Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1996

Ehre Gott in der Höhe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

Im Lukasevangelium wird uns ein Ruf der Engel berichtet, der als Akklamation, also als begeisterter Zuruf zu dem Geschehen der Weihnacht gemeint ist. Dieser Ruf der Engel ist in das Gloria der heiligen Messe eingegangen. Wenn man diesen Ruf der Engel, der im 2. Kapitel, 14. Vers des Lukasevangeliums steht, recht begreifen will, muß man auf den griechischen Urtext zurückgehen, und zwar auf die besten und ältesten Handschriften. Wenn man danach diesen Ruf in Worte faßt und ins Deutsche übersetzt, dann lautet er: „Ehre Gott in der Höhe und auf Erden Friede unter den Menschen des Wohlgefallens!“ Das klingt ein wenig anders, als wir es gewohnt sind zu lesen und zu beten. „Ehre Gott in der Höhe und auf Erden Friede unter den Menschen des Wohlgefallens!“ Es ist also die Rede von der Ehre Gottes, vom Frieden der Menschen und vom Wohlgefallen. Es fällt Ihnen auf, daß in dem Satz kein Zeitwort steht. Es heißt nämlich im griechischen Text nicht: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Es heißt freilich auch nicht: „Ehre ist Gott in der Höhe!“ Es fehlt einfach das Tätigkeitswort. Es kann also dieser Text in zweierlei Weise gemeint sein, einmal „Ehre ist Gott in der Höhe!“ und sodann „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Die lateinische Übersetzung hat ebenfalls kein Zeitwort. Auch die älteste germanische Bibel, nämlich die des gotischen Bischofs Wulfila, hat kein Zeitwort. Erst später, seit dem „Heliand“ im 9. Jahrhundert, ist ein Zeitwort beigegeben, und eben jenes, das wir kennen: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ So ist es ja bis heute geblieben.

Wenn der Wortlaut dieses Engelrufes lautet: „Ehre ist Gott in der Höhe!“, dann ist damit eine Feststellung ausgedrückt. Wenn er lautet: „Ehre sei Gott in der Höhe!“, dann ist damit ein Wunsch ausgesagt. Beides ist denkbar, beides ergibt einen guten Sinn. Aber zunächst einmal muß man, wenn man von vergleichbaren Rufen ausgeht, sagen: „Ehre ist Gott in der Höhe!“ Durch das Ereignis der Weihnacht ist Gott Ehre geschehen. Das ist leicht einzusehen, denn jetzt hat sich der Himmel geöffnet; jetzt ist der Sohn Gottes herabgekommen; jetzt ist das Wort Fleisch geworden; jetzt ist der da, der den Vater im Himmel in einer Weise verherrlichen wird, wie kein Mensch jemals vor ihm und nach ihm es hat tun können. Durch Jesus Christus wird dem Vater Ehre und Verherrlichung. Das ist schon geschehen, indem der Vater seinen Sohn auf die Erde sandte.

Dieser vom Vater geschickte Sohn wird das Reich Gottes aufrichten. Er wird die Barmherzigkeit und die Macht Gottes unter den Menschen sichtbar werden lassen. Er wird den Sündern verzeihen und den Gefangenen Trost spenden. Er wird aber auch die Bollwerke des Teufels vernichten. Deswegen ist durch dieses Leben, durch die Ankunft dieses Sohnes Gottes, dem Vater im Himmel Ehre geworden. „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“, sagt der Herr, als die Apostel zurückkehren von ihrer Sendung.

Die zweite Deutung, „Ehre sei Gott in der Höhe“, ist deswegen nicht überflüssig; denn was geschehen ist durch Gottes Macht, das ist uns aufgegeben. Wir sollen die Ehre Gottes in uns aufnehmen und sie unsererseits mehren. Unser Leben soll – freilich nur in einem schwachen Abglanz vom Leben des Gottessohnes – ebenfalls eine Verherrlichung für Gott sein. Es soll durch uns Gott Ehre werden. Wir sollen die Kirche zieren mit unserer Persönlichkeit, mit unseren Tugenden, mit unseren Leistungen, dann wird Gott Ehre! Es hat also durchaus einen Sinn, auch zu sagen: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Das, was geschehen ist, muß vom Menschen aufgenommen werden. Das, was Gott getan hat, muß der Mensch seinerseits verwirklichen – dann wird Gott Ehre. „Ehre ist Gott in der Höhe!“ und „Ehre sei Gott in der Höhe!“ gehören zusammen.

„Auf Erden unter den Menschen Friede!“ Wenn Gottes Ehre und Verherrlichung geschieht, dann wird den Menschen Friede. Gottes Ehre und der Friede der Menschen gehören offensichtlich eng zusammen. Auch das ist eine Aussage: Es ist jetzt Friede unter den Menschen, weil nämlich der gekommen ist, der die Menschen mit Gott versöhnt; weil der auf der Erde erschienen ist, dessen Blut uns den Zugang zu Gott schafft; weil jetzt der Friedensfürst da ist, der Friedensfürst, von dem der Prophet Isaias verkündet hat: „Das Volk, das im Finsteren wandelt, schaut ein großes Licht. Über denen, die wohnen im finsteren Land, erstrahlt ein Licht. Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Wunderrat lautet sein Name, starker Gott. Sein ist die Fülle der Herrschaft, der Friede nimmt nimmer ein Ende. Herrschen wird er auf Davids Thron über sein Reich, festigen wird er es und stützen durch Recht und Gerechtigkeit.“ Der Friede, der hier gemeint ist, ist freilich nicht der bloße Ausgleich unter den Menschen, ist nicht nur die Beruhigung der politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Gegensätze. Der Friede, der von Gott kommt, ist anderer Art. Es ist die Versöhnung mit Gott, das Heil. Es ist der Friede, der den tiefsten Unfrieden unter den Menschen beseitigt, nämlich den Unfrieden der Schuld. „Der Übel größtes ist die Schuld!“ So ist, um mit Schiller zu sprechen, wahrhaftig die Botschaft des Evangeliums, und diese größte Not, die Not der Schuld zu beseitigen, ist Gottes Sohn erschienen. Das ist der Friede, den er gebracht hat.

Freilich muß man gleich wieder hinzufügen: Wenn dieser Friede den Menschen gebracht wird und von ihnen angenommen wird, dann gleichen sich auch ihre Gegensätze aus, dann wird auch Friede im Herzen, in den Familien, in der Nachbarschaft, unter den Parteien, in einem Volke, unter den Völkern Europas und der ganzen Erde. Aber erst muß der Friede Gottes angenommen werden, ehe der Friede unter den Menschen verwirklicht werden kann. Auch hier muß man wieder sagen: Es ist Friede durch die Ankunft des Erlösers, aber es soll natürlich auch Friede sein, indem die Menschen sich diesen Frieden gefallen lassen und ihn ihrerseits in ihrem Bereich verwirklichen.

Der dritte Teil der Engelsbotschaft lautet: „Den Menschen des Wohlgefallens.“ Wir beten in der heiligen Messe „...den Menschen, die guten Willens sind.“ Das geht auf die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes eudokias zurück, bonae voluntatis. Diese Übersetzung ist aus der lateinischen Bibel entnommen und kann nun wieder doppelt verstanden werden, nämlich als der gute Wille Gottes und als der gute Wille der Menschen. Es scheint, daß er im griechischen Text als der gute Wille Gottes gemeint ist. Die Menschen des Wohlgefallens, die Menschen des guten Willens Gottes sind jene, denen Gott sein gnädiges Erbarmen erweist. Denken wir an die Himmelsstimme über Jesus: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Ähnlich-unähnlich spricht eben Gott über jeden Menschen, allerdings, wie wir gleich sehen werden, der guten Willens ist: „Das ist mein geliebter Sohn, das ist meine geliebte Tochter, an dem, an der ich Wohlgefallen habe.“ Der „Heliand“ hat wiederum jene Deutung dieses Wortes vom Wohlgefallen oder vom guten Willen gebracht, die wir heute als die gängige betrachten, nämlich: die Menschen guten Willens. Der Friede gilt den Menschen, „die guten Willens sind“. Das ist keine falsche Deutung, denn wir dürfen überzeugt sein, daß das Wohlgefallen Gottes nur über dem ruht, der guten Willens ist. Über anderen ist sein Zorn zu erwarten. Wer nicht ein Minimum an gutem Willen aufbringt, wer also nicht zum mindesten die Sünde der Unbußfertigkeit meidet, über dem kann das Wohlgefallen Gottes nicht ruhen, der ist davon ausgeschlossen. Deswegen haben beide Verständnisse recht. Dasjenige Verständnis, das von dem göttlichen Wohlgefallen, vom guten Willen Gottes ausgeht, und jenes Verständnis, das vom guten Willen der Menschen ausgeht. Der gute Wille Gottes und der gute Wille der Menschen gehören zusammen. Das Wohlgefallen Gottes kann nur über Menschen ruhen, die guten Willens sind.

Verkehrt allerdings ist die Übersetzung, die Martin Luther diesem Text hat angedeihen lassen. Bei ihm heißt es nämlich: „Und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Wie kam er zu dieser falschen Übersetzung? Ihm lag eine weniger gute griechische Handschrift des Neuen Testamentes vor, und diese hatte nicht den Genitiv, „des Wohlgefallens“, sondern den Nominativ, „ein Wohlgefallen“. Die besten Handschriften, also der Codex Sinaiticus und der Codex Vaticanus, haben den Text, den ich eben vorgetragen habe: „Und Friede auf Erden den Menschen des Wohlgefallens.“

Jetzt wissen wir, meine lieben Freunde, welches die Aufgabe der Kirche ist. Die Kirche ist dazu bestellt, die Ehre Gottes aufzunehmen und zu ihrem Teil zu verwirklichen. Die Kirche ist gesandt, den Frieden Gottes zu empfangen und ihrerseits am Frieden Gottes zu arbeiten. Die Kirche hat die Sendung, den guten Willen Gottes in sich zu tragen und den Menschen zu vermitteln, aber auch die Menschen zum guten Willen zu führen.

Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren oft von politischen Äußerungen deutscher Bischöfe, der Deutschen Bischofskonferenz und vor allem des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gehört und gelesen. Die Kirche hat gewiß ein Wort zu Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu sagen. Sie hat die Prinzipien, die Grundsätze über Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu verkündigen. Aber die tägliche Arbeit dieser Einrichtungen ist nicht Sache der Kirche. Die Tagespolitik zu steuern, ist die Kirche nicht berufen. Sie hat Gottes Herrlichkeit zu besorgen und den Frieden unter den Menschen. Das geschieht, indem sie das Evangelium von der Gnade und der Wahrheit Gottes verkündet. Aber über den Solidaritätszuschlag zu befinden oder über die Lohnfortzahlung zu sprechen oder die Rentenbeiträge in ihrer Höhe anzugeben, das ist nicht Sache der Kirche. Darüber müssen die Fachleute der Wirtschaft, des Staates, des Parlamentes, der Regierung urteilen. Die Kirche hat sich hier zurückzuhalten, und wenn sie das nicht tut, dann passieren schlimme Dinge. Ein Betriebsrat in Bremen hat die Arbeiter zum Austritt aus der katholischen Kirche aufgerufen, weil der Bischof von Mainz sich für die Einschränkung der Lohnfortzahlung ausgesprochen hat. Das soll man nicht tun; man soll sich aus der Tagespolitik fernhalten und auf die Verkündigung der Prinzipien von Gerechtigkeit und Friede beschränken.

Wenn wir den Ruf der Engel richtig verstehen, meine lieben Freunde, dann wissen wir, was unser Leben von Gott an Wohltaten und an Aufträgen empfangen hat. Er schenkt uns seinen Frieden, damit und wenn wir guten Willens sind. Er gibt uns seinen Frieden, damit und wenn wir seine Verherrlichung betreiben. Die Verherrlichung Gottes und der Friede unter den Menschen ist durch keine Macht dieser Erde auseinanderzureißen. Solange die Kirche dieser Sendung treu bleibt, Gottes Ehre zu vermehren, seinen Namen zu verherrlichen, zu preisen, daß er gekommen ist, der Weltkämpfer, um uns zu erlösen von unserer Schuld, solange ist auch der Friede unter den Menschen im Ansatz gewahrt, denn dann wird die Kirche die Menschen bilden, die Gerechtigkeit und Ausgleich auf dieser Erde herbeiführen, die neuen Menschen, die geschaffen sind nach Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Amen.

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