18. Dezember 2005
Von der christlichen Hoffnung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Man könnte das Christentum als Religion der Hoffnung bezeichnen; denn die Hoffnung spielt im Christentum eine grundlegende Rolle. Wir hoffen auf Gott; wir hoffen auf seine Macht; wir hoffen auf sein Kommen; wir hoffen auf seine Gnade; wir hoffen auf seine Himmelsherrlichkeit. Wir wollen deswegen an diesem letzten Sonntag vor Weihnachten uns mit der Hoffnung beschäftigen. Wir gebrauchen auch im alltäglichen Sprachgebrauch das Wort Hoffnung: Ich hoffe, dass meine Geschäfte gelingen werden; ich hoffe, dass meine Gesundheit sich wiederherstellt; ich hoffe, dass ich wieder Arbeit finden werde. Diese irdische, diese natürliche Hoffnung ist das Verlangen und das Suchen nach einem Gut, das schwer zu erlangen ist, aber dessen Erreichen möglich erscheint.
Von dieser natürlichen Hoffnung verschieden ist die christliche, die übernatürliche Hoffnung. Sie ist nämlich die zuversichtliche Erwartung aller der Güter, die uns Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat. Ich wiederhole: die zuversichtliche Erwartung aller Güter, die uns Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat. Es ist das Kennzeichen des Christen, dass er ein hoffender Mensch ist.
Was hat uns nun Gott, was hat uns Christus versprochen? Nun, er hat uns versprochen die himmlische Herrlichkeit und alles, was zu deren Erreichung notwendig ist. Was ist zur Erreichung der Herrlichkeit notwendig? Gottes Gnade, Gottes Erbarmen, die Verzeihung der Sünden, Hilfe in der Not, Beistand in unseren Leiden. Das hat Gott uns versprochen. Diese Hoffnung, diese übernatürliche Hoffnung ist eine göttliche Tugend, und sie ist unbedingt notwendig, um das Heil zu erreichen. Niemand kann, einfach ausgedrückt, in den Himmel kommen, wenn er nicht ein hoffender Mensch ist. Wir sind geheißen zu hoffen. Wir müssen hoffen, wenn wir uns als Christen behaupten wollen. Gott ist das Ziel, Gott ist der Beweggrund, Gott ist die Ursache, der Urheber der Hoffnung. Gott ist das Ziel. Ja natürlich, wohin streben wir denn sonst, wenn nicht zu seinem Besitz im Himmel der Freuden? Gott ist der Beweggrund. Wir hoffen, weil er wahrhaftig, getreu und mächtig ist. Und er ist der Urheber. Mit seiner Gnade gießt er uns die Hoffnung ein. Wie er den Glauben eingießt und die Liebe, so gießt er auch die Hoffnung ein.
Der Grund der Hoffnung wurzelt in den Eigenschaften Gottes, in seiner Treue, in seiner Allmacht, in seiner Güte. Weil Gott getreu, allmächtig und gütig ist, dürfen wir, ja müssen wir hoffen. Wir würden ihn beleidigen, wenn wir nicht auf ihn hoffen würden. Und weil diese Eigenschaften Gottes absolut sicher sind, ist auch unsere Hoffnung unerschütterlich. Die irdischen Hoffnungen können trügen. Wir wissen ja, wie oft wir auf etwas Irdisches gehofft haben, und es wurde uns nicht zuteil. Aber die Hoffnungen, die Gott in uns weckt, die verbürgt er mit seiner Allmacht, mit seiner Treue und seiner Güte. Wir hoffen die ewige Seligkeit und alles, was zur Erlangung derselben notwendig ist. Im Katechismus haben wir gelernt, dass wir, wenn wir die Hoffnung erwecken, beten: „Ich hoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden, deine Gnade und endlich die ewige Seligkeit.“ Und das ist richtig: die Verzeihung meiner Sünden, seine Gnade und endlich die ewige Seligkeit.
Aber wie steht es denn, meine Freunde, um die natürlichen Güter? Dürfen wir die auch erhoffen mit einer übernatürlichen Hoffnung, oder schließt die Eigenart der übernatürlichen Hoffnung die Hoffnung auf irdische Güter aus? Ich gebe zur Antwort: Wir dürfen auch mit der übernatürlichen Hoffnung natürliche Güter erhoffen, soweit sie dienlich sind zu unserer ewigen Seligkeit; soweit sie dienlich, also nützlich sind zu unserer ewigen Seligkeit. Das ist also die Marke, die wir beachten müssen. Wir dürfen hoffen auch auf irdische Dinge, aber secundum ordinem salutem – nach der Ordnung des Heils. Und in Gottes allmächtiger Weisheit ist aufgeschrieben, was er uns an irdischen Gütern um der übernatürlichen Hoffnung willen geben will.
Die Voraussetzung der Hoffnung ist die Erfüllung des göttlichen Willens. Ein Sünder, der sich von Gott abgewandt hat, darf nicht hoffen. Er muss sich erst bekehren, und dann kann er auf Erhörung hoffen. Der Mensch darf auch nicht die Hände in den Schoß legen. Man muss das Beste tun und das Beste hoffen. In diesem Sinne, aber nur in diesem Sinne gilt das Wort: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“ Gott erwartet eben die Mitwirkung zu unserem Heile, und sie ist auch notwendig für die Hoffnung. Hilfe erwarten, ohne das Seinige zu tun, das heißt Gott versuchen. Nein, wir müssen tun, was wir können, und hoffen auf das, was wir nicht zu vollbringen imstande sind.
Die Hoffnung hat großen Nutzen, meine lieben Freunde. Wer in der Hoffnung steht, erfreut sich eines besonderen Schutzes Gottes. Gott hört auf den hoffenden Christen. Er erhört ihn. Er erfreut sich eines besonderen Schutzes Gottes. Im Jahre 1683 belagerte ein türkisches Heer mit 250.000 Mann das Zentrum des Kaiserreiches Österreich, Wien. In der Stadt waren 16.000 Verteidiger, also nur der 15. Teil von dem gewaltigen Türkenheer. Dieses Heer rannte gegen die Stadt an, sprengte Mauern in die Luft, zerstörte die Bastionen. Aber die Verteidiger gaben die Hoffnung nicht auf. Und siehe da, unter dem polnischen König Johann Sobieski nahte ein Ersatzheer von 70.000 Mann. Eine wilde Kampfesszene entrollte sich, und am Abends stoben die Türken in wilder Flucht davon. Der Sieg war errungen, die Hoffnung der Christen hatte nicht getrogen.
Wer hofft, erfreut sich eines besonderen Schutzes Gottes. Wer hofft, kann von Gott auch viel, ja in gewisser Hinsicht alles erreichen, nämlich wenn es nach Gottes Willen erbeten wird. Wir können Gott nicht mehr beleidigen, als wenn wir ihm nichts zutrauen. Wer ihm viel zutraut, kann viel erhoffen und viel erreichen. Wer ihm wenig zutraut, wird auch wenig erlangen. Wir müssen also in der Hoffnung wirklich großmütig sein und Gott zutrauen, dass er das scheinbar Unmögliche möglich macht. Wir hören ja jeden Tag in der Rorate-Messe, wie der Engel zu Maria sagt: „Elisabeth hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen, und das ist schon der sechste Monat für sie, die als unfruchtbar gilt, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Also wer auf Gott hofft, kann von Gott viel, ja in gewissem Sinne alles erreichen.
Wer auf Gott hofft, wird von Gott gestärkt. Die Hoffnung wird dargestellt als ein Anker, und das soll bedeuten: Unsere Zuversicht ist in Gott begründet; sie ist in Gott verankert. Wer also auf Gott hofft, der wird von Gott gestärkt, und das heißt, er ist unerschrocken vor den Menschen, er ist geduldig im Leiden, er ist tapfer im Tode. Jawohl, das ist die Stärkung, die Gott dem Hoffenden zuteil werden lässt: Geduld im Leiden, Unerschrockenheit gegenüber Menschen und Tapferkeit im Sterben.
Wer auf Gott hofft, wird auch mächtig angetrieben zu guten Werken, denn er weiß, die guten Werke befestigen die Hoffnung. Je mehr man selbst tut, um so stärker wird die Hoffnung, um so berechtigter wird sie, um so begründeter wird sie. Wer auf Gott hofft, der wird mächtig angetrieben zu guten Werken, zur Ausübung heldenmütiger Tugenden.
Und doch gibt es auch bei der Hoffnung Fehlhaltungen. Man kann zu viel hoffen und zu wenig. Zu viel hofft, wer vermessen ist. Vermessenheit ist die Zuversicht auf Gottes Hilfe und die Erwartung des ewigen Lebens trotz eigener Unbußfertigkeit. Also: Wer sich nicht bekehren will und dennoch auf Gott hofft, der ist vermessen. Meine lieben Freunde, ich habe die furchtbare Ahnung, dass sich heute katholische Christen im Zustand der Vermessenheit befinden, nämlich alle jene, die meinen, sie hätten keine Sünden und sie bräuchten nicht die Sünden zu bekennen und sie hätten keine Bekehrung notwendig. In Budenheim, meine lieben Freunde, hat nach meinem begründeten Urteil der Empfang des Bußsakramentes aufgehört. Das nenne ich Vermessenheit. Die Vermessenheit ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist. Sie verschließt Gott die Wirkungsmöglichkeit und treibt den Menschen in den Abgrund.
Die zweite Fehlhaltung ist die Verzweiflung. Verzweiflung ist das Aufgeben der Hoffnung auf Gottes Hilfe. Kain verzweifelte: Meine Sünde ist zu groß, als dass Gott sie vergeben könnte. Judas verzweifelte; er nahm einen Strick und erhängte sich. Vor einiger Zeit hat sich der französische Schriftsteller Montherlant durch einen Schuß in den Mund getötet. Warum? Er hatte das Augenlicht des einen Auges verloren. Er verzweifelte und wollte, wie er sagte, auf den Meeren des Nichts wenigstens noch einen heldenmütigen Abgang haben. Aber ist das ein heldenmütiger Abgang, wenn man sich mit einem Revolver in den Mund schießt? Hätte er sich nicht lieber an das Kreuz klammern sollen und sagen: Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich? Nein, meine lieben Freunde, wir dürfen in keiner Lebenslage verzweifeln. Gott ist ein Gott der Hoffnung, und seine Hilfe ist häufig dann am nächsten, wenn die Not am größten ist.
So wollen wir also in dieser Stunde, in dieser vorweihnachtlichen Stunde unsere Hoffnung auf Gott erneuern. Hoffen wir auf Gott in der Not, denn Gott lässt uns nicht endgültig zugrunde gehen. Hoffen wir auf Gott in der Sünde, denn wenn deine Sünden rot wären wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Wenn sie rot wären wie Purpur, sie wollen weiß werden wie Wolle – wenn du dich bekehrst! Hoffen wir auf Gott im Tode. Für uns ist das Kreuz nicht das Zeichen des Untergangs, für uns ist das Kreuz das Zeichen des Sieges. Mein Gott bist du, in deiner Hand sind meine Geschicke. Du bist mein Fels und meine Hilf und meine Hoffnung in alle Ewigkeit.
Amen.