11. März 2007
Die Läuterung der Seele im Fegefeuer
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
An jedem Allerseelentage stehen in der ganzen katholischen Kirche die Priester am Altare und flehen im Messopfer für die Seelenruhe der Verstorbenen. Auch beim Tod eines jeden einzelnen Gläubigen feiert der Priester das Requiem, wo er um die Seelenruhe des Verstorbenen fleht. Oft und oft gehen wir auf die Friedhöfe und beten für unsere Verstorbenen. Hat das alles einen Sinn? Oder ist es so, wie der protestantische Reformator Calvin in Genf gesagt und gehandelt hat? Als er eine Frau fand, die am Grabe ihres Sohnes betete, da ließ er sie auspeitschen, weil das Aberglaube sei. Folgen wir einem Aberglauben oder handeln wir nach dem Glauben?
Es gibt auf der ganzen Erde kein einziges Volk, das nicht davon überzeugt wäre, dass es ein Leben nach dem Tode gibt. Jedes bisher festgestellte Volk hat eine Jenseitsvorstellung. Die Menschen sind davon überzeugt, dass es nach dem Tode ein Gericht gibt und eine Vergeltung, und viele, sehr viele, sind auch der Meinung, dass es einen Reinigungszustand gibt für die, die gestorben sind und noch nicht geeignet sind, in die Herrlichkeit Gottes einzugehen. Viele von Ihnen kennen den Philosophen Seneca. Er war der Erzieher des Kaisers Nero und wurde dann von ihm zum Selbstmord, zur Selbsttötung, genötigt. Seneca, der im Jahre 65 n. Chr. gestorben ist, schrieb, bevor er gezwungen wurde, sich selbst zu töten, an seine Mutter: „Tröste dich über deinen Sohn, wenn er heimgegangen ist. Seine Seele lebt; nichts lässt sie der Erde zurück. Sie scheidet und geht davon. Eine kurze Frist noch muss sie verweilen, bis sie gereinigt ist, bis sie die ihr anhaftenden Makel und die Armseligkeiten dieser ganzen hinfälligen Welt abgestreift hat. Dann schwingt sie sich auf zum Himmel und eilt zum Reigen der seligen Geister.“ Das hat nicht ein Christ geschrieben, das hat nicht ein katholischer Christ geschrieben, das schreibt der Heide Seneca im Jahre 65 n. Chr. an seine Mutter. Er hat geahnt, was wir wissen, nämlich dass es nach dem Tode einen Reinigungszustand gibt. Er ist uns schon im Alten Testament bezeugt, allerdings in einem Buche des Alten Testamentes, das die Protestanten nicht anerkennen, im 2. Makkabäerbuch. Wenn mir einer sagt: Wir Katholiken und die Protestanten haben dieselbe Bibel, dann sage ich: Das stimmt nicht. Wir haben nicht dieselbe Bibel. Der Protestant verwirft eine ganze Reihe von Büchern, die die katholische Kirche als kanonisch anerkennt. In diesem 2. Makkabäerbuche wird uns folgendes berichtet. Es hatte eine Schlacht stattgefunden, und es waren viele Juden gefallen. Man fand bei ihnen Götzenbilder. Sie hatten sich also den Götzen in ihrem Kampfe anvertraut. Das entsetzte den Führer der Juden, nämlich den Judas Makkabäus, und er ließ eine große Menge Silber sammeln und nach Jerusalem schicken, damit dort ein Opfer dargebracht würde für die Verstorbenen. Und die Heilige Schrift kommentiert dieses Opfer mit dem Satz: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.“ Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden. Hier ist das Fegefeuer, hier ist der Reinigungszustand bezeugt. Denn gäbe es nur den Himmel oder die Hölle und kein Fegefeuer, dann wäre es kein heilsamer und heiliger Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, sondern ein törichter und sinnloser Gedanke. Entweder sind sie nämlich im Himmel, dann brauchen sie kein Gebet; oder sie sind in der Hölle, dann nützt ihnen kein Gebet. So aber gibt es einen Reinigungszustand, wo die Seelen durch Bußleiden, aber auch durch Opfer und Gebete der Überlebenden, der Mitmenschen, vollends gereinigt werden.
Im Neuen Testament ist diese Wahrheit ebenso bezeugt. Christus brauchte nicht viel davon zu sprechen, denn sie war Allgemeingut seiner Zuhörer. Und doch spricht er zu ihnen von Sünden, die „weder in dieser noch in jener Welt vergeben werden“. Sünden, die weder in dieser, also der irdischen, noch in jener, in der jenseitigen Welt, vergeben werden. Es muss also Sünden geben, die erst in der jenseitigen Welt vergeben werden. Solche Sünden gibt es. Unser Heiland rät uns freilich, dass wir sie nach Möglichkeit vermeiden sollen. Wir sollen auf Erden Frieden schließen, wenn wir mit jemandem im Unfrieden sind. Wenn wir nicht Frieden schließen, dann kommen wir in den Kerker, „und wahrlich, du kommst nicht heraus, bis du den letzten Heller bezahlt hast“. Das ist wiederum ein klares Zeugnis für die Buße im Reinigungszustand des jenseitigen Lebens.
Paulus spricht davon in seinem 1. Brief an die Korinther. Da sagt er, dass das Werk eines jeden Menschen wie durch Feuer geprüft wird. Das Werk verbrennt, aber der Mensch selbst wird gerettet, aber nur „wie durch Feuer“. Nur wie durch Feuer wird er gerettet; und daher kommt auch die Bezeichnung des Reinigungszustandes als Fegefeuer.
Die Heilige Schrift bezeugt uns das Fegefeuer. Es ist aber auch eine Forderung der Vernunft. Wir alle wissen: Wie viele Menschen sterben in einem Zustand, in dem sie nicht reif für den Himmel sind, aber auch nicht notwendig in die Hölle geworfen werden müssen. Sie verdienen es nicht, in den Himmel einzugehen, aber sie müssen auch nicht in die Hölle verdammt werden. Wir selber wissen von uns, wie viele kleine Sünden und ungebüßte Sündenstrafen auf uns liegen. Der gerechte Gott wird niemanden verdammen, der die Verdammung nicht verdient. Er wird aber auch niemanden in den Himmel hineinnehmen, der nicht ganz makellos ist. Denn wie sagt es der Apostel Johannes in der Offenbarung: „Nichts Unreines kann in den Himmel eingehen.“ So ruft unser Verstand nach einem Zustand, in dem eine letzte, eine endgültige Reinigung erfolgt. Wir nennen ihn das Fegefeuer.
Die Kirche hat in ihrer Lehrverkündigung immer an dieser Wahrheit festgehalten. Die Kirchenlehrer Cyprian, Augustinus, Ambrosius, Thomas von Aquin haben diese Wahrheit gelehrt. Die Kirche hat sie in ihrer täglichen Lehrverkündigung gepredigt, und sie hat sie auch in feierlichen Lehrsprüchen uns vorgelegt. Im Jahre 1439 fand in Florenz ein Konzil statt. Auf diesem Konzil wollten sich die Ostchristen, die getrennten Ostchristen, mit der katholischen, mit der römischen Kirche vereinigen. Sie mussten dabei ein Glaubensbekenntnis unterzeichnen, in dem folgender Satz stand: „Die Seelen, die mit wahrer Reue in der Liebe Gottes dahinscheiden, bevor sie durch würdige Früchte der Buße für ihre Taten und Unterlassungen Sühne geleistet haben, werden durch die Bußen des Reinigungsortes nach dem Tode gereinigt.“ Das ist das Glaubensbekenntnis für die Armenier aus dem Jahre 1439, vorgelegt auf dem Konzil von Florenz. Wir können noch andere Lehrverkündigungen der Kirche nennen. Bereits auf dem Konzil von Lyon 1274 wurde dieselbe Wahrheit vorgelegt, und natürlich erst recht auf dem Konzil von Trient gegen die Glaubensneuerer.
Die Wahrheit von dem Reinigungszustand ist durch das allgemeine Lehramt der Kirche zu einem Dogma, zu einem Glaubenssatz geworden. Ein Glaubenssatz bedeutet: Er enthält eine Wahrheit, die in der Glaubenshinterlage, also in der Heiligen Schrift oder in der Tradition, enthalten ist und die von der Kirche unfehlbar vorgelegt wird. Es existiert ein Reinigungszustand. Das ist das erste, was wir uns heute merken wollen.
Das zweite: Er hat eine bestimmte Aufgabe. Welches ist die Aufgabe des Reinigungszustandes? Natürlich erstens zu reinigen. Der Reinigungszustand ist reinigend. Er will durch Bußleiden alle Sünden und Strafen wegnehmen, und zwar bei den Menschen, die in der Gnade Gottes abgeschieden sind. Die wenigsten Menschen sind beim Sterben so rein, dass auch kein kleiner Makel sie befleckt und dass sie alle verdienten Strafen vollständig abgebüßt haben. Das wissen wir von uns selber. Wir fallen siebenmal des Tages. Wir entdecken, dass sich der Staub der Straße uns anlegt; wir stellen fest, dass wir in vielen Dingen fehlen. Wenn wir auch durch die abendliche Reue und durch den Empfang des Bußsakramentes die Fehler austilgen, wie viele kleine Dinge bleiben vergessen und unbereut! Und vor allem, wir hängen an vielen dieser Fehler und Makeln, wir hängen an ihnen. Das muss ja auch ausgetilgt werden. Unsere Seele muss ganz rein sein, wenn sie in den Himmel eingehen will. Es bleibt die Pflicht der Wiedergutmachung und Sühne. Und alle diese Aufgaben vollzieht das Fegefeuer, alle diese Schwächen werden im Reinigungszustand getilgt. Wenn wir sterben, werden wir sagen müssen: O Herr, ich bin nicht würdig. Wir werden glücklich sein, wenn wir in den Reinigungszustand eintreten dürfen.
Aber er ist freilich schmerzlich. Er heißt nicht umsonst im Volksbrauch Fegefeuer. Die Reinigung ist schmerzlich. Warum? Die im Reinigungszustand Befindlichen haben eine unbändige Sehnsucht nach Gott. Alles schreit nach ihm, alles ruft in ihnen nach Gott. Die Sehnsucht drängt sie, das Heimweh ruft in ihnen, und sie können nicht zu Gott. Das ist ihr großer Schmerz; das ist ihre Qual, dass das, was sie mit allen Fasern ihrer Seele ersehnen, noch nicht verwirklicht werden kann- und das aus eigener Schuld! Das ist der Grund, warum der Reinigungszustand so schmerzlich ist. Sie können nichts mehr für sich tun; die können nur leiden, aber tun für sich selbst können sie nichts mehr. Die Zeit ist vorbei, und deswegen muss aus ihrer Seele alles herausgebrannt werden, was schlecht und erbärmlich ist. Es müssen alle Strafen abgebüßt werden, bis die letzte abgebüßt ist. Das Fegefeuer ist natürlich kein irdisches Feuer, denn es handelt sich ja nur um die Seele. Ein Feuer kann nur Körper verbrennen. Aber der Schmerz ist so wie ein Feuer, so schmerzhaft wie ein Feuer, und deswegen heißt dieser Zustand mit Recht Fegefeuer.
Dennoch ist dieser Zustand auch tröstlich, denn, meine lieben Freunde, die Armen Seelen wissen: Sie haben überwunden. Sie haben das Ziel erreicht, sie haben es besser als wir, denn sie können nicht mehr sündigen. Sie können Gott nicht mehr verlieren; sie sind glücklicher als wir, weil sie wissen: Gott ist unser, wir haben den Sieg errungen! Der Himmel ist ihnen unverlierbar sicher. Wenn ich bildlich sprechen darf: Im Fegefeuer gibt es nur eine einzige Tür, und diese einzige Tür führt in den Himmel. Sie haben die Gesellschaft der anderen, die ebenso wie sie gewiß sind, dass sie gerettet sind, dass sie überstanden haben. Und deswegen werden sie auch sehr trostreich sein. Der Reinigungszustand bereitet ihnen Trost.
Und noch einen anderen Trost haben sie: Für sich selbst können sie nichts mehr tun, aber für uns, für die Zurückgebliebenen, können sie etwas tun, sie können für uns beten. Wie glücklich dürfen wir sein, wenn wir Anwälte in der Ewigkeit haben, die für uns beten, die ihre Fürbitte zu Gott richten um unseretwillen, wenn sie für uns, ihre Angehörigen, für ihre Heimat, für die Kirche, für die ganze Welt zu Gott flehen. Das ist ein Trost. So ist also der Reinigungszustand gewiß schmerzlich, aber er ist auch tröstlich.
Die Lehre vom Fegefeuer, vom Reinigungszustand, enthält ernste Mahnungen an uns, nämlich erstens die Mahnung, an die Gerechtigkeit Gottes zu glauben. Gott lässt nichts ungesühnt, Gott lässt nichts ungestraft. Auch das kleinste Unrecht verabscheut er, und die geringste Sünde weist er von seinen Augen fort. Der Gedanke an das Fegefeuer kann uns deswegen ermahnen, auch im Kleinen treu zu sein, selbst die kleinen Fehler und Nachlässigkeiten ernst zu nehmen. Die zweite Mahnung ist, schon hier auf Erden an Sühne und Buße und Wiedergutmachung zu denken. Wie wehleidig sind wir oft, wenn wir leiden müssen, wenn Schmerzen uns treffen, Enttäuschungen, Bitterkeiten. Meine lieben Freunde, seien wir dankbar für das, was wir auf Erden leiden dürfen. Es geht ab vom Fegefeuer. Was wir hier leiden dürfen, das ist eine Bürgschaft dafür, dass wir es nicht in der Ewigkeit ableiden müssen. Die Heiligen haben das gewusst. Sie haben darum gebetet: „Hier schneide, hier brenne, nur schone meiner in der Ewigkeit!“ So haben sie gebetet. Hier schneide, hier brenne, nur schone meiner in der Ewigkeit!
Eine weitere Lehre gibt uns das Fegefeuer, nämlich es mahnt uns, zu wirken, solange es Tag ist. Wenn die Heiligen, die Geretteten, im Fegefeuer noch ein halbes Jahr hätten, einen Monat, eine Woche, wie würden sie sich anstrengen, das auszunützen, diese Zeit! Wie würden sie arbeiten, leiden, beten. Sie haben diese Zeit nicht. Wir haben sie. Also nützen wir Sie! Nützen wir sie, denn sie ist unendlich kostbar.
Eine weitere Bitte tönt uns vom Fegefeuer entgegen: Erbarmet euch! Erbarmet euch wenigstens, ihr, meine Freunde! Die Verstorbenen bitten uns, für sie zu beten. Wir sind ja mit ihnen verbunden in der Gemeinschaft der Heiligen. Wir können ihnen zu Hilfe kommen durch unsere Gebete, durch das heilige Messopfer, durch gute Werke, durch Ablässe. Gott wird unsere Bitten gnädig annehmen, und deswegen beten wir oft, dass Gott ihnen das Fegefeuer abkürze oder lindere, damit sie möglichst bald in die Herrlichkeit Gottes eingehen können. Dadurch machen wir uns Freunde, denn die Armen Seelen sind dankbar, wenn wir für sie beten. Sie werden es uns vergelten durch ihr Gebet. Sie lassen sich nicht lumpen. Deswegen in jeder heiligen Messe für die Verstorbenen beten! Jedesmal, wenn wir den Engel des Herrn beten, die Bitte anknüpfen: „Die Seelen der verstorbenen Gläubigen mögen durch die Barmherzigkeit Gottes ruhen in Frieden!“ Lassen wir das Messopfer darbringen für die Verstorbenen und besuchen wir die Gräber unserer Toten auf dem Friedhof!
Früher war es üblich, dass Jahrtage gestiftet wurden. Also es wurde eine Stiftung gemacht, und aufgrund dieser Stiftung wurde am Tag des Sterbens jeweils eine heilige Messe für den Verstorbenen gelesen. Man nennt das Jahrtagsstiftungen, sie wurden manchmal auf 50, auf 100 Jahre gemacht. Als der große Kaiser Karl V. starb im Jahre 1558, da ordnete er an, dass 5000 Messen für ihn gelesen werden, 5000 Messen für Kaiser Karl V. Nun, wir haben diese Möglichkeit nicht, aber auch heute ist es möglich, Stiftungen zu machen. Gewöhnlich werden sie jetzt nur noch für 20 oder 25 Jahre angenommen, weil das Geld zu unsicher ist. Die Inflation zehrt alles auf, und dann kann man die Stiftung nicht mehr erfüllen. Aber auch heute ist es möglich, durch Stiftungen für Messopfer zu sorgen, die für die Armen Seelen dargebracht werden.
Wir wissen nicht, meine Freunde, wie lange das Fegefeuer dauert. Wir kennen den Maßstab nicht, mit dem Gott die Sünde und die Sühne misst. Wir wissen auch nicht, wie es im Fegefeuer sein mag, und man kann auch nicht mit den Armen Seelen verkehren. Wir wissen, was wir wissen müssen, nämlich das, was man tun muss, um das Fegefeuer zu meiden oder abzukürzen, und wie man den Armen Seelen helfen kann. Das, was wir wissen, gilt es zu tun. Die Armen Seelen aber rufen und bitten und mahnen uns: „Denk an mich, ich möcht’ zum Vater gehen. Denk an dich, ich möcht’ dich wiedersehen!“
Amen.