Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Dezember 1996

Die Sündenvergebung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden!“ So hatte der Auftrag des Engels an Josef gelautet. Der Name des Wunderkindes sollte seine Aufgabe bezeichnen. Er sollte deswegen Jesus heißen, weil er sein Volk von den Sünden erlösen sollte. Das Weihnachtsfest ist gewiß auch ein liebliches Fest, aber es ist auch ein Fest voller Realität. Und die schlimmste Realität auf dieser Erde heißt Sünde. Der Mensch ist ein Sünder, und Gott hat sich aufgemacht, den Sünder zu erlösen. Jeder Mensch ist ein Sünder. Der Evangelist Johannes hat sich anscheinend schon in seiner Zeit gegen Selbstgerechte wenden müssen, die meinen, sie seien ohne Sünde. „Wenn jemand sagt, er sei ohne Sünde, dann ist er ein Lügner und betrügt sich selbst.“ Der Mensch ist ein Sünder, und diese Wahrheit kann den Menschen nicht oft genug ins Ohr gesagt werden; denn es gibt ihrer viele, die meinen, sie seien gerecht. Es gibt ihrer viele, die die Wahrheit von der Sünde nicht hören wollen. Es gibt ihrer viele, die die Sünde Tugend nennen. Die Wahrheit des Glaubens deckt uns den wirklichen Zustand des Menschen auf: Der Mensch ist ein Sünder! Der Mensch kann sich nicht einmal längere Zeit von jeder läßlichen Sünde freihalten, wenn er nicht eine besondere Gnade Gottes empfängt. Und es ist unmöglich, das ganze Leben sich von läßlichen Sünden freizuhalten, außer man empfinge ein solches Privileg wie Maria, die Mutter des Herrn. Der Mensch ist ein Sünder, und diese Wahrheit muß er ins Auge fassen. Uns Priester und Beichtväter erschrecken nicht die Menschen, die ihre Sünden bekennen; uns erschrecken diejenigen, die behaupten, keine zu haben.

Die Botschaft der Weihnacht lautet: Es gibt eine Vergebung der Sünden. „Du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden.“ Es gibt eine Erlösung von den Sünden, weil sie uns Jesus Christus durch sein Kommen, durch sein Leben, durch sein Leiden und Sterben verdient hat. Christus ist gekommen, um die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Die Bollwerke des Teufels sind die Sünden. Er hat sie zerstört durch sein ganzes heiliges Leben, Leiden und Sterben, vor allem natürlich durch seinen bitteren Tod am Kreuze. Er ist die Verdienstursache für die Sündenvergebung. Weil Jesus das alles getan und gelitten hat, deswegen verzeiht uns Gott im Himmel die Sünden. Er ist die Versöhnung für unsere Sünden, er ist die Erlösung für unsere Sünden. In vielerlei Ausdrücken erklären die neutestamentlichen Schriftsteller die Aufgabe Jesu. Er ist das Lamm Gottes, das hinwegträgt die Sünde der Welt.

Jesus hat in seinem Leben Sünden vergeben. Er hat der Magdalena, dem Zachäus, dem rechten Schächer die Sünden vergeben. Bei dem Gichtbrüchigen sagt er ausdrücklich: „Damit ihr wißt, daß der Menschensohn die Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben, deswegen sage ich zu dem Gichtbrüchigen: ‘Nimm dein Bett und geh nach Hause!’“ Wer das tun kann, nämlich einem Gichtbrüchigen Heilung schenken, was man beobachtet, der kann auch das tun, was man nicht sehen kann, nämlich Sünden vergeben. Diese Vollmacht, Sünden zu vergeben, hat Christus seinen Aposteln übertragen. Die Apostel haben sie ihren Nachfolgern vermacht, den Bischöfen und Priestern der katholischen Kirche. In der katholischen Kirche lebt die Sündenvergebungsvollmacht des Herrn weiter. Der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton wurde einmal gefragt, warum er katholisch geworden sei. Da gab er die lapidare Antwort: „Um von meinen Sünden loszukommen.“ Er wußte, in der katholischen Kirche gibt es Sündenvergebung.

Für die Sündenvergebung sind selbstverständlich Voraussetzungen erforderlich. Keine einzige persönliche Sünde, so leicht oder so schwer sie sein mag, wird vergeben ohne Reue. Wenn ein Mensch nicht Abscheu hat vor der Sünde und nicht den Vorsatz, sie zu meiden, wird durch kein Sakrament und durch kein anderes Mittel Sünde vergeben; die Reue ist fundamental für die Sündenvergebung. Aber wenn die Reue da ist, dann gibt es Heilmittel zur Vergebung der Sünden. Das erste ist die Taufe. Die Taufe ist das Schiff, das wir gleichsam besteigen, um in den Himmel zu fahren. Sie vergibt alle Sünden, die Erbsünde und die persönlichen Sünden. Sie vergibt alle Sündenstrafen, die ewigen und die zeitlichen. Deswegen haben in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte viele gläubige Christen die Taufe aufgeschoben. Sie haben die Taufe erst im Alter oder gar auf dem Sterbebett empfangen, weil sie sagten: Dann ist wirklich alles vergeben, was ich in meinem Leben angestellt habe. Sie haben vielleicht nicht genügend bedacht, daß, wenn ihr Schifflein Schiffbruch erleidet, eine Planke, ein Brett zur Verfügung steht, an das man sich klammern kann, um aus dem Schiffbruch gerettet zu werden. Diese Planke heißt Bußsakrament. Es gibt ein eigenes Sakrament für diejenigen, die nach dem Empfang der Taufe in schwere Sünden gefallen sind. Es ist das Bußsakrament. Es ist eine der tröstlichsten Wahrheiten unserer Kirche, daß es die Möglichkeit gibt, von allen Sünden durch das Sakrament der Buße befreit zu werden.

Wenn jemand das Bußsakrament nicht mehr empfangen kann, weil er so schwer krank ist, daß er nicht mehr im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte ist, oder wenn er irrtümlich meint, er habe den Empfang nicht nötig, obwohl er tatsächlich eine schwere Sünde auf seiner Seele hat, der kann von dieser Sünde auch befreit werden durch die Letzte Ölung. Die Letzte Ölung ist an sich ein Sakrament der Lebendigen; das heißt: Dieses Sakrament setzt den Gnadenstand voraus. Aber wenn eben jemand irrtümlich der Meinung ist, er sei im Gnadenstande, es aber tatsächlich nicht ist, oder wenn er durch die Krankheit behindert ist, das Bußsakrament zu empfangen, weil er zum Beispiel nicht mehr sprechen, nicht mehr reden, nicht mehr hören kann, dann vermag das Sakrament der Letzten Ölung oder Krankensalbung ihm auch schwere Sünden zu vergeben. Es ist also kein normales Sündervergebungssakrament neben der Buße, sondern es ist ein außerordentliches Mittel, eine Ergänzung und ein gewisser Ersatz für das Bußsakrament, wenn dieses nicht mehr ordnungsgemäß empfangen werden kann. Es ist deswegen wichtig, dieses Sakrament rechtzeitig zu empfangen.

Ich habe in den letzten Jahren in Budenheim manchen Leuten, manchen Sterbenden dieses Sakrament gespendet. Sie waren allesamt nicht mehr vernehmungsfähig; man hatte mich zu spät gerufen. Das ist offenbar eine schlimme Krankheit in Budenheim, daß man den Priester nicht rechtzeitig zu den Kranken ruft, wenn sie noch bei Bewußtsein sind und ihre Schuld bekennen und freigesprochen werden können. Aber immerhin, ich konnte ihnen wenigstens das Sakrament der Letzten Ölung reichen.

Von der Sündenvergebung sind keine Sünden ausgenommen. Alle Sünden sind vergebbar. „Wären eure Sünden rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Wären sie rot wie Purpur, sie wollen weiß werden wie reine Wolle.“ So verkündet der Herr beim Propheten Isaias. Das ist ein Trost. Es ist kein Mensch so gottlos und so lasterhaft, daß er nicht, wenn er Reue hat, aus seinem Sündenpfuhl gerettet werden könnte. Nur muß er eben die Sünde zugeben. Man muß anerkennen, daß man ein Sünder ist; dann gibt es auch die Möglichkeit der Befreiung. Wie glücklich sind wir, daß es uns von Gott geoffenbart ist: Es gibt eine Vergebung aller, auch der schwersten Sünden. In Japan haben sich einmal zwei junge Mädchen in einen Vulkan gestürzt, weil sie mit ihrer Schuld nicht leben wollten. Sie haben niemals die Botschaft gehört von der Sündenvergebung aus dem Blute Jesu Christi. Eine Sünde freilich ist deswegen von der Vergebung ausgenommen, weil der, der sie begeht, die Vergebung ablehnt. Das ist die Sünde gegen den Heiligen Geist. Wer unbußfertig in der Sünde verharrt, wer von der Sünde nicht lassen will, weil er sie liebt und weil er sie rechtfertigt gegenüber aller Bestreitung, ein solcher kann keine Vergebung finden. Wer verhärtet ist im Bösen, der geht unweigerlich verloren.

Die einmal vergebenen Sünden leben nie mehr auf. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, meine lieben Freunde, wegen der Sünden, die wir bereut haben und die wir gebeichtet haben. Sie sind im Abgrund des Erbarmens Gottes aufgehoben. Sie sind aus dem Schuldbuch Gottes getilgt. Die Sünden, die einmal vergeben sind, leben nie mehr auf. Und das ist ein großer Trost und eine große Beruhigung, wie überhaupt derjenige, der richtig das Bußsakrament empfängt, einen unermeßlichen Segen davonträgt. Der regelmäßige und gute Empfang des Bußsakramentes macht, daß wir uns selbst erkennen; denn man muß sich ja vergleichen mit den Geboten Gottes. Und auf diese Weise lernt man sich selbst kennen. Wir Beichtväter machen die Erfahrung, daß Menschen, die häufig beichten, einen viel längeren Katalog aufzuzählen wissen als solche, die ganz selten beichten; nicht weil sie größere Sünder sind, sondern weil sie sich besser erkennen. Sie haben Selbsterkenntnis gewonnen durch die regelmäßige gute Beicht. Gleichzeitig werden sie gewissenhafter, denn sie kennen Gottes Willen besser als diejenigen, die sich nicht dem Bußgericht stellen. Und weil sie Gottes Willen besser kennen, achten sie auch genauer darauf, daß sie ihn befolgen und daß sie ihn nicht übertreten. Wer richtig beichtet, trägt auch innere Zufriedenheit in sich. Er findet die Ruhe. Die gute Beichte verschafft dem Menschen den Frieden der Seele. Die richtige Weise, das Bußsakrament zu empfangen, verleiht dem Menschen auch Charakterstärke; denn er wird angespornt zur Selbstüberwindung, und die Selbstüberwindung ist der Anfang der Tugenden. Ohne Überwindung gibt es kein Tugendleben im Christen. Außerdem ist die Demütigung, die in der Beicht liegt, ein Beginn des Strebens nach Vollkommenheit. Es ist ja bei der Beicht so leicht, zu lügen. Wer diese Versuchung überwindet, wer sich schonungslos vor Gott darstellt, wie er sich erkennt, der ist demütig. Und die Demut ist das Fundament jeder Tugend. Hoffärtige Menschen finden nicht den Weg zum Beichtstuhl. Und es ist immer wieder unsere Erfahrung, daß, wenn ein Mensch ein liederliches Leben beginnt, er aufhört zu beichten. Umgekehrt muß man sagen: Die Bekehrung beginnt damit, daß man seine Sünden bekennt.

Der Schriftsteller Langbehn hat einmal das schöne Wort gesagt: „Ketten, die fallen, machen eine schöne Musik.“ Ja wahrhaftig, die Ketten der Sünde, die im Bußgericht fallen, die machen eine schöne Musik. Als im Jahre 1571, nach der Seeschlacht von Lepanto, zehntausend Christensklaven aus der türkischen Tyrannei befreit wurden, machten sie eine Wallfahrt nach Loreto und brachten ihre Ketten mit, die sie der Muttergottes weihten, auf deren Fürbitte hin dieser herrliche Sieg errungen worden war. Der Daseinsgrund der Kirche ist die Vergebung der Sünden. Wenn es keine Sündenvergebung gäbe, bräuchten wir auch keine Kirche. Und wer die Sündenvergebung in der Kirche herabstuft, wer das Bußsakrament nicht in seinem vollen Wert erhält, der mindert die Heilsbedeutung unserer Kirche. Es war immer das Glück der Christen, daß sie wußten: In unserer Kirche finden wir die Vergebung der Sünden.

Am 16. Oktober 1793 wurde die Königin von Frankreich, Marie Antoinette, die Tochter Maria Theresias, zum Richtplatz geführt. Das Revolutionstribunal hatte sie zum Tode verurteilt. Jetzt saß sie auf einem elenden Karren, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und fuhr zu ihrer Hinrichtung. Man hatte ihr einen Beichtvater, den sie erbeten hatte, versagt. Aber es war ihr gelungen, eine Verabredung zu treffen, mit einem Priester, der in einer bestimmten Straße in einem bestimmten Hause ihr die Lossprechung geben wollte. Gespannt verfolgte sie den Weg, den der Karren in Paris nahm, die Straßen, die Nummern der Häuser. Als sie an das Haus kam, wo sie den Priester wußte, schaute sie empor und sah ihn am Fenster, und da gab er ihr aus dem Fenster die Lossprechung. Sie neigte ihr Haupt zum Zeichen, daß sie verstanden hatte. Jetzt war sie ruhig und gefaßt und schaute dem Tod freudig und mit festem Herzen in die Augen. Wer so stirbt, der stirbt wohl!

Amen.

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