1. September 1996
Mitfeier der heiligen Messe
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wenn man sich mit einem anderen unterhält, soll man sich ganz dieser Person widmen. Man soll nichts anderes betreiben, auch möglich nicht an anderes denken. Erst recht gilt das für die Feier der heiligen Messe. Während der Feier des Meßopfers sollen unsere Gedanken auf dieses Geschehen gesammelt sein. Wir sollen der heiligen Messe mit Andacht beiwohnen. Das heißt, indem wir an das denken, was wir tun. Wir sollen die Zerstreuung meiden und unsere Gedanken auf die Geschehnisse der heiligen Messe richten.
Von Alexander dem Großen wird berichtet, daß er einmal einem Götzen einen Stier opfern ließ. Während der Opferfeier hielt ein adeliger Jüngling ein Fackel. Die Fackel brannte nieder, aber der Jüngling war so gebannt von dem Geschehen und so voll Ehrfurcht, daß er das Niederbrennen nicht bemerkte und sich die Hand versengte. Das war Achtung vor dem Geschehen, Andacht bei der Opferfeier – eines heidnischen Opfers. Wie wichtig die Andacht beim Meßopfer ist, das sehen wir daran, daß der Herr mit der Austreibung der Käufer und Verkäufer aus dem Tempel ein reines Opfer, ein andächtiges Opfer von den Juden begehrt hat. Als Moses den Herrn im brennenden Dornbusch erlebte, da erging das Wort an ihn: „Ziehe die Schuhe von deinen Füßen, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heiliges Land!“ Dieselbe Mahnung ergeht an alle, die der Meßfeier beiwohnen. Hier ist heiliger Boden.
Die Andacht bei der heiligen Messe wird nun auf verschiedene Weise hergestellt. Wir sollen mit dem Priester mitbeten. Wir sind ja alle Opfernde. Der Priester ist der Vor-Opferer und die Gläubigen sind die Mit-Opfernden. Wir sind eine Opfergemeinschaft, und so sollen wir also gemeinsam das Opfer darbringen. Die Gläubigen sollen sich an das Beten des Priesters anschließen. Dafür gibt es verschiedene Weisen. Man kann alle Gebete, die der Priester betet, lückenlos in unseren Gebetbüchern finden und sie mitbeten. Diese Weise ist zweifellos die geeignetste, um dem Meßgeschehen beizuwohnen. Allerdings ist sie nicht die einfachste, denn die Meßgebete sind von einer gewissen Schwierigkeit. Es ist nicht ganz leicht, diese oft schwierigen Texte zu verstehen und in das eigene Herz aufzunehmen und sie gleichsam zu übersetzen. Deswegen hat die Kirche in ihrer Weisheit seit vielen Jahrhunderten Meßandachten verfaßt. Wenn Sie einmal das Mainzer Diözesangesangbuch aufschlagen, finden Sie darin eine ganze Reihe von Meßandachten. Auf etwa 3-4 Seiten wird dort der ganze Inhalt der heiligen Messe dem frommen Beter dargelegt. Ich halte diese Meßandachten für eine sehr glückliche Weise, das Meßopfer mitzufeiern, weil hier nämlich die oft schwierigen Texte des Meßbuches dem Gläubigen gewissermaßen zubereitet werden. Es wird ihm etwas abgenommen an Arbeit, was er sonst selber leisten muß, nämlich den Zusammenhang und den Inhalt der verschiedenen Teile der heiligen Messe zu verstehen. Es ist also keine Schande und kein Schaden, wenn Gläubige diese Meßandachten beten.
Auch das Beten der Meßandachten ist nicht zwingend. Man kann der heiligen Messe nützlich und wirksam beiwohnen, ohne ein Buch nur aufzuschlagen. Wenn man weiß, was im Meßgeschehen sich vollzieht und sich an dieses Geschehen anschließt, dann hat man die heilige Messe gut mitgefeiert. Wenn man weiß: In der heiligen Messe vollzieht sich folgendes: Christus geht durch sein Todesleiden zum Vater, und ich soll mich ihm anschließen; wenn man nur diesen einen Gedanken festhält: Jesus, du gehst nach Golgotha, nimm mich mit, dann hat man die Messe gut gefeiert. Wer so der heiligen Messe beiwohnt: Mein Heiland, ich klammere mich an dich, nimm mich mit nach Golgotha, für den war die Meßfeier eine gelungene Übung der Frömmigkeit.
Wir können und sollen bei der heiligen Messe singen. Der Gesang ist eine gehobene Form des Gebetes. Fromme Lieder sind in Töne gefaßte Gebete, und die Gemeinschaft das Gläubigen kommt dadurch sichtbar zum Ausdruck. In Deutschland haben wir eine Fülle von wunderbaren, inhaltsreichen, den Text der heiligen Messe gleichsam übersetzenden Meßliedern. Diese Lieder gab es schon vor Luther. Wer heute behauptet, das deutsche Kirchenlied sei durch Luther erfunden worden, der lügt. Vor Luther gab es eine Menge von Liedern; allerdings waren sie kürzer, und mit Recht kürzer. Denn wenn man in der Messe nur singt, dann ist die Gefahr, daß man nicht die nötige persönliche Andacht in die Messe einbringt. Luther hat seine Theologie in die Leute hineinsingen lassen. Der Abfall wurde durch das Hineinsingen seiner Kirchenlieder bewerkstelligt. Und wir wollen gern und freudig das Singen bei der heiligen Messe üben, aber nicht dauernd und nicht im Übermaß. Mäßiges Singen ist bei der heiligen Messe angebracht. Außerdem sollen die Meßlieder zu den entsprechenden Teilen der heiligen Messe passen. Man muß also möglichst Meßlieder auswählen, die sich anschließen an das Geschehen der heiligen Messe, an das Geschehen auf dem Altar.
Zur Mitfeier der heiligen Messe gehört auch die heilige Stille. Die Stille ist keine tote Pause, sondern die Stille ist ein gefülltes, gesammeltes Beten. In der Stille vermag sich der einzelne – vielleicht am wirksamsten – mit unserem Gott und Heiland zu verbinden. In der Stille wacht sein Herz auf, da bricht das auf, was in ihm lebt an Inbrunst und Hingabe, natürlich auch an Sorgen und an Leid. Und das ist ganz wichtig, daß er das alles einbringt in das Geschehen der heiligen Messe. Die heilige Stille soll niemand in der Messe zerstören. „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, es schweige vor ihm die Erde“, heißt es beim Propheten Habakuk.
Wenn nun die heilige Messe die Vergegenwärtigung und das Gedächtnis des Kreuzesopfers ist, dann ist es unentbehrlich, daß man bei der heiligen Messe an das Kreuzesgeschehen, an das Leiden Christi, denkt. Der große Theologe und Bischof Johann Michael Sailer hat in seiner Meßerklärung mit den Worten eingesetzt: „Wenn du die heilige Messe mitfeierst, dann sollst du dich im Gemüte auf den Berg Golgotha vor Jerusalem begeben, und da sollst du das Todesgeschehen des Herrn begleiten.“ Das ist vollkommen richtig. Wenn wir ein Kreuzesopfer feiern, dann müssen wir auch an das Kreuzesopfer denken. Wir müssen uns also in der heiligen Messe in das Leiden des Herrn hineinversenken. Die Texte der Messe und die Zeremonien geben uns dafür viele Hilfen. Denken Sie etwa an die verschiedenen Bestandteile des Kanons, also jenes Teiles der heiligen Messe, der mit der Präfation einsetzt. Da beten wir das „Dreimal Heilig“. Hosanna in der Höhe! Woher stammt denn das? Das stammt vom Einzug Jesu in Jerusalem. Das ist der Beginn der Leidenswoche. Wir sind also gewissermaßen unter den Volksscharen, die dem Herrn zujubeln, wie er seine messianische Antrittsreise nach Jerusalem vollzieht. Im Laufe des Kanons gibt es eine ganze Menge Gelegenheiten, die uns an das Leiden Christi denken lassen. Die Erhebung der Gestalten nach der Wandlung erinnern uns an die Erhöhung Christi am Kreuze. Das dreimalige An die Brust-Schlagen beim Agnus dei erinnert uns an die Volksscharen, von denen Lukas sagt: „Sie schlugen an die Brust und kehrten heim“, nämlich nach dem Tode des Herrn. Wenn der Priester das Gebet zum Gedächtnis der Verstorbenen betet – wenn Sie einmal genau hinschauen, dann neigt er sein Haupt und spricht die drei nächsten Worte lauter: „Nobis quoque peccatoribus“ – „Auch uns Sündern“. Ja, warum denn? Hier wird gewissermaßen das Sterben des Heilands nachgeahmt. Denn der Heiland neigte nach dem Bericht der Evangelisten sein Haupt. Er tat einen lauten Schrei und gab seinen Geist auf.
Um noch ein letztes Beispiel zu erwähnen: Wenn der Priester die große Hostie über dem Kelch zerbricht, dann ist das ein Zeichen des Sterbens unseres Heilandes. Das Hineinsenken in den Kelch ist nichts anderes als die Verbindung von Leib und Seele in der Auferstehung.
Wir haben also eine Fülle von Anregungen, um das Leiden Christi in der heiligen Messe uns vergegenwärtigen zu können. Vor allem bei den drei Hauptteilen sollen wir uns eng dem Priester anschließen, also bei der Opferbereitung, bei der Wandlung und bei der Kommunion. Bei der Opferbereitung werden die Gaben auf den Altar gebracht, die Opfergaben; sie werden liturgisch zubereitet, nämlich im Hinblick auf die Verwandlung. Gleichzeitig aber sind sie ein Ausdruck unserer Teilnahme am Opfer. Wenn die Opfergabe auf dem Altare liegt, bedeutet das: So, wie diese Gaben hier bereitet werden, so liege ich vor dir, mein Gott. So gebe ich mich dir hin. Hier schlachte ich meine liebste Sünde. Hier bringe ich meinen Willen dir dar. Hier opfere ich dir meine Hingabe auf. Das Offertorium, die Opferbereitung oder Opferung, ist ein ganz wichtiger Bestandteil der heiligen Messe, denn das Opfer Christi nützt uns überhaupt nichts, wenn wir nicht in es eingehen, wenn wir uns nicht mit ihm opfern, wenn wir nicht seine Opfergesinnung teilen und den Opferwillen fassen, der dann in der Woche in die Opfertat ausmündet.
Bei der heiligen Wandlung vollzieht sich das Opfer Christi. Da zieht er gewissermaßen die Todesgewänder an und wird in seinem Sterben gegenwärtig, getrennt Leib und Blut, so wie die Gestalten getrennt sind. Hier erneuert sich die Opferhingabe Christi; hier tritt aus der Vergangenheit wirklich und wahrhaft und wesentlich der sich opfernde Christus in unsere Gegenwart ein. Kein Wunder, daß hier der Mensch verstummt, daß auch der Priester mit gedämpfter Stimme spricht, aus Erschütterung und aus Ergriffenheit über das, was sich hier vollzieht.
Manche Gläubige haben die Übung – ich halte sie für eine nützliche Übung –, bei der heiligen Wandlung das große Kreuzzeichen zu machen. Das bedeutet, sie geben zu erkennen, daß sie wissen, was hier geschieht, nämlich die Aufrichtung des Kreuzes. Und sie stellen sich unter das Kreuz, und sie erflehen den Kreuzessegen. Man muß das nicht tun, aber es ist eine schöne Übung; und sie erinnert uns daran, daß wir hier Zeugen des sich ereignenden Opfertodes Christi im Zeichen, in den Gestalten, im Symbol sind.
Wenn dann der geopferte Christus auf dem Altare liegt, dann sollen wir ihn aufopfern. Denn jetzt haben wir eine reine, makellose, unbefleckte Opfergabe. Unser Opfer ist ja immer minderwertig, aber das Opfer Christi ist heilig, groß und gewaltig. Jetzt haben wir diese Opfergabe. Und so sollen wir nach der heiligen Wandlung wieder mit persönlichen Worten sprechen: O Vater im Himmel, ich opfere dir deinen Christus, deinen geliebten eingeborenen Sohn auf – und jetzt kommen unsere Opferzwecke –, damit mein todkranker Mann wieder gesund wird, damit ich das Leben mit seinen vielen Leiden und Enttäuschungen bewältige, damit ich dir nachfolgen kann auf deinem Kreuzweg, damit ich mein Kreuz trage, wie du es getragen hast. So sollen wir beten, wenn der geopferte Christus auf dem Altare liegt.
Dann, in der heiligen Kommunion, schenkt uns der Vater im Himmel den Christus, den wir ihm geopfert haben. zurück. Er läßt sich an Großmut von uns nicht übertreffen. Wenn wir ihm seinen Sohn opfern, dann schenkt er uns seinen Sohn. Die heilige Kommunion ist der Genuß der Opferfrucht. Sie erwächst aus dem Opfer; sie ist nicht nur Abendmahl, wie manche gern sagen und behaupten. Nein, sie ist die Opferfrucht; sie ist die Frucht, die durch das Opfer hindurchgegangen ist. Sie ist die Opfergabe, die uns der Vater im Himmel zurückschenkt. Und wie müssen wir diese Opfergabe entgegennehmen? Ja, nun eben in derselben Gesinnung der Freigebigkeit. Wenn der Vater im Himmel uns alles schenkt, was er hat, das Kostbarste, was er besitzt, nämlich seinen Sohn, dann darf nichts Knauseriges und nichts Kleinliches und nichts Geiziges mehr in uns sein, dann müssen wir großmütig und freigebig sein. Dann dürfen wir nicht bloß fragen: Was muß ich noch tun, um keine Todsünde zu begehen? Was muß ich noch tun, um in der Kirche zu bleiben? Dann muß in uns der heilige Wille aufstehen, sich zu verzehren im Dienste Gottes, seiner heiligen Religion und seiner Kirche. Diese große Freigebigkeit, das ist die einzig geziemende Antwort, die wir dem Herrn geben, wenn er sich uns in der heiligen Kommunion schenkt.
„Wenn auf der ganzen Erde nur an einer Stelle das Meßopfer dargebracht würde, dann würden die Menschen dazu eilen, um daran teilzunehmen. Jetzt aber wird Christus an vielen Stellen und von vielen Priestern geopfert. Aber die tägliche Gelegenheit macht uns träge und bequem“, so schreibt einmal der Verfasser der Nachfolge Christi, Thomas von Kempen. Wahrhaftig, das Meßopfer ist das größte Glück des katholischen Christen, es ist der größte Schatz der katholischen Kirche. Es sollte auch in unserem Leben der wichtigste Inhalt und die höchste Freude sein, daran teilzunehmen.
Als ich Priester wurde, meine lieben Freunde (1951), habe ich auf die Primizbilder den Vers schreiben lassen: „O Gott, laß deinen Heiligen Geist auf deinem Diener ruhen, daß er würdig sei, dir in Reinheit des Herzens alle Tage das heilige Opfer deines Sohnes darzubringen.“ Ich habe keinen Tag vergehen lassen, ohne dieses Gebet zu wiederholen. „O Gott, laß deinen Heiligen Geist auf deinem Diener ruhen, daß er würdig sei, dir in Reinheit des Herzens alle Tage das heilige Opfer deines Sohnes darzubringen.“ Aber dieses Gebet können Sie sich alle ebenso zu eigen machen. Auch für Sie gibt es nichts Herrlicheres und nichts Beglückenderes, als in dieses Opfer einzugehen. „Jedesmal, wenn wir das Gedächtnis dieses Opfers feiern“, heißt es im Gebet der heiligen Messe am 9. Sonntag nach Pfingsten, „jedesmal, wenn wir das Gedächtnis dieses Opfers begehen, wird das Werk unserer Erlösung vollzogen.“
Amen.