24. Mai 1999
Warum brauchen wir die Kirche?
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Wind weht der Kirche ins Gesicht. Zahllose Zeitgenossen, Atheisten, Abgefallene, Abständige, sind der Meinung, die Kirche habe sich überlebt. Der jetzige Bundeskanzler Schröder sprach davon, daß man die Kirche überflüssig machen könne. Diese weitverbreitete Ansicht bewegt uns zu der Frage: Brauchen wir die Kirche? Brauchen wir sie in unserer Zeit? Oder ist die Kirche tatsächlich überflüssig? Hat sie sich selbst überlebt? Ich will versuchen, eine vierfache Antwort asuf die Frage zu geben: Brauchen wir die Kirche?
1. Wir brauchen die Kirche, weil wir die Offenbarung benötigen. Die katholische Religion ist die einzige, die die Anwesenheit Gottes auf der Erde verkündet. Die katholische Religion nimmt einen göttlichen Stifter ihrer selbst als gewiß an. Sie ist die einzige gottgestiftete Religion. Alle anderen Religionen sind von Menschen gemacht, diese Religion aber stammt von Gott, und den Vorgang, in dem Gott diese Religion gegründet hat, nennen wir Offenbarung. Offenbarung ist das Sichtbarwerden des unsichtbaren Gottes, ist das Sichzeigen des Logos auf dieser Erde. Der Logos ist nach Kreuz und Auferstehung in den Himmel zurückgekehrt, von wo er ausgegangen ist. Aber sein Werk soll weitergehen; die Offenbarung muß weitergegeben werden. Da braucht es Hände, die sie tragen, da braucht es einen Mund, der sie verkündet, da braucht es Füße, die sie zu den Menschen bringen. Darum hat der menschgewordene Logos seine Kirche gestiftet, daß sie sein Werk weiterträgt, daß sie die Wahrheit und die Gnade, die er gebracht hat, zu den Menschen bringt.
An erster Stelle die Wahrheit; die Wahrheit ist die aufgedeckte Wirklichkeit. Die Kirche trägt die Wahrheit, die sie von ihrem Herrn empfangen hat, durch die Zeiten. Wenn es keine Kirche gäbe, wäre die Wahrheit schon längst vergessen, entstellt, von den Menschen nach ihrem Geschmack gemodelt. Die Kirche trägt die Wahrheit durch die Zeiten, weil der Geist sie in der Wahrheit hält und weil der Geist dafür sorgt, daß die Wahrheit nicht untergeht. Es mögen Irrlehrer auftreten, so viel sie wollen, es wird immer eine Stelle geben, an der die Wahrheit gefunden werden kann, und diese Stelle nennen wir katholische Kirche.
Die Kirche bringt auch die Gnade zu den Menschen. Gnade ist die Gunst Gottes, ist eine neue Qualität, ist die Freundschaft mit Gott, ist das Leben in der dreifaltigen Herrlichkeit Gottes. Diese Gnade wirkt in der Kirche, denn die Kirche birgt diese Gnade. Sie verwaltet sie durch ihre Sakramente und spendet sie den Empfängern dieser Sakramente aus. Wir brauchen Gnadenhaftes, wir brauchen vom Himmel Geworfenes; wir kommen nicht aus mit dem Naturhaften, sondern wir müssen Göttliches empfangen, damit wir das Menschliche bewahren können. Wir brauchen die Kirche, weil sie die Offenbarung durch die Zeiten trägt.
2. Wir brauchen die Kirche, weil sie uns zur Verehrung Gottes anleitet. Die Kirche lehrt uns, daß Ehre Gottes und Heil der Menschen untrennbar aneinander geknüpft sind. Wenn die Menschen das Heil suchen, dann müssen sie die Ehre Gottes befördern, und wenn sie das Heil suchen ohne die Ehre Gottes, dann wird es zum Unheil. Ehre Gottes und Heil der Menschen sind untrennbar aneinander geknüpft, und die Kirche lehrt uns, Gott die Ehre zu geben. Sie tut es in einer zweifachen Weise. Die Kirche führt uns zur Anbetung. Der Mensch ist ein anbetendes Wesen. Er ist von Natur aus so geschaffen, daß er anbeten muß. Wenn er nicht den wahren Gott anbetet, dann einen Götzen, aber anbeten muß er. Er soll aber Gott anbeten, weil Gott sein Schöpfer ist. Die einzig angemessene Haltung des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer ist die Anbetung. Die Majestät Gottes bedarf in sich nicht der Anbetung, aber wir bedürfen der Anbetung, damit wir Menschen bleiben, damit wir unsere menschliche Würde bewahren, damit wir seinsgerecht leben. Ohne die Anbetung gleichen wir den Tieren. Die Tiere beten nicht bewußt an, wenn auch vielleicht unbewußt durch ihre Schönheit und durch ihre Nützlichkeit und durch ihre Tätigkeit. Aber der Mensch allein weiß, daß er anbeten muß, und er darf anbeten, weil darin seine Würde beschlossen ist.
Die zweite Weise, wie wir Gott die Ehre geben, ist der Gehorsam. Gott ist der Gesetzgeber, der absolute, d.h. von niemandem abhängige und der universale, d.h. alle Geschöpfe umgreifende Gesetzgeber. Er hat Gebote gegeben und Verbote erlassen, und die Welt nimmt nur einen heilvollen Verlauf, wenn sie sich an die Gebote und an die Verbote hält. Die Kirche kündet uns diese Gebote und Verbote. Das ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Die Kirche sagt uns beispielsweise, daß es innerlich schlechte Handlungen gibt, ein Punkt, an dem sich die Zeitgenossen besonders häufig reiben. Es gibt Handlungen, die immer und überall und unter allen Umständen und aus allen Motiven verboten sind. Es gibt in sich schlechte Handlungen, wie zuletzt Johannes Paul II. in seiner Enzyklika über die Sittlichkeit des Menschen verkündet hat. Alle anderen beugen sich, der Protestantismus, die Orthodoxie, der Islam, alle beugen sich; sie machen alle Ausnahmen. Sie lassen überall Ausnahmen zu, die natürlich durch Analogie beliebig erweitert werden können. Allein die katholische Kirche steht ungebrochen. Das ist ein Zeichen, daß wir sie brauchen; das ist ein Zeichen, daß der Geist in ihr lebendig ist; das ist ein Zeichen, daß sie ihre Sendung bewahrt hat. Es ist ganz falsch, wenn selbst in der Kirche vereinzelt Männer auftreten, welche der Kirche ihre Verbote der in sich schlechten Handlungen ausreden wollen. Da soll sich der Herr Spital in Trier mal fragen, was er denn von seiner katholischen Lehre bewahrt hat, wenn er meint, daß man nach Vergewaltigung ein Kind abtreiben kann. Das kann man nicht, das darf man nicht! Gott hat es verboten, nicht die Kirche. Die Kirche brauchen wir, weil sie uns zur Anbetung und zum Gehorsam gegen Gott führt.
3. Wir brauchen die Kirche, weil wir im Kampf gegen die Sünde stehen. Christus ist erschienen, um die Bollwerke des Teufels zu zerbrechen. Das war seine Aufgabe, den Satan zu überwinden, und er hat es geschafft. „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“, so verkündet er einmal triumphierend. Aber seine Aufgabe ist noch nicht vollendet. Er hat sie seiner Kirche hinterlassen. Die Kirche ist in seine Aufgabe eingetreten. Sie muß den Kampf gegen die Sünde führen, in mehrfacher Weise. Sie verkündet. Daß die Sünde die Urnot des Menschen ist. Die Urnot sind nicht Krankheiten und Kriege und Verluste, die Urnot des Menschen ist die Sünde. Aus der Sünde quellen die anderen Leiden des Menschen hervor, und deswegen muß die Urnot überwunden werden, wenn wir die abgeleiteten Nöte besiegen wollen. Die Kirche tut dies, indem sie die Gebote und Verbote Gottes den Menschen verkündet, indem sie sagt: „Dann nimmt euer Leben einen heilvollen Verlauf, wenn ihr euch daran haltet, was Gott geboten hat.“ Die Kirche führt den Kampf gegen die Sünde, indem sie die Menschen zur Reue führt. Welches köstliche und kostbare Geschenk ist eine wahre Reue, wenn der Mensch an die Brust klopft und bekennt: Meine Schuld, meine übergroße Schuld! Und die Kirche führt den Kampf gegen die Sünde vor allem im Sakrament der Buße, wo dem reuigen Sünder die Sünden nachgelassen werden. Keine Institution auf dieser Erde kann zu einem Menschen sprechen: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“ außer der katholischen Kirche. Wir brauchen die Kirche, weil wir die Sündenvergebung brauchen. Wenn der Mensch nicht von der Sünde frei wird, dann ist er wie mit einer Last beladen, und dann flüchtet er in den Alkohol oder in den Selbstmord. Als der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton einmal gefragt wurde, warum er katholisch geworden sei, da gab er zur Antwort: „Damit ich von meinen Sünden loskomme.“
4. Wir brauchen die Kirche, weil wir Leidträger auf dieser Erde sind. Das Leid ist auf dieser Erde zu Hause, und diese Kirche versteht etwas vom Leid. Sie stellt einen gepeitschten Sklaven auf die Altäre. Diese Kirche weiß, was es um das Leid ist, denn ihr Stifter hat es in einem Ausmaß getragen wie kein anderer. Es mag Menschen geben, die, irdisch gesehen, mehr gelitten haben, aber sie haben nicht so gelitten wie unser Herr und Heiland. Er war der Reinste und Heiligste, er war der Unschuldigste, und deswegen haben seine Leiden eine ganz andere Qualität als die Leiden der schuldbeladenen Menschen. Diese Kirche versteht etwas vom Leiden. Sie lehrt die Menschen das Leid tragen. Sie lehrt es tragen, indem sie sie auffordert, hinzuschauen auf den, der ihnen vorangegangen ist mit dem Kreuz. Die anderen, die Christus nicht kennen und die der Kirche nicht folgen, suchen dem Leid zu entfliehen. Sie brechen aus der Ehe aus, sie greifen zu Medikamenten, sie versuchen das Leid auszureden. Die Kirche allein vermag das Leid zu überwinden, indem sie es nämlich in die Wunden Jesu hineinträgt. Wer so leidet, wie die Kirche ihn leiden lehrt, der leidet gut, dessen Leid gewinnt erlöserische Qualität. Diese Kirche versteht etwas vom Leiden.
Sie hat die Menschen auch gelehrt, den Leidträgern zu Hilfe zu kommen. Keine Institution dieser Erde hat den Menschen so viel an Barmherzigkeit, Mitleid, Nächstenliebe, Geduld gelehrt wie die katholische Kirche. Wer sagt: Die Kirche ist nützlich, weil sie Kinderheime errichtet, Altenheime unterhält und Krankenhäuser baut, der ist ganz falsch belehrt. Das ist nicht die Aufgabe der Kirche, das kann die Arbeiterwohlfahrt genauso und das Rote Kreuz. Aber Menschen schaffen, die in diesen Einrichtungen Liebe, Barmherzigkeit und Geduld beweisen, das ist die Aufgabe der Kirche. Sie schafft die Menschen, welche den Leidträgern das Leid tragen helfen.
Wir brauchen die Kirche, weil wir die Offenbarung Gottes brauchen. Wir brauchen die Kirche, weil wir zur Anbetung und Verehrung Gottes geführt werden müssen. Wir brauchen die Kirche, weil wir im Kampf gegen die Sünde stehen. Wir brauchen die Kirche, weil wir Leidträger sind und Trost im Leid benötigen. Kirche und Christentum lassen sich nicht trennen; es gibt kein Christentum ohne Kirche. Deswegen brauchen wir die Kirche. Sie wird niemals überflüssig werden, und sie wird niemals von ihrer Aufgabe abfallen, weil der Heilige Geist ihr verbürgt, daß sie dem Worte des Herrn getreu bis ans Ende der Zeiten wirken wird. Nur darf man eben Inhalt und Form nicht verwechseln. Natürlich gibt es auch in der Kirche Menschen, die Böses getan haben, aber nicht weil sie der Kirche folgen, sondern weil sie sich der Kirche widersetzen. Natürlich gibt es Menschen in der Kirche, die Verbrecherisches angestellt haben, aber eben darum, weil sie dem Gesetz Christi untreu geworden sind. Ich lese bei dem schottischen Schriftsteller Bruce Marshal folgende schöne Erklärung: „Das kirchliche Christentum ist für die Religion ebenso notwendig wie eine Flasche für den Wein. Die Leute leben irrtümlich in der Einbildung, sie müßten auch die Flasche mittrinken. Sie begreifen nicht, daß man die Form haben muß, um den Geist zu fassen, und den Geist, um die Form auszufüllen. Eins ohne das andere taugt nicht viel.“
Amen.