26. August 2001
Die Wesensverwandlung von Brot und Wein
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es ist ein Glaubenssatz der Kirche: In der heiligen Messe wird der ganze Wesensbestand des Brotes und des Weines in den Wesensbestand des Leibes und des Blutes Christi verwandelt, wobei die Erscheinungsformen bestehen bleiben. Das ist das Dogma der Transsubstantiation, der Wesensverwandlung. Dieses Dogma hat die Kirche gegen die Glaubensneuerer auf dem Konzil von Trient der Christenheit vorgelegt. „Da aber Christus, unser Erlöser, von dem, was er unter der Gestalt des Brotes darreichte, aussagte, es sei wirklich sein Leib, so war es stets Überzeugung in der Kirche Gottes, und diese heilige Kirchenversammlung erklärt aufs neue: Durch die Weihe von Brot und Wein vollzieht sich die Wandlung der ganzen Brotsubstanz in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Weinsubstanz in die Substanz seines Blutes. Und diese Wandlung wird von der katholischen Kirche zutreffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt.“ Um jeden Zweifel über den Sinn dieses Lehrdokumentes auszuschließen, hat die Kirche noch einen Lehrsatz verfaßt. In dem heißt es: „Wer sagt, im hochheiligen Sakrament der Eucharistie bleibe die Substanz von Brot und Wein zugleich mit dem Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus bestehen, und wer jene wunderbare und einzigartige Wandlung der ganzen Brotsubstanz in den Leib und der ganzen Weinsubstanz in das Blut leugnet, wobei nur die Gestalten von Brot und Wein bleiben – diese Wandlung nennt die katholische Kirche sehr treffend Wesensverwandlung –, der sei ausgeschlossen.“
Hier rühren wir an den Kern der katholischen Eucharistielehre. Der lateinische Ausdruck Konsekration, Weihung, ist zweifellos richtig. Aber deutlicher wird der damit gemeinte Inhalt ausgesagt durch das Wort Transsubstantiation – Wandlung oder Wesensverwandlung. Um den Sinn dieses Glaubenssatzes einigermaßen zu entschlüsseln, müssen wir das Verhältnis der Transsubstantiation zum eucharistischen Opfersakrament und den Sinn des Wortes Substanz uns vor Augen zu führen versuchen.
Die Eucharistie, die heilige Messe, ist das sakramentale Opfer des Leibes und Blutes Christi. Das Sakrament umschließt zwei Wirklichkeiten, nämlich das äußere Zeichen und die innere Gnade. Das äußere Zeichen versinnbildet und wirkt die innere Gnade. Ding und Wort – das ist das äußere Zeichen – bringen den Leib und das Blut Christi hervor. Die Weise, wie das äußere Zeichen wirkt, ist die Transsubstantiation. Das äußere Zeichen bringt den Leib und das Blut des Herrn hervor durch die Wesensverwandlung. Um die Wesensverwandlung einigermaßen begreifen zu können, müssen wir fragen: Was ist Substanz? Welchen Ausdruck hat das Konzil von Trient verwendet? Er stammt aus der aristotelischen Philosophie. Aber was damit gemeint ist, das ist zeitlos gültig. Die Kirche hat, indem sie einen Begriff der aristotelischen Philosophie verwandte, nicht die Philosophie des Aristoteles heiliggesprochen, sondern die Wirklichkeit, die damit gemeint ist.
Der Begriff Substanz wird in einem doppelten Sinne gebraucht, einmal in seiner Funktion und in seiner Gestalt. Als Funktion ist Substanz der in sich unbestimmte qualitätslose Träger der von der Wahrnehmung erkennbaren Erscheinungen, der Träger der Erscheinungsformen. Das ist Substanz als Funktion. Als Gestalt ist Substanz der verborgene Kern, das Grundsein der Wirklichkeit, das auf eine Tätigkeit und auf Eigenschaften hingerichtet ist. Beide Bedeutungen des Wortes Substanz erfüllen sich in der heiligsten Eucharistie. Die Wesensverwandlung ist ein Geschehen, in dem der Grundbestand, das verborgene Sein eines Dinges verwandelt wird, wobei die äußeren Erscheinungsformen bestehen bleiben. Was empirisch, der Erfahrung zugänglich ist, bleibt bestehen. Was metaempirisch ist, was jenseits der Erfahrung liegt, das wird verwandelt. Damit erklärt sich auch, daß es unmöglich ist, durch die Methoden der Biologie, der Chemie oder der Physik auf den Leib Christi zu stoßen. Genauso, wie es unsinnig war, mit der Weltraumfahrt in den Himmel, den Gott vorbehaltenen Wirklichkeitsraum, zu kommen, so ist es unmöglich, mit dem Mikroskop oder mit chemischen Untersuchungen auf den Leib Christi zu stoßen. Denn die Methoden von Biologie, Chemie und Physik vermögen immer nur das Empirische, das Handgreifliche, das Wahrnehmbare, das Erfahrbare zu erfassen. Was jenseits der Erfahrung liegt, ist diesen Methoden verschlossen. Jenseits der Erfahrung aber liegt die Wesensverwandlung.
Daß die Unterscheidung zwischen Grundsein und Eigenschaften, zwischen Substanz und Erscheinungsformen möglich ist, das kann man sich an einem einfachen Beispiel vor Augen führen. Wir kennen einen Menschen; wir kennen ihn über Jahrzehnte. Sein Erscheinungsbild verwandelt sich. Vom Knaben wächst er heran zum Mann und kommt dann ins Greisenalter. Aber was bleibt, das ist diese Person, diese unverwechselbare Person, diese Substanz, dieses selbständige Sein, das bleibt trotz aller Veränderung erhalten. Also die Unterscheidung zwischen Substanz und Erscheinungsform oder Substanz und Akzidens ist schon dem einfachen Denken zugänglich. Hier setzt die Erklärung des Wunders der Wesensverwandlung ein. Es findet bei der Wesensverwandlung eine Bewegung statt. Der Ausgangspunkt ist die Substanz des Brotes und des Weines, der Endpunkt ist die Substanz des Leibes und des Blutes Christi.
Die Wesensverwandlung ist von Irrlehrern immer wieder angegriffen worden. Luther verwarf die Wesensverwandlung. Er lehnte den Begriff und die Sache der Transsubstantiation ab. Er erklärte auf seine Weise das Geschehen der Eucharistie, indem er sagte: Zu der Brotsubstanz, zu der Weinsubstanz tritt Christus hinzu. Es bleibt Brot, was Brot ist, es bleibt Wein, was Wein ist, aber geistigerweise kommt Christus hinzu. Das ist die sogenannte Konsubstantiationslehre Luthers, von manchen auch als Impanationslehre bezeichnet, weil eben im Brot und unter dem Brot Christus gegenwärtig sei. Aber das ist eben der Unterschied, ob sich ein einzelner Theologe Gedanken über das Geheimnis der Eucharistie macht, oder ob die vom Heiligen Geist geleitete Kirche in einer langen Entwicklung in das Geheimnis hineinwächst. Was die Kirche in der Wandlung bekennt, das ist nichts anderes, als was in den Worten des Herrn enthalten ist. Er sagt eben nicht: Das ist neben dem Brot und neben dem Weine mein Leib und mein Blut, sondern: Das, was ich in der Hand halte, ist mein Leib. Das, was in dem Kelche ist, ist mein Blut. Es ist eben verändert worden, es hat seine Natur verwandelt. Deswegen ist der deutsche Ausdruck so treffend, wenn wir von Wandlung, von Wesensverwandlung sprechen. Er macht dem schlichtesten Gemüte klar, was hier geschieht.
Die Kirche ist in dieses Verständnis im Laufe der Zeit immer mehr hineingewachsen. In den ersten Jahrhunderten hat man sich kaum Gedanken gemacht über die Art und Weise, wie der Leib Christi und das Blut Christi gegenwärtig sein, obwohl schon Ambrosius – also im 4. Jahrhundert – eine Verwandlung, eine Wesensverwandlung angenommen hat. In späterer Zeit haben vor allem die Frühscholastiker wie Paschasius Radbertus über dieses Geheimnis nachgedacht und sind in sein Wesen eingedrungen. Besonders erhellend war der Abendmahlsstreit, der sich im 11. Jahrhundert erhob. Es gab in Frankreich, in Tours, einen Theologen namens Berengar. Berengar leugnete die Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenzien, also zwischen Wesen und Dazukommendem. Weil aber nun die Eigenschaften, das, was man beobachtet und sieht, sich nicht ändert, so nahm er auch keine Änderung des Wesens an. Ja, was geschieht denn dann überhaupt? Nach Berengar erhält das Brot, erhält der Wein eine höhere Würde, mehr nicht. Diese Lehre, diese falsche Lehre erinnert uns an die Irrlehren, die vor einigen Jahrzehnten aus Holland zu uns kamen. Da hat man die Wesensverwandlung so erklären wollen, daß man sagte: Ja, da ist ein Tuch, und wenn das Tuch jetzt zu einer Fahne gestaltet wird, dann ist das eine Wandlung. Das ist natürlich eine billige, eine allzu billige Erklärung, das ist die Auflösung des Geheimnisses, das ist die Zerstörung der katholischen Lehre von der Wesensverwandlung. Berengar hat in einem Glaubensbekenntnis seiner Irrlehre abgeschworen. In diesem Glaubensbekenntnis, das er vor der Kirchenversammlung zu Rom abgegeben hat, heißt es: „Ich, Berengar, glaube von Herzen und bekenne mit dem Mund, daß das Brot und der Wein, die auf dem Altare liegen, durch das Geheimnis des heiligen Gebets und durch die Worte unseres Erlösers wesentlich gewandelt werden in das wahre, eigentliche, lebenspendende Fleisch und Blut unseres Herrn Jesus Christus, und nach der Weihe sind sie der wahre Leib Christi, der aus der Jungfrau geboren wurde, der geopfert für das Heil der Welt am Kreuze hing und der zur Rechten des Vaters sitzt, und das wahre Blut Christi, das aus seiner Seite floß, nicht nur im Zeichen und in der Wirksamkeit des Sakramentes, sondern in seiner eigentlichen Natur und in seiner wahren Wesenheit.“
Die Kirche ist bei ihrer Eucharistielehre zwischen zwei falschen Ansichten hindurchgeschritten. Die eine falsche Ansicht ist eine naturalistische Vergröberung, als ob Christus gegenwärtig wäre so, wie er auf Erden gewandelt ist. Das ist natürlich nicht der Fall. Christus ist gegenwärtig als der Verklärte. Die andere falsche Meinung besteht darin, daß man das eucharistische Geheimnis verflüchtigt, daß man sagt: Das ist nur ein Bild. So wie man von Christus sagt, er ist der Eckstein, so sagt man eben vom Brot, es sei der Leib Christi. Das Wort Transsubstantiation hat die Kirche im 12. Jahrhundert in ihre Lehre aufgenommen, und zwar ist es kein Geringerer gewesen als der große Papst Innozenz III., der in seinen Schriften – er hat ja ein Buch über die Eucharistie geschrieben – das Wort gebraucht, und dann ist es auf dem IV. Laterankonzil im Jahre 1215 offiziell von der Kirche eingeführt und aufgenommen worden. In diesem Konzil von 1215 heißt es: „Es gibt nur eine allgemeine Kirche der Gläubigen. Außer ihr wird keiner gerettet. In ihr ist Jesus Christus Priester und Opfer zugleich. Sein Leib und Blut ist im Sakrament des Altares unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten, nachdem durch Gottes Macht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesensverwandelt sind, damit wir vom Seinigen empfangen, was er vom Unsrigen annahm und die geheimnisvolle Einheit vollendet werde.“
An diesem Geheimnis müssen wir festhalten. Dieses Geheimnis verbürgt uns die Seins- und Lebensgemeinschaft mit Christus. Nur weil der verwandelte Christus gegenwärtig ist, nur deswegen treten wir, wenn wir die heilige Kommunion empfangen, in Seins- und Lebensgemeinschaft mit Christus. Die Transsubstantiation verbürgt uns die wahre Gegenwart unseres Herrn und Heilandes. In der Transsubstantiation wird uns die Gewähr dafür geboten, daß wir hier nicht leere Zeichen empfangen, sondern gefüllte, mit dem höchsten denkbaren Inhalt gefüllte Zeichen.
Gott zieht die irdischen Gaben Brot und Wein in sein Herrlichkeitsleben hinein. Er verwandelt sie, damit wir unter diesen Gestalten ebenfalls an seinem Herrlichkeitsleben teilnehmen können. Eine größere Offenbarung der Liebe, der Weisheit und der Allmacht Gottes gibt es nicht. Hier geschieht etwas, was vergleichbar ist der schöpferischen Tätigkeit Gottes am Anbeginn. Damals hat er voraussetzungslos aus dem Nichts die bestehenden Wirklichkeiten geschaffen. Hier verwandelt er eine gegebene Wirklichkeit in eine andere. Es wird nicht bloß eine neue Eigenschaft hinzugefügt, es wird nicht bloß eine neue Würde mitgeteilt, nein, es wird das Grundsein von zwei Wirklichkeiten, von Brot und Wein, in das Grundsein des Leibes und Blutes, also des lebendigen Christus, verwandelt. An dieser Wirklichkeit kann man Anstoß nehmen, so wie man an Jesus Christus Anstoß genommen hat. Wir haben in einer früheren Predigt gehört, wie selbst Jünger nach der Verheißung der Eucharistie irre wurden an ihm: „Das ist eine harte Rede, wer kann sie ertragen?“ Diese Versuchung, Ärgernis zu nehmen, wird überwunden im Glauben an den Gott, der Tote auferweckt; sie wird überwunden im Glauben an den Gott, der in voraussetzungsloser Setzung alle Wirklichkeit geschaffen hat; sie wird überwunden im Glauben an den Gott, der seinen Sohn in die Welt geschickt hat, damit durch seinen Tod die Welt lebe.
Amen.