Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Dezember 2000

Über Christus als die vollkommene Opfergabe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Frage, die uns seit geraumer Zeit bewegt, lautet: „Was dünkt euch von Christus?“ Es ist das keine Frage wie andere auch, es ist die entscheidende, die unser Leben bestimmende und es entweder zum Heil führende oder ins Unheil stürzende Frage. Am vergangenen Sonntag hatten wir die Antwort, eine Antwort auf diese Frage gehört; sie lautet: Christus ist Priester, der sich selbst opfert. Er ist Opferpriester und Opfergabe.

Nun muß man das Geheimnis des Opfertodes Christi richtig verstehen. Man kann also zum Beispiel nicht hergehen und sagen: Nun ja, wir vergleichen die Opfer, die sonst in der Religionsgeschichte bekannt sind, mit dem Opfer Christi, und wir entnehmen die Elemente des Opfers aus den Opfern, die wir vom Alten Testament oder aus außerbiblischen Religionen kennen und wenden sie dann auf das Opfer Christi an und suchen dort diese Elemente wiederzufinden. Das wäre ein ganz falsches Verfahren. Das Opfer Christi muß aus sich selbst verstanden werden, denn das Opfer Christi wird nicht an den biblischen, vorchristlichen oder außerbiblischen Opfern gemessen, sondern das Opfer Christi ist das Maß all dieser Opfer. Die Heilige Schrift bezeugt uns, daß Christi Tod ein Opfer war, und von daher müssen wir die Elemente des Opfers entnehmen und sie an den Opfern, die uns außerhalb des Christentums bezeugt sind, als Maßstab anlegen, um zu erkennen, wie weit diese außerbiblischen oder auch vorchristlichen Opfer ein Opfer sind.

Das Entscheidende am Opfertode Christi ist nicht das äußere Geschehen. Es wäre ganz falsch, sich in das Grauen dieses Todes hineinzuversetzen und dann zu meinen, damit habe man das Wesentliche des Opfers erfaßt. Nein, das Wesentliche des Opfers Christi ist der Gehorsam und die Liebe. Der Gehorsam gegen den Vater im Himmel und die Liebe zu diesem Vater und zu den Menschen hat ihn dieses Opfer vollbringen lassen.

Bei jedem Opfer ist die innere Gesinnung das Entscheidende. Die äußere Gabe, die geopfert wird, muß Ausdruck der inneren Gesinnung sein, und das eben war bei Christus total der Fall. Weil er den Vater über alles liebte und weil er aus Gehorsam gegen den Vater alles hingab, deswegen war sein Opfertod von so gewaltigen Ausmaßen und Dimensionen. Wenn jemand eine Opfergabe hinbringt, dann meint er, damit zu sagen: So wie diese Gabe vor dir liegt, o Gott, so liege ich vor dir. Ich gebe mich dir hin, so wie diese Gabe hingegeben wird. Die Gabe ist ein Sinnbild für den Geber. Das Opfer ist ein Ausdruck des Opfernden. So ist es auch bei Christus gewesen. Das Entscheidende in seinem Opfer sind die Gewalten der Liebe und des Gehorsams, die aus seinem Herzen zum Vater im Himmel emporgestiegen sind. Christus hat sich am Kreuze durch sein Todesopfer die Kirche erworben. Die Kirche ist die erlöste durch das Opfer Jesu Christi. Er hat sich nicht selbst zu Gefallen gelebt, sondern dem, der ihn in den Tod hineinschickte. Er ward arm, um uns durch seine Armut reich zu machen. Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.

Die Heilige Schrift bezeugt diesen Zusammenhang an vielen Stellen. Wenn es etwa im Hebräerbrief heißt: „In den Tagen seines Fleisches hat er Bitten und Flehrufe mit lautem Geschrei und unter Tränen zu dem emporgesandt, der ihn vom Tode erretten konnte, und hat dank seiner Gottesfurcht Erhörung gefunden. Obwohl Sohn, hat er doch den Gehorsam gelernt aus dem, was er gelitten hat.“ Die entscheidende Wirklichkeit am Kreuzesopfer sind Liebe und Gehorsam. Sie lösen von jeder Eigenmächtigkeit, Eigenwilligkeit und Selbstbehauptung gegenüber Gott. Der Tod mit seiner Qual ist die Verleiblichung der inneren Haltung. Nur deshalb hat er Heilskraft. Es wäre zum Beispiel ganz falsch, wenn man fragen wollte: Ja, haben nicht andere Menschen noch mehr gelitten als Christus? Was den äußeren Hergang angeht, würde ich sagen: Ohne weiteres. Das Leiden anderer hat länger gedauert. Christus war nur 3 Stunden am Kreuze, der Apostel Andreas 2 Tage. Aber nicht darauf kommt es an, was an äußeren Qualen einem zugefügt wird, sondern auf die Gewalten der Liebe und des Gehorsams, und darin ist Christus unübertroffen – darin ist er unübertrefflich! Ganz abgesehen davon, daß er infolge seiner Erhabenheit und Hoheit eine ganz andere Möglichkeit hatte, das Leid auszuschöpfen, als wir Menschen es tun. Er war der Unschuldigste von allen, und deswegen war auch seine Leidensfähigkeit größer als die aller anderen. Am Kreuze loderte seine Liebe in heller Flamme empor, und so schreibt Paulus im Galaterbrief: „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, um Gott zu leben. Mit Christus bin ich gekreuzigt. Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“

Die Gewalten der Liebe und des Gehorsams, die Jesus an das Kreuz geführt haben, waren der eigentliche Kern seines Opfers. Das äußere Geschehen ist nur die Verleiblichung seiner Liebe gewesen. In den Qualen, die Christus erduldet hat, sieht man, wozu seine Liebe fähig war. Dadurch ist die Liebe Gottes in der Welt unübersehbar geworden. Jetzt kann niemand mehr sagen: Gott liebt uns nicht, denn er hat alles hingegeben, das Kostbarste und Wertvollste, was er hatte, seinen eingeborenen Sohn. Es ist auch nicht so, wie manchmal fälschlich angenommen wird, als ob durch das Opfer Christi Gott beschwichtigt oder umgestimmt werden sollte. Das ist ganz unmöglich, denn Gott ändert sich nicht. Gott ist unveränderlich, Gott ist unwandelbar, seine Gesinnung kann sich nicht ändern. Die Opfertat geht ja vom Vater aus. Nicht wir opfern Christus dem Vater, sondern der Vater opfert Christus für uns. Er ist es, der in dem Opfer Christi unser Heil wirkt. Der Kreuzestod macht Gottes Liebe glaubwürdig, ja geradezu unübersehbar. Jetzt ist Gottes Liebe in der Welt sichtbar geworden, und man kann ihrer teilhaftig werden. Man muß nur dahin gehen, wo sie zu finden ist, nämlich in Christus Jesus. Im Glauben und in den Sakramenten werden wir der Liebe Gottes teilhaftig. Niemand kann jetzt mehr an der Einsatzbereitschaft der göttlichen Liebe zweifeln. „Gott erweist seine Liebe zu uns dadurch, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren“, schreibt Paulus im Römerbrief. „Um so viel mehr werden wir jetzt, da wir in seinem Blute gerechtfertigt sind, durch ihn vor dem Tode und vor dem Zorne bewahrt werden. Wurden wir, solange wir Feinde waren, versöhnt mit Gott durch den Tod seines Sohnes, so werden wir um so mehr als Versöhnte errettet werden durch sein Leben.“ Also nicht Gott wird versöhnt, sondern wir: Wir werden versöhnt mit Gott; wir werden versöhnt durch das Kreuzesopfer Christi.

Gott wollte die Menschen nicht in den Untergang stürzen lassen, und deshalb fällt er dem Wüten der Sünde in den Arm. Er bittet geradezu den Menschen, daß er nicht in seinem Nein zu ihm verharre und darin verderbe. So heißt es denn im 2. Korintherbrief: „Wer somit in Christus ist, ist ein neues Geschöpf. Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Das alles kommt von Gott.“ Jetzt achten Sie bitte auf die Worte: „Er hat uns mit sich versöhnt durch Christus und uns das Amt der Versöhnung übertragen. Denn Gott ist es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt, den Menschen ihre Sünden nicht anrechnet und uns die Verkündigung der Versöhnung auferlegt hat.  An Christi Statt sind wir gesandt, indem Gott durch uns ermahnt. Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit Gott!“ Gott selbst ist es, der durch Christus Frieden stiftet. Das ist die beglückende Wirklichkeit, in der die Kolosser leben. „Denn es hat Gott gefallen, die ganze Fülle in Christus wohnen zu lassen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen.“ Durch ihn alles mit sich zu versöhnen, indem er Frieden stiftete durch das Blut seines Kreuzes, alles auf Erden und alles im Himmel.

Es war nicht etwa so, daß etwas im Menschen gewesen wäre, was die göttliche Liebe herausgerufen hätte. Nein. Ursachlos und grundlos geht die Liebe aus Gott hervor. Das wird vom Apostel Johannes eindeutig bezeugt. „Daran ist die Liebe Gottes zu uns offenbar geworden, daß er seinen eingeborenen Sohn auf die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Darin erweist sich die Liebe. Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt als Sühneopfer für unsere Sünden.“ Jetzt aber, da Gott seinen Sohn gesandt hat und da er uns seinen Heiligen Geist geschenkt hat, jetzt findet Gott in uns einen Grund, uns zu lieben, nämlich sich selbst, den Geist, den er in unsere Herzen gesandt hat. Deswegen kann Paulus im Römerbrief schreiben: „Was werden wir nun dazu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns? Er, der ja seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern für alle ihn hingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Jetzt haben wir also die Gewißheit, daß wir gerettet sind, daß das Unheil, das der erste Adam heraufbeschworen hat, durch den neuen Adam getilgt ist. Jetzt können wir voll Zuversicht zum Throne der Gnade hinzutreten und uns rühmen in der Hoffnung, die wir haben. Denn Christus ist unser Priester, Christus ist unsere Opfergabe. Wir können jetzt oft und oft rufen: „O Jesus, du Opferlamm für die Sünder, erbarme dich unser, errette uns und verlaß uns nicht!“

Amen.

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