Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. Februar 2004

Der Glaube, Aufgabe und Verheißung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In jeder heiligen Messe am Sonntag beten wir: „Ich glaube“. „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater. Ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn. Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Der Glaube macht den Menschen zum Christen. Die Christen sind Gläubige. Der Glaube bildet die Gemeinschaft der Kirche. Die Kirche ist eine Glaubensgemeinschaft. Der Glaube ist der Weg zum Himmel. Das Konzil von Trient sagt: „Der Glaube ist der Anfang des menschlichen Heiles, die Grundlage und Wurzel der Rechtfertigung.“ Und damit befindet sich das Konzil auf biblischem Boden, denn im Hebräerbrief heißt es, daß nur wer glaubt, in die Ruhe eingehen kann. Wir wollen heute drei Fragen stellen,

1.      Was ist der Glaube?

2.      Was verlangt der Glaube?

3.      Was verheißt der Glaube?

Erstens, was ist der Glaube? Auch darüber gibt der Brief an die Hebräer Auskunft: „Es ist aber der Glaube das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht.“ Ich wiederhole noch einmal diesen fundamentalen Satz: „Es ist aber der Glaube das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht.“ Der Glaube als Handlung des Menschen, als Akt des Menschen, ist also Vertrauen und Überzeugung. Wer glaubt, vertraut darauf, daß Gott das erfüllen wird, was er verheißen hat. Wer glaubt, ist sich gewiß, daß Gott zu seinem Wort stehen wird, und das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Glaube ist also Vertrauen auf die Erfüllung der göttlichen Verheißungen. Glaube ist aber darüber hinaus auch Überzeugung, Überzeugtsein, Überführtsein von der Wahrheit Gottes. Die Zuversicht, daß Gott seine Verheißungen erfüllen wird, ruht auf der Überzeugung, daß er sie kraft seines Wesens und seines Willens erfüllen kann und erfüllen will. Der Glaube ist eine innere Gewißheit von der Wahrheit dessen, was Gott geoffenbart hat, eine unter objektiver Nötigung stehende innere Gewißheit.

Der Inhalt des Glaubens ist in zwei Worten zusammenzufassen, nämlich er richtet sich auf Erhofftes und auf Unsichtbares. Der Glaube richtet sich auf Zukünftiges, auf die künftigen Heilsgüter, auf das, was Gott uns verheißen hat, und er hat uns ja viel verheißen. Die Haltung des Menschen, die auf diese Verheißungen antwortet, ist eben die Zuversicht, daß Gott erfüllt, was er verheißen hat, also, daß wir einmal schauen werden, was wir jetzt glauben, daß er uns retten wird, auch wenn unsere irdischen Bezüge, wenn unser irdisches Leben zugrunde geht. Der erste Inhalt des Glaubens ist Erwartetes, Erhofftes.

Aber er hat auch noch einen anderen Inhalt, nämlich es ist Unsichtbares. Wir können Gott nicht sehen; wir können die Gnade nicht messen; wir können die Gegenwart Christi im eucharistsichen Opfersakrament nicht mikroskopisch untersuchen. Die Begriffe, Kategorien und Methoden, die wir für das  Erfahrbare anwenden, versagen gegenüber dem Inhalt des Glaubens. Der Glaube richtet sich auf Unerfahrbares, auf etwas, was jenseits der Erfahrbarkeit liegt. Deswegen sagt der heilige Augustinus: „Glauben ist nichts anderes als Fürwahrhalten, was man nicht sieht.“ Und darin liegt die Schwierigkeit, die Schwierigkeit des Glaubens. In einem Buche von Bruce Marshall wird ein Börsenmakler vorgestellt, der sagt, er werde glauben, wenn man ihm eine Fotografie des Heiligen Geistes vorlegt. Es gibt keine Fotografie des Heiligen Geistes, es kann sie nicht geben, wir werden gleich sehen, warum nicht. Manche Menschen sagen: Ich glaube nur, was ich sehe. Ja, meine lieben Freunde, was ich sehe, brauche ich nicht zu glauben. Glauben heißt ja etwas annehmen auf das Zeugnis eines anderen hin. Was ich sehe, das weiß ich mit der Gewißheit meiner Augen. Wenn meine Augen gut sind, sehe ich richtig.

Die Unsichtbarkeit ist eine Qualität des Göttlichen. Unsichtbarkeit bedeutet soviel wie Wesensverschiedenheit vom Irdischen. Unsichtbarkeit besagt auch die Unverfügbarkeit. Gott und die göttlichen Dinge sind unsichtbar, damit der Mensch sie nicht beherrschen kann, damit sich der Mensch nicht ihrer bedienen kann, damit der Mensch im Glauben sein Verdienst wahren kann. Wenn die göttlichen Dinge so greifbar wären wie mathematische oder naturwissenschaftliche Gesetze, dann bräuchte es keinen Glauben, denn diese muß man annehmen, wenn man nicht als Verrückter gelten will. Aber nur dann bleibt dem Glauben sein Verdienst gewahrt, wenn die Dinge, die er uns lehrt, unsichtbar sind. Nur dann bleibt dem Glauben die Freiheit gewahrt und der Entscheidungscharakter. Was ich greifen, messen, wägen kann, das brauche ich nicht zu glauben, das nehme ich an, weil die Sinne es mir sagen, weil die Vernunft es bestätigt. Aber was ich nicht mit den Sinnen ergreifen kann, was ich nur deswegen annehme, weil ein anderer mir davon Zeugnis gibt, das muß ich glauben, und das ist eine Entscheidung, und diese Entscheidung ist ein Verdienst, wenn sie für den Glauben ausfällt. Was ist der Glaube? Der Glaube, sagt der Hebräerbrief, „ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht“.

Was verlangt der Glaube von uns? Nun, der Glaube ist zunächst einmal ein Geschenk Gottes. Er wird grundgelegt in der heiligen Taufe. Die Taufe schenkt uns den Habitus, die Anlage, zu glauben. Und deswegen ist es so wichtig, daß wir die Säuglinge taufen, damit sie die Anlage zum Glauben haben, damit sie von vornherein mit der Fähigkeit ausgestattet sind, im Entscheidungsalter sich zum Glauben zu bekennen. Aber damit nicht genug. Dieses Geschenk Gottes stellt bestimmte Forderungen an uns, nämlich erstens, daß wir nach der Wahrheit streben. Ja, meine lieben Freunde, wenn ich von der Wahrheit spreche, dann weiß ich, daß den meisten Menschen nichts gleichgültiger ist als die Wahrheit. Was sie interessiert, ist das Leben, der Lebensgenuß, die Lebensfreude; das bewegt sie. Die Wahrheit ist ihnen gleichgültig, die kann ihnen gestohlen bleiben. So ist es doch! Und das ist erschreckend, und das ist auch der Grund, warum der Glaube in so vielen stirbt oder nicht zur Entfaltung kommt, weil sie kein Interesse an der Wahrheit haben. Sie wollen gar nicht in ihrem Behagen gestört sein durch die Wahrheiten des Glaubens. Und das verlangt der Glaube, daß wir nach der Wahrheit streben, daß wir die Wahrheit suchen, daß wir sie pflegen, daß wir uns Wissen verschaffen vom Glauben, daß wir das Wissen vertiefen, daß wir immer neu in die Wahrheiten des Glaubens einzudringen versuchen im Laufe des Kirchenjahres, in dem sich ja die Wahrheiten des Glaubens immer wieder vor unseren Augen ausbreiten. Der Glaube verlangt, daß wir nach der Wahrheit streben, daß wir sie kennen lernen, daß wir sie pflegen und daß wir sie befestigen.

Das zweite, was der Glaube verlangt, ist ein rechtschaffenes Leben. Der Glaube ist nicht nur eine Angelegenheit des Verstandes oder der Vernunft oder des Willens; er ist auch eine Angelegenheit unseres täglichen Lebens. Der Glaube verlangt ein Leben aus dem Glauben. Wir können eigentlich nichts Höheres sagen über einen Menschen, als wenn wir ihm bestätigen, er lebt aus dem Glauben oder er lebt den Glauben. Das macht ja die Verkündigung so überzeugend, wenn ein Verkündiger den Glauben lebt und wenn er aus dem Glauben lebt und wenn er für den Glauben lebt. Nichts ist werbekräftiger für den Glauben, als wenn seine Zeugen nach dem Glauben leben und für den Glauben sterben. Wir Priester haben leider Gottes oft die Erfahrung gemacht, wie Menschen durch ihr liederliches Leben den Glauben verlieren. Die Glaubenszweifel beginnen nicht im Kopfe, sie beginnen im Unterleib. Wenn die Menschen sich den Trieben und Leidenschaften und schlechten Neigungen überlassen, dann fällt ein Stein nach dem anderen aus dem Glaubensgebäude heraus. Der Mensch erträgt es nicht, an einen rächenden Gott zu glauben, wenn er diesen gleichen Gott fortwährend beleidigt und kränkt. Wie sagte Nietzsche: „Der Gott, der alles sah, der mußte sterben. Der Mensch erträgt nicht, daß ein solcher Zeuge lebt.“ So geht bei dem, der nicht rechtschaffen lebt, eines nach dem anderen hin, zunächst die Osterbeicht und die Osterkommunion, dann der Sonntagsgottesdienst, dann das tägliche Gebet. Am Schluß steht er dann da nackt und bloß: Er hat den Glauben verloren. Ohne rechtschaffenes Leben ist es unmöglich, den Glauben zu bewahren.

Schließlich verlangt der Glaube noch ein Drittes, nämlich anhaltendes Gebet. Die Geschenke Gottes sind von solcher Art, daß sie uns verheißen sind und mit Gewißheit gewährt werden, wenn wir sie empfangen können, wenn wir bereit sind, sie aufzunehmen, wenn unser Herz leer ist für sie. Und das ist es, wenn wir um den Glauben beten. In jedem Rosenkranz, den wir beten, heißt ja beim ersten Ave Maria die Anrufung: „Der den Glauben in uns vermehre.“ Das ist so unentbehrlich wie das tägliche Brot; beten um den Glauben, beten, daß wir den Glauben behalten, daß wir den Glauben vertiefen, daß wir aus dem Glauben leben, daß der Glaube der Wegweiser unseres ganzen Lebens sein möge. Beten um den Glauben. Der Vater des besessenen Knaben hat es uns vorgemacht, wie man betet um den Glauben. Er sagt zu Jesus: „Wenn du etwas vermagst, dann zeige es uns, dann heile meinen Knaben.“ Da sagt der Herr: „Alles vermag, wer glaubt.“ Darauf gibt der Mann zur Antwort: „Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Ist das nicht ein Widerspruch: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben? Nun, er will damit sagen: Ich bin schon bereit, die Wahrheit der Offenbarung anzunehmen, aber meine Bereitschaft ist so schwach, mein Glaube ist so krank, daß er fast wie ein Unglaube bezeichnet werden muß. Und deswegen fleht er: Herr, ich glaube, aber hilf meinem Unglauben! Die Apostel haben einmal gebetet: „Stell uns Glauben herzu!“ Das haben selbst die Apostel gebetet, denn sie wußten: Am Glauben hängt alles.

Drittes: Was verheißt uns der Glaube? Nun, meine lieben Freunde, der Glaube verheißt uns an erster Stelle den Sieg über die Welt. Das ist eine der schönsten Sentenzen aus den Schriften des heiligen Apostels Johannes: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube.“ Mit Welt ist hier gemeint die im argen liegende Welt, die Welt, insofern sie eine Versuchung, eine Verlockung, eine Gefahr für uns bedeutet. Und diese Gefahr wird überwunden im Glauben. Wie ist das zu verstehen? Nun ja, der Glaube gibt eben die Kraft, das Unanschaulicher über das Anschauliche zu setzen. Wer glaubt, über den kann die verführerische Macht der Welt keine Gewalt mehr gewinnen. Der Gläubige ist stärker als die Versuchungen, die von der Welt, vor allem vom Fleisch, ausgehen. Er kann sie überwinden. Das ist der Sieg, der die Welt überwindet. Das sehen wir, meine lieben Freunde, etwa an der Kinderarmut oder an dem Kinderreichtum unserer Ehen. Wer schwachen Glauben hat, der kann nur ein Kind haben oder zwei Kinder höchstens. Es reicht nicht für mehr, so sagen sie. Wer aber Glauben hat, der schenkt einer reichen Kinderschar das Leben im Glauben, daß Gott, der die Zähne gibt, auch das Brot für die Zähne geben wird. Der starke Glaube zeigt sich heute zumal in der Kraft, einer frohen Kinderschar das Leben zu schenken. Und wenn mir heute jemand sagt: Wir haben eine lebendige Pfarrgemeinde, dann frage ich, wie viele aus dieser Pfarrgemeinde haben denn mehr als zwei Kinder? Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Für den Gläubigen hat die Welt ihre betörende Kraft verloren. Der Glaube gibt die Kraft, das Unanschauliche über das Anschauliche zu setzen.

Zweitens, dem Glauben ist die machtvolle Hilfe Gottes verheißen. „Wenn du Glauben hast wie ein Senfkorn, dann kannst du zu dem Berge sprechen: Heb dich hinweg, und er wird sich hinwegheben.“ Das ist sicher eine der üblichen übertreibenden Redensarten, wie sie ja in der Heiligen Schrift häufig vorkommen. Es soll damit aber gesagt werden: Gott gibt uns so  viel, wie wir glauben. Gott gibt uns so viel, wie wir vertrauen. Wir enttäuschen ihn und wir beleidigen ihn, wenn wir ihm nicht vertrauen, wenn wir ihm nicht zutrauen, daß er uns gibt, worum wir dringend und in heißem Flehen rufen. Dem Glauben ist die machtvolle Hilfe Gottes verheißen. Alles vermag, wer glaubt! Das ist tatsächlich so, und wir haben es ja eben bei dem Vater des besessenen Knaben gehört, wie er in der Kraft des Glaubens den Herrn angefleht hat und die Verheißung empfing: Alles vermag, wer glaubt.

Da will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, eine wahre Geschichte. Die Geschichten, die ich erzähle, stimmen immer. Der Graf Stolberg war im Dienste von Dänemark. Er war Protestant wie das ganze Geschlecht Stolberg; er war Diplomat und hoher Beamter. Aber er hatte die Empfindung, daß der Protestantismus nicht die wahre Religion sein könne. Er suchte, er betete sieben Jahre lang. Eines Tages kam er mit seiner Frau in eine katholische Kirche, wo eben die Kinder zur Erstkommunion vorbereitet wurden. Der Priester sprach vom Glück, katholisch zu sein, und diese Predigt gab für Stolberg den letzten Anstoß. Er konvertierte zum katholischen Glauben mit seiner Frau und gab alles preis, seine hohe Stellung, sein großes Einkommen. Freundschaften zerbrachen, haßerfüllte Schriften wurden gegen ihn verfaßt. Aber Stolberg war ruhig und im Frieden, denn er war überzeugt, für den Glauben lohnt es sich, alles Irdische hinzugeben. Alles vermag, wer glaubt.

Und schließlich das Dritte, was der Glaube uns verheißt, nämlich der Lohn für den Glauben wird das Schauen sein. „Wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben.“ Ja, wieso denn? Weil er in der heiligmachenden Gnade lebt, und die heiligmachende Gnade ist der Anfang des ewigen Lebens. Deswegen kann Johannes sagen: Wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. So sollen wir also glauben, was wir nicht sehen können, damit wir zu sehen verdienen, was wir glauben. Heute, meine lieben Freunde, wandeln wir noch im Dunkel des Glaubens oder besser im Halbdunkel des Glaubens, denn da ist ja ein Licht. Aber er ist eben noch nicht das volle Licht; er ist nur eine Anweisung auf das volle Licht. Wir müssen noch warten, bis die Schleier fallen. Einmal wird es wie Schuppen von unseren Augen abfallen, einmal werden wir sehen, was wir jetzt glauben. Einmal wird man uns nicht mehr höhnen dürfen: Wo ist denn euer Gott? Einmal wird er uns machtvoll begegnen, und wir werden sehen, er hat uns nicht getrogen. Er hat uns für das ewige Leben bereitet durch den Glauben.

Amen.

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