beruhigende, das Gewißmachende der Auferstehung Jesu, dass er einen Leib besitzt, aber dass dieser Leib in verklärter Gestalt vor uns steht. Es ist kein Leib, wie wir ihn tragen. Es ist ein Leib anderer Art, ein Leib himmlischer Art. Und so muss es ja sein.
Der heilige Gregor der Große hat einmal das schöne Wort gesagt: „Wenn das göttliche Wirken mit dem Verstand begriffen wird, ist es nicht wunderbar.“ So muss es sein; denn wenn wir es begreifen könnten, wenn wir es mit dem Verstand erfassen könnten, dann könnten wir es gewissermaßen nachmachen; wir sind ja experimentierfreudig. Aber nein, ein wahrer Leib und doch in einer anderen Gestalt steht vor den Jüngern. So bezeugt der Herr zwei Dinge: die Realität seiner Auferstehung und die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten. Die Realität, die Wirklichkeit der Auferstehung und die Identität, die Gleichwesentlichkeit des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten.
Und dann spricht der Herr. Er redet zu ihnen: „Friede mit euch!“ Wir fügen gern das Wörtchen ein: „sei“ mit euch. Ich halte diese Einfügung für unglücklich. Warum? Es handelt sich ja hier nicht um den Friedensgruß, wie er im Orient üblich war und vielleicht noch ist. Nein, wenn der Herr sagt: „Friede mit euch!“, dann spricht er nicht nur einen Wunsch aus, sondern dann spendet er den Frieden, dann gibt er, was er verheißt. Es ist eine Gabe. Das ist viel mehr als ein bloßer Wunsch. Er gibt den Frieden, den er erkämpft und erlitten hat mit seinem Leiden und seinem Auferstehen.
Der Mensch in der Gottesferne ist der friedlose Mensch. Wenn Sie heute die Staatsmänner und die Politiker fragen: Warum so viel Unfriede in Afghanistan und im Irak und wer weiß noch wo überall? Ja, meine lieben Freunde, weil der Friede Gottes nicht in den Menschen ist; weil sie nicht den Frieden Gottes in sich tragen. Deswegen die Friedlosigkeit, denn die Gottesferne ist Friedlosigkeit! Und wenn man die Gottesferne behebt, behebt man auch die Friedlosigkeit. Und ohne die Behebung der Gottesferne gibt es keine Behebung der Friedlosigkeit. Das ist es, was der Herr den Seinen gibt: Er rechtfertigt sie, er gibt ihnen die Gnade und damit auch den Frieden. „Friede mit euch!“ Das ist die Gabe des Herrn.
Das zweite, was der Herr ihnen gibt, ist seine Sendung. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Dutzendemale hat sich der Herr als der Gesandte des Vaters bezeichnet. Der Vater hat ihn vom Himmel herabgesandt, um die Menschen zu erlösen. Er ist wahrhaftig der Gesandte Gottes. Aber diese Gesandtschaft, diese Fähigkeit, Gott zu vertreten, vermittelt er jetzt auch den Jüngern. Er gibt ihnen seine Sendung. Er gibt ihnen einen Auftrag, nämlich den Auftrag, das Werk fortzusetzen, das er begonnen hat. Das Werk Christi ist nicht zu Ende. Es muss zu Ende geführt werden durch Menschen, die die göttliche Offenbarung verkünden und das Heil zu den Menschen tragen. Deswegen: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Das ist die Sendung, die wir katholischen Priester heute noch in uns tragen. Das ist das Glück unseres Berufes, meine lieben Freunde. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“
Und das dritte, was der Herr ihnen gibt, ist der Heilige Geist. Er verleiht ihnen den Heiligen Geist, den er ihnen ja in den Abschiedsreden verheißen hatte. Der Heilige Geist wird ihnen verliehen zur Ausrüstung für den Dienst, den sie nach Gottes Willen leisten sollen. Sie erhalten die Gewalt der Sündenvergebung. Ich habe noch gestern in einem protestantischen Kommentar zum Neuen Testament nachgelesen, wie ein Protestant diese Stelle erklärt. Er schreibt tatsächlich: „Hier wird die Vollmacht zur Sündenvergebung übertragen.“ So ist es. Jesus gibt den Jüngern die Gewalt zu binden und zu lösen. Binden heißt in der Sünde belassen; Lösen heißt von der Sünde befreien. Also die Gewalt ist eine doppelte, und bis zur Stunde verwalten wir katholische Priester diese doppelte Gewalt zu binden und zu lösen. Wenn wir feststellen, dass jemand keine Reue oder keinen Vorsatz hat, dann müssen wir binden, d.h. die Sünden belassen. Wenn einer dagegen bereit ist, seine Sünden zu bereuen, und wenn er den Vorsatz hat und sie aufrichtig bekennt, dann dürfen wir lösen, dann dürfen wir das erlösende Wort sprechen: „Absolvo te – ich spreche dich los von deinen Sünden.“
Dadurch, dass Jesus eine doppelte Gewalt gibt, zeigt er, dass die Gewalt der Sündenvergebung nicht unterschiedslos gebraucht werden darf. Es muß eine Abwägung, eine Würdigung erfolgen, um loszusprechen oder die Lossprechung zu versagen. Das ist die Geburtsstunde des Bekenntnisses. Die Priester können eben ihre Gewalt nicht ausüben, wenn der Pönitent stumm ist, wenn er also seine Sünden nicht oder nicht vollständig bekennt. Das ist die Geburtsstunde des Bekenntnisses der Sünden im Bußsakrament.
Das ist ein weiterer Stein im Gebäude des katholischen Priestertums: die Vollmacht zur Vergebung der Sünden. Im Abendmahlssaal hatte der Herr ihnen die Vollmacht gegeben, das Opfer zu vollziehen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Jetzt gibt er ihnen die Vollmacht, Sünden zu vergeben. Das ist das Ostergeschenk des Heilandes, die Vollmacht zur Sündenvergebung. In die Hände der Apostel legt er die Vollfrucht seines Leidens und Sterbens, die göttliche Macht, jede einzelne Menschenseele immer wieder aufs neue von Schuld und Sünde zu befreien, sooft sie in Reue Entsühnung sucht.
O meine Freunde, es gibt Menschen, die das Bußsakrament eine veraltete, eine überlebte Einrichtung nennen. Wie wenig wissen sie vom Wesen dieses Sakramentes! Solange es einen Sünder gibt, und solange es einen erbarmenden Gott gibt, solange ist dieses Sakrament modern. Immer, wenn der allheilige Gott sich in Liebe niederneigt zur schuldvollen Kreatur, dann ist diese Liebe Erbarmen. Und immer wenn eine Menschenseele im Bewußtsein ihrer Schuld sehnend emporstrebt zu Gott, dann ist diese Liebe Reue. Beide aber, göttliche Barmherzigkeit und menschliche Reue, treffen und vereinigen sich im Bußgericht. Die Kirche hat ein Kirchengebot gegeben, nämlich dass man wenigstens einmal im Jahre, und zwar zur österlichen Zeit, seine Sünden bekennen und bereuen muss. Das ist eine Pflicht, eine unerlässliche Pflicht, ein Minimum für jeden Katholiken. Aber ist es denn richtig, wenn wir sagen: Wir müssen das Bußsakrament empfangen? Sollten wir nicht sagen: Wir dürfen es empfangen? Ist es nicht ein Glück, ein unaussprechliches Glück, seine Sünden bekennen zu dürfen und das Wort zu hören: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“?
Ja, meine lieben Freunde, das ist etwas unsagbar Großes und Beglückendes, was uns der Herr an seinem Auferstehungstage vermacht hat, dass wir die Versöhnung mit Gott nicht nur innerlich glauben können – wie der Protestant. Der Protestant kann ja auch durch Reue von Sünden befreit werden. Aber er hat eben nicht die Gewissheit, die wir haben, wenn wir hören: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“ Uns wird auch äußerlich die Gewißheit gegeben, dass wir entsühnt sind, dass wir von Sünden befreit sind. Es ist das ein Recht, nicht bloß eine Pflicht, dass wir das Bußsakrament empfangen dürfen. Wenn die Beichtstühle reden könnten, meine lieben Freunde, dann würden sie sagen, dass über jedem Beichtstuhl der Ostergruß des Auferstandenen steht, nämlich „Friede mit euch“.
Immer wieder hat es Menschen gegeben, die am Bußsakrament gerüttelt haben. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern können: Der Erzbischof von München und Freising, Herr Döpfner, schaffte für eine geraume Zeit die Erstbeicht vor der Erstkommunion ab. Er ließ die Kinder zur Erstkommunion führen, ohne dass sie zur Erstbeicht waren. Dieser Unsinn hat sich jahrelang durchgehalten. Da sehen Sie, dass das Unheil auch von oben kommt, nicht nur von unten. Nein, meine lieben Freunde, heute ist Weißer Sonntag. Heute schreiten Hunderte und Tausende unserer Kinder zum ersten Mal zum Tische des Herrn, Kinder, die durch das Bußsakrament von Schuld befreit sind, wahrscheinlich nur von lässlicher Sünde. Kaum eines der Kinder wird eine schwere Schuld auf sich geladen haben. Aber man muss auch mit den lässlichen Sünden Abrechnung halten, damit man nicht großzügig wird mit den schweren Sünden.
Wir gedenken an unsere Erstbeicht und Erstkommunion, unsere einstige Kindesunschuld. Ach, meine lieben Freunde, wenn ich zurückdenke an meine ersten Priesterjahre 1951/52. Was haben wir uns für Mühe gegeben, nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie, die Eltern, die Geschwister, die Verwandtschaft zum Bußsakrament zu führen, damit sie alle entsühnt und geheiligt mit den Kindern zum Tisch des Herrn gehen konnten. Das hat alles aufgehört. Ich habe gestern im Beichtstuhl gesessen, aber ich habe nicht eine einzige Beicht von Eltern gehört, die ihre Kinder heute zur Erstkommunion führen. Ich gehe mit Schrecken und Entsetzen aus dem Beichtstuhl.
Das Bußsakrament ist nur von dem zu spenden, und das will ich noch für diejenigen sagen, die in Heroldsbach waren, das Bußsakrament ist nur von dem zu spenden, der Weihegewalt und Jurisdiktionsgewalt besitzt. Man braucht zwei Gewalten, um Beicht hören zu können, Weihegewalt und Hirtengewalt. Die Weihegewalt ist unverlierbar, weil die Weihe unverlierbar ist. Aber die Hirtengewalt kann entzogen werden. Nun haben Sie ja gehört in Heroldsbach, dass dort einem Priester die Beichtgewalt entzogen worden ist. Dafür gilt folgendes: Der Bischof, in dessen Diözese ein Priester eingegliedert ist, kann diesem Priester die Beichtgewalt entziehen. Dann hat er keine Beichtgewalt mehr, dann hat er nirgends mehr Beichtgewalt. Aber ein anderer Bischof kann in seiner Diözese diesem Priester wieder Beichtgewalt geben. Die Beichtgewalt des Bischofs reicht eben nicht weiter als bis an die Grenzen seiner Diözese. Wenn einer die Beichtgewalt entzogen hat, kann ein anderer Bischof sie wieder geben. Das ist also die Rechtslage über die Beichtgewalt.
Nun, meine lieben Freunde, heute, ich erinnere noch einmal daran, ist Erstkommuniontag. Unsere Kleinen schreiten zum Tisch des Herrn, und wir begleiten sie mit unseren Gebeten. Die Kinder sind unsere Hoffnung, aber auch unsere Sorge. Werden sie dem, was sie heute empfangen, treu bleiben? Werden sie das Pfand, das in ihre Seele gelegt wird, auch schätzen? Wie wird es in ein, zwei, drei Jahren sein? Werden sie den Sonntagsgottesdienst besuchen? Werden sie das Geschenk des Bußsakramentes auch weiterhin empfangen? Das alles sind Fragen, die uns bewegen und die wir nur Gott vortragen können, damit er sie löst. Es sollen die Kinder in der Freude des Herrn verharren, auch in der Freude über das Ostergeschenk des Herrn, nämlich über das Bußsakrament. In aeternum cantabo misericordias Domini – in Ewigkeit will ich die Erbarmungen des Herrn preisen!
Amen.