Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2004

Weihnachten – Licht in der Nacht (Teil 2)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben gestern erkannt, was Weihnachten bedeutet, nämlich ein Licht in der Nacht. Und das Licht, das da angezündet wurde, ist niemand anders als unser Herr und Heiland Jesus Christus. Er ist das Licht der Welt, weil er der Erlöser der Welt ist. Es ist für einige Augenblicke hell geworden auf den Weidegründen von Bethlehem, dort, wo die Herrlichkeit des Herrn die Hirten umleuchtete.

Aber dann wurde es gleich wieder finster, und in dem Stall und an dem Kinde, das in der Krippe lag, war von dem Lichte nichts zu sehen. Es war den Hirten kein Lichtschein als Zeichen gegeben, sondern ein Kind in der Krippe liegend und in Windeln gehüllt. Das ist kein Zeichen der Herrlichkeit, das ist ein Zeichen der Schwäche, der Kleinheit, der Armut und der Ohnmacht. Was ist schwächer als ein Kind, und was ist ärmer als ein Kind der Armut? Wenn es auch heranwachsen wird, der Lichtschein um dieses Kind wird nicht größer. Dieses Kind wird nur zu einem sehr schweren und dunklen Leben heranwachsen. Wenn es dereinst auf der Höhe des Lebens stehen wird, zu der Zeit, wo aus dem Menschen etwas werden muss, wenn überhaupt etwas aus ihm werden soll, dann wird er, der einst in der Krippe von Bethlehem lag, an einem Kreuze aufgehängt sein, verfemt, ausgestoßen und verurteilt, vernichtet. Das an sich schon hilflose Kind wird im Laufe seines Lebens immer noch hilfloser. Und wenn es ans Ende des Lebens geht, dann ist das Dunkel, das seine ersten Stunden umgeben hat, zu einer vollen Nacht geworden. Denn in seiner Todesstunde gab selbst die Sonne ihren Schein nicht mehr. In der Nacht kommt dieses Licht zur Welt, und in der Nacht erlischt es.

Nein, erloschen ist es nicht. Das Licht blieb am Scheinen, und einige Jahrzehnte nach seinem Tode schrieb ein gläubiger und liebender Mensch: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ Und in diesen zweitausend Jahren ist doch auch viel von der Herrlichkeit des Herrn zu sehen gewesen. Das Licht ist noch da.

Aber auch die Nacht ist noch da. Und manchmal meinen wir, es wird immer noch dunkler, und wir stimmen in den Ruf, den beim Propheten Isaias einer erhebt, ein: „Wächter, wie weit ist es in der Nacht?“ Wie weit sind wir in unserem Elend, in unserem sittlichen, politischen, religiösen, kirchlichen Elend? Wie weit sind wir in der Nacht fortgeschritten? Sind wir vielleicht bald auf dem Grunde angekommen, so dass es jetzt wieder heller wird? Diese Frage bedrängt uns. Was wird das nächste Jahr, was wird der Winter uns bringen an seelischer Not, an sittlicher Fäulnis, an geistiger Auflösung, an politischer Verwirrung? Der Erlöser ist gekommen, hat gelebt und sein Leben für die Menschheit hingegeben. Er hat das Größte getan, was er tun konnte, sein göttliches Leben für sie hinzugeben. Aber die Erlösung scheint nicht voranzuschreiten. Es scheint die Unerlöstheit der Welt zu wachsen. Die Fülle der Zeit ist gekommen, denn die Geburt dieses Kindes hat uns die Fülle der Zeit gebracht, aber der Advent ist deswegen nicht zu Ende gegangen. Noch immer warten wir. Unser Glaube tastet noch immer im Dunkel, unsere Hoffnung rüstet sich zu endloser Geduld, unsere Liebe verrinnt im Leid, anscheinend hilflos, machtlos und vergeudet. Gott ist gekommen, aber als ein Kind, und ein Kind redet nicht. Und Gott schweigt immer noch. Kinder Gottes sind wir geworden, aber noch immer sind wir unmündige Kinder, und es ist nicht offenbar, was wir noch werden können.

Licht in der Nacht. Es lässt sich nicht leugnen, dass da ein Licht über uns steht, das vom Jesuskind ausgegangen ist, und dieses Licht ist ein wachsendes Licht. Es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass die Nacht noch da ist, eine weltausfüllende Nacht, eine riesengroße Nacht. Beides ist richtig – Licht und Nacht. Werden wir nun endlich dazu kommen, zu begreifen, dass es so sein muss, dass Licht und Nacht zusammengehören, dass beides zusammengehören muss und dass gerade darin das Wunder, das Weihnachtswunder besteht, dass da ein Licht steht in der Nacht?

Wir hängen allzu sehr an dem oberflächlichen Gedanken, als ob das Licht sogleich die Nacht auslöschen müsste. Das geschieht doch nirgendwo. Wenn die Sonne bei uns aufgeht, dann geht sie über einem anderen Erdteil unter. Sie schiebt also die Nacht nur vor sich her. So ist es auch im seelischen Leben, ja selbst im übernatürlichen Leben. Licht, das in der Nacht scheint. Und das ist das Wunder, das unaussprechliche Wunder, dass da in der unendlichen Finsternis ein Punkt ist, der nicht zur Nacht wird, dass es in der Nacht ein bleibendes Licht gibt, das sich behauptet, das scheint und strahlt. Das ist das Wunder der Weihnacht. Wenn in der ganzen Welt voller Finsternis nur ein einziger Funkelstern wäre, er wäre mehr als die ganze Finsternis. Wenn in einer dunklen Zelle eine einzige Kerze brennt, dann ist sie mehr als das ganze Dunkel. Das Licht siegt schon dadurch, dass es da ist und dass es bleibt.

So ist auch das Licht von Bethlehem siegreich von Anfang an. Dass dieses Gotteskind, dass dieser Liebling des Vaters, dass dieser Offenbarer Gottes überhaupt gekommen ist und dass er geblieben ist, das ist schon sein Sieg. Und es hat Menschen gegeben, die Hirten, seine Eltern, Frauen, Arme, Kranke, Kinder und Heilige, die haben dieses Licht gesehen und die haben es in ihre Hände genommen und die haben es getragen. Sie haben es weitergetragen in alles Elend, in alle Not, in alle Flüchtigkeit der Zeit hinein. Sie durften dieses Licht tragen, wie seine Mutter es getragen hat. Und wie Simeon, der Greis, dieses Licht getragen hat, so dürfen auch wir dieses Licht tragen und anzünden, dürfen es überall anzünden, in jeder Not, in jedem Unglück, in jedem Zweifel, in jeder Verzweiflung.

Über die ganze Erde ist dieses Licht gedrungen und selbst in unsere Herzen. So dürfen wir jetzt dieses Licht in uns bergen und dürfen es in jede Höhle, in jeden Winkel, in jede Verlassenheit, in jedes Sterben hineintragen, und es erhellt alle diese Dunkelheiten. Das ist der Sieg des Lichtes, das ist das Wunder von Bethlehem, dass die zitternde Kerze mehr ist als die ganze weltausfüllende Nacht. Jawohl, meine lieben Freunde, dass die Schwäche stark geworden ist, dass die Ohnmacht allmächtig geworden ist, dass das unendlich Kleine allgegenwärtig geworden ist, das wissen wir, seitdem wir das Kind von Bethlehem geschaut haben. Eine einzige brennende Kerze ist mehr als das ganze dunkle Weltall, als die ganze Finsternis ringsum. Und so ist es mit jedem Licht, das wir in der Nacht anzünden. Jede Treue, auch wenn sie nicht verstanden wurde, jede Liebe, auch wenn sie vergeudet wurde, jede Erlösung, auch wenn sie gekreuzigt wurde, jedes Blut, das scheinbar nutzlos und doch tapfer und frei vergossen wurde, jedes Herz, das in Liebe gebrochen wurde, jedes Leben, das in gutem Willen geopfert wurde – das ist das Allerrealste, was es gibt, das ist das Allermächtigste, das Ewige und das Unvergängliche.

So sicher, wie einmal ein Menschenkind Gottes Sohn war, so sicher, wie einmal ein Kind alle Macht besaß im Himmel und auf Erden, wie einmal ein Getöteter alles Leben in sich trug, so sicher ist auch, dass alle Weltnacht ein Weltlicht in sich trägt. Wir sagen oft so verzagt und so mutlos: Seht, da ist Finsternis; seht, da ist Nacht. Ja, aber noch viel wahrer und viel richtiger wäre es, zu sagen: Seht, da ist Licht! Seht, da ist das Kind, da ist die Mutter, da sind die Hirten, da sind Engel, da sind Heilige. Seht, da ist Gott. Ja, es ist Nacht, aber in der Nacht steht ein Licht. In der Armut der Krippe liegt das Heil der Armen und der Reichen. Am Kreuze hängt das Heil. Aus dem Leid fließt ewige Seligkeit, und in den Tränen reift und wächst die Liebe. Im Opfer gewinnt man das Leben; in der Selbsthingabe kommt Stillung und Friede; in der kämpfenden Tat liegt die ewige Ruhe. In der endlichen und vergänglichen Welt lebt und wirkt der unvergängliche Gott.

Amen.

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