2. August 1998
Die Pflicht zum Opfer
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im heiligsten Augenblick der heiligen Messe, wenn das unbefleckte Lamm auf dem Altare liegt, um aufgeopfert zu werden, bittet der Priester Gott, dieses Opfer, dieses unser Opfer anzunehmen, so wie er frühere, vorbildhafte Opfer, die in vorbildlicher Gesinnung dargeracht wurden, angenommen hat, das Opfer des Abel, das Opfer des Abraham, das Opfer des Melchisedech. Die höchste Hingabe des Menschen an Gott zeigt sich im Opfer. Seit geraumer Zeit sind wir ja dabei, uns die Pflichten des Menschen gegenüber Gott vor Augen zu führen. Eine dieser Pflichten ist das Opfer. Das Opfer ist eine hohe und unerläßliche Weise, wie wir Gott zu verehren haben.
Unter Opfer verstehen wir das Hingeben eines wertvollen Gegenstandes, um Gott zu ehren. Es wird eine sichtbare Gabe Gott gewidmet, um ihn als den höchsten Herrn Himmels und der Erde anzuerkennen. Man kann das Opfer bestimmen als die Hingabe einer sichtbaren Gabe, die aus dem Eigentum ausgeschieden wird und Gott zur Anerkennung seiner Majestät und Hoheit übergeben wird, indem eine Veränderung, sei es physischer oder übertragener Art, an ihr vorgenommen wird. Wenn dieses Moment der Vernichtung, der Zerstörung in den Begriff des Opfers hineingenommen wird, dann hat das einen guten Grund; denn die Hinopferung soll so geschehen, daß der Mensch das Opfer nicht zurückholen kann. Es muß also etwas gegeben werden, was nun wirklich vom Menschen ausgegliedert ist und Gott geweiht wird, nicht etwas, was er hintenherum wieder in seinen Besitz nehmen will. Deswegen muß man in den Opferbegriff die Veränderung der Opfergabe hineinnehmen, die freilich nicht physisch zu sein braucht, sondern auch im übertragenen Sinne geschehen kann, nämlich in der Aussonderung und Heiligung der Gabe. Opfer wurden zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte dargebracht. Man unterschied blutige und unblutige Opfer. Blutige waren solche, bei denen Blut floß, weil eben Tiere geopfert wurden. Unblutige Opfer sind solche, bei denen kein Blut fließt. Man brachte Garben, Brot, Mehl, Wein dar und schüttete es am Altare aus oder legte es am Altare nieder, damit es dort verbrannt wurde und teilweise auch nach der Aufopferung den Dienern des Heiligtums zur Verfügung stand.
Das Opfern ist eine naturgesetzliche Pflicht. Das sittliche Naturgesetz gebietet dem Menschen zu opfern. Er muß seine innere Hingabe, also die Übergabe des Willens, sichtbar machen, und diese Sichtbarmachung geschieht eben, indem man ein sichtbares Opfer darbringt. Vor allem hat den Menschen immer das Bewußtsein seiner Schuld angetrieben, Opfer darzubringen. Der Mensch wußte und er weiß es heute noch, sofern er nicht verbildet ist, daß er durch seine Schuld den Tod verdient hat. Die schwere Schuld gegen Gott macht ihn zum Schuldner des Todes. Aber da er sich nicht selbst umbringen darf, weil der Selbsttötung das Gebot der Erhaltung des Lebens entgegensteht, so sucht er stellvertretend etwas darzubringen, um die Schuld zu sühnen, um Versöhnung von Gott zu erlangen. Er bringt Opfer dar, und er spricht dabei: So, wie dieses Opfer jetzt auf dem Altare liegt, von mir dargebracht, so liege ich vor dir; sinnbildlich gilt dieses Opfer für mich. Ich bringe dieses Opfer dar, damit du mir verzeihest, damit du mich von meiner Schuld befreiest.
Es waren gewöhnlich vier Motive, die den Menschen zum Opfern bestimmt haben. Das erste habe ich schon genannt, das wichtigste: Versöhnung zu erlangen, von der Schuld befreit zu werden, die Sünde nachgelassen zu bekommen. Dazu treten die Anerkennung Gottes als des höchsten Herrn, als des Begnadigers und Beseligers, die Bitte um alles, was notwendig und wertvoll ist, das wir von Gott erlangen können, und der Dank für das, was Gott uns gewährt hat. In der Heiligen Schrift lassen sich alle diese verschiedenen Arten des Opfers finden: Lobopfer, Dankopfer, Bittopfer und Sühnopfer. Opfer werden immer nur Gott dargebracht, denn Opfer stellen ja die Ganzhingabe dar; eine Ganzhingabe, ein holocaustum, kann der Mensch nur gegenüber Gott vollziehen. Er kann sich nicht einem Menschen ganz hingeben, sondern restlos sich aufopfern kann der Mensch nur Gott. Opfer, die man einem Menschen darbringen würde, wären ein Mißbrauch, ja eine Verletzung der göttlichen Majestät. Opfer werden immer nur dem höchsten Herrn Himmels und der Erde, dem Herrn über Leben und Tod, dargebracht. Nicht, meine lieben Freunde, als ob Gott sie benötigte; nicht, als ob Gott ihrer bedürfte; nicht, als ob Gott sie brauchte, sondern weil er weiß, daß wir sie nötig haben. Der Mensch kann nicht seinsgerecht leben, wenn er seinen Herrn und Schöpfer nicht durch Opfer anerkennt. Der Mensch kann nicht seinsgerecht leben, wenn er nicht durch Opfer versucht, sich von der Schuld zu befreien. Der Mensch kann nicht seinsgerecht leben, wenn er nicht auch sichtbar, nicht bloß mit dem Herzen, Gott seinen Dank und sein Lob abstattet.
Im Judentum waren die Opfer von Gott angeordnet und gebilligt. Sie dienten dazu, dieses sinnliche Volk von den falschen Opfern der Umgebung abzuhalten und zur rechten Gesinnung vor Gott zu erziehen. So wurden täglich im Tempel Opfer dargebracht, Frühopfer und Abendopfer, jedesmal ein fehlerloses, einjähriges Lamm, dazu Speiseopfer, Brot, Kuchen, Garben, Trankopfer. Es wurde Wein an den Stufen des Altares ausgeschüttet. Zu besonderer Höhe erhoben sich die Opfer an den großen Festen der Juden. Am Osterfest wurde ein fehlerloses Lamm in jeder Familie geopfert zur Erinnerung an den Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten. Am Versöhnungstage geschah eine besonders feierliche Opferzeremonie. Es wurde ein Ziegenbock ausgewählt; der Hohepriester bekannte die Sünden des Volkes und legte dem Tier die Hände aufs Haupt. So sollten gewissermaßen die Sünden des Volkes übertragen werden auf diesen Ziegenbock. Dann wurde er geopfert in der Weise, daß man ihn hinausjagte in die Wüste. Gewiß, das waren kümmerliche Formen und Weisen, wie man um Versöhnung bemüht war, aber immerhin vorbildhafte Formen und Weisen. Und wenn sie in der rechten Gesinnung geübt worden wären, dann hätten sie auch ihre Wirkung gehabt, aber Gott klagt oft bei den Propheten, daß die innere Gesinnung dem äußeren Opfer nicht entspricht. Die Opfer liegen auf dem Altare, das gesteht Gott zu, aber das Herz dieses Volkes, das ist weit davon, da sind sie ihrer Sinnlichkeit, ihrer Unbarmherzigkeit, ihrem Wuchergeist erlegen. Und deswegen waren diese Opfer nicht imstande, sie von der Schuld zu befreien. Sie hatten nur eine Vorbildfunktion für das Opfer, das einmal kommen sollte, das eine, einzige und ein für allemal dargebrachte Opfer des Herrn Jesus Christus.
Von diesen Opfern im eigentlichen Sinne verschieden sind die sogenannten Oblationen. Oblationen sind auch Gaben, die Gott dargebracht werden, sei es unmittelbar oder mittelbar, aber ohne Veränderung. Das unterscheidet sie von den Opfern im eigentlichen Sinne. Man widmet Gott bestimmte Gaben, sei es zum Unterhalt des Kultes oder zur Unterhaltung der Diener des Kultes, und bringt in diesem Sinne Opfergaben dar. Das ist der Grund, meine lieben Freunde, warum auch heute noch in jeder heiligen Messe der Opfergang stattfindet. Er ist nicht bloß eine lästige Unterbrechung der Andacht; er ist auch nicht nur eine Sammlung für gute Zwecke. Nein, er soll ein sichtbarer Anteil am Opfergeschehen sein. Wir legen unser Scherflein in das Körbchen, damit unser Opfer vor Gott nicht bloß mit dem Herzen, sondern auch mit der Tat und mit der Wahrheit dargebracht werde. Ein Opfer ist auch das Meßstipendium. Es wird von den Gläubigen für eine Messe ein bestimmter Geldbetrag gegeben, nicht um die Messe zu kaufen – sie ist unverkäuflich, nicht um das Meßopfer zu bezahlen – es ist unbezahlbar. Nein, das Meßstipendium wird gegeben als Beitrag für das Opfer, als ein sichtbarer Anteil an der Opferdarbringung, und der Stipendiengeber kann mit Recht erwarten, daß ihm aufgrund dieses Opfers von Gott ein besonderer Segen zuteil wird. Das sind die Oblationen, die wir nicht geringschätzen wollen, weil sie nach Gottes Willen so angeordnet sind und weil sie den Menschen großen Nutzen bringen. In einem noch weiteren Sinne kann man als Opfer alle Tugendakte bezeichnen, die um Gottes willen geleistet werden. Alle Akte der Buße, der Demut, der Enthaltsamkeit sind in diesem Sinne Opfer. Alles, was dem Menschen schwerfällt und was er tut um Gottes willen, das kann man ein Opfer im uneigentlichen Sinne nennen. Der Vater des Bergmannes, der in Lassing aus dem Bergwerk gerettet wurde, hat eine Fußwallfahrt nach Mariazell versprochen. Gewiß ein Opfer für den alten Herrn, aber ein Gott wohlgefälliges Opfer. Er will damit seine Dankbarkeit bezeigen, daß sein Sohn aus dem Inferno gerettet wurde.
Diese letzteren Opfer sollten uns sehr angelegen sein. Der Mensch hat ja ein dreifaches Gut, das Gut der Seele, das Gut des Leibes und seinen Besitz. Und alle drei kann er zum Gegenstand des Opfers in diesem Sinne machen. Er kann seine Seele hingeben im Gebet, in der Aufopferung, vor allem in der Aufopferung der heiligen Messe. Hier sollen wir ja mit Christus uns dem Vater im Himmel darbringen, und das ist ein Opferakt, der für die würdige und fruchtbare Teilnahme an der heiligen Messe unerläßlich ist. Wer sich in der Messe nicht opfern will, der hat ihren Sinn und Zweck verfehlt. Wir müssen uns mit Christus und in Christus dem Vater zum Opfer darbringen, indem wir ihm sagen: So, wie jetzt das Opferlamm auf dem Altare liegt, so liege ich vor dir, mein Gott, ergeben in deinen Willen, entschlossen, deine Herrlichkeit durch mein Leben, durch mein Leiden, durch mein Sterben zu verherrlichen. Dann hat der Mensch das Gut des Leibes. Auch das kann er zum Opfer bringen, eben durch Taten der Tugend, durch Enthaltsamkeit, durch Hilfsdienste, die er leistet, durch Martyrium. Wenn er dieses erleidet, gibt er sein Leben wahrhaft Gott hin. Das Martyrium ist die Aufopferung des Leibes zur Ehre Gottes und im Dienste seiner Herrlichkeit. Und schließlich kann der Mensch auch seinen Besitz hingeben, und wir sollten da nicht knickerig und kleinlich sein. „Ich kann mir alles leisten“, so sagen heute viele Menschen. Ja natürlich, du kannst dir alles leisten, aber du sollst dir nicht alles leisten. „Ich will mit meinem Besitz Gott ehren“ – das wäre die rechte Alternative dazu. „Ich will mit dem, was mir Gott hat zukommen lassen, seine Sache befördern.“ „Ich will mit dem Hab und Gut, das mir eigen ist, Gott als höchsten Herrn, Begnadiger und Beseliger ehren.“
Es ist doch immer so, meine lieben Freunde, daß man mit dem am meisten verwächst, dem man am meisten opfert. Und es zeigt sich auch die Liebe zu einem Gegenstand, zu einer Person, zuoberst natürlich zu Gott in dem, was wir fähig sind, für ihn zu opfern. Das Opfer ist der Ausdruck der Liebe. Wer viel opfern kann, der zeigt, daß er viel Liebe hat. Der heilige Paulus ermahnt uns im Römerbrief: „Bringt euren Leib als ein heiliges, unbeflecktes, Gott wohlgefälliges Opfer Gott dar!“ Verherrlicht Gott mit eurem Leibe, indem ihr euren Leib, eure Handlungen und Betätigungen, eure Gesinnungen und eure Werke zum heiligen Opfer für Gott macht!
Amen.