29. Juli 2001
Der Opfercharakter der Eucharistie
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es ist ein Glaubenssatz: Im Meßopfer, in der heiligen Eucharistie wird Gott ein wahres und eigentliches Opfer dargebracht. Dieser Glaubenssatz wurde im 16. Jahrhundert auf dem Konzil von Trient formuliert gegen die damaligen Glaubensneuerer. Deren Angriff richtete sich auf zwei Wirklichkeiten, nämlich einmal auf die wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Jesu Christi und zum anderen gegen den Opfercharakter der Eucharistie. Darum hat das Konzil diese beiden Wahrheiten deutlich herausgestellt, die Wahrheit der Gegenwart des Leibes und Blutes Jesu Christi und die Wahrheit des Opfergeschehens in der heiligen Eucharistie. Man kann die beiden Wirklichkeiten als die Seinsgegenwart Christi und als die Aktgegenwart Christi bezeichnen. Die Seinsgegenwart, nun eben die Dauer der Permanenz der Gegenwart des Herrn, und die Aktgegenwart, nun eben das Geschehen, das Opfergeschehen in der heiligen Messe.
Das Konzil von Trient hat diese Wahrheiten in Aufnahme der ganzen vorangegangenen Lehrentwicklung lichtvoll und für immer gültig formuliert. Es erklärt: „Die Kirchenversammlung bekennt offen und ohne Rückhalt, daß in dem erhabenen Sakrament der Eucharistie nach der Konsekration von Brot und Wein unser Herr Jesus Christus als wahrer Gott und Mensch wahrhaft, wirklich und wesentlich unter der Gestalt jener sichtbaren Dinge gegenwärtig ist.“ Das Konzil weist dann den Einwand ab, wie Jesus denn gleichzeitig im Himmel und auf der Erde sein könne: „Es liegt kein Widerspruch darin, daß unser Heiland nach seiner natürlichen Daseinsweise stets zur Rechten des Vaters im Himmel sitzt und daß er trotzdem an vielen anderen Orten sakramental seinem Wesen nach für uns gegenwärtig ist in einer Daseinsweise, die wir zwar kaum mit Worten auszudrücken vermögen, die wir aber dennoch mit der vom Glauben erleuchteten Vernunft als für Gott möglich erkennen können und standhaft glauben müssen.“ Das Konzil kommt dann auf die Einsetzung dieses Sakramentes zu sprechen: „Unser Erlöser hat dieses wunderbare Sakrament beim Letzten Abendmahl eingesetzt, als er nach der Segnung von Brot und Wein mit klaren und durchsichtigen Worten bezeugte, er gebe ihnen seinen eigenen Leib und sein eigenes Blut. Der Herr setzte dieses Sakrament ein, indem er ein Denkmal seiner Wunder aufstellte und gebot, daß wir sein Gedächtnis feiern und seinen Tod verkünden sollen, bis er selber wiederkommt.“ Um auch Klarheit über die Seinsgegenwart des Herrn im eucharistischen Sakrament zu schaffen, hat das Konzil dann noch einen Lehrsatz aufgestellt: „Wer leugnet, daß im Sakrament der heiligsten Eucharistie wahrhaft, wirklich und wesentlich der Leib und das Blut, zugleich mit der Seele und mit der Gottheit unseres Herrn Jesus Christus, und folglich der ganze Christus enthalten ist, und behauptet, er sei in ihm nur wie im Zeichen, im Bild oder in der Wirksamkeit, der sei ausgeschlossen.“
Das ist die Wahrheit, die das Konzil in der XIII. Sitzung verkündet hatte. In der XXII. Sitzung hat es sich dann der Aktgegenwart, also dem Opfercharakter der Eucharistie zugewendet. „Dieser unser Gott und Herr hat zwar einmal auf dem Altar des Kreuzes sich selbst dem Vater als Opfer dargebracht, um für alle ewige Erlösung zu wirken. Weil aber durch den Tod sein Priestertum nicht ausgelöscht werden sollte, so wollte er beim Letzten Mahl in der Nacht des Verrats seiner Kirche ein sichtbares Opfer hinterlassen, in dem jenes blutige Opfer, das einmal am Kreuze dargebracht werden sollte, dargestellt wird, sein Andenken bis zum Ende der Zeiten bewahrt wird und seine heilbringende Kraft zur Vergebung der Sünden, die wir täglich begehen, zugewandt werden sollte.“ Hier wird also der Opfercharakter, der Geschehnischarakter der Eucharistie herausgestellt. „Er brachte Gott dem Vater seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein dar, reichte ihn den Aposteln, die er damals zu Priestern bestellte, unter denselben Zeichen zum Genuß und befahl ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum, dieses Opfer darzubringen mit den Worten: ,Tut dies zu meinem Gedächtnis!‘ Er setzte sich selbst als das neue Osterlamm ein, auf daß er von der Kirche durch die Priester unter sichtbaren Zeichen dargebracht würde.“
Auch hier hat das Konzil wieder zwei Lehrsätze aufgestellt, um die Wahrheit von allem Irrtum deutlich abgesetzt hervorzuheben: „Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opfergabe bestehe in nichts anderem, als daß uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei ausgeschlossen. Wer sagt, durch jene Worte: ,Tut dies zu meinem Gedächtnis!‘ habe Christus seine Apostel nicht zu Priestern bestellt oder nicht angeordnet, daß sie selbst und die anderen Priester seinen Leib und sein Blut opferten, der sei ausgeschlossen.“ Wir sehen, wie das Konzil deutlich die Seinsgegenwart und die Geschehnisgegenwart des Herrn immer zusammen aussagt. Die Seinsgegenwart ist nicht ohne die Geschehnisgegenwart, und die Geschehnisgegenwart ist nicht ohne die Seinsgegenwart. Wenn Christus permanent im Altar bleibt, dann ist er es als der Geopferte, und wenn er im eucharistischen Sakrament dargebracht wird, dann ist er wahrhaft, wirklich und wesentlich zugegen.
Das Konzil stützt sich dabei auf Aussagen des Alten und des Neuen Testamentes. Das Alte Testament ist ja ein Vorentwurf des Neuen. Was im Alten Testament gesagt und getan wurde, ist ein Hinweis auf das, was im Neuen Testament erfüllt werden sollte. Es sind vor allen Dingen drei Wirklichkeiten, die uns im Alten Testament das Opfer Christi bezeugen, nämlich erstens das Opferlamm. Im Alten Testament wurden im Tempel Lämmer geopfert, und ein besonderes Opfer war immer fällig am Ostertage. Am Tage des Osterfestes wurde das Osterlamm geopfert zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Diese Lammopfer sind ein Vorentwurf des Opfers Christi. Christus ist das wahre Opferlamm. Die alttestamentlichen Opfer sind Schattenrisse, sind Vorbilder seines Opfers. Was sie erreichen wollten und nicht erreichen konnten, das hat er bewirkt, nämlich die Vergebung der Sünden durch sein Opfer am Kreuze.
Ein zweites Vorbild im Alten Testament ist der Priester Melchisedech. Er ist deswegen ein Vorbild Christi, weil er einmal ohne Stammbaum ist, so wie Christus eben aus der Jungfrau Maria geboren wurde, auf wunderbare Weise vom Heiligen Geist hervorgebracht, und weil Melchisedech ein Opfer aus Brot und Wein darbrachte. Beides ist ein Vorentwurf des Opfers Christi, der eben auch wieder die Elemente Brot und Wein verwendet hat, um sein Opfer einzusetzen. Ein drittes Zeugnis aus dem Alten Testament ist die Weissagung des Malachias. Er sagt, daß die Opfer der Juden eines Tages vergehen werden und daß ein neues, ein reines Opfer, und zwar nicht nur in Jerusalem, sondern überall dargebracht werden solle. Wenn diese Weissagungen nicht im Opfer Christi, in der Eucharistie, erfüllt ist, dann ist sie überhaupt nicht erfüllt.
Selbstverständlich stützt sich die Kirche bei ihren Aussagen noch stärker auf das Neue Testament. Im Neuen Testament sind uns ja die Einsetzungsberichte der Eucharistie erhalten. Es sind vier. Matthäus, Markus und Lukas enthalten je einen Bericht über die Einsetzung des eucharistischen Opfersakramentes, und Paulus bringt den vierten Bericht im ersten Brief an die Korinther. Wenn wir in der heiligen Messe bei der heiligen Wandlung einen Einsetzungsbericht sprechen und dadurch das Opfer bewirken, dann müssen wir wissen, woher er stammt. Er stammt im Wesentlichen aus dem Evangelisten Matthäus. Die Einsetzungsberichte der vier genannten apostolischen Männer haben gemeinsam, daß sie alle dasselbe aussagen. Es geht ihnen allen darum, daß Christus in der Nacht vor dem Verrate das eucharistische Opfer einsetzte und daß er den Seinen befahl, es für alle Zeiten zu feiern, bis er wiederkommt. Aber innerhalb dieser Gemeinsamkeit gibt es Unterschiede. Es gibt zwei Traditionsstränge, nämlich es gehören zusammen die Berichte des Matthäus und des Markus, und es gehören zusammen die Berichte des Lukas und des Paulus. Sie stammen alle aus der aramäischen Urkirche, denn Christus hat ja beim Abendmahl nicht griechisch gesprochen, und unsere Texte im Neuen Testament sind in griechischer Sprache enthalten; sie sind also Übersetzungen. Sie sind Übersetzungen aus dem Aramäischen. Diese aramäischen Texte wurden in der Urkirche, in der aramäischen Urgemeinde zu Jerusalem tradiert, weitergegeben. Die aramäische Urgemeinde in Jerusalem hat schon diese Texte verwendet, sie hat sie im Kult, also im Gottesdienst gebraucht, und man kann sagen, daß diese Einsetzungsberichte ein Evangelium vor den Evangelien sind, d. h. eine Erzählung aus dem Leben und Wirken unseres Heilandes, die mündlich tradiert wurde, bevor sie aufgeschrieben wurde. Bevor die Evangelien entstanden, gab es schon das mündlich tradierte Evangelium, und darin nahm eine hervorragende Stelle ein der Einsetzungsbericht.
Man spricht von eine petrinischen und einer paulinischen Tradition. Petrinisch ist die Tradition, die Matthäus und Markus vorlegen, paulinisch die Tradition, die Lukas und Paulus vermitteln. Es gibt zwischen diesen beiden Traditionen gewisse Unterschiede. So ist z. B. der Wiederholungsbefehl nur bei Lukas und Paulus enthalten. Nur in diesen beiden Berichten steht der Befehl: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Die anderen beiden brauchten diesen Befehl nicht zu wiederholen, weil die in den Gemeinden übliche Wiederholung des Geschehens ja deutlich bezeugte, daß sie verstanden hatten, was der Herr gewünscht hatte, nämlich die Wiederholung dieser Feier. Beim Brotwort fügen Lukas und Paulus hinzu: „...der für euch hingegeben wird.“ Schließlich gibt es noch einen dritten Unterschied, Lukas und Pauls sprechen nämlich davon, daß dieser Kelch, dieser Becher, „der neue Bund in meinem Blute“ ist, während Matthäus und Markus sagen: „Das ist mein Blut des Bundes.“ Nun sagen Sie selber, meine lieben Christen, ist das ein Unterschied, ob ich sage: Das ist der neue Bund in meinem Blute oder: Das ist das Blut des Neuen Bundes. Das ist genau dasselbe. Wir müssen davon ausgehen, daß Christus beim Letzten Abendmahl mehr gesagt hat, als uns aufbewahrt ist. Die Apostel und Evangelisten haben nur das Wenige zusammengefaßt, was für sie entscheidend war, nämlich die Einsetzung des eucharistischen Opfersakramentes. Alles andere, alles Beiwerk haben sie weggelassen, das aber zweifellos einmal von Christus gesprochen und auch in der Urgemeinde tradiert wurde.
Wenn wir fragen, welcher der Berichte der älteste ist, dann kommen wir zu der Aussage: Der älteste ist vermutlich jener, der erkennen läßt, daß die Einsetzung der Eucharistie während eines Paschamahles geschah. Das Paschamahl war das alttestamentliche Opfermahl zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Bei dieser Gelegenheit hat unser Herr sein neues Opfer eingesetzt, und am deutlichsten läßt sich das Paschamahl wiedererkennen in dem Bericht des Lukas. Deswegen wird man davon ausgehen müssen, daß der Bericht des Lukas der älteste ist. Wir wissen es nicht, aber wir können es vermuten. Wir dürfen es annehmen, daß der Bericht, der noch am deutlichsten die Spuren des Paschamahles zeigt, der chronologisch älteste von allen Berichten ist.
In jedem Falle sind die Berichte durch Tradition weitergegeben worden. Paulus spricht das ja im ersten Korintherbrief deutlich aus: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe.“ Ich habe vom Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe. Vom Herrn empfangen, das bedeutet nicht, daß er es persönlich und unmittelbar von Christus gehört hätte, sondern Christus ist der Ausgangspunkt der Überlieferung, aber dieser Ausgangspunkt hat Zwischenglieder, und durch diese Zwischenglieder ist es zu Paulus gekommen. Von wem hat er es denn erfahren? Er war ja ein Verfolger der Kirche. Er kann es erfahren haben von Ananias in Damaskus, an den er gewiesen wurde. Er kann es erfahren haben in Antiochien, wo er im Kreise der Christen weilte. Er kann es auch erfahren haben in Jerusalem, das er mehrfach besucht hat. Da konnte er in Erfahrung bringen, was Christus in der Nacht, da er verraten wurde, getan hat.
Der Überlieferungscharakter sichert uns auch die Wahrheit und Wirklichkeit der Einsetzung des eucharistischen Opfersakramentes. Es sind, meine lieben Freunde, es tut mir weh, das sagen zu müssen, es sind Theologen aufgestanden, die, einem blinden Rationalismus folgend, behaupten, die Urgemeinde habe die Feier der Elemente Brot und Wein gehalten, und aus diesem Kult habe sie die Worte, die Jesus gesprochen hat, erfunden. Eine solche ungeheuerliche Behauptung widerspricht allem, was wir von den Aposteln und Evangelisten wissen. Die Apostel waren Zeugen dessen, was Jesus getan hat in der Nacht, da er verraten wurde. Sie waren damals genauso Zeugen, wie sie es in seiner gesamten öffentlichen Wirksamkeit waren, und sie haben als Zeugen die heilige Pflicht empfunden, das weiterzugeben, was sie von Christus empfangen hatten. Sie haben nichts erfunden, sie haben tradiert. Sie haben nicht die Einsetzungsberichte fabuliert, sondern sie haben sie vom Herrn empfangen. Sie haben miterlebt, was sie weitergegeben haben, und sie haben es als gläubige Menschen getan. Sie haben in dem geschichtlichen Geschehen die übergeschichtliche Wirklichkeit erkannt. Sie haben begriffen, daß sich in dem geschichtlichen Geschehen Heilsgeschichte ereignet. Sie haben erfaßt, daß, was Jesus hier tat, nichts anderes ist als die Zuwendung seines Opfertodes, der Kraft und der Wirkung seines Opfertodes an alle die, die sich gläubig in dieses Geschehen hineinbegeben.
Lassen Sie sich also, meine lieben Freunde, nicht irre machen. Halten Sie fest an dem, was wir von unseren gläubigen Priestern und Lehrern überkommen haben: „In der Nacht, da Jesus verraten wurde, nahm er Brot, segnete es und brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: ,Nehmet und esset, das ist mein Leib!‘ Und er nahm einen Kelch, dankte, gab ihn ihnen und sprach: ,Trinket alle daraus, denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.‘“
Amen.