Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Mai 2002

Der historische Zeitpunkt der Himmelfahrt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!

Wir haben soeben zwei Berichte über die Himmelfahrt des Herrn vernommen. Der eine stammt aus der Apostelgeschichte, der andere aus dem Evangelium nach Markus. Wenn Sie genau hingehört haben, ist Ihnen vielleicht eine Differenz zwischen beiden Berichten aufgefallen; denn in der Apostelgeschichte ist die Rede davon, daß Christus 40 Tage lang den Jüngern erschien und sie belehrte über das Reich Gottes und dann in den Himmel auffuhr, im Evangelium nach Markus gewinnt man den Anschein, daß Jesus am Auferstehungstage, nachdem er mit den Jüngern geredet hatte, ihnen Weisungen gegeben hatte, in den Himmel aufgefahren ist. Ist das ein Gegensatz? Ist das ein Widerspruch? Oder lassen sich beide Texte sinnvoll und ohne Schwierigkeit vereinen?

Wir wissen zunächst einmal, was die Himmelfahrt Christi bedeutet. Er ist aus der Knechtsgestalt in die Vollendungsgestalt aufgenommen worden. Die menschliche Natur Jesu, die verklärte menschliche Natur Jesu ist in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen. Er ist jedem menschlichen Zugriff entzogen, er ist in seine Herrscherstellung eingesetzt, er ist uns vorausgegangen, um uns eine Wohnung zu bereiten. Das alles ist der theologische Sinn der Himmelfahrt Christi. Aber wie steht es um die historische Seite? Wann, wie und wo ist die Himmelfahrt geschehen? Gleich am Auferstehungstage oder erst nach 40 Tagen?

Um in dieser Frage Klarheit zu gewinnen, muß man die Texte des Neuen Testamentes, die von der Himmelfahrt berichten, nebeneinanderhalten. Im Lukasevangelium heißt es: „Jesus erschien den Aposteln, er sprach zu ihnen, dann führte er sie hinaus, Bethanien zu, erhob seine Hände und segnete sie, und es geschah, während er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr in den Himmel hinauf.“ Auch hier hat man den Eindruck, die Himmelfahrt oder besser gesagt: die erste Himmelfahrt geschah am Auferstehungstag. Die Apostelgeschichte, das ist ganz eindeutig, verlegt die von ihr berichtete Himmelfahrt auf den 40. Tag nach der Auferstehung. Die Männer, die mit Jesus waren, sahen, wie er vor ihren Augen emporgehoben wurde, und eine Wolke entzog ihn ihren Blicken. Sie schauten zum Himmel und empfingen die Aufklärung durch die Engel, daß Jesus wiederkommen werde so, wie er aufgefahren war, also sichtbar. Im Markusevangelium, das wir ja eben gehört haben, heißt es, daß Jesus, nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen wurde und sich zur Rechten Gottes setzte. Hier entsteht der Eindruck, die Himmelfahrt geschah am Tage der Auferstehung. Dieser Eindruck wird verstärkt durch das Johannesevangelium. Nach dem Johannesevangelium erscheint Jesus nach der Auferstehung Maria Magdalena. Jesus entgegnet ihr: „Halte mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren. Gehe vielmehr zu meinen Brüdern und sage ihnen, ich fahre hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Damit kann Jesus nur meinen, daß er eben jetzt im Begriffe steht, zum Vater emporzusteigen. Sein Ausspruch hätte gar keinen Sinn, wenn er seine Absicht nicht vor der Erscheinung am Ostersonntag abend ausgeführt hätte.

Ich gehe weiter zum größten Brief des Apostels Paulus, zum Römerbrief. Da heißt es schon im 1. Kapitel: „Er ist eingesetzt zum Sohne Gottes in Macht aufgrund von Totenauferstehung.“ Ich wiederhole: „Er ist eingesetzt zum Sohne Gottes in Macht aufgrund von Totenauferstehung.“ Also nicht aufgrund von Himmelfahrt. Die Totenauferstehung hat Jesus schon zum Sohne Gottes in Macht eingesetzt. Mit der Auferstehung ist seine himmlische Machtstellung schon gegeben. Dennoch sind an vielen Stellen des Neuen Testamentes Äußerungen enthalten, die von der Himmelfahrt des Herrn sprechen. Zum Beispiel heißt es im Epheserbrief des Apostels Paulus: „Er ist hinaufgestiegen zur Höhe, hat mit sich geführt die Gefangenen und Gaben ausgeteilt den Menschen.“ Im Philipperbrief bekennt Paulus: „Gott hat ihn erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf daß sich im Namen Jesu jedes Knie beuge derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind.“ Und im Kolosserbrief heißt es: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so suchet, was droben ist, wo Christus sitzet zur Rechten Gottes.“ Im 1. Timotheusbrief: „Anerkannt groß ist das Geheimnis der Frömmigkeit. Er ward geoffenbart im Fleische, bewährt im Geiste, erschienen den Engeln, verkündet unter den Heiden, gläubig angenommen in der Welt, erhöht in Herrlichkeit.“ Erhöht in Herrlichkeit! Und um schließlich noch den Hebräerbrief zu zitieren: „Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der hindurchgegangen ist durch den Himmel, Jesus, den Sohn Gottes, so wollen wir festhalten am Bekenntnis.“ Wir haben also einen Hohenpriester, der hindurchgegangen ist durch die Himmel. Und an einer anderen Stelle im Hebräerbrief: „Er ist nicht in ein von Händen gefertigtes Heiligtum eingegangen, sondern in den Himmel, um nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen.“ Ein allerletztes Zeugnis aus dem ersten Petrusbrief: „Er sitzt zur Rechten Gottes, nachdem er den Tod verschlungen hat, damit wir Erben ewigen Lebens würden, und aufgefahren ist in den Himmel, wo ihm Engel, Mächte und Gewalten untertan sind.“

Alle diese Stellen sprechen entweder ausdrücklich von der Himmelfahrt des Herrn oder setzen sie voraus. Aber sie geben uns noch keine unmittelbare Auskunft darüber, wann die Himmelfahrt des Herrn geschehen ist. Es bleibt zunächst unaufgeklärt, ob die Himmelfahrt erst am 40. Tage nach Ostern oder schon am Ostersonntag geschehen ist. Die Erklärung, meine lieben Freunde, ist nicht schwer. Sie ergibt sich zwanglos und ohne Vergewaltigung der Texte. Jesus ist durch die Auferstehung zum Sohne Gottes in Macht eingesetzt worden. Er hat alles erhalten, was er überhaupt bekommen konnte. Er ist erhöht worden, und das heißt: Er ist nicht nur in seiner menschlichen Natur verklärt worden, sondern er ist auch nach seiner menschlichen Natur in den Himmel aufgenommen worden. Christus ist tatsächlich am Ostersonntag in den Himmel aufgefahren. Er kommt während der 40 Tage nicht aus einem Winkel der Erde zu den Jüngern, er kommt vom Himmel. Seine Erscheinungen sind himmlische Erscheinungen. Sie sind Ausdruck der himmlischen Verklärung, die für diesen Fall durch irdische Erscheinungen durchbrochen wird.

Was bleibt dann vom Himmelfahrtstage am 40. Tage nach Ostern? Das ist die letzte Erscheinung, das ist die allerletzte Erscheinung. Danach ist Christus in dieser Weise nicht mehr seinen Jüngern erschienen. Es gibt also, wenn man so sagen will, mehrere Himmelfahrten. Nämlich immer dann, wenn Jesus erschienen ist, ist er vom Himmel gekommen und wieder in den Himmel zurückgekehrt. Einmal ist das das erstemal gewesen. Das war am Ostersonntag. Einmal ist es das letztemal gewesen, das war 40 Tage nach Ostern. Die Himmelfahrt am 40. Tage fügt also Jesus nicht Neues hinzu; sie ist der Abschluß der Erscheinungen. Wir haben keinen Anlaß, die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien zu bezweifeln. Wir haben keinen Anlaß anzunehmen, daß mit der Himmelfahrt am 40. Tage nach Ostern nur ein theologisches Geheimnis erklärt werden soll, wie das neue Lexikon für Theologie und Kirche behauptet. Da steht nämlich: „Die Himmelfahrt muß als einprägsame Illustration der christologischen Erkenntnis der Erhöhung Jesu verstanden werden, nicht als Beschreibung eines historisch faßbaren Ereignisses.“ Ja, warum denn nicht? „Nicht als Beschreibung eines historisch faßbaren Ereignisses.“ Ja, wieso denn nicht? Sind die Evangelisten Dichter oder sind sie Zeugen? Doch wohl Zeugen! Sie bezeugen, was sie gesehen, was sie gehört, was sie mit ihren Händen getastet haben. Also bezeugen sie auch das, was sie am 40. Tage nach Ostern erlebt haben, nämlich die endgültige Rückkehr Christi in die Herrlichkeit des Vaters, die Beendigung der Erscheinungen, in denen er den Aposteln Aufträge gegeben, ihnen das Reich Gottes erklärt und ihnen den Heiligen Geist verheißen hatte. Die Rückkehr zum Vater war die Voraussetzung dafür, daß er ihnen den Heiligen Geist senden konnte. Erst mußte er beim Vater sein, dann empfing er vom Vater den Heiligen Geist und goß ihn über seine Jünger und über die ganze Kirche aus.

So ist es also, meine lieben Freunde, und daran wollen wir festhalten. Die Himmelfahrt am Ostersonntag ist genauso geschichtlich wie die Himmelfahrt am 40. Tage nach Ostern. Er ist durch seine Auferstehung eingesetzt zum Sohne Gottes in Kraft. Man nennt das mit dem biblischen Ausdruck Erhöhung. Erhöhung begreift beides in sich, die Auferstehung Christi in einem verklärten Leibe und die Heimkehr zum Vater. Und diese Erhöhung feiern wir heute, diesen Sieg über die irdischen Gestalten, über die irdischen Formen, diese Aufnahme in die Herrlichkeit des Vaters, um uns dort eine Wohnung zu bereiten. Christus ist wahrhaft auferstanden, so wie er wahrhaft getötet worden ist. Christus ist auch wahrhaft in den Himmel eingegangen, wie er den Jüngern vom Himmel her wiederholt erschienen ist.

Amen.

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