21. Mai 1998
Die Bedeutung der Himmelfahrt des Herrn
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!
Das Fest Christi Himmelfahrt hat es schwer. Im Bereich des Protestantismus war es schon einmal abgeschafft. Man wußte mit ihm nichts mehr anzufangen. Und tatsächlich, wo der Unglaube einzieht, da muß dieses Fest fallen. Der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel, hat einmal den Ausspruch getan: „Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir alle die Gelackmeierten.“ Wir, meint er, die wir nicht an den Himmel glauben. Man kann eine Himmelfahrt nur feiern, wenn man an einen Himmel glaubt. Wir wollen uns heute, am Fest Christi Himmelfahrt, über das Geschehen an Christus klar werden und dazu drei Punkte bedenken, nämlich
1. die Auferstehung als Voraussetzung der Himmelfahrt,
2. den Sinn des Geschehens der Himmelfahrt und
3. die Bedeutung des in den Himmel aufgefahrenen Herrn für uns und die ganze Welt.
Die Auferstehung ist die Voraussetzung der Himmelfahrt. Ein aus dem Geblüt des Menschen geborener, aus dem Blute geborener Mensch kann in den Himmel nicht eingehen. Um in den Himmel einzugehen, muß man eine Verwandlung erleben, und nur der verklärte Christus, der aus dem Grabe gerissen wurde, war in der Lage, in den Himmel aufzufahren. Die Voraussetzung der Himmelfahrt ist die Auferstehung Jesu. Jesus hat nach seiner Auferstehung 40 Tage lang den Jüngern den Glauben auferbaut. 40 Tage hindurch erschien er ihnen und sprach über das Reich Gottes. Ich halte es für eine unangebrachte Frage, zu bedenken, wo Jesus in diesen 40 Tagen geweilt hat. Ich bin der Überzeugung, daß Christus in diesen 40 Tagen in der Herrlichkeit des Vaters weilte, daß also das, was wir Himmelfahrt nennen, schon am Auferstehungsmorgen geschehen ist. Auferstehung und Himmelfahrt sind ein Ereignis, nämlich das Ereignis der Erhöhung. Die Heilige Schrift spricht immer davon, wenn sie ausdrücken will, was mit Jesus geschah, er sei erhöht worden, und damit meint sie zwei Elemente, nämlich einmal das Lebendigwerden des beseelten Leibes und zum anderen seinen Eingang in die Herrlichkeit des Vaters. Nach meiner Überzeugung ist also Jesus am Auferstehungstage bereits in die himmlische Herrlichkeit eingegangen, und von da ist er den Jüngern fortlaufend erschienen. Er brauchte also nicht irgendeine Wohnung auf Erden einzunehmen, um in dieser Zeit beheimatet zu sein. Nein, er hat seine Heimat im Himmel, und von da ist er immer wieder den Jüngern erschienen. Auferstehung und Himmelfahrt sind in dem Ausdruck Erhöhung mitgemeint. „Darum hat Gott ihm auch einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Er hat ihn erhöht“, so heißt es im Philipperbrief. Erhöht heißt, aus der irdischen Daseinsform befreit sein und in die himmlische Seinsweise aufgenommen sein. In diesem Sinne verstanden ist die Auferstehung die unerläßliche Voraussetzung der Himmelfahrt.
Ja, aber was bleibt dann für die Himmelfahrt noch übrig? Hat sie dann noch einen Sinn? O ja, einen sehr tiefen. Die Himmelfahrt ist der Abschluß der Erscheinungen. Die Himmelfahrt, die wir heute feiern, ist die letzte Erscheinung. Danach hat Christus sich endgültig und für immer von dieser Welt verabschiedet und ist in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen. Wir brauchen an der Geschichtlichkeit und an der Tatsächlichkeit dessen, was am Himmelfahrtstage geschehen ist, nicht den geringsten Zweifel zu hegen. Christus ist in den Himmel aufgefahren aus eigener Kraft, wie wir es im Katechismus gelernt haben, nämlich aus der Kraft seiner Gottheit. Aber diese Himmelfahrt ist eben insofern eine besondere, als sie keine irgendwie geartete Erscheinung mehr nach sich zieht. Die Erscheinungen sind abgeschlossen, Christus ist endgültig in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen.
Hier setzen dann natürlich die Zweifel und die Unsicherheiten ein. Ja, wo ist er denn jetzt? Als die Raumflüge begannen, fragte man den Kosmonauten Gagarin, ob er Gott getroffen habe. „Natürlich nicht“, sagte er. „Er existiert nicht. Ich habe ihn auch draußen nicht gesehen.“ Diese primitive Argumentation verwechselt zwei Dinge, nämlich einmal den Wolkenhimmel und die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Der Wolkenhimmel, das ist jene Stelle, wo unsere Flugzeuge kreisen, wo die Raumschiffe fahren, wo die Vögel sich bewegen. Das ist der Wolkenhimmel. Aber das Wort Himmel wird in einem ganz anderen Sinne gebraucht, wenn wir von Gott sprechen. Damit meinen wir die Gott vorbehaltene jenseitige, unweltliche und überweltliche Wirklichkeit. Die Heilige Schrift und die Kirche geben einen Hinweis darauf, daß Christus nicht in den Wolkenhimmel gefahren ist, sondern in die Gott vorbehaltene Wirklichkeit, wenn sie sagt, er sei „über alle Himmel emporgestiegen“, also nicht in den Wolkenhimmel, sondern über den Wolkenhimmel, d.h. in eine jenseits des Wolkenhimmels gelegene Wirklichkeit. Wir dürfen uns nicht die falsche Vorstellung machen, als ob Christus sich in einer unendlichen Ferne von der Erde jetzt niedergelassen habe und dort seinen Wohnsitz genommen habe. Wenn es so wäre, dann wären Gott und Christus immer noch ein Bestandteil der Welt, der Ort mag so weit von uns entfernt sein wie nur immer möglich. Man könnte grundsätzlich mit irdischen Mitteln diesen Wohnsitz ausfindig machen und ihn besuchen. Es wäre mit unseren technischen Mitteln möglich, wenn auch in langen Zeiträumen, die Stätte, in der sich Jesus befindet, zu erreichen. Dann aber wäre Gott immer noch ein Stück der Welt. Dann wäre er nicht der Welt überlegen, und wenn er nicht der Welt überlegen ist, dann ist er nicht Gott. Gerade das ist ja seine Gottheit, daß er anders ist als die Welt, daß er in der Welt nicht vorfindlich ist, daß er auch mit weltlichen, irdischen, menschlichen Mitteln nicht erreichbar ist, daß er jenseitsweltlich, daß er überweltlich ist. Er ist weltüberlegen. Und so brauchen wir keine Sorgen zu haben, daß wir etwa durch weitere Ausdehnung der Raumfahrt Gott gewissermaßen in Besitz nehmen könnten. Die Raumschiffe mögen so weit gelangen, wie sie wollen, Gott ist damit nicht zu erreichen. Er lebt in einer Wirklichkeit, die der Erfahrung, die den menschlichen, die den irdischen, die den weltlichen Mitteln nicht zugänglich ist. Das ist also der Sinn der Himmelfahrt, daß Christus mit seiner menschlichen Natur in die Gott vorgehaltene Wirklichkeit eingegangen ist.
Die Tätigkeit, die Jesus, der in den Himmel aufgefahren ist, jetzt ausübt, ist eine zweifache. Er übt nämlich im Himmel sein Priestertum aus. Niemand hat darüber klarere Aussagen gemacht als der Brief an die Hebräer. Dort heißt es: „Er aber, der ewig bleibt, hat ein unvergängliches Priestertum. Deshalb kann er immerdar jene erretten, die durch ihn Gott sich nahen. Er lebt ja allezeit, um als Fürbitter für sie einzutreten.“ Also das ist seine Tätigkeit in der himmlischen Wirklichkeit: Er tritt als Fürbitter für uns ein. Er zeigt dem Vater seine Wunden als Zeichen des Erlösungswerkes und erwirbt dadurch für uns Gnade um Gnade. Er ist ein Hoherpriester, der ein unvergängliches Priestertum besitzt. An einer anderen Stelle schreibt der Brief an die Hebräer: „Christus erschien als Hoherpriester der künftigen Güter und trat ein für allemal in das Heiligtum ein durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht von Händen gewirkt ist, d.h. nicht dieser geschaffenen Welt angehört.“ Seine priesterliche Funktion ist nicht wie die der irdischen Priester der Wiederholung bedürftig. Sein Priestertum ist ein für allemal durch das Opfer am Kreuze vollendet worden, und nun wirkt er es in der himmlischen Herrlichkeit aus. Um noch eine letzte Stelle zu erwähnen: „Denn nicht in ein von Händen gefertigtes Heiligtum ging Christus ein, sondern in den Himmel selbst, um nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen, nicht um oftmals sich selbst zu opfern, sondern jetzt ist er einmal, am Ende der Zeiten, erschienen, um die Sünden durch sein Opfer zu tilgen.“ Er übt sein Priestertum aus und – das ist die zweite Tätigkeit – er hat die Herrschaft über die Welt und über die Geschichte. Christus ist zum Herrn geworden. Seine Himmelfahrt ist eine Thronerhebung, eine Inthronisation. Er wurde zum Kyrios, zum machtvollen Herrn erhoben, und zwar zum Herrn über die Welt und über die Geschichte. Es hat sich jetzt erfüllt, was der Prophet Daniel verheißen hatte: „Während ich noch ein Nachtgesicht hatte, kam plötzlich einer, der aussah wie ein Menschensohn auf den Wolken des Himmels. Als er bei dem Hochbetagten angelangt war, führte man ihn vor denselben. Ihm ward nun Herrschaft, Ehre und Reichtum verliehen. Ihm müssen alle Völker, Nationen und Zungen dienen. Seine Herrschaft wird ewig dauern und nie vergehen. Niemals wird sein Reich zerstört werden.“ Er ist der Herr über die Welt und über die Geschichte.
Er ist auch der Herr über die Kirche. Im Epheserbrief heißt es: „Gott hat Christus von den Toten erweckt und zu seiner Rechten im Himmel gesetzt. Dort thront er nun hoch über alle Herrschaft, Gewalt, Macht und Kraft und über jeden Namen, der in dieser und der zukünftigen Welt genannt wird. Alles hat er unter seine Füße gelegt, ihn aber hat er seiner Kirche zum alles überragenden Haupt gegeben, ist diese doch sein Leib, die höchste Vollendung dessen, der alles in sich vollendet.“ Er ist das Haupt des Weltalls, er ist das Haupt der Kirche. Als Haupt der Kirche ist er gewissermaßen als unser Quartiermacher vorangegangen. Er ist hingegangen, uns eine Wohnung zu bereiten, und wir dürfen uns verlassen, daß wir nicht die Gelackmeierten sind, wenn wir sterben, sondern daß wir eine Wohnung vorfinden, die Christus uns bereitet hat. Wir können sicher sein, daß das, was am Haupte geschah, auch an seinem Leib geschehen muß, daß auch wir einmal in Wirklichkeit in die Herrlichkeit des Vaters eingehen werden und uns eine ganze Ewigkeit mit ihm freuen können.
Amen.