Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Februar 2003

Das Dogma von den Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn man in Länder mit überwiegend katholischer Bevölkerung kommt, nimmt man vielleicht mit Verwunderung wahr, daß dort die Feste der Heiligen mit größerer Begeisterung und mit mehr Aufwand gefeiert werden als die Feste des Herrn oder des dreifaltigen Gottes. Da könnte einem der Verdacht kommen, daß hier des Guten zuviel geschieht, daß hier eine Übertreibung der Heiligenverehrung stattfindet. Das Dogma von den Heiligen ist nämlich denkbar nüchtern. Es lautet: "Es ist gut und heilsam, die Heiligen zu verehren." Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist gut und heilsam, das heißt es ist empfehlenswert. Es ist keine Pflicht. Es kann jemand katholisch sein, auch ohne die Heiligen zu verehren.

Dennoch, meine lieben Freunde, werden wir heute zu erkennen versuchen, daß die Heiligenverehrung nicht in Konkurrenz tritt zur Anbetung des dreifaltigen Gottes. Wir werden erkennen, daß die Verehrung der Heiligen in engster Verbindung zu den Dogmen steht, die wir an den letzten Sonntagen betrachtet haben, nämlich zu den Dogmen von der Vorsehung, vom Sinn des Guten und von der Gnade. So wollen wir heute sprechen von den Heiligen, von dem Gott der Heiligen und von uns, den Verehrern der Heiligen.

Die Heiligen sind von der Kirche in den Kalender, in das Album, in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen worden, weil sie gute Menschen waren. Sie waren gute Menschen in einem besonderen, in einem erhabenen, in einem vollkommenen Sinne. Sie haben die Vollkommenheit im Guten erreicht; sie haben Tugend bewiesen in heroischem Maße. Deswegen sind sie von der Kirche zu Heiligen erklärt worden. Gott hat sie zu einer Höhe gehoben, die, wie wir sehen, Menschen erreichbar ist, wenn sie sich auf Gott einlassen. Und sie waren Menschen, die sich auf Gott eingelassen haben; sie sind deswegen Gott ähnlich geworden. Der gute Mensch, der wirklich gute Mensch, ist auch immer ein frommer Mensch, und der fromme Mensch, der wirklich fromme Mensch, ist auch immer ein guter Mensch. Religion und Sittlichkeit, so haben wir ja erkannt am letzten Sonntag, Religion und Sittlichkeit gehören untrennbar zusammen. Und wer zu Gott kommt, der muß auch Gott ähnlich werden. Und wer zu Gott kommen will, der muß sich bemühen, Gott ähnlich zu werden. Das eben haben die Heiligen geschafft. Sie sind wertvolle, gottverbundene, gottähnliche Menschen geworden. Da hat sich in irgendeiner Weise erfüllt, was der Versucher mit teuflischer Ironie gesagt hat: "Ihr werdet sein wie Gott." Gewiß, das Wort bleibt bestehen: Wer ist gut? Gott allein! Das hat der Herr gesagt. Es werden auch an den Heiligen noch Trübungen bleiben, es werden auch an ihnen noch Mängel vorfindlich sein. Aber sie haben eben eine Höhe der Tugend erreicht, die nicht anders als heilig und gottähnlich bezeichnet werden kann. Da sieht man, daß sich das Gute und die Religion lohnt. Die Güte lohnt sich, wie wir an den Heiligen sehen. Sie sind Wohltaten spendend über die Erde gegangen. Was man von Jesus Christus gesagt hat: "Er ging Wohltaten spendend über die Erde", das kann, das muß man auch von den Heiligen sagen: Sie waren warme, erwärmende, erleuchtende, erhellende Menschen.

Die Güte lohnt sich, und die Religion lohnt sich. Was die Heiligen gebetet, was sie gelitten haben, was sie Gott gedient haben, das hat sich gelohnt. Sie waren Menschen, die eine Spur Gottes über diese Erde gezogen haben; das hat sich mehr gelohnt, als wenn sie eine Maschine aufgebaut hätten oder eine Wirtschaft eingerichtet hätten. Ihr Leben und ihr Leiden, ihr Lieben hat sich wahrhaftig gelohnt, denn sie haben Gott sichtbar gemacht auf dieser Welt.

Und da sind wir schon bei dem Gott der Heiligen. Die Heiligen sind Zeugen für Gott. Sie sind Zeugen für Gott, weil Gott in ihnen wirksam und erkennbar war. So wie die Heiligen gewesen sind, so sind sie geworden in der Liebe Gottes. Von Gottes Schöpfermacht heißt es: "Er macht Feuerflammen zu seinen Dienern." Von den Heiligen muß man sagen: Er macht seine Diener zu seinen Lieblingen, denn die Heiligen sind Menschen, die in einem Vertrauensverhältnis zu Gott gelebt haben. Sie waren Gott nahe; sie haben am Herzen Gottes gelebt und geliebt. Deswegen haben sie ein unwiderlegliches Zeugnis für Gott abeglegt. Wenn man wissen will, wie Gott ist, muß man sich die Heiligen ansehen. Wenn man wissen will, wie Gott mit den Menschen handelt und umgeht, muß man das Leben der Heiligen befragen. So ist Gott, wie die Heiligen ihn erfahren haben. Sie sind so geworden in dem liebenden Umfangen, das Gott ihnen gewährt hat. Die Heiligen sind wahrhaftig Zeugen für Gott, weil sie Gott offenbaren. Sie sind eine Offenbarung Gottes. Sie sind so, wie Gott sie in seiner allmächtigen Gnade geschaffen hat.

Wenn wir Maria sehen, wie sie das Magnificat singt, wie sie das Kind in die Krippe bettet, wie sie unter dem Kreuze steht, dann schwinden alle feindlichen Rätsel, die Gott uns aufgeben mag. Da möchten wir an ihrer Seite stehen; da möchten wir auch noch danken für die Schmerzen, die ihr zugefügt wurden, denn diese Schmerzen haben uns die Mutter der Barmherzigkeit gewährt. Wenn wir sehen, wie Gott, ein herrischer Liebhaber, über den Saulus verfügt und ihn zu einem Paulus macht, wenn er ihm den Auftrag gibt, sein Werkzeug zu sein, vor Könige und Völker zu treten, und wenn er ihm zeigt, wieviel er leiden muß, da möchten wir fast mit schüchternem Neid sprechen: Mich – kannst mich nicht auch gebrauchen? Wenn wir sehen, wie er der heilige Therèse Martin in blühendem Alter das Leben auslöscht, dann kennen wir kein Bedauern; dann möchten wir Gott sagen: Ja, pflücke nur, pflücke nur diese Blume, pflücke sie nur durch den Schmerzensdruck deiner Hand!

So geht Gott mit den Heiligen um, wie es seine Liebe ihm gebietet. Seine Liebe hat für die Heiligen nichts Erschreckendes, sondern in dieser Liebe hören alle Rätsel auf. Und wenn Gott uns fremd ist und unbegreiflich erscheint, dann hängt das damit zusammen, daß wir noch nicht die Wissenschaft der Heiligen gelernt haben, nämlich die Wissenschaft der Liebe, die Liebeslogik, die den Heiligen eigen war. Daran liegt es, wenn wir Gott noch fragen: Warum und wieso und wozu?

Die Heiligen haben uns gezeigt, wie Gott wirklich ist und wie der Mensch sein muß, um mit Gott umgehen zu können. Gott hat ihr Leben beglaubigt. Die Kirche spricht niemanden heilig, der nicht durch Wunder von Gott beglaubigt worden ist. Die Wunder sind gewissermaßen ein amtliches Sittenzeugnis für die Heiligen. Sie sind das Ja Gottes zu dem Leben der Heiligen und bezeugen uns, daß Gott mit ihnen einverstanden war. Aber die Wunder sind noch mehr. Die Wunder sind auch ein Zeichen dafür, daß das Leben der Heiligen geöffnet war für Gottes Macht, daß Gott seine Gesetze, seine Naturgesetze, seine Natur, seine Naturgewalten in den Dienst der Heiligen stellt und daß das Wunder bei ihnen aus- und eingehen kann. Er legt ihnen alles zu Füßen, auch die grausame Natur. Und deswegen sind die Heiligen wunderbare Menschen. Gewiß, auch sie stehen unter dem Gesetz der Schwere, der Enge, des Dunkels, des Todes. Aber das ist deswegen der Fall, weil sie es nicht anders haben wollen. Sie wollen nicht anders leben als ihr Herr und Meister. Sie wollen das Kreuz nicht abschütteln, das er ihnen auferlegt. Sie wollen Geschwister des Gottesknechtes sein, der mit blutenden Füßen und mit einer Dornenkrone sein Erlösungswerk vollendet hat. Die Heiligen rufen deswegen auch die Wundermacht Gottes nicht für sich an. O nein! Wenn es um sie geht, da wäre nie ein Wunder geschehen. Aber weil sie eben Geschwister des Gottesknechtes sind, weil sie zum Dienen auf Erden sind und weil ihnen das Leid der Brüder und Schwestern zu Herzen geht, deswegen rufen sie Gottes Wundermacht an. Nicht das ist das Schrecklichste, daß wir selbst leiden müssen, sondern daß wir andere, die uns nahe stehen die wir lieben, leiden sehen und ihnen nicht helfen können. Das ist das Schrecklichste. Und das ist der Grund, warum die Heiligen dann Gottes Wundermacht anrufen, warum sie flehen, so wie Jesus gefleht hat zu seinem Vater, als er den Lazarus erweckte oder als er den Jüngling von Naim der Mutter zurückgab. Das ist der Grund, warum Wunder um Wunder im Lebensweg der Heiligen steht. Und wenn es nach ihnen ginge, würden sie mit der Wundermacht alle Leiden auf Erden aufheben. Aber das darf ja nicht sein; das Kreuz muß stehenbleiben. "Mußte nicht Christus dies leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?" Aber die Wunder, die tatsächlich geschehen, sind ein Ausdruck und ein Zeichen dafür, daß die Übermacht der Liebe schon jetzt am Werk ist, daß die Großmacht der Liebe tatsächlich schon da ist. Sie sind ein Zeichen dafür, daß der Weg dahin geht, wo einmal alle Tränen getrocknet werden und alle Leiden ein Ende haben.

Die Heiligen werden von uns verehrt. Wir sind Heiligenverehrer. Das ist eiegentlich eine Selbstverständlichkeit. Wo wir das Große treffen, da müssen wir verehren. Ob es eine Frau ist oder ein Führer, ob es ein Genie ist oder ein Künstler, ob es ein Lehrer ist oder ein Meister: Wo wir das Große treffen, da müssen wir verehren. Verehren heißt liebend aufblicken zu einem anderen. Verehrung ist eine Mischung aus Scheu und Vertraulichkeit, eine Mischung aus Nähe und aus Ferne. Wahrhaftig, die Verehrung, eine Mischung von Ehrfurcht und Zärtlichkeit. Und die Heiligen stehen über uns. Sie sind ja bei Gott; sie sind ihm ganz nahe. Wir können sie also verehren. Und sie sind uns gut gesonnen; sie sind gütig, also müssen wir sie lieben. Wir sehen: Das was die Verehrung ausmacht, das ist in reinster Form gegenüber den Heiligen erfüllt. Wir müssen sie verehren, weil sie nahe bei Gott sind und weil sie gütige Menschen sind.

Aber jetzt kommt etwas hinzu, was bei der Verehrung gegenüber irdischen Personen fehlt. Nämlich wenn wir die Heiligen verehren, dann ist das Religion. Wenn wir zu den Heiligen gehen, dann ist das ein Gehen zu Gott; denn die Heiligen sind ja nichts anderes als Produkte Gottes. Sie kommen aus Gott hervor wie aus einem Tempel. Sie sind heiliges Land, weil Gott sie zu einer Art Wallfahrtsort geschaffen hat. Wer also zu den Heiligen geht, der findet zu Gott. Meine lieben Freunde, damit ist die Heiligenverehrung im innersten Wesen des Christentums verankert. Denn das wesenhafte Ereignis des Christentums ist die Menschwerdung Gottes. Das Entscheidende im Christentum ist, daß einmal ein Mensch war, der der ewige, unsichtbare, allmächtige Gott gewesen ist. Und diesen Gott beten wir an in der Gestalt des Jesus von Nazareth. Nun ist natürlich der Weg zu Jesus noch ein wenig lang, denn es ist eben ein unermeßliches Geheimnis, wie der Unsichtbare sichtbar werden kann, wie der Hintergrund hervortreten kann. Das ist für uns unfaßbar. Und so hat Gott offenbar Mitleid mit unserer Geistesschwäche gehabt, so daß er gesagt hat: Ich will euch den Weg verkürzen. Ich will ihn euch erleichtern. Deswegen gebe ich euch die Heiligen. Wenn ihr zu ihnen geht, dann findet ihr zu mir. Wenn ihr sie findet, dann findet ihr mich. Denn die Heiligen sind ja nichts anderes als Geschöpfe Gottes; sie sind seine Lieblingsgeschöpfe, und wer zu ihnen kommt, der findet zu Gott.

Der Weg zu Magdalena, die die Füße des Herrn umfaß, ist ein kurzer Weg. Ihn können wir gehen. Der Weg zu Paulus, der einmal ein Saulus war, ist ebenfalls ein kurzer Weg, und auch den können wir gehen. Und was soll ich sagen: Wenn wir den Weg zu dem heiligen Pförtner von Altötting gehen wollen, das ist ja ein ganz kurzer Weg. Der Weg zu diesem demütigen Laienbruder im Kapuzinerkloster in Altötting, dieser Weg den kann jeder gehen. Und wenn er ihn geht, dann findet er zu Gott, dann ist er schon bei Gott, dann ist er schon bei Christus angelangt; denn diese Heiligen wollten nichts anderes sein als Wegweiser und Führer zu Gott. Wir können also durch die Heiligenverehrung den Weg zu Gott finden. Wenn wir nur eine Spur von der Güte des heilige Franz besäßen, wenn wir nur ein Körnchen von der Konsequenz des heiligen Bernhard besäßen, wenn wir nur einen Anteil an der Unschuld der heiligen Theresia besäßen, da wäre es gut um uns bestellt und wir würden den Weg zu Gott nicht mehr verfehlen.

Wir sollen und wir können die Heiligen verehren. Wir sollen und können ihnen auch folgen. Denn wenn wir zu ihnen kommen, wenn wir es so machen wie sie, dann kommen wir mit Sicherheit zu Gott. Wer diesen Weg geht, verfehlt das Ziel nicht. Wer ihnen nachfolgt, der folgt Christus nach, denn sie sind ja nichts anderes als die Christusnachfolge in unserer Zeit. Wir wissen oft nicht, wie wir leben sollen, wie wir handeln sollen. Wir wissen oft nicht, was gut ist. Tausend Stimmen drängen auf uns ein aus dem Inneren und von außen, vom Leben und von Rätseln. Die Antwort auf all diese andrängenden Stimmen und Probleme lautet: Nimm dir ein Beispiel an den Heiligen! Mach es so, wie Heiligen gewesen sind! Dann findest du den Weg zum Ziele, dann gewinnst du Anteil an ihrem Los.

Und schließlich dürfen wir uns ihrer Nähe erfreuen. Sie sind Menschen, die uns beistehen mit ihrer Fürbitte. Wir liegen ihnen am Herzen, weil Gott uns ihnen ans Herz gelegt hat. Das sind Menschen, denen wir vertrauen können. Auf Erden sind wir ja manchmal mißtrauisch geworden, vorsichtig und kritisch. Bei den Heiligen ist alles Mißtrauen unangebracht. Wir können ihnen voll vertrauen, denn sie sind sachliche, ehrliche, aufrichtige, liebende Menschen, denen wir wahrhaftig am Herzen liegen. Die Heiligen sind Menschen, die in Gemeinschaft mit uns stehen, eine Gemeinschaft, die bis in die Ewigkeit reicht. Hier verliert die trostlose Unterscheidung zwischen Lebenden und Verstorbenen ihre Gültigkeit. Sie leben, sie sind lebendiger als wir, und sie leben bei Gott, um uns in ihre Nähe zu rufen, um uns zu sich selbst heimzuführen. Dann wird der Wille Gottes einmal mit ihrer Hand gelingen. Dann werden sie wie Jesus sprechen können: Wir wollen, daß die, die zu uns gehören, bei uns seien, daß sie das Ziel erreichen, daß wir mit ihnen eine ganze Ewigkeit uns freuen können.

Amen.

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