Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Dezember 2003

Das Kommen des Emanuel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Freuet euch! Noch einmal sage ich: Freuet euch! Der dritte Adventssonntag ist der Sonntag „Gaudete“, der Sonntag der Vorfreude. Die Hoffnung auf das Kommen des Herrn hat sich zu froher Gewißheit verdichtet. Deswegen ruft der Apostel: „Freuet euch! Freuet euch, denn der Herr ist nahe!“ Am ersten Adventssonntag schauten wir aus dem Morgendämmern heraus auf den Herrn, und im Brevier hieß es damals: „Schon lange schaue ich aus, und ich sehe Gottes Macht nahen wie eine lichte Wolke, die über das ganze Land zieht.“ Am zweiten Adventssonntag wurde uns die Botschaft von der Erlösung zuteil; denn derjenige, der die Erlösung bringt, ist nahe. Der Erlöser ist gekommen, und sein Erlösungsprogramm hat sich gezeigt. Er ist der Arzt, der große Arzt der Menschen, der die Tauben hören läßt und die Stummen reden. Der dritte Adventssonntag ist der Sonntag, in dem der Vorläufer uns zuruft: „Er steht in eurer Mitte, der nach mir kommen wird und der vor mir gewesen ist.“ Er ist jetzt da, und an euch ist es, sich an ihn anzuschließen. Freuet euch! Noch einmal sage ich: Freuet euch, denn der Herr ist nahe!

Es ist im Advent so viel vom Kommen die Rede, vom Kommen des Herrn. Wie ist denn das gemeint? Wie ist es zu verstehen, wenn wir sagen: Der Herr ist nahe, d.h. er ist bereit und im Begriff zu kommen? Das Kommen, von dem im Advent die Rede ist, bezieht sich zunächst einmal auf das Gekommensein. Er ist schon einmal gekommen, nämlich in seiner Menschwerdung. Er ist ein Mensch geworden. Er hat die Natur eines Menschen angenommen. Er ist aus dem Schoß der Jungfrau Maria geboren worden, und das ist ja eigentlich der Hauptinhalt des Weihnachtsfestes: Er ist schon da! Der Erlöser ist da. Die Frage, die Gotthold Ephraim Lessing aufgeworfen hat in seinem „Nathan, dem Weisen“, ist schon gelöst. Wir brauchen nicht nach dem verlorenen echten Ring zu suchen; wir wissen, wo er ist. Er ist dort, wo Gott eine Religion begründet hat, nicht Moses und nicht Mohammed. Die Frage nach der Absolutheit der Religion ist entschieden, seitdem Christus ein Mensch geworden ist. Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er nicht hatte. Er trat auf unter uns, wenn auch in einer fremden Gestalt, aber es war der gewaltige, große Gott, der über die Fluren von Palästina gewandelt ist. Das ist also der erste Sinn des Kommens: Er ist schon gekommen. Es ist einmal eine Stunde gewesen, in der Gott über die Erde gewandelt ist, indem der Gottessohn Fleisch geworden ist, und wir konnten seine Herrlichkeit sehen voll der Gnade und Wahrheit.

Damit ist aber das Kommen nicht erschöpft. Die Erwartung im Advent richtet sich auch auf die zweite Ankunft Christi, auf die zweite Ankunft in Macht und Herrlichkeit. Die erste Ankunft war ja auch in Verhüllung, in Verborgenheit. Wer sehen wollte, konnte sehen, aber wer nicht sehen mochte, der hat auch nicht gesehen. Die zweite Ankunft wird so sein, daß alle ihn sehen, daß niemand mehr sagen kann: Ja, wir haben ihn in seiner Verborgenheitsgestalt nicht erkannt. Dann muß ihn jeder sehen, auch die ihn zu Tode gestochen haben; sie alle müssen ihn sehen. Dann kommt er wahrhaftig in großer Macht und Herrlichkeit, und alle werden erkennen, daß es derselbe ist, der schon einmal auf Erden war, nämlich Jesus von Nazareth. Auch das ist eine Erwartung, die wir im Advent hegen. Da kann man nicht fragen: Wann wird das sein? Wir wissen es nicht. Es ist nicht in unsere Macht gegeben, die Stunde und den Tag zu wissen, an dem der Herr kommt. Aber er ist treu; er ist also auch treu in seinen Verheißungen. Er erfüllt seine Verheißung, und wir dürfen nicht müde werden und auch nicht irre werden an seiner Verheißung. Was jederzeit eintreten kann, das ist immer nahe.

Eine weitere Weise des Kommens liegt vor, wenn der Herr uns seine Gnade schenkt, wenn er in unser Herz einzieht mit seiner Gnade, wenn er uns seine Impulse gibt, seine Gnadenimpulse, mit denen er uns anregt, aufzustehen von unserer Trägheit. Das ist auch ein Kommen des Herrn. Gott rührt die Herzen an. In einer Litanei heißt es: „Von der Vernachlässigung deiner Einsprechungen, o Herr, befreie mich, erlöse mich, o Herr.“ Jawohl, ein sehr treffendes, ein sehr zeitgemäßes Gebet. „Von der Vernachlässigung deiner Einsprechungen erlöse uns, o Herr.“ Er kommt, wenn er seine Gnade unseren Herzen mitteilt, die helfende Gnade, die Beistandsgnade, die Wirkgnade, wie wir sie nennen, die zu der heiligmachenden Gnade hinzutritt und unsere Herzen zu einer Wohnung Gottes macht.

Den Gipfel ersteigt die Gnadenmitteilung Gottes im eucharistischen Opfersakrament. Da wird uns nicht nur Gnade geschenkt, da wird uns der Spender der Gnade gegeben. Da empfangen wir nicht nur etwas aus der Wirklichkeit Gottes, sondern wir empfangen den Herrn Gott selbst, „wesentlich, wahrhaft und wirklich“, wie für alle Zeit geltend das Konzil von Trient festgestellt hat. Ich lese jeden Tag,  meine lieben Freunde, in dem Buch von der Nachfolge Christi, und da steht der schöne Satz: „Wenn du die heilige Messe feierst oder hörst, so soll dir diese heilige Handlung so wichtig, neu und erfreuend sein, als wenn Christus am gleichen Tage zuerst in den Schoß der Jungfrau hinabsteigend Mensch geworden wäre oder am Kreuze hängend für das Heil der Menschen litte und stürbe.“ Ich lese noch einmal diesen schönen Satz: „Wenn du die heilige Messe feierst oder hörst, so soll dir diese heilige Handlung so wichtig, neu und erfreuend sein, als wenn Christus am gleichen Tage zuerst in den Schoß der Jungfrau hinabsteigend Mensch geworden wäre oder am Kreuze hängend für das Heil der Menschen litte und stürbe.“ Wahrhaftig, so sollte es sein. Jede Messe ist ein einzigartiges Geschehen der Verbindung mit Gott und seinem Christus. Uns wurde im Priesterseminar beigebracht, jede Messe so zu feiern, als ob es die letzte wäre. Ja, man könnte ebensogut sagen: jede Messe so feiern, als ob es die erste wäre; denn das kommt auf das gleiche hinaus: mit innerer Glut, mit Begeisterung, mit Erfülltsein von der Liebe zum Herrn. Und dann will ich Ihnen noch einen Satz aus der „Nachfolge Christi“ vorlesen: „Würde dieses Sakrament nur an einem Ort gefeiert und nur von einem Priester konsekriert, mit welcher Sehnsucht, glaubst du, würden die Menschen nicht nach diesem Ort und zu diesem Priester eilen, damit sie an der Feier der göttlichen Geheimnisse Anteil nehmen könnten?“ Wahrhaftig, so wäre es. Würde dieses heilige Sakrament nur an einem Orte gefeiert und nur von einem Priester konsekriert, mit welcher Sehnsucht, glaubst du, würden die Menschen nicht nach diesem Ort und zu diesem Priester eilen, damit sie an der Feier der göttlichen Geheimnisse teilnehmen könnten? Das ist also die dritte Weise, wie Gott, wie Jesus zu uns kommt in der Gnade, zumal in dem Gnadensakrament der Eucharistie.

Aber noch eine vierte Weise gibt es, nämlich wenn er kommt, uns zu helfen. Er ist ja unser großer Helfer. Er ist der einzige, auf den wir uns letztlich verlassen können. Alle Menschenhilfe endet an einem bestimmten Punkte, Gottes Hilfe endet nie, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Der Apostel mahnt uns dazu: „Werft alle Sorgen auf den Herrn, denn er sorgt für euch.“ Wir dürfen unsere Not, unsere Schwäche, unsere Hilfsbedürftigkeit unserem Gott und Heiland offenbaren. Wir nehmen ihn ernst, indem wir ihm zeigen, wie schwach, wie arm, wie hilfsbedürftig wir sind. Wir nehmen ihn ernst, indem wir darauf vertrauen, daß er helfen kann und helfen will. Gewiß, ich kenne alle Einwände, ich habe sie mir ja selbst gemacht,  meine lieben Freunde, Gott hilft nicht immer so, wie wir es erwarten, er hilft nicht sogleich, wenn wir ihn anrufen. Er kommt oft eine Viertelstunde später, um unseren Glauben zu erproben, gewiß. Aber er muß zu seinen Verheißungen stehen, wonach er kein Gebet, das im Namen Gottes an ihn gerichtet wird, unerhört lassen will. Er muß sie erfüllen, diese Verheißung. Und das ist auch ein Kommen. Und wer von uns ist hier in diesem Raume versammelt, der nicht schon in seinem Leben, manchmal mit erschreckender Wirklichkeit erfahren hat: Gott hilft. Gott hilft immer, auch wenn er anders hilft, als wir es uns ausgedacht haben.

Der Vorläufer Johannes weist auf Jesus hin: „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt“, sagt er. Er sagt nicht nur, daß er kommt, sondern er sagt auch, daß „ihr ihn nicht kennt“. Die Menschen kennen Jesus nicht. Und diese Frage ist im Advent besonders dringend und notwendig. Kennen wir ihn? Kennen wir Jesus, seine Gesinnungen, seine Forderungen, sein Wesen, seine Wirklichkeit? Kennen wir ihn? Müssen wir nicht noch viel dazulernen, um Jesus wirklich kennenzulernen? Wir sollen ja Rechenschaft von unserem Glauben geben können. Wir sollen im Gespräch, in der Straßenbahn oder am Arbeitsplatz den Menschen, die Jesus nicht kennen, Jesus zeigen können. Wir müssen also etwas über ihn wissen, wir müssen viel über ihn wissen; und ich fordere Sie noch einmal auf,  meine lieben Freunde, sammeln Sie sich Wissen über Jesus, lernen Sie dazu, begnügen Sie sich nicht nur mit Andachtsbüchern, sondern lesen Sie gute Werke, die Ihnen zeigen, wer Jesus ist, meinetwegen das immer zeitnahe Buch von Karl Adam „Jesus Christus“. Wer das Buch einmal gelesen hat, der, glaube ich, weiß, wer Jesus Christus ist. Nur wer ihn kennt, versteht auch seine Forderungen. Manche stehen mit Unverständnis, ja mit Auflehnung vor den Forderungen, die Jesus an uns stellt, vor den Anforderungen, die er durch die Kirche an uns richtet. Die Kirche ist ja nur sein Mund, ist ja nur sein Werkzeug; die Forderungen kommen von Gott. Meinetwegen die Forderungen der geschlechtlichen Sittlichkeit, die den Menschen so besonders schwer fallen, zu erfüllen. Sie kommen von Gott. Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Herrn, einem Familienvater, der mir sagte: „Wissen Sie, ich habe jetzt einmal die Entyklika „Humanae vitae“ von Papst Paul VI. gelesen, die Enzyklika betreffend die Weitergabe des Lebens. Ich kann Ihnen nur sagen, ich finde das ganz vernünftig, was darin steht.“ Dieser Familienvater hatte sich darum bemüht, Jesus, seine Gesinnungen und seine Forderungen zu verstehen, und er hatte begriffen, daß Paul VI., der „Pillenpaul“, wie man ihn nannte, daß Paul VI. nichts anderes war als das Sprachrohr Jesu Christi, daß er nur weitergegeben hat, was er auch überkommen hat, und daß er nichts ändern durfte, weil in seiner Verkündigung die Botschaft Jesu laut wird.

„Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt.“ Wir sollen uns bemühen, Jesus kennenzulernen und ihm den Weg zu bereiten, den Weg zu bereiten, wie es Johannes getan hat. Viele, viele in kirchlichem Dienst Stehende haben diese Aufgabe, Jesus den Weg zu bereiten. Aber wie erfüllen sie sie? Johannes der Täufer zeigt uns, wie man eine solche Wegbereitung vornehmen muß, nämlich indem die eigene Person überhaupt nicht in Frage kommt. In der Anfrage aus Jerusalem lag ja die Möglichkeit, sich selbst als den Messias auszugeben, denn sein Wirken wurde von den Volksmassen mit dem von den Propheten verheißenen Wirken des Messias in eins gesetzt. „Bist du der Messias? Bist du der Prophet? Bist du Elias?“ Johannes verneint alles. Er ist weder der Messias noch der Prophet, nämlich der einzigartige, der letzte Prophet, und auch nicht Elias, der wiederkommen sollte, bevor der Messias kommt. Er wählt den demütigsten Titel, den man sich geben kann: „Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste.“ Ich bin nur ein Werkzeug, nicht mehr. Als sich also der Glanz des Messias auf sein Haupt herabsenken sollte, da hat er es abgelehnt, diese Position einzunehmen. Er blieb demütig, weil er wahrhaftig war. Das ist, was von uns verlangt wird. Wir, die wir im Dienst der Kirche stehen, wir, die wir zur Kirche halten, wir, die wir den Glauben weitergeben sollen, wir müssen so arbeiten, daß unsere Person überhaupt nicht in Frage kommt. Wir müssen nur auf Jesus schauen und nur als demütige Werkzeuge uns verhalten. Dann bereiten wir den Weg des Herrn. Es ist noch zu viel Selbstsucht, zu viel Ehrsucht, zu viel Eigennutz in so manchen, die im Dienste der Kirche stehen. Es ist noch zu viel Personenkult, und das macht mich allergisch. Es muß alles auf Christus und nur auf Christus ausgerichtet sein. Wir müssen hinter ihm zurücktreten. Deswegen steht ja der Priester mit dem Gesicht zum Kreuz am Altare, weil er eben mit der Gemeinde hingewandt ist auf Christus und nur auf ihn. Kein Dialog zwischen Priester und Gemeinde, sondern Dialog zwischen der Gemeinde und dem Priester auf der einen Seite und Christus auf der anderen Seite. Das ist die rechte Kommunionhaltung, das ist die rechte Meßhaltung, das ist die rechte Weise, wie wir unseren Dienst vor Gott vollziehen. Bereitet den Weg des Herrn,  meine lieben Freunde. Auf dem Friedhof in Budenheim befindet sich das Grab eines Priesters. Auf dem Grabstein sieht man, wie Jesus, der Heiland, die Augen des verstorbenen Priesters berührt, und darunter steht die Frage: „Was willst du, daß ich dir tun soll?“ „Herr“, gibt er zur Antwort, „daß ich sehe.“ Wahrhaftig, das ist unser Flehruf am dritten Sonntag im Advent: Herr, gib, daß ich sehe, daß ich deine verborgene Herrlichkeit sehe, daß ich sie den Menschen vermitteln kann und daß wir gemeinsam dir den Weg bereiten.

Amen.

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