18. April 1999
Der neue Himmel und die neue Erde
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor geraumer Zeit hatten wir uns vorgenommen, die Letzten Dinge der Menschheit und des Einzelmenschen zu bedenken. Wir waren dabei so vorgegangen, daß wir zuerst die Letzten Dinge des Alls und der Menschheit uns vor Augen gestellt haben. Dabei waren wir bis zu jenem Punkte gekommen, der durch den Begriff Weltgericht gekennzeichnet ist. Wenn das Weltgericht abgehalten ist, läßt Gott eine Verwandlung eintreten, die vom Apokalyptiker Johannes „der neue Himmel und die neue Erde“ genannt wird. „Und ich schaute einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“
Die neue Erde und der neue Himmel ist die Stätte, in die die vollendete Menschheit einzieht, die Menschheit als ganze. Die erlöste Menschheit soll in dem neuen Himmel und in der neuen Erde ihren Platz finden. Die Menschheit ist ja eine Einheit. Durch einen Menschen ist der Tod in die Welt gekommen und auf alle übergegangen. Durch einen Menschen ist das Leben gekommen und wiederum auf alle, die das Wort des Lebens hörten, übergegangen. Es lebt deswegen in den verstorbenen und in die Seligkeit eingegangenen Menschen ebenso wie in den Engeln, ja sogar in Jesus Christus noch eine gewisse Erwartung. Sie hoffen auf die Endvollendung, die erst dann eingetreten sein wird, wenn die Verwandlung von Gott bewirkt sein wird und die Menschheit auf der neuen Erde und dem neuen Himmel ihren Platz, ihren endgültigen Platz gefunden haben wird; als Gemeinschaft wird die Menschheit vollendet.
Die Stätte, in welche die vollendete Menschheit eingeht, trägt einen vertrauten Namen, nämlich Jerusalem. Die neue Himmelsstadt, die sich auf die Erde herabsenkt, hat also einen altbekannten Namen. Wenn die Vollendung unter dem Bilde einer Stadt dargestellt wird, hat das natürlich einen besonderen Sinn. Die Stadt hat für den antiken Menschen – und Johannes schrieb ja seine Apokalypse vor 2000 Jahren für antike Menschen –die Bedeutung, daß sie die Geborgenheit, die Sicherheit, die Fülle und die Freude aussagt. Im Unterschied zu dem gefährdeten Umfeld ist die Stadt eben eine Burg der Festigkeit und des Lebens und der Fülle. Dieses Bild wird auf die neue Wohnstätte der Vollendeten vom Apokalyptiker Johannes angewendet. „Ich sah die heilige Stadt, ein neues Jerusalem, aus dem Himmel von Gott herniedersteigen, ausgestattet wie eine Braut, die für ihren Mann geschmückt ist.“ Wenn die vollendete Menschheit nach seinem Zeugnis in die Himmelsstadt eingeht, dann ist damit der Inbegriff des Lebens, der Freude und der Fülle gemeint. Diese Himmelsstadt ist eine Erinnerung an die Stadt Babylon, die die Menschen in ihrer Selbstherrlichkeit aufrichten wollten; aber statt der Lebensfülle verfielen sie der Dürftigkeit, statt der Einheit der Zerrissenheit, statt des Lebens dem Tod. Diese himmlische Stadt Jerusalem ist auch das Gegenstück der endzeitlichen Stadt Babylon, jenes von maßloser Selbstüberschätzung gestalteten Werkes, das die Menschen in ihrer Überheblichkeit und Gottentfremdung aufrichteten. Die neue Stadt Jerusalem ist eine Stätte, in der Gott seine Wohnung nimmt. Sie ist der Inbegriff der göttlichen Verheißung. Das irdische Jerusalem war eine Vorerfüllung; auch das irdische Jerusalem war eine heilige Stadt, und wir wissen, mit welcher Freude die Israeliten zu dieser Stadt gepilgert sind. „Wie freute ich mich, als man mir sagte: Wir ziehen hinauf nach Jerusalem!“ Aber diese irdische Stätte Jerusalem war eben nur eine Verheißung. Sie war die Verheißung des himmlischen Jerusalem, und die Erlösten sind ja schon jetzt Bürger des himmlischen Jerusalem. Ihre Heimstätte ist jetzt schon in den Himmeln, nur ist diese Bürgerberechtigung noch nicht sichtbar; sie ist noch verborgen. Sie wird erst offenbar werden, wenn sich das himmlische Jerusalem auf die Erde senkt. Einmal wird die Verborgenheit ein Ende haben, denn das erträgt der Mensch nicht, daß die Verborgenheit immer anhielte. Einmal wird die Verborgenheit in die Erfüllung übergehen, und dann wird sich das himmlische Jerusalem auf die Erde herabsenken.
Die Himmelsstadt ist geschmückt wie eine Braut, sagt der Apokalyptiker Johannes. Unter dem Verhältnis einer Ehe oder eines bräutlichen Verhältnisses wird die Beziehung von Gott zu den Menschen oft dargestellt. Sie soll die Innigkeit ausdrücken, mit der Gott und der Mensch zusammengehören. So wie sich Brautleute innig lieben sollen, so wie Eheleute in inniger Verbundenheit miteinander stehen sollen, so ähnlich-unähnlich weit überbietend soll das Verhältnis Gottes zu den Menschen sein.
In dem neuen Jerusalem ist eine große Merkwürdigkeit zu beobachten, nämlich: „Ich sah in dieser Stadt keinen Tempel.“ Im neuen Jerusalem fehlt der Tempel. „Einen Tempel sah ich darin nicht.“ Wie kommt es, daß das neue Jerusalem ohne einen Tempel auskommt? Der Apokalyptiker gibt die Begründung an. „Denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm.“ Während der irdischen Pilgerzeit brauchen die Menschen ein Haus, in dem sie zusammenkommen, in dem sie Gott ehren, in dem sie ihr Leben und ihre Arbeit Gott weihen. Sie brauchen ein Haus aus Steinen oder aus Holz, um darin die Herrlichkeit Gottes anzubeten. Im neuen Jerusalem, in der himmlischen Stadt, im neuen Himmel und auf der neuen Erde bedarf es eines Tempels nicht mehr; denn Gott ist mit seiner Allgegenwart so nahe, daß es eines Hauses aus Stein oder aus Holz nicht mehr bedarf. Der Apokalyptiker spricht davon, daß Gott den Menschen im neuen Jerusalem so nahe sein wird wie die Menschen, die in einem Zelt beieinanderleben, und näher kann man ja nun eine Wohngemeinschaft nicht haben, als in einem Zelt nebeneinander zu wohnen. So nahe wird Gott den Menschen sein, wenn das neue Jerusalem sich auf die Erde herabsenkt. Die Anbetung geht selbstverständlich auch ohne Tempel weiter. Der Mensch ist ein anbetendes Wesen, und er zerstört sein eigenes Wesen, wenn er nicht anbetet, weil er dann im Widerspruch zu sich selber lebt. Der Mensch, der nicht anbetet, zerstört sein eigenes Wesen. Darum geht selbstverständlich und erst recht die Anbetung im neuen Jerusalem weiter. Sie wird sogar auf den Gipfel geführt, denn der bisher verborgene Gott wird dann eben in seiner unverhüllten Wesenheit angebetet werden können.
Auf Erden war den Christen, den Gottgläubigen immer entgegengehalten worden: Wo ist denn euer Gott? Und sie konnten nicht auf die sichtbare Gestalt Gottes verweisen. Die Gottgläubigen haben oft gehofft, daß Gott eingreifen würde, daß er jetzt eingreifen würde, daß er so eingreifen würde, wie sie es wünschen und wie sie es sich ausdenken. Aber Gott hat geschwiegen. Gott hat nicht so eingegriffen, wie sie meinten, daß er eingreifen müsse. Und sie haben deswegen selber oft gefragt: Wo ist denn unser Gott? Vor einiger Zeit fragte mich ein Priester: „Hat Gott denn Freude daran, wie seine Kirche zerstört wird?“ Diese Frage, diese bange Frage: Wo ist denn unser Gott? wird im neuen Himmel und in der neuen Erde verstummt sein. Dann wird Gottes offenbare Gegenwart jeden Zweifel lösen und alle Not beseitigen. Die Urnot, die Anfangsnot, die größte Not, die es überhaupt gibt, nämlich die Not um Gott, wird dann beseitigt sein. Weil aus dieser Urnot jede andere Not, alles Elend, alle Tränen hervorquellen, deswegen wird auch in dem neuen Himmel und in der neuen Erde jedes andere Elend beseitigt sein. „Der Herr“, heißt es in der Apokalypse, „wird abwischen alle Tränen. Es wird nicht mehr Trauer noch Qual noch Angst sein, denn das Frühere ist vergangen. In der neuen Himmelsstadt wird kein Durst und kein Hunger mehr sein, denn er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, und an dem Flusse stand in zwei Reihen der Lebensbaum, der zwölfmal Frucht bringt.“ In diesen Bildern wird ausgedrückt, daß jede Dürftigkeit, jede Armut in dem neuen Himmel und in der neuen Erde beseitigt sind. Es herrscht dann Lebensfülle und Lebenskraft. Alle Reichtümer der Erde werden hineingetragen in die neue Stadt. Damit soll ausgedrückt werden, daß kein Mangel in dieser Stadt mehr besteht, in dieser Himmelsstadt. Sie ist von Mauern umgeben. Die Mauern bedeuten die Würde der Stadt. Mauern sind Schutz und Sicherheit und Geborgenheit, und die Himmelsstadt ist deswegen gesichert und geborgen, weil die Engel ihre Schützer sind.
Die Stadt Jerusalem, das neue, das himmlische Jerusalem ist die Vision, die uns Johannes, der Apokalyptiker, eröffnet hat. Es müßte, was er uns zeigt, als eine Schwärmerei erscheinen, als eine Illusion, wenn wir es von Menschen und von Menschenkraft und von menschlicher Anstrengung erhoffen würden. Die Revolutionäre dieser Erde verheißen ja auch ein Paradies, ein irdisches Paradies, und sie bescheren immer nur Blut und Schweiß und Tränen und Tod. Aber der, welcher das himmlische Jerusalem verheißt, besitzt die Kraft und die Macht, es zu verwirklichen, was er durch seinen Seher Johannes uns versprochen hat. Nicht aus irdischer Anstrengung, nicht aus menschlicher Kraft, nicht aus historischem Planen entsteht die neue Stadt Jerusalem, sondern herabgesenkt von dem, der ist und da war und der sein wird in alle Ewigkeit.
Amen.