Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 1999

Die Wahrheit über die Aufnahme Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel ist heute. Es ist dieses die letzte von den vier Glaubenswahrheiten, die uns von Maria geoffenbart sind. Maria ist erstens die Gottesmutter, Maria ist zweitens die immerwährende Jungfrau, Maria ist drittens die unbefleckt, also ohne Erbsünde Empfangene und schließlich viertens: Maria ist die glorreich, mit Leib und Seele in den Himmel Aufgenommene. Wir wollen über den Inhalt dieses Glaubenssatzes, über seine Geschichte und über seine biblische Grundlage nachdenken.

1. Der Inhalt. Das Dogma, welches Papst Pius XII. am 1. November 1950 verkündete, lautet in seinen entscheidenden Worten: „Gott hat Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen.“ Da ist ein Unterschied zu den Seligen, die wir sonst im Himmel wissen, zu Maximilian Kolbe oder zu Petrus oder zu Katharina. Alle die anderen Heiligen des Himmels haben die Herrlichkeit erlangt; aber sie sind gleichsam im Wartestand, denn noch umfaßt ihre Herrlichkeit allein ihre Seele. Erst bei der Auferstehung am Jüngsten Tage wird auch ihr Leib verklärt werden. Anders bei Maria. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Sie hat ein besonderes Privileg, einen besonderen Vorzug von Gott erlangt, und zwar wegen ihrer Stellung in der Heilsgeschichte. Als Gottesmutter sollte sie ihrem himmlischen Sohne in einer einzigartigen Nähe gefolgt sein. Maria ist die Ersterlöste, denn sie wurde von der Erbsünde bewahrt, während wir anderen von der Erbsünde befreit werden. Sie ist die Vollerlöste. Weil sie die Ersterlöste und die Vollerlöste ist, deswegen sollte sie auch die Vollvollendete sein. Maria ist deswegen vollkommen vollendet, weil sie voll erlöst war. Diese Auszeichnung Mariens hat ihren Grund in ihrer heilsgeschichtlichen Stellung. Sie war aufs engste mit ihrem göttlichen Sohne verbunden, und so sollte sie auch in der Herrlichkeit innigst mit ihm vereint sein.

Durch das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel erhalten wir Kunde darüber, daß die Herrlichkeit des Himmels nicht nur die Seele umgreifen soll, sondern auch den Leib. Die Kirche ist kein Feind der Materie, sondern sie hat die Überzeugung, daß die verklärte, die verwandelte Materie einmal an der himmlischen Herrlichkeit teilnehmen soll. An einer von uns ist das bereits geschehen; es ist dies Maria. Sie ist die Vollvollendete, mit Leib und Seele durch die Kraft Gottes in den Himmel Aufgenommene. Das Dogma sagt nichts über den Tod Mariens. Es heißt nur: „Nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes.“ Die Frage wird also offengelassen. Ist Maria nicht gestorben? Ich glaube, daß die besseren Gründe dafür sprechen, daß auch Maria gestorben ist. Warum? Weil sie eben ganz am Schicksal ihres Sohnes teilnehmen sollte. Ihr Sohn ist gestorben, also liegt es nahe, daß auch sie den Tod erlitten hat. Ihr Sohn war leidensfähig, also mußte auch sie Leiden auf sich nehmen, und der konnaturale Abschluß der Leiden ist eben der Tod. Deswegen bin ich persönlich überzeugt, daß wir die besseren Argumente dafür haben, daß auch Maria gestorben ist. Das Dogma spricht auch nicht von der Auferstehung Mariens. Aber selbstverständlich müssen wir annehmen, daß der Leib Mariens, wenn er gestorben war, von Gott erweckt worden ist. Auferstehung aus eigener Kraft ist Christus zuzuschreiben; Auferweckung aus der Kraft Gottes ist Maria zuzubilligen. Das also ist der Inhalt dieses Glaubenssatzes.

2. Wie ist es zu diesem Glaubenssatz gekommen? Wir haben keine Augenzeugen der Aufnahme Mariens in den Himmel. Die Bilder, die uns die Apostel zeigen, die beobachten, wie sie emporgetragen wird, sind natürlich Legenden. Es gibt keine historische Tradition von der Aufnahme Mariens in den Himmel. Aber es gibt eine dogmatische Tradition, d. h. eine Überlieferung, welche die Kirche aufgrund des biblischen Marienbildes ausgebildet hat. Sie setzt ein mit der Schrift „Transitus Mariae“. Diese Schrift aus dem 4./5. Jahrhundert, deren Wurzeln in das 2./3. Jahrhundert zurückgehen, berichtet uns von der Aufnahme Mariens in den Himmel. Aber auch unabhängig von dieser Schrift, die ja apokryph ist, also von der Kirche nicht in das Verzeichnis der amtlichen Schriften aufgenommen wurde, haben Kirchenväter die Überzeugung vorgetragen, daß Maria vollvollendet ist, daß sie ganz, mit Leib und Seele an der himmlischen Herrlichkeit teilnimmt, und zwar Kirchenväter von hohem Rang wie Andreas von Kreta, Johannes von Damaskus, Modestus von Jerusalem, Germanus von Konstantinopel. Alle diese bedeutenden, teilweise heiligen Kirchenväter sind der Überzeugung, daß Maria in den Himmel aufgenommen wurde. Im 10. Jahrhundert wird der Glaube allgemein von den Theologen gelehrt, und als Papst Pius XII. im Mai 1946 einen Brief an alle Bischöfe richtete, in dem er fragte, ob es möglich und angemessen sei, es als Dogma zu verkünden, daß Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen ist, da erhielt er ein überwältigendes Echo. Er wollte durch diese Anfrage feststellen, was das Volk Gottes, was die Kirche, was die Bischöfe als deren Sprecher über das Endschicksal Mariens denken. Es liefen fast 1200 Antworten ein. Von 1181 Briefen waren nur 6 zweifelnd, ob man es als Dogma verkünden könne, daß Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen ist. Also eine moralische Einmütigkeit des gesamten katholischen Episkopates, daß es möglich und angemessen sei, das Dogma zu verkünden: Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Das ordentliche Lehramt war also allgemein der Ansicht, daß es eine Glaubenswahrheit ist: Maria ist in den Himmel aufgenommen. Es gibt eine Dogmatisierung schon durch das ordentliche allgemeine Lehramt. Aber damit wollte sich der Papst nicht begnügen. Er wollte endgültige und zweifelsfreie Sicherheit verschaffen. Darum hat er kraft seiner Unfehlbarkeit am 1. November 1950 das Dogma verkündet: „Maria wurde nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen.“ Seitdem ist es ein Glaubenssatz, ein Glaubensgesetz, daß Maria in wunderbarer Weise zur himmlischen Herrlichkeit erhöht worden ist.

Es braucht uns nicht zu wundern, meine lieben Freunde, daß es eine Entwicklung der Dogmen gibt. Der Heilige Geist führt eben die Kirche in alle Wahrheit ein; das hat uns ja der Herr verheißen. Es ist nicht alles von Anfang an ausformuliert da, sondern es braucht seine Zeit, bis die Entwicklung reif ist, um ein solches Dogma zu formulieren. Das ist in der profanen Wissenschaft genauso. Wir kennen die Gesetze der Schwerkraft erst, seitdem Newton und Galilei und Kepler ihre Forschungen gemacht hatten. Und wir kennen die Gesetze der Elektrizität erst, seitdem Faraday, Joule und Hertz darüber geforscht haben. Ähnlich-unähnlich ist es auch im Bereich der Religion. Auch da gibt es eine legitime Entwicklung, die vom Wildwuchs wohl zu unterscheiden ist. Es hat gewiß auch Wildwuchs gegeben; aber die Kirche hat kraft des Glaubenssinnes, in dem der Heilige Geist wirksam ist, den Wildwuchs vom echten Gewächs unterschieden. Der heilige Thomas war z. B. der Ansicht, daß auch der heilige Johannes mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen sei. Die Kirche hat diese Meinung abgewiesen. Wir können also bezüglich der Entwicklung des Glaubens auf den Heiligen Geist vertrauen und uns gewiß machen lassen, daß diese Entwicklung geistgeleitet war.

Die Lehre von der Aufnahme Mariens in den Himmel hat schließlich drittens auch ihre biblischen Grundlagen. Die Enzyklika und Bulle Pius‘ XII. „Munificentissimus Deus“ verweist auf das Protevangelium, das erste Evangelium, das im Buche Genesis enthalten ist. Da heißt es: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Sproß und ihrem Sproß. Er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst seiner Ferse nachstellen.“ So spricht Gott zur Schlange. Und die Kirche sieht in der Frau, von der hier die Rede ist, über die erste Eva hinaus die zweite Eva angezielt. Maria ist die zweite Eva, die zu dem zweiten Adam paßt und die mit dem zweiten Adam zusammen den Kampf gegen den Satan geführt hat. Es gibt aber auch andere biblische Grundlagen, so wenn in der Heiligen Schrift immer der Zusammenhang zwischen Erwählung, Begnadung und Verherrlichung hervorgehoben wird. Etwa im Römerbrief, wo es heißt: „Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt. Die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“ Dieser Zusammenhang zwischen Erwählung, Begnadung und Verherrlichung ist eine der biblischen Grundlagen für das Endschicksal Mariens. Sie wurde erwählt, sie wurde begnadet, und sie wurde auch verherrlicht. An einer anderen Stelle spricht der Apostel Paulus ähnlich, wenn er sagt: „Preiswürdig ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der in Christus gesegnet hat mit allem göttlichen Segen vom Himmel aus. In ihm hat er uns ja auserwählt vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und untadelhaft vor ihm seien. In Liebe hat er uns vorherbestimmt, daß wir in ein Kindesverhältnis zu ihm treten sollten durch Jesus Christus nach seinem gnädigen Willensentschluß zum Preis seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. In ihm haben wir die Erlösung.“ Eine weitere biblische Grundlage für das Dogma ist die Zusammengehörigkeit mit Christus, die jetzt schon eine (noch verborgene) Gleichgestaltung mit ihm in Tod, Auferstehung und herrlicher Himmelfahrt stiftet. So heißt es im Epheserbrief: „Gott aber, der reich ist an Erbarmen, hat uns in seiner übergroßen Liebe, mit der er uns geliebt, uns, da wir in den Sünden tot waren, lebendig gemacht mit Christus. Aus Gnade also seid ihr gerettet. Er hat uns mitauferweckt und mitversetzt in den Himmel in Christus Jesus.“ Was an uns verborgenermaßen geschehen ist, das ist in Maria herausgekommen, das ist in Maria offenbar geworden, nämlich daß wir nicht nur erlöst, sondern auch in den Himmel versetzt sind. Sie hat diese Gnade erlangt, weil sie mit dem Schicksal Jesu in einzigartiger Weise verbunden ist. Sie hat sein ganzes Leben geteilt, sie, die ihn im Schoße getragen, sie, die ihn geboren hat, sie, die sein öffentliches Auftreten begleitet hat, sie, die mit ihm unter dem Kreuze gelitten hat, sie, die ihn wohl auch als den Auferstandenen erlebt hat. Sie sollte auch in der himmlischen Herrlichkeit mit ihm vereint sein. Also die Schicksalsgemeinschaft mit Christus hat Maria den Himmel verdient. Weil sie mit ihm eins war im Kampfe, durfte sie mit ihm eins sein im Sieg. Sie hat den Sieg errungen, weil sie im Kampfe mit Christus an einer Seite gekämpft hat.

Das also, meine lieben Christen, ist der Inhalt des heutigen Festes, ist die Entstehung dieses Glaubens, ist auch die biblische Grundlegung. Maria wird von uns verehrt als die Königin, als die Königin des Himmels, die Königin der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der Martyrer, der Jungfrauen, der Bekenner, aller Heiligen, weil sie an der Spitze von allen steht. Gott selbst ist ein Marienverehrer. Er hat sie ausgezeichnet und gekrönt. Wie könnten wir dann hinter seiner Verehrung zurückbleiben? Wir verehren sie, indem wir sie lieben. Wir verehren sie, indem wir ihr danken. Wir verehren sie, indem wir sie bitten. Wir rufen sie an als die Mutter von der immerwährenden Hilfe, als die Mutter vom guten Rat, als die Pforte des Himmels. Wahrhaftig, ein Marienverehrer, ein wirklicher, ein echter Marienverehrer wird nicht verloren gehen. „Ich glaube nicht“, schreibt einmal der heilige Alfons von Liguori, „daß die Hölle sich rühmen kann, einen einzigen zu haben, der eine rechte Verehrung zur Muttergottes gehabt hat.“

Amen.

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