23. April 2006
Die Tugend der Hoffnung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten vor einigen Wochen vom Sakrament der Taufe gesprochen und die Wirkungen der Taufe uns vor Augen geführt. Eine der Wirkungen war die Mitteilung des Glaubens, der göttlichen Tugend des Glaubens. Die zweite wollen wir heute betrachten, nämlich die Mitteilung der Tugend der Hoffnung. Es ist so, dass in der heiligen Taufe uns der Habitus, also die Anlage, die Fähigkeit, zu hoffen mitgeteilt wird. Es gibt schon eine natürliche Hoffnung. Es hofft das Kind, es hofft der Jüngling, es hofft der Greis. Der Mensch ist immer unterwegs nach seinem Glück, und so hofft er, dass einmal das große Glück zu ihm kommen möchte. Aber diese natürliche Hoffnung wird weit überboten durch die göttliche Hoffnung. Sie richtet sich nicht auf irdische Gaben, jedenfalls nicht zuerst und zuvörderst, sondern sie richtet sich auf himmlische Schätze. Diese Hoffnung wird von Gott entzündet, wird von Gott in unser Herz gelegt und hat Gott zum Ziele.
Wir wollen an erster Stelle sehen, welches der Inhalt dieser Hoffnung ist, und da müssen wir sagen: Der Inhalt dieser Hoffnung ist Gott. Wir hoffen, Gott einmal zu besitzen und ihn zu schauen, wie er ist. Schon jetzt ist Gott uns nahe, aber noch verborgen. Schon jetzt besitzen wir Gott in seiner Gnade, aber wir können sie noch verlieren. Wir hoffen auf einen Zustand, wo wir Gott besitzen werden in einer unüberbietbaren Weise und ihn nie mehr verlieren können. Wir hoffen auf Gott.
Wir hoffen zweitens auf unsere Seligkeit, denn wer bei Gott ist, der ist im Paradiese, wie wir seit dem Tode des Herrn und seiner Ansprache an den rechten Schächer wissen. Wir hoffen also auf unsere Seligkeit bei Gott. Wir sind Kinder Gottes und werden Erben Gottes werden, Erben Gottes und Miterben Christi. Als Teilnehmer an seinem Leiden dürfen wir auch auf seine Herrlichkeit hoffen. In der Heiligen Schrift ist oft davon die Rede, dass wir diese Seligkeit erhoffen dürfen, so, wenn gesagt wird, dass Jesus uns vorausgegangen ist, um uns eine Stätte zu bereiten. Er ist gewissermaßen unser Quartiermacher. Unsere Heimat ist im Himmel, und ihr streben wir entgegen. Wir beten ja in jedem Glaubensbekenntnis: „Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt.“
Aber diese Seligkeit können wir nur erreichen, wenn wir frei von schwerer Sünde sind, und so müssen wir auch auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen, der uns die Sünden verzeiht. Wir beten ja, wenn wir die Hoffnung erwecken: „Ich erhoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden.“ Wir dürfen auf die Barmherzigkeit Gottes bauen; er gibt jedem die hinreichende Gnade, um das Heil zu gewinnen. Wir haben Zutritt zu Gott durch den Heiligen Geist.
Wir erhoffen weiter das Reich Gottes und seine Vollendung, denn noch ist das Reich Gottes nicht in voller Herrlichkeit erschienen. Das wird erst sein, wenn Christus wiederkommt; und so beten wir im Glaubensbekenntnis, dass wir vertrauen auf die Wiederkunft Christi: „Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, und seines Reiches wird kein Ende sein.“ Die alte Kirche hat gebetet: „Komm, Herr Jesus“ und damit ihrer Sehnsucht und ihrer Hoffnung nach der Wiederkunft des Herrn Ausdruck gegeben.
Wir können schließlich auch auf irdische Güter hoffen, soweit sie zu unserem Ziele dienlich oder für das Reich Gottes nützlich sind. Diese irdischen Güter hat uns der Herr selbst zu erbeten geboten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Und damit ist alles gemeint, was uns zum Leben notwendig ist. Die zeitlichen Güter können und sollen uns Wegweiser zu Gott sein. Diese fünf Gegenstände sind also der Inhalt unserer Hoffnung.
Wir fragen an zweiter Stelle: Worauf gründet sich unsere Hoffnung? Hat unsere Hoffnung auch eine wahrhafte Verankerung? Wir wissen, wie oft auf Erden unser Vertrauen enttäuscht und unsere Hoffnung entmutigt wird. Worauf gründet sich unsere Hoffnung? Sie gründet sich erstens auf Gott, auf Gottes Allmacht, auf Gottes Güte und auf Gottes Treue. Gott kann, was wir erhoffen, uns geben, weil er allmächtig ist; er will uns die Hoffnungsgüter bereitstellen, weil er gütig ist; er wird sie uns auch geben, weil er treu ist. Unsere Hoffnung gründet auf Gott. Wer auf Gott vertraut, der hat auf einen Fels gebaut.
Unsere Hoffnung gründet sich zweitens auf Jesus Christus, genauer auf das, was er für uns getan hat. Er ist vom Himmel herabgestiegen, hat Fleisch angenommen, hat sich dem Leiden unterworfen, hat den Tod erlitten um unseretwillen. Wir beten ja immer „pro nobis“ – für uns hat er das alles getan, auf dass wir das Heil erlangen. In ihm haben wir den Anspruch auf die Hoffnungsgüter, die ich vorhin genannt hatte. Christus ist auch in seinem Wesen und in seinem Leben ein Garant der Hoffnung, denn in ihm sehen wir schon erfüllt, was wir noch erhoffen. Er ist schon mit seinem Leibe vom Tode auferstanden; er ist schon in den Himmel aufgefahren; er sitzet schon jetzt zur Rechten Gottes, und wir dürfen darauf bauen, dass er uns zu sich holen wird, dass er die Stätte, die er uns bereitet hat, mit uns besetzen wird, dass wir als seine Jünger dort sein werden, wo er, unser Haupt und unser Meister, ist.
An dritter Stelle fragen wir: Welche Äußerungen hat die Hoffnung? Wie äußerst sich die Hoffnung? Nun, erstens, indem sie zum Himmel schaut. Wir werden jedes Mal in der Präfation erinnert, wenn wir den Ruf hören: „Sursum corda“ – Empor die Herzen, dass wir unsere Heimat im Himmel haben. Unsere Hoffnung erhebt sich über alles irdische Begehren und Sehnen, denn unser Ziel ist das höchste Gut, Gott selber. Rein gefühlsmäßig mögen uns andere Güter mehr angehen, aber der Wertschätzung nach ist Gott das höchste Gut, nach dem wir streben und auf das wir hoffen können.
Die Hoffnung vergisst aber auch zweitens nicht die Erde; denn wir wissen, dass sich unsere Hoffnung nur erfüllen kann, wenn wir unsere irdische Aufgabe erledigt haben. Wir müssen treu unsere Erdenaufgabe erfüllen. Oft und oft wird in der Heiligen Schrift darauf hingewiesen, dass wir das Himmelreich gleichsam erobern müssen. Es gibt ein Wort im Matthäusevangelium, das vielen von Ihnen vielleicht unvertraut ist, und das lautet: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Wahrhaftig ein erschreckendes Wort. Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich – natürlich Gewalt gegen sich selbst, nicht gegen andere! Auch die vielen Gleichnisse des Herrn deuten darauf hin, dass wir unsere Erdenaufgabe erfüllen sollen, wenn wir unsere Hoffnung erfüllt sehen wollen. Wir müssen mit unseren Talenten arbeiten, wir müssen laufen, um den Kampfpreis zu erringen, wir müssen ringen um die Krone.
An dritter Stelle baut die Hoffnung nicht stolz auf eigene Kraft. Wir wissen, wie schwach wir sind. Es ist uns bekannt, dass wir unseren Schatz in zerbrechlichen Gefäßen tragen. Die Kirche hat gegen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts mit ihrer vermessenen Heilsgewißheit gesagt: „Niemand kann ohne eine besondere Offenbarung eine absolute Heilsgewißheit haben.“ Niemand kann ohne eine besondere Offenbarung Gottes absolute Gewissheit über das Heil haben, solange er auf Erden weilt. Deswegen gilt das Wort: „Wirket euer Heil mit Furcht und Zittern!“
Weil wir aber schwach sind, legen wir viertens alles vertrauensvoll in Gottes Hände. Er ist dem Demütigen nahe und schenkt ihm seine Gnade. Wir wissen, Gottes Hände sind starke Hände, und wir können auf sie vertrauen.
Wir fragen viertens, welches sind die Früchte der Hoffnung? Es sind drei: Erstens, wer hofft, wo Hoffnung ist, der hat Freude, da ist Freude. Wer hofft, ist nie ganz traurig. Es bleibt in seiner Seele das Wissen: Wir sind in Gottes Vaterhand. Mag kommen, was will, der Herr ist mit uns. Paulus sagt: „Wenn Gott für uns ist, wer kann dann wider uns sein?“ Als er in Fesseln lag, da schrieb er in seinem Philipperbrief: „Ich sage euch: Freuet euch, und noch einmal: Freuet euch!“ Und im Römerbrief heißt es: „Wir rühmen uns ob der Trübsal, denn die Trübsal wirkt Geduld, die Geduld wirkt Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“
An zweiter Stelle ist die Frucht der Hoffnung der Friede. Wer wirklich Hoffnung in sich trägt, der ist zufrieden und genügsam. Mögen andere reich sein und wir arm! Denken wir an das Wort des Jakobusbriefes: „Wir sind arm in diese Welt gekommen und können auch nichts mit hinausnehmen. Unser Schatz ist im Himmel, wo weder Rost noch Motten ihn verzehren.“ Wenn andere gesund sind und wir krank, dann denken wir daran, dass wir im Leiden teilhaben am Leiden Christi, und dass wir, wenn wir am Leiden Christi teilgenommen haben, auch an seiner Herrlichkeit teilhaben werden. Wir wissen, wie sein Leben ausgegangen ist. Zwar ist er blutig am Kreuze gehangen, aber siegreich dem Grabe entstiegen. Kein Leid soll uns den Frieden rauben.
Und schließlich ist da drittens, wo Hoffnung ist, auch Mut. Die Hoffnung macht uns tapfer im Streiten und im Leiden, denn wir sehen den Siegespreis vor uns, den Siegespreis, der uns erwartet, wenn wir recht gekämpft haben. Wie viele Menschen haben um dieser Hoffnung willen Versuchungen des Fleisches und des Geistes überwunden! Wie viele Menschen haben tapfer ihren Glauben bewahrt und sind in den Tod gegangen, weil sie den Hoffnungspreis vor sich sahen. Und wie viele arbeitsbeladene und leidbeschwerte Menschen tragen still und tapfer das Kreuz des Alltags in christlicher Hoffnung!
Nun gibt es allerdings, meine Freunde, drei Fehlhaltungen, welche die Hoffnung betreffen. Die erste Fehlhaltung ist das Misstrauen. Als die Israeliten durch die Wüste wanderten und das Volk nach Wasser und nach Nahrung schrie, da zweifelte Moses, ob Gott diesem Volke, das so undankbar war und sich zu falschen Göttern gewendet hatte, Wasser gewähren würde. Er schlug dann an den Felsen, und aus dem Felsen strömte Wasser. Aber wegen seines Misstrauens gegen Gott durfte er das heilige Land nicht betreten. Er durfte vom Berge Nebo hineinschauen, aber er durfte nicht selbst in es eingehen. Misstrauen ist eine Haltung, die Gott nicht erträgt.
Die zweite Fehlhaltung ist die Verzweiflung. Verzweifelt ist, wer nicht mehr auf Gott hofft, wer alle Hoffnung aufgegeben hat, wer alle Hoffnung fallen gelassen hat. So hat es wohl Judas getan, als er sich wegen seiner Untat an einem Strick erhängte. Wo Menschen nicht mehr helfen können, meine Freunde, da kann Gott immer noch helfen. Wir müssen gegen alle menschliche Hoffnung auf göttliche Hoffnung vertrauen und dürfen nicht verzweifeln. Wir beten ja in einer Litanei: „Vor Kleinmut und Verzweiflung bewahre uns, o Herr.“
Die dritte Fehlhaltung ist die Vermessenheit. Der Vermessene hofft zuviel. Er hofft auf Gottes Erbarmen, obwohl er sich nicht bekehrt. Er hofft auf Gottes Beistand, obwohl er die Gefahr aufsucht. Der Vermessene meint, er werde den Himmel erlangen, auch ohne sich anzustrengen. Er wird erkennen, dass er sich wahrlich „vermessen“ hat, d.h. dass er falsch gemessen hat. Täuschet euch nicht. Gott lässt seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Viele von uns beten in dieser österlichen Zeit den Ambrosianischen Lobgesang, das Te deum. Und dieser herrliche Gesang auf Gottes Größe und Erbarmen schließt mit den Worten: „Auf dich, Herr, habe ich gehofft. Ich werde in Ewigkeit nicht zuschanden werden.“
Amen.