Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Januar 2000

Die Verbundenheit Jesu mit seiner Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kraft der machtvollsten Persönlichkeit in der Kirche stammt aus der innigen Verbindung mit Jesus. Weil sie sich ihm im Glauben und in der Liebe, in einem lebendigen Glauben und in einer tatbereiten Liebe überantwortet haben, deswegen werden sie fähig, Großes in der Kirche und für die Kirche zu leisten. Dieser Glaube und diese Liebe richten sich nicht auf eine Persönlichkeit der Vergangenheit, so wie wir uns bedeutender Männer oder Frauen aus der Vorzeit erinnern. Nein, dieser Glaube und diese Liebe richten sich auf den gegenwärtigen Jesus, auf den in seiner Kirche lebendigen, durch alle Zeiten hindurchgehenden, aus der Auferstehung lebendig gewordenen Jesus, unseren Heiland.

Die Verbindung, in der Jesus mit seiner Kirche steht, ist vom Apostel Paulus in drei bedeutsame Bilder gefaßt worden. Er sagt: Die Kirche ist erstens die Braut Christi; die Kirche ist zweitens der Körper, dessen Haupt er ist, und die Kirche ist drittens der Leib, den Christus mit seinen Wachstumskräften durchpulst. Das sind Bilder, aber Bilder, die etwas Richtiges aussagen. Wir müssen gewiß zugeben: Die drei Begriffe, die ich eben genannt habe, treffen auf Christus und sein Verhältnis zur Kirche nur in analoger Weise zu, d. h. in ähnlich-unähnlicher Weise. Und dennoch bleibt die Berechtigung, sie für das Verhältnis Christi zu seiner Kirche zu verwenden.

Die Kirche ist erstens die Braut Christi. Das ist ein uraltes Bild. Schon im Alten Testament wird das Verhältnis Gottes zu dem Gottesvolk als ein bräutliches beschrieben. Aber Gott hat mit diesem Gottesvolk bittere Enttäuschungen erlebt; und als es seine größte Bewährungsprobe bestehen sollte, nämlich mit der Ankunft seines Sohnes, da hat es versagt. Deswegen ist dieses Gottesvolk verstoßen worden, und Gott hat seinem Sohne ein neues Volk geschaffen, das Gottesvolk des Neuen Bundes. Das Verhältnis Jesu zu seinem Volk wird als ein bräutliches beschrieben. Der Apostel Paulus vergleicht es im Brief an die Epheser mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Braut und Bräutigam. Er schreibt in diesem Briefe: „Ihr Männer, liebet eure Frauen, so wie Christus die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort. Herrlich wollte er die Kirche für sich selbst darstellen, ohne Makel, ohne Runzel oder andere Fehler. Heilig sollte sie vielmehr sein und ohne Fehl.“ Und im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Apokalypse, wird noch einmal das Verhältnis Christi zur Kirche unter dem Bild der Brautschaft dargestellt. „Ich, Johannes, sah die heilige Stadt, ein neues Jerusalem, aus dem Himmel von Gott herniederkommen, ausgestattet wir eine Braut, die für ihren Mann geschmückt ist.“ Und um dieses Ereignis bald herbeizuführen, erhebt sich der unstillbare Sehnsuchtsruf der Menschen: „Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm!“ Sogar in kirchliche Dokumente, die doch sonst eine recht nüchterne Sprache sprechen, ist das Bild von der Brautschaft eingegangen. So hat das Konzil von Vienne im Jahre 1311 das Bild von der Braut aufgenommen und ausgeführt: „Das Wort Gottes, das Menschennatur angenommen hat, ließ nach seinem Tode seine Seite mit einer Lanze durchbohren, damit durch die hervorquellende Flut von Wasser und Blut gebildet würde die einzige und makellose, jungfräuliche, die heilige Mutter Kirche, die Vermählte Christi.“ Dieses Bild der Braut sagt, wenn wir es übersetzen in unsere Kategorien, drei Wirklichkeiten aus, nämlich einmal die Innigkeit, sodann die Unzertrennlichkeit und drittens die Fruchtbarkeit der Brautschaft. Wo echte Brautschaft zwischen Menschen ist, da besteht eine innige Liebe zwischen Braut und Bräutigam. Wo wirkliche Brautschaft unter Menschen ist, da ist auch eine Unzertrennlichkeit gewährleistet. Man kann sich nur einmal einem Menschen ganz schenken. Und wo wahre Brautschaft ist, da ist auch Fruchtbarkeit, denn die Braut und der Bräutigam wollen sich über sich selbst hinaus fortpflanzen. Das also ist der Sinn des Bildes, welches die Kirche als die Braut des Herrn bezeichnet.

An zweiter Stelle ist die Kirche der Körper, den Christus als das Haupt lenkt. Oft ist in der Heiligen Schrift vom Haupt Christus die Rede, vor allem in den Briefen an die Kolosser und an die Epheser. Im Epheserbrief schreibt der Apostel Paulus: „Alles hat Gott unter seine Füße gelegt, ihn aber (Christus) hat er seiner Kirche zum alles überragenden Haupt gegeben, ist diese doch sein Leib, die höchste Vollendung dessen, der alles in allem vollendet.“ Die Aussage von Christus als dem Haupt muß wiederum von uns übersetzt werden in die irdischen Verhältnisse. Was ist denn das Haupt im Körper? Nun, das Haupt wird eben als die lenkende Kraft des Körpers angesehen. Im Haupte versammeln sich nicht nur die Sinne – Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack –, nein, das Haupt ist eben auch gleichsam der Sitz der Seele; und die Seele lenkt den Leib. Und deswegen wird Christus als das Haupt bezeichnet, weil er eine lenkende und leitende Funktion über die Kirche ausübt.

Da könnte jemand sagen: Ja, lenken und leiten nicht die Kirche der Papst und die Bischöfe und in einem abgeleiteten Sinne auch die Priester? O gewiß, sie sind die sichtbaren Lenker und Leiter der Kirche. Aber hinter ihnen steht und in ihnen wirkt Christus als Lenker und Leiter der Kirche. Er bedient sich ihrer, und je gefügiger sie gegenüber seiner Lenkung sind, um so mehr kann man sagen: Christus lenkt und leitet die Kirche. Die Lenkung und Leitung der Kirche durch Christus richtet sich an freie Persönlichkeiten, und je mehr sie sich in ihrer Freiheit Christus anheimgeben, um so wirksamer wird die Lenkung und Leitung der Kirche durch Christus werden. Er lenkt und leitet sie mit seinen Einsprechungen und Anregungen; er leitet sie mit seinem Beistand und mit seiner Hilfe, was gewiß normalerweise unanschaulich ist, aber manchmal, meine lieben Freunde, manchmal kann man sogar durch das Dunkel des Glaubens hindurch schauen und die Leitung und Lenkung Christi erfahren. Es gibt Ereignisse, es gibt Unternehmungen der Kirche, bei denen man sagen muß: Hier war Gott im Spiele. Das erklärt sich nicht aus menschlicher Kraft oder aus menschlicher Ohnmacht. Hier war die Leitung und Lenkung Gottes zu spüren. Ein Beispiel: Als Papst Paul VI. – ohne Zweifel ein schwacher Mann – gegen eine ganze Welt von Feinden außerhalb der Kirche und von Irregeleiteten innerhalb der Kirche die unverbrüchliche Lehre der Kirche über die Verwendung der geschlechtlichen Kräfte ins Gedächtnis hob, da war nicht ein Mensch im Spiele, da hat es sich gezeigt, daß in diesem schwachen Mann die Kraft Christi wirksam war.

Die dritte Weise, wie Christus und die Kirche verbunden sind, kann man als die Wachstumskraft oder als die Lebenskraft bezeichnen, die Christus in seiner Kirche entfaltet. Man könnte auch sagen: Christus ist die Seele der Kirche. So wie die Seele im Leib den Leib regiert und beherrscht und lebendig macht, so ist es ähnlich-unähnlich mit Christus in seiner Kirche. Und diese Tätigkeit der Seele im Leibe oder Christi in der Kirche kann man wiederum in einer dreifachen Weise beschreiben. Man kann nämlich erstens sagen: Christus formt und bildet die Kirche, formt und bildet jeden Christen, der sich ihm übergibt, formt und bildet auch alle Gemeinschaften in der Kirche. Er ist gewissermaßen ein Baumeister oder ein Bildhauer. Ja, so ist es. Er ist gleichsam ein Künstler, der in einer Werkstatt, und das ist die Kirche, arbeitet, um das Bild in jedem Menschen herauszuformen, das vor seinem geistigen Auge steht.

Ein Bildhauer findet Widerstand an dem Stoff. Der Stoff ist eine zähe Masse, und er muß gleichsam bezwungen werden. Ähnlich ist es auch bei der Arbeit Christi an den Seelen in seiner Kirche. Auch da tritt ihm Widerstand entgegen, Trägheit, Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit. Und die muß er überwinden, die muß er zu überwinden suchen. Es ist immer so in der Kirche, daß sie nicht eine Insel der Seligen ist, daß sie nicht ein Paradies auf Erden ist, daß sie nicht nur eine Gemeinschaft der Heiligen, sondern auch der Unheiligen ist. Immer liegen in der Kirche Eifer und Trägheit, Mut und Feigheit, Strenge und Laxheit im Kampfe. Das wird immer so sein, in verschiedenem Maße selbstverständlich. Es gibt Hoch-Zeiten, in denen eben Mut und Kraft und Eifer dominieren. Aber es gibt auch Zeiten der Schwäche, in denen die Laxheit und die Bequemlichkeit obsiegen über die heilige Ergriffenheit vom Willen Gottes.

Die erste Weise ist das Arbeiten an dem widerspenstigen Stoff, den nun einmal die Menschen für die Heilsarbeit Christi darstellen. Die zweite Weise ist, daß sich Christus der Kirche als seines Werkzeugs bedient. Die Kirche ist sein Organ; mit ihm greift er hinaus in die Welt und versucht, die Menschheit in sich zu einen. Die Kirche ist im Lehramt der Mund, durch den Christus spricht; die Kirche ist im Hirtenamt die Hand, mit der Christus lenkt; die Kirche ist im Priesteramt die Hand, die segnend und segenspendend sich über die Menschen breitet. Der Pfarrer von Ars hat einmal das schöne Wort gesagt: „Wenn man Augen hätte, würde man hinter dem Priester Christus sehen.“ Ja, wahrhaftig. Kein Geringerer als der gegenwärtige Papst spricht von einer real-mystischen Identität zwischen Christus und dem Priester. Eine real-mystische Identität besteht zwischen dem Werkzeug und dem, der es gebraucht. Und je inniger sich das Werkzeug dem Werkmann anpaßt, um so Größeres wird dieses Werkzeug bewirken. Daher kommt die Autorität der Kirche. Hier sprechen nicht bloß Menschen, sondern wenn immer sie sich Christus anpassen, spricht in ihnen Christus. In den Sakramenten werden nicht nur symbolische Vollzüge vollbracht, sondern in ihnen wirkt Christus. Ohne ihn wäre alles dieses Tun Mumpitz und Illusion und Fiktion. Christus gebraucht die Kirche und alle Menschen der Kirche als seine Werkzeuge. Er kommt so weit, wie die Menschen ihn tragen. Wir flehen gewiß: „Dein Reich komme“, aber er will, daß wir als Werkzeuge seines Reiches uns benutzen lassen, daß wir das Unsere dazu tun, damit das Reich kommen kann, daß wir ihm kein Hindernis entgegensetzen, daß wir gefügige Werkzeuge in seiner Hand werden.

Die dritte Weise, wie die Seele  im Körper wirkt, wie Christus in der Kirche tätig ist, ist, daß er alle zu einer Einheit zusammenfügt. Der einzelne Mensch wird ja auch zu einer Einheit durch das Wirken der Seele. Die Seele faßt die unzähligen Atome, aus denen der Körper besteht, zusammen, und sie bildet mit dem Körper eine Einheit, so daß wir sagen: Das ist ein Mensch, nämlich die Einheit von Seele und Leib. Ähnlich-unähnlich ist es auch mit Christus und der Kirche. Es ist nicht zu Unrecht gesagt worden, daß die Kirche der fortlebende Christus ist. Und auch das andere Wort ist nicht falsch, das die Kirche als „Corpus Christi mysticum“, als den mystischen Leib Christi bezeichnet. Wie ist das zu verstehen? Wie kann die Kirche der fortlebende Christus sein? Wie kann sie der geheimnisvolle Leib Christi sein? Die Menschen, die sich in der Kirche versammeln, werden durch die Kraft Christi in den Sakramenten Christus verähnlicht. Jedes Sakrament wirkt eine Christusähnlichkeit. Es werden durch die Sakramente die Züge Christi in uns herausgebildet. Dadurch gewinnen wir alle untereinander eine Verwandtschaft. Wir werden verwandt, weil in allen, wenn auch in verschiedener Weise und in verschiedenem Grade, die Züge Christi herausgearbeitet sind. Aber das ist noch nicht alles; denn durch die heiligmachende Gnade, die in den Getauften wirkt, solange sie sie nicht verspielen, werden wir in ein übernatürliches Verhältnis zu Gott gebracht, empfangen wir Anteil an der göttlichen Natur – ja, so sagt es Petrus in seinem Brief: „Anteil an der göttlichen Natur“, nicht mehr, aber auch nicht weniger –, werden wir in eine höhere Sphäre gehoben, und dieses bewirkt der Heilige Geist. Der Heilige Geist aber ist in allen derselbe. Ein und derselbe Geist ist es, der in allen wirkt, und dieser Geist wird von Christus gesandt. Und deswegen ist Christus das Lebensprinzip in allen Getauften, in allen mit der Gnade Erfüllten. Wir sind also tatsächlich eine Einheit, eine Einheit im mystischen Leibe Christi, und diese Einheit muß selbstverständlich auch gelebt werden. Der heilige Paulus ist ganz fassungslos, wenn er in seinen Gemeinden erfahren muß, daß es Spaltungen gibt. Ja, wie kann es denn Spaltungen geben, wenn ihr ein Leib Christi seid? So sagt er den Gemeinden. Das ist ihm unbegreiflich, das kann er gar nicht fassen. Und so muß es auch sein. Durch die Macht des Wirkens Christi, durch die Verähnlichung mit ihm, durch den Einfluß des Heiligen Geistes sind wir alle eins, eins durch Christus in der Kirche. Man kann zu Christus sagen: Siehe, das ist der Eingeborene vom Vater, aus ewigen Gründen in Ewigkeit gezeugt. Aber man kann auch zur Kirche sagen: Siehe da, das ist die Eingeborene des Vaters, in der Zeit geboren und in der Zeit lebend.

Da sehen wir, meine lieben Christen, welche Verantwortung wir haben für unser Leben, für unser Tun und unser Lassen. Wir haben nur ein Leben, und dieses eine Leben müssen wir dem schenken, der uns ergriffen hat, der in uns wirken will, der sich unserer bedienen will. Seine Ehre ist in unsere Hand gelegt. Er kommt so weit, wie wir ihn tragen. Da darf keine Müdigkeit und keine Bequemlichkeit in uns sein. Da müssen wir uns aufraffen und unermüdlich und rastlos tätig sein für ihn, der uns geliebt hat und der sich für uns hingegeben hat.

Amen.

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