10. Februar 2002
Die Bedeutung der Welt für die menschliche Existenz
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gott und die Seele: das war der Gegenstand unserer Überlegungen an den vergangenen Sonntagen. Wenn nur Gott und unsere Seele da wären, dann, so meinen wir, wäre alles gut und ruhig und friedlich. Aber da ist noch mehr. Außer Gott und der Seele gibt es noch eine ganze Welt, und man muß fragen: Ja, wozu ist denn die da? Die Welt, also die Natur, die Schöpfung, die Sterne, die Blumen, die Tiere und die Menschen, „die viel zu vielen Menschen“, wie Nietzsche sagt. Dann mein eigenes Leben, mein Geist, mein schwacher Geist, mein schlechtes Gedächtnis, mein schwacher Wille, mein unscharfer Verstand; und mein Körper, mein hinfälliger, mein von Müdigkeit, Erschöpfung und Krankheit heimgesuchter Körper; und dann meine Umgebung, das alles, was auf mich eindrängt und mich belastet und bedrückt. Was ist mit dieser Welt? Wir wollen drei Sätze aufstellen und sie zu erklären versuchen.
1. Die Welt ist nicht Gott,
2. die Welt kommt aber von Gott und
3. die Welt führt zu Gott.
Erstens: Die Welt ist nicht Gott. Es hat Philosophen gegeben, die Pantheisten waren, die also die Welt, die Schöpfung, die Natur als das Göttliche angesehen haben. Aber das ist eine Verirrung. Die Welt ist nichts Absolutes; dazu ist sie viel zu unvollkommen, dazu ist sie zu vergänglich. Die Welt ist nicht Gott. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Dinge, die wir benötigen, uns oft fehlen. Es fehlen uns oft Menschen, Hilfsmittel, Ereignisse, die wir nötig zu haben glauben. Gerade wenn wir sie am dringlichsten bräuchten, fehlen uns die Dinge und die Menschen. Die Welt, die uns umgibt, ist insofern mangelhaft. Die Dinge, die uns zugewiesen sind, reichen oft nicht aus. Im ersten Teil des „Faust“ steht der Satz, den so mancher über sein Leben schreiben kann: „Entbehren sollst du, sollst entbehren.“ Ja, oft die besten, die heiligsten Wünsche gehen nicht in Erfüllung; die Dinge fehlen uns. Sie belasten uns aber auch. Alle Dinge, auch alle Menschen, können eine Belastung werden. Selbst wenn es ein heiligster Mensch wäre, auch der könnte noch eine Last für uns werden, weil die Menschen und die Dinge alle begrenzt sind, weil sie getragen werden wollen, weil sie etwas Unvollkommenes an sich haben. Sie belasten uns, sie stellen Ansprüche, sie stellen Forderungen, und das ist immer eine Belastung. Die Dinge der Welt belasten uns. Und sie verlassen uns. Die meisten Lieder der Menschen sind Abschiedslieder, die meisten Stunden sind Abschiedsstunden. Alles verläßt uns, und wir müssen alles verlassen; wir wachsen über alles hinaus.
Die Dinge der Welt können auch eine Gefahr für uns werden, nämlich die Gefahr, daß wir uns an sie klammern, daß wir sie nicht loslassen wollen, obwohl Gott es wünscht, daß wir sie loslassen; daß wir sie festhalten wollen, obwohl Gott befiehlt, daß wir sie nicht festhalten sollen. Sie können eine Gefahr für uns werden, und deswegen braucht es eine innere Loslösung. Wir müssen die innere Freiheit haben, daß wir die Dinge besitzen, als ob wir sie nicht besäßen, daß wir kaufen, als ob wir nicht kauften, wie Paulus es von uns fordert. Die Dinge können eine Gefahr für uns werden, wenn wir uns unzulässigerweise an sie festklammern. Es braucht die innere Losgelöstheit, die innere Freiheit. Zuweilen muß die innere Losgelöstheit sich auch in einer äußeren Loslösung bekunden. Es gibt Fälle, wo man auch äußerlich eine Beziehung lösen muß. Vor drei Jahren, meine lieben Freunde, saß ein junger Priester bei mir, der eine Beziehung zu einer verheirateten Frau eingegangen war. Ich sagte ihm: „Nichts mehr, kein Wort, kein Telefongespräch, kein Brief – nichts mehr!“ Er hat nicht auf mich gehört, und dann ist er versunken.
Nun hilft die äußere Loslösung wenig, wenn man nicht auch innerlich gelöst ist. Die innere Loslösung muß da sein, damit die äußere auch wirksam wird. Innerlich gelöst kann man in dreifacher Weise sein: Es gibt eine Loslösung, die schlecht ist, eine Loslösung, die gut, aber nicht vollkommen ist, und eine Loslösung, die gut und vollkommen ist. Die schlechte Loslösung besteht darin, daß man zu faul und zu träge ist, um sich überhaupt mit etwas abzugeben. Der Phlegmatiker, dem alles gleich ist, der nur seine Ruhe haben will, der hat auch eine Loslösung, aber eine falsche. Ebenso der Hochmütige, der sich über alles erhaben dünkt, der meint, er brauche sich mit der Welt nicht abzugeben, er brauche sich nicht mit ihr einzulassen, er stehe über allem. Der Hochmütige ist auch losgelöst, aber in einer sündhaften Weise. Dann gibt es eine Loslösung, die ist gut, aber nicht vollkommen. Das ist jene Loslösung, wo der Mensch durchschaut hat, daß das Irdische, daß das Menschliche brüchig ist. Es gibt Menschen, die haben alles genossen, aber dann haben sie den Becher weggeworfen und gesagt: Das ist nichts, das ist nichts Gescheites. Das ist richtig, aber es ist zu negativ. Dann gibt es andere, die schon vorher alles durchschaut haben und sagten: Dabei halte ich mich nicht auf; ich gehe zu Größerem, zu Höherem über. Das ist auch gut, aber es ist nicht vollkommen. Vollkommen ist jene Loslösung, die ein Motiv hat, nämlich Gott, für die Gott die große Sonne ist, die alles andere überstrahlt. Diese Loslösung nimmt alles zur Kenntnis, weiß alles zu schätzen, aber in Gott. Sie weiß auch die Menschen zu lieben, aber sie liebt sie in Gott. Und da kann man sie nicht mehr verlieren, weil sie in Gott geliebt werden und weil Gott diese Liebe heiligt und erhebt. Die Welt ist nicht Gott.
Sie kommt aber – zweitens – von Gott. Sie kommt von Gott, denn sie ist seine Schöpfung. Die Welt ist die Schöpfung Gottes. Und weil sie von Gott kommt, deswegen hat alles Geschöpfliche etwas Göttliches an sich, etwas Schönes, etwas Lichtes, etwas Liebenswürdiges, etwas Befreiendes. Der heilige Thomas von Aquin hat einmal die Frage gestellt, ob man den Teufel lieben könne. Er sagt, das könne man, denn auch der Teufel ist ein Geschöpf Gottes. Er hat etwas Göttliches mitbekommen, einen hohen Verstand, einen durchdringenden Willen, eine große Erfahrung. Insofern also, als er ein Geschöpf Gottes ist, kann man den Teufel lieben. Nicht in seiner Abwendung von Gott, aber infolge seiner Herkunft von Gott ist der Teufel ein liebenswürdiges Geschöpf. So sagt der heilige Thomas von Aquin. Und erst recht gilt das von den Menschen, die ja keine Teufel sind. Auch bei denen gibt es immer etwas Göttliches, etwas Lichtes, etwas Helles, etwas Liebenswürdiges. Man muß die Menschen nur studieren, man muß sie nur zum Gegenstand des Studiums machen, man muß nur das aufzusuchen versuchen, was an Göttlichem in ihnen ist. Nicht hinweggehen über sie und sagen: Mit dem ist nichts, und mit der ist nichts, da kann ich nichts anfangen. Es ist in jedem Menschen etwas Lichtes, etwas Helles, etwas Ergreifendes, etwas, was man lieben kann. Weil die Welt von Gott kommt, deswegen hat jedes Geschöpf etwas Göttliches an sich.
Weil die Welt von Gott kommt, ist auch alles in der Hand Gottes. Es fällt nichts ganz aus seiner Hand heraus, nicht einmal der Zufall und auch nicht das Schicksal. Zufälle kennen wir alle in unserem Leben, schmerzliche, auch manchmal freudige Zufälle. Ich erinnere mich, wie ich im Februar 1945 durch die sächsische Stadt Dresden kam. Unbehelligt durchschritt ich die Stadt. Wenige Tage später hat ein furchtbarer Bombenangriff die Stadt zerstört. Ein Zufall? Es gibt auch Zufälle anderer Art. Ich traf einmal einen Priester, einen Pfarrer, der mit seinem Los nicht zufrieden war. Er erzählte mir: Ja, damals, als ich bei dem Bischof war, da habe ich es versäumt, ihm zu sagen, wozu ich eigentlich berufen bin – und er glaubte sich zu Höherem berufen als dem Pfarrerdasein, und dem Zufall trauert er immer noch nach. Es gibt solche Zufälle. Man kommt zu spät zu einer Besprechung, zu einer entscheidenden Besprechung, weil die Straßenbahn steckenbleibt, und das Leben nimmt eine ganz andere Wendung. Solche Zufälle gibt es. Aber auch der Zufall ist in der Hand Gottes. Und selbst das Schicksal, dieses Tragische, das über uns waltet, diese Summe von Notwendigkeiten, die über unserem Leben stehen, auch die sind in der Hand Gottes. Von unseren Vorfahren sind wir geprägt an Leib und Seele. Unser Charakter, unser Gefühlsvermögen, unsere Empfindungskraft ist geprägt von unseren Vorfahren, und da ist manches Furchtbare auf uns gekommen. Manches, was in dem Keimanlagen festgelegt ist und was man ja nicht ausrotten kann, das ist auch auf uns gekommen und wacht vielleicht in furchtbarer Weise in uns auf. Schicksal. Und die Schicksale, welche die Menschen darstellen! Wie viele Talente bleiben unentwickelt, weil die Umgebung sie nicht versteht, weil die Eltern kein Geld haben, weil man ohne Verständnis dafür ist. Schicksale, grausame Schicksale, die über manchen Menschen walten. Aber selbst etwas so Schreckliches wie das Schicksal ist in der Hand Gottes. Alles ist in der Hand Gottes. Nicht wie die Griechen meinten, daß die Götter dem Schicksal unterliegen, sondern das Schicksal ist in der Hand Gottes.
Alles kommt von Gott, und alles geht auch zu Gott. Alles steht im Dienste Gottes. Die Menschen, die Geschöpfe, die Ereignisse kommen von Gott, kommen zu uns, melden Gott, wie wir sie behandelt, wie wir sie aufgenommen haben, und gehen wieder zu Gott. Der Komponist und Dichter Hugo Wolf hat das einmal so ausgedrückt: „Über Nacht, über Nacht kommt Glück und Leid, und eh‘ du gedacht, verlassen dich beid‘ und gehen zu Gott, um zu sagen, wie du sie getragen.“ Noch einmal: „Über Nacht, über Nacht kommt Glück und Leid, und eh‘ du gedacht, verlassen dich beid‘ und gehen zu Gott, um zu sagen, wie du sie getragen.“ Es ist also so, meine lieben Freunde, daß alles im Dienste Gottes steht und daß wir deswegen alles als im Dienste Gottes stehend ansehen und betrachten müssen. Die Welt ist nicht Gott, sie kommt aber von Gott, und die Welt führt zu Gott. Sie soll zu Gott führen.
Wir dürfen also nichts von dem, was Gott geschaffen hat, verachten. Es gibt eine gewisse Richtung, auch im Katholizismus, die immer von Weltverachtung übertrieft. Aber verachten darf man nichts von dem, was Gott geschaffen hat. Wir dürfen nichts verachten, weil häufig hinter der Verachtung ein Ressentiment steht. Da man etwas nicht haben kann, sagt man, man will es nicht haben, und das ist falsch. Wir dürfen nichts verachten von dem, was Gott geschaffen hat.
Wir dürfen auch nichts fürchten. Selbstverständlich gibt es schreckliche Dinge auf der Erde. Aber wir wissen, daß alles in der Hand Gottes liegt, und deswegen kann dieses zuversichtliche Vertrauen auf Gottes Führung die Furcht überwinden. Selbst etwas so Eingreifendes wie der Tod ist im letzten Sinne nicht zu fürchten, denn der Tod ist ein Bote Gottes, ist ein Engel Gottes. Ich war zugegen beim Sterben einer alten Dame, und sie betete: „Lieber Tod, komm und hol‘ mich doch!“ O wie schön. Sie hat den Tod als Engel Gottes begriffen. „Lieber Tod, komm und hol‘ mich doch!“ Und so wird der Tod eines Tages auch zu uns kommen und sprechen: Du hast genug gearbeitet, laß den Spaten stehen. Komm, es ist Zeit, heimwärts zu gehen, es ist schon spät! Nichts verachten, nichts fürchten von dem, was Gott geschaffen hat, aber auch nichts mißbrauchen. Wir sind nicht Herren, sondern Verwalter. Verwalter müssen Rechenschaft legen über ihre Verwaltung. Herren können tun, was sie wollen. Wir dürfen nichts mißbrauchen, sondern müssen Ehrfurcht vor allem haben, Ehrfurcht vor den Menschen, Ehrfurcht vor der Schöpfung, Ehrfurcht vor den Tieren, Ehrfurcht vor den Pflanzen, Ehrfurcht vor der Nahrung. Wie leichtfertig, meine lieben Freunde, gehen heute manche Menschen mit der Nahrung um, werfen Lebensmittel weg, die durchaus brauchbar sind. Wehe, wenn sich das einmal furchtbar rächen sollte! Nein, wir dürfen nichts mißbrauchen. Gerade Menschen, die selbst mißbraucht worden sind, neigen dazu, andere zu mißbrauchen; die selbst getreten werden, treten andere; die selbst gedrückt werden, drücken andere. Und das ist falsch. Wir dürfen nichts mißbrauchen von den Gaben Gottes. Wir sollen uns vielmehr an ihnen freuen. Ja, die Freude ist von Gott gewollt. Man soll nicht den Predigern des Trübsinns zuhören, die meinen, den Christen sei die Freude versagt. Nein, der Christ ist auch für die Freude bestimmt. Die Heiligen wußten die Dinge dieser Erde zu schätzen, sie wußten sich an ihnen zu erfreuen, am Schwesterlein Wasser und an der Schwester Sonne. Der große Philosoph Max Scheler war auch ein Freund von gutem Essen und gutem Trinken. Er wurde einmal gefagt: „Ja, wie geht das zusammen? Sie sind ein so geistiger Mann und haben Freude am Essen und Trinken.“ Da gab er zur Antwort: „Ja meinen Sie, die guten Sachen seien bloß für die Dummköpfe da?“
Wir dürfen uns also freuen an den Gaben Gottes, und wir dürfen sie gebrauchen. Wir sollen sie gebrauchen. Man kann sie alle gebrauchen, auch die scheinbar unbrauchbaren, auch die scheinbar minderwertigen. Man kann von jedem Menschen etwas lernen. Von den einen können wir lernen, wie man es machen soll, und von den anderen, wie man es nicht machen soll. So kann man einen jeden Menschen gebrauchen, im guten Sinne gebrauchen zum Wege nach der Ewigkeit. Und wir sollen schließlich den Dingen helfen, daß sie zu Gott kommen. Keiner ist ja isoliert, keiner lebt für sich allein. Jeder ist auf andere angewiesen. Wir alle bedürfen einander und sollen deswegen auch einander dienen. Ja, das ist mein Beruf, meine lieben Freunde, das sollten wir uns sagen: Das ist mein Beruf: Ich bin für die anderen da. Ich bin dafür da, ihnen das Leben zu erhellen, zu erleichtern, sie zu erfreuen, ihnen dieses Leben erträglich zu machen. Dafür bin ich da. Hören Sie nicht auf die, die nur vom Gebet sprechen. Wir müssen vom Gebet reden, denn das Gebet ist die Sprache, die der Mensch mit Gott zu üben hat. Aber der Mensch soll nicht nur beten. Er soll auch für die Weltdinge da sein und für die Menschen. Das Gebet ist die eine Weise, wie wir Gott verehren, der Dienst an den Menschen ist die andere Weise. Wir können Gott ja nicht unmittelbar dienen, wir können ihm nur in seinen Geschöpfen dienen, und das sollen wir. Wir sollen den Menschen helfen, wir sollen den Menschen nützen, wir sollen ihnen das Leben erleichtern und sie erfreuen und ihnen helfen, den Weg zu Gott zu finden.
Gerade die Menschen, die uns am meisten zu tragen geben, diese Menschen sind die wertvollsten Menschen, sie sind die wichtigsten Menschen. Sie helfen uns am meisten auf dem Wege zu Gott. Wenn also Menschen zu uns kommen und wenn wir Menschen treffen, wenn wir Menschen begegnen, dann wissen wir jetzt: Das ist dein Mensch, das ist dein Weg zu Gott. Wir werden künftig nicht mehr auswählen und sagen: Mit dem will ich nichts zu tun haben, von dem will ich nichts wissen. Wir sagen: Jeder, den Gott mir schickt, ist mein Weg zu Gott. Im Christentum führt ja sowieso der Weg zu Gott über einen Menschen, nämlich über den Gottmenschen Jesus Christus, und er teilt sich einem jeden Menschen mit. Und an jedem Menschen müssen wir den Dienst sehen, den Gott von uns getan wissen will, den Magddienst, den Knechtsdienst an den Menschen.
Amen.