Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. April 2000

Die Gnade der Sündenvergebung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Rechtfertigung ist die Befreiung von der Sünde. Es ist die entscheidende Wirklichkeit und das große Glück des Christen, daß er weiß, er kann durch das Erbarmen Gottes von der Sünde befreit werden. Das Alte und das Neue Testament sind gefüllt von dieser Wahrheit: Es gibt eine Sündenvergebung aus dem Erbarmen Gottes. Im Alten Bunde wurde diese Wahrheit vor allem von den Psalmen und von den Propheten den Menschen verkündet. Im Psalm 32 beispielsweise heißt es: „Da habe ich dir meine Sünde bekannt und meine Schuld nicht verhohlen. Ich sprach: Bekennen will ich mein Unrecht dem Herrn, du hast meine Sündenschuld vergeben.“ Besonders bekannt ist der 51. Psalm, der ja ein Bußlied des David ist, in dem es heißt: „In deiner Güte, o Herr, erbarme dich meiner; in deiner großen Erbarmung nimm meine Sünden hinweg. Wasche ganz von mir ab meine Schuld, von meiner Sünde reinige mich.“ Und im Psalm 103 betet der Fromme: „So weit der Aufgang vom Untergang, so weit wirft er von uns weg unsere Sünden. Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr seiner Frommen.“ Beim Propheten Isaias lesen wir die tröstlichen Verheißungen: „Ich fege deine Frevel wie eine Wolke hinweg, deine Sünden wie leichtes Gewölk. Kehre zurück zu mir, denn ich will dich erlösen.“ Sie sehen schon an diesen wenigen Stellen, meine lieben Freunde, daß wir von dem unanschaulichen Geschehen der Vergebung der Sünden nur mit Ausdrücken sprechen können, die von anschaulichen Vorgängen genommen sind. Z. B. Wegwerfen – das ist natürlich zunächst einmal eine Handlung, die im Bereich der Körperwelt geschieht. Aber wir haben keine anderen Begriffe. Wir müssen diese Ausdrücke, die aus der Körperwelt stammen, verwenden, um das Unanschauliche, nämlich die Vergebung der Sünden, auszudrücken.

Erst recht ist von der Sündentilgung die Rede im Neuen Testament. Im Neuen Testament kreist alles um das Heil. Der Mensch will das Heil gewinnen, und er soll es gewinnen, und es ist jetzt die Gelegenheit, es zu gewinnen, denn jetzt ist der Heilsbringer da, jetzt sind die Heilsgüter zugänglich, jetzt ist der Heilsweg geoffenbart. Der Heilsbringer ist Jesus von Nazareth. Er ist der Vermittler des Heils. Gewiß kommt alles Heil vom Vater im Himmel, aber es gibt nur einen, der dieses Heil vermittelt, und das ist Jesus Christus, der eingeborene Sohn. Die Heilsgüter sind Gegenwart. Gewiß, die Endvollendung wird sein, wenn Christus wiederkommt, in der Parusie, wenn das Reich Gottes mit Macht hereinbricht. Aber es sind jetzt schon Heilsgüter gegenwärtig, nämlich Vergebung der Sünden und Besitz des Heiligen Geistes. Das sind die gegenwärtigen Heilsgüter, die uns Christus vermittelt. Aber freilich nur dem, der den Heilsweg geht, der er selbst ist. Es ist nämlich kein anderer Name den Menschen unter dem Himmel gegeben, in dem sie das Heil erwerben können, als der Name Jesu von Nazareth. Und so ist die ganze Heilsverkündigung der Urkirche auf diese drei Wahrheiten abgestimmt, nämlich: Jesus ist der Heilsbringer, die Heilsgüter sind in der Gegenwart zugänglich, der Heilsweg ist der Anschluß an Jesus von Nazareth durch den Glauben.

Ich lese Ihnen die eine oder andere Passage aus der Heilsverkündigung in der Apostelgeschichte vor. „Petrus sprach zu der Menge: ,Bekehret euch, und ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden.‘“ Die Taufe geschieht im Namen Jesu und bewirkt die Vergebung der Sünden. In einer anderen Rede sagt Petrus: „Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht (das ist Jesus) auferweckt und gesandt, damit er euch segne, wenn ein jeder sich bekehrt von euren Schlechtigkeiten.“ Der Segen, den Jesus vermittelt, ist natürlich nichts anderes als die Vergebung der Sünden. Und wiederum an einer anderen Stelle heißt es: „Er ist der Eckstein geworden (Jesus nämlich); es ist in keinem anderen Heil, denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden können.“ Jesus, der einzige Heilbringer. Unser Heil hängt an der Wirklichkeit und an der Person Jesu von Nazareth. „Diesen hat Gott zum Herrscher und Heiland erhöht durch seine Rechte, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu erwirklichen. Für ihn legen Zeugnis ab alle Propheten, daß jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen Vergebung der Sünden erlangt.“ Und noch eine letzte Stelle aus der Heilsverkündigung der Apostelgeschichte: „So ist euch kund, liebe Brüder, daß durch diesen (nämlich Jesus von Nazareth) euch Vergebung der Sünden verkündet wird. Durch ihn wird jeder, der da glaubt, gerechtfertigt von allem, wovon ihr im Gesetze des Moses keine Rechtfertigung erhaltet konntet.“

Die Heilsverkündigung der Apostel ist besonders deutlich beim Apostel Paulus. Er ist ja der große Theologe unter den Aposteln, ein gebildeter Mann, der eben von einem ganz anderen Ausgangspunkt die Wahrheit über Jesus und das von ihm gebrachte Heil verkünden konnte als die übrigen Apostel, die eben keine studierten Leute waren. Er hat deswegen die Lehre von der Sündenvergebung in besonders deutlicher Weise entwickelt und begrifflich zu fassen gesucht. Freilich, auch er hat keine anderen Begriffe als die, welche aus der Welt des Anschaulichen genommen sind. Ich will Ihnen die wesentlichen Ausdrücke, die er für die Sündenvergebung gebraucht, vorführen. Im Römerbrief sagt er: „Es gibt keine Verdammnis mehr für diejenigen, die in Christus Jesus sind; denn das Gesetz des lebendig machenden Geistes in Christus Jesus hat mich vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit.“ Also das Gnadengeschenk, der Gnadenstand ist die Wirkung der Verbindung mit Jesus Christus. Der Apostel beschreibt dann die Sündenvergebung als Abwaschung. Wir wissen, daß Waschen vom Schmutz des Körpers befreit, und dieser Begriff wird eben jetzt auch auf die Befreiung von der Sünde übertragen, etwa im 1. Korintherbrief, wenn es heißt: „Solche Menschen seid ihr (nämlich Sünder), einige von euch gewesen, aber nun seid ihr abgewaschen“ – abgewaschen! – „ja geheiligt. Ihr seid gerechtfertigt.“ Es ist nicht zu bestreiten, daß Paulus gelegentlich auch von der Nichtanrechnung der Sünde spricht, etwa im 2. Korintherbrief: „Denn Gott ist es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt, den Menschen ihre Sünden nicht anrechnet und uns die Verkündigung der Versöhnung auferlegt hat.“ Wir werden gleich noch etwas dazu sagen müssen, weil nämlich an diesen Stellen die sogenannten Reformatoren des 16. Jahrhunderts angeknüpft haben und eine ganz eigene, bisher nicht dagewesene Theorie der Sündenvergebung entwickelt haben, die aber das Tridentinum als falsch verworfen hat. Häufig spricht Paulus von der Reinigung als dem Bilde für die Sündenvergebung, etwa, wenn er sagt: „Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort des Lebens.“ Reinigung durch das Wasserbad der Taufe; natürlich nicht von körperlicher Unreinigkeit, sondern von seelischer Befleckung. Häufig ist auch die Rede von der Vergebung, etwa im Kolosserbrief: „Er hat uns befreit aus der Macht der Finsternis und in das Reich seines geliebten Sohnes versetzt. In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden.“ Das Wort Vergebung ist hergenommen von einer Schuld, die jemand hat. Man kann jemandem eine Geldschuld nachlassen, und das ist eine Vergebung. Und wie man eine Geldschuld nachlassen kann, so kann man auch eine Sündenschuld nachlassen, das ist ebenfalls eine Vergebung. Es wird jemandem etwas geschenkt, was er an sich zu bezahlen hätte, nämlich durch Strafe. Neben dem Begriff der Vergebung kommt auch der Begriff des Auslöschens vor, und der besagt dasselbe. Wenn man nämlich ein Schuldbuch hat, in dem die Schulden von bestimmten Persönlichkeiten eingetragen sind, kann man diese Schuld ausstreichen. Und dadurch, daß man im Schuldbuch die Schuld durchstreicht, ist die Schuld erlassen. Auch das ist ein Bild für die Sündenvergebung, die uns durch Jesus zuteil wird. Dann ist auch die Rede von der Begnadung. „Auch euch, die ihr tot waret durch die Sünden und durch euer unbeschnittenes Fleisch, hat Gott mit ihm neu belebt. Er hat uns gnädig alle Sünden vergeben.“ Er hat uns gnädig – also aus Gnade – alle Sünden vergeben. Und schließlich noch einen letzten Ausdruck im Hebräerbrief. Da heißt es an einer Stelle: „Und gleich wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, worauf aber das Gericht folgt, so wird auch Christus einmal geopfert, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen.“ Um die Sünden vieler auf sich zu nehmen und damit natürlich wegzunehmen. Indem er sie auf sich nimmt, nimmt er sie von den Menschen weg. Auch das ist wieder ein Bild aus der Körpersprache, so wie man einen Gegenstand entfernt, indem man ihn wegnimmt.

Und da sind wir gleich auch bei dem Apostel Johannes. Johannes beschriebt ja die Sündenvergebung unter dem Bilde des Lammes Gottes, welches die Sünden hinwegträgt. „Seht das Lamm Gottes, das hinwegträgt die Sünden der Welt.“ Das Bild des Lammes ist im alten Orient und auch im Alten Testament viel gebraucht worden. Das Lamm, und zwar der junge Widder, das männliche Lamm also, ist ein Bild für die Jugendkraft. Diese Jugendkraft soll der Mensch Gott weihen, indem er sich Gott hingibt. Indem der Mensch einen jungen Widder opfert für das Morgenopfer und für das Abendopfer im Tempel, gibt er damit zu erkennen: So wie der Widder geopfert wird, will ich mich selbst Gott opfern. Ich will mich seinem Willen übergeben. So wie das Tier auf dem Opferaltar liegt und verbrennt, so ähnlich-unähnlich will auch ich mein Leben Gott zum Geschenk geben. Nun wird dieses Bild vom Opfer des Lammes auf Jesus angewendet. Er ist das Lamm, das wahre Lamm, das eigentliche Lamm. Das heißt: Was die Menschen mit den Tieren vorhatten, nämlich sich von Sündenschuld zu befreien, indem sie die Sünden gleichsam auf das Tier übertrugen, das ist wirklich und wahrhaftig geschehen in Jesus Christus. Er hat sich gewissermaßen mit der Sündenschuld der Menschen beladen. Er hat diese Sündenschuld ans Kreuz getragen, und dort am Kreuze durch den Gehorsam bis zum letzten Atemzug hat er die Sündenmacht entmächtigt und hat er die Menschheit, die sich zu ihm bekennt und die sich ihm durch Glauben anschließt, von der Sünde befreit. Wer immer sich durch Glauben an Jesus wendet, der ist von der Sünde befreit, der ist nicht nur, wie der Protestantismus sagt, einer, dem die Sünde zugedeckt ist, denn unter der Decke ist ja die Sünde noch da. Nein, er ist einer, dem die Sünde weggenommen ist. Es wird ihm auch nicht bloß die Sünde nicht angerechnet, denn dann ist sie ja auch noch da, da tut ja Gott nur so, als ob die Sünde nicht da wäre. Nein, sie wird ihm vergeben.

 Es ist ganz und gar irrig, zu meinen, die Sündenvergebung bestehe darin, daß der Mensch ein Sünder bleibt, aber Gott die Sünde nicht anrechnet. Die Sünde wird wahrhaft und wirklich vernichtet; sie wird getilgt. Das ergibt sich aus mehreren Überlegungen. Einmal sind die Stellen der Heiligen Schrift, die von der Tilgung und von der Vernichtung der Sünde reden, in großer Zahl vorhanden, und wenn die Schrift nicht mit sich selbst in Widerspruch geraten soll – und die Schrift kann sich nicht widersprechen –, dann müssen eben die Stellen, wo von der Nichtanrechnung die Rede ist, so verstanden werden, daß die Sünde deswegen nicht angerechnet wird, weil sie nicht mehr da ist. Das Nichtanrechnen ist ein anderer Ausdruck für die Tilgung der Sünde. Ebenso ist die Rede vom Zudecken der Sünde zu verstehen. Sie wird deswegen zugedeckt, weil sie verschwunden ist. Nur so kann man eine Übereinstimmung aller einschlägigen Stellen der Heiligen Schrift erreichen, sonst bringt man die Schrift mit sich selbst in Widerspruch, und der Heilige Geist kann sich nicht widersprechen.

Außerdem gibt es auch andere Gründe dafür, warum der Ausdruck Nichtanrechnung nicht so verstanden werden kann, wie es der Protestantismus tut. Der Apostel Paulus vergleicht Adam mit Christus im 5. Kapitel des Römerbriefes. Adam ist der Ursünder, und durch ihn werden alle Menschen innerlich Sünder durch die Erbsünde. Christus ist der neue Adam. Wenn er den Vergleich mit Adam (dem alten Adam) aushalten soll, dann muß er die Sünde nicht nur zudecken, nicht anrechnen, sondern dann muß er sie vernichten, dann muß sie innerlich vergeben werden, dann muß sie so getilgt werden, daß sie nicht mehr da ist; sonst wäre ja der erste Adam ihm total überlegen, weil er zwar den Menschen innerlich zum Sünder macht, aber Jesus ihn nicht innerlich zum Gerechten machen kann.

Dieselbe Überlegung ergibt sich, wenn wir das Todesschicksal Jesu bedenken. Durch seinen Tod hat er die Sünde entmächtigt und ist Herr geworden, und alle, die sich ihm anschließen, nehmen an dieser Herrschaft teil. Die Entmächtigung der Sünde besagt, daß sie besiegt ist und daß die Sünder, die sich zum Kreuze bekennen, von der Sünde befreit werden. So hat es auch das Konzil von Trient lichtvoll dargestellt. Luther hatte ja den Satz aufgestellt: Der Mensch ist zugleich Sünder und Gerechter. Wenn er auf sich selber schaut, ist er Sünder, aber wenn er auf Gott schaut, ist er Gerechter. Die Gerechtigkeit Christi wird ihm nur äußerlich angeklebt; er bleibt Sünder, aber Gott deckt ihn gewissermaßen mit der Gerechtigkeit Christi zu, und so gilt er vor Gott als Gerechter, obwohl er ein Sünder bleibt. Diese logisch unbefriedigende und heilsgeschichtlich unhaltbare Theorie hat das Konzil von Trient verworfen. Man kann nicht zugleich gerecht sein und Sünder sein. Entweder ist man ein Sünder, dann ist man nicht gerecht, oder man ist gerecht, und dann ist man kein Sünder mehr. Freilich hat das Konzil von Trient nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß auch, wenn der Mensch von der Sünde befreit wird, etwas in ihm bleibt, was aus der Sünde kommt und zur Sünde drängt, nämlich die ungeordnete Begierlichkeit, die Konkupiszenz. Es ist dem Menschen etwas belassen, auch nach der Vergebung der Erbsünde, was eine gewisse Anfälligkeit für die Sünde bedeutet, eben, wie wir ja alle spüren, nicht wahr, diese Neigung, sich der Herrschaft Gottes wieder zu entwinden. Aber das bedeutet nicht dasselbe wie zugleich gerecht und Sünder sein, sondern der Gerechte, der immer wieder versucht wird, hört deswegen nicht auf, gerecht zu sein. Und selbst wenn er in läßliche Sünden fällt, hört er nicht auf, gerecht zu sein.

Auf Erden, während der Pilgerschaft, bleibt die ungeordnete Begierlichkeit zum Kampfe, sagt das Konzil von Trient. Wir klug und wie richtig! Zum Kampfe, damit wir etwas haben, womit wir uns bewähren können. Wir müssen uns ja den Himmel verdienen, und dieses Verdienen geschieht durch den immerwährenden Kampf gegen die andrängende Macht der bösen Begierlichkeit. Die endliche Befreiung erfolgt, wenn das Gottesreich sich naht. Dann, wenn wir in den Himmel einziehen, werden wir auch von der Versuchlichkeit zur Sünde befreit werden. Jetzt sind wir in der Spannung, nämlich in der Spannung zwischen der Gerechtigkeit und der immer neuen Versuchung zur Sünde. Aber wenn wir einmal in die Ewigkeit eingegangen sind, dann ist diese Spannung gelöst. Dann werden wir nicht nur keine Sünder mehr sein, wir werden auch nicht mehr versuchlich sein, denn Gott wird alles in allem sein, und wir werden ihn sehen und wir werden ihn lieben und wir werden uns in ihm freuen.

Amen.

 

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