Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Juli 1996

Die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das eucharistische Opfersakrament ist die Feier des Herrenleidens. Es ist also ein beziehentliches, ein relationales, ein relatives Opfer. Es steht in Beziehung zum Kreuzesopfer, und zwar nicht nur so, wie ein Mensch mit dem anderen in Beziehung steht, sondern das eucharistische Opfer geht darin auf, in Beziehung zum Kreuzesopfer zu stehen. Das eucharistische Opfer ist das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens erscheinende Kreuzesopfer. Es ist nicht nur dieselbe Opfergabe, nicht nur derselbe Opferpriester, sondern auch dasselbe Opfergeschehen. Die Eucharistie ist das von der Kirche gefeierte Opfer Christi.

Luther hat der katholischen Messe vorgeworfen, sie richte ein Menschenwerk gegenüber dem göttlichen Erlösungswerk auf. Diese Meinung ist völlig verkehrt. Die eucharistische Darbringung ist nichts anderes als das Erscheinen des Erlösungswerkes Christi in der Gegenwart der Kirche. Das eucharistische Opfer verdunkelt nicht das Opfer Christi am Kreuze, es bringt es zur Erscheinung. Das eucharistische Opfer ist der Erweis der Kraft und der Macht des Kreuzesopfers. Das eucharistische Opfer ist die Darstellung und Auswirkung des Kreuzesopfers. Sie ist die Weise, wie das Kreuzesopfer unter uns gegenwärtig wird. Das eucharistische Opfer beeinträchtigt also nicht das Kreuzesopfer, sondern es offenbart seine Herrlichkeit und seine Macht.

Christus war am Kreuze der Opferpriester. Er hat in vorbehaltloser Liebe und in grenzenlosem Gehorsam seinen Leib dem Vater im Himmel hingegeben. Er hat seinen Dienst nicht beendet; im Himmel bleibt er unser Opferpriester und tritt vor dem Vater für die Menschheit ein. Er ist auch der Opferpriester in jeder heiligen Messe. Der Dienst im himmlischen Heiligtum begreift seinen Dienst im Meßopfer in sich. Christus ist der primäre Opferpriester in der heiligen Messe. In der Kirche des heiligen Laurentius vor den Mauern in Rom findet sich eine Darstellung, in der Christus das Meßopfer feiert. Diese Darstellung ist richtig. Christus feiert das Meßopfer als der Opferpriester. Er hat es der Kirche anvertraut, auf daß sie in seiner Vertretung dieses Opfer darbringe, wobei er der primäre Opferer bleibt. Er feiert das Meßopfer nicht mehr in der Gebärde seines menschlichen Leibes; das hat er am Kreuze getan. Er feiert es jetzt durch die Kirche, genauer: durch den Priester. Der Priester nimmt die Züge Christi an. Der Priester, der das Meßopfer feiert, stellt Christus dar. Im Priester handelt und wirkt Christus. Das Wort des menschlichen Priesters wäre ja ganz ohnmächtig und unkräftig, wenn nicht Christus dieses Wort durch ihn und in ihm sprechen würde. Die Worte „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“ wären ohne jede Wirkung, wenn nicht im Priester Christus handeln würde. Christus ist also der Heilswirker, wie in jedem Sakrament, auch im eucharistischen Opfersakrament. Er bringt durch den Dienst des Priesters das Opfer dem Vater im Himmel dar.

Er hat das Meßopfer der Kirche anvertraut, damit sie es als ihr Opfer dem Vater im Himmel darbringen könne. Er setzt im Meßopfer seinen Opferleib und sein Opferblut gegenwärtig, auf daß die Kirche diese Opfergaben dem Vater im Himmel darbringen könne. Die Weise, wie Christus seinen Opferdienst in der heiligen Messe ausübt, wird verschieden gedeutet. Ich sage Ihnen die wahrscheinlichste und die am besten mit der doppelten Tatsache, daß das Kreuzesopfer einmalig ist und daß das Meßopfer ein wahres und eigentliches Opfer ist, in Einklang zu bringen ist. Man wird nicht sagen können, daß Christus beim Meßopfer einen neuen Opferakt setzt, denn dann würde die Einmaligkeit des Kreuzesopfers gefährdet. Man wird auch nicht sagen können, daß Christus beim Meßopfer den Gehorsam und die Liebe dem Vater im Himmel vorstellt; sie stehen ja immer vor ihm. Aber man wird sagen müssen: Das Meßopfer ist insofern ein Opfer und eine Darstellung des Kreuzesopfers, weil in ihm durch Christus das Geschehen am Kreuze gegenwärtiggesetzt wird, weil sein Opferblut und sein Opferleib gegenwärtig werden, auf daß die Kirche sich in die Opferbewegung ihres Hauptes hineinbegeben kann und dem Vater im Himmel die Opfergabe darstellen kann. So wird man der doppelten Tatsache gerecht, daß das Meßopfer ein beziehentliches Opfer ist, nämlich bezogen auf das Kreuzesopfer, daß es aber auch ein wahres und eigentliches Opfer ist. Man darf weder den einen Gedanken noch den anderen abschwächen; beides muß zusammen gesehen werden.

Das Kreuzesopfer wird gegenwärtiggesetzt, damit es der Kirche zugewendet wird. Das ist ja der Sinn der Gegenwärtigsetzung, daß die Kirche eingehen kann in das Kreuzesopfer in einer Dichte, wie es sonst nirgends im ganzen Bereich der sakramentalen Welt möglich ist. Das Meßopfer hat also eine Beziehung auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart. Es ist auf die Vergangenheit bezogen, weil es eine Darstellung des Kreuzesopfers ist. Es ist auf die Gegenwart bezogen, weil es die Zuwendung des Kreuzesopfers ist. Das Kreuzesopfer wird nur deswegen gegenwärtiggesetzt, damit es zugewendet werden kann. Aber es kann natürlich nur zugewendet werden, wenn es gegenwärtiggesetzt wird. Relation und Applikation, also Beziehung und Zuwendung, durchdringen sich unauflöslich.

Christus hat das Meßopfer eingesetzt und er hat es seiner ganzen Kirche vermacht. Die ganze Kirche opfert. Die Texte der heiligen Messe sprechen unzweideutig. Alle Anwesenden opfern das Kreuzesopfer Christi dem Vater im Himmel auf. Aber die Gemeinschaft handelt immer durch besondere Glieder, und die besonderen Glieder, durch welche die Gemeinschaft der Kirche handelt, nennt man Priester. Sie vertreten Christus bei der Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers, sie vertreten aber auch die Gemeinde. Sie haben eine doppelte Repräsentationsfunktion. Sie stellen Christus dar, und sie stellen die Gemeinde dar. Daß Christus durch den Priester dargestellt wird, ergibt sich unter anderem daraus, daß der Priester bei der heiligen Wandlung so spricht, wie Christus gesprochen hat. „Das ist mein Leib.“ Damit meint der Priester nicht seinen Leib, sondern den Leib Christi. Er handelt also gewissermaßen in realmystischer Identität mit Christus. Eine ungeheure Aussage, die für den Priester den Inbegriff seiner Würde und seines Wesens ausmacht. Der Priester spricht in der Person Christi. Und die Gemeinde ist in ihm an diesem Geschehen beteiligt. Die Gemeinde wird durch ihn vertreten bei der Gegenwärtigsetzung und bei der Aufopferung des Opfers Christi. Wir wissen also jetzt, meine lieben Freunde, was das Meßopfer ist. Das Meßopfer ist das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens erscheinende Kreuzesopfer. Im Meßopfer wird in geheimnisvollen Zeichen durch die Kirche dem Vater im Himmel das Kreuzesopfer dargebracht.

Die an der Darbringung Beteiligten müssen die Christusähnlichkeit besitzen. Diese Christusähnlichkeit wird den Menschen verliehen in der Taufe. In der Taufe wird ja der Mensch Christus einverleibt und Christus verähnlicht. Und nur wer die Ähnlichkeit Christi besitzt, ist befähigt, aber auch berufen, das Meßopfer mit dem Priester und durch die Hände des Priesters darzubringen. Er ist berechtigt und verpflichtet, in das Geschehen des Meßopfers einzugehen. Die Kirche hat diese Berechtigung und Verpflichtung dahin ausgedeutet, daß sie sagt, man muß wenigstens einmal in sieben Tagen, nämlich am Sonntag, diese Befähigung und diese Verpflichtung realisieren. Wenigstens einmal in der Woche muß man, wenn man das, was seinsmäßig angelegt ist, gesinnungsmäßig verwirklichen will, das Meßopfer mitfeiern.

Ich habe einen Freund, der vier Töchter hat. Keine der vier Töchter besucht den Gottesdienst. Eine sagte ihrem Vater, als er sie aufforderte: „Das gibt mir nichts.“ Das gibt mir nichts! Selbstverständlich. Wer keinen Glauben hat, wer den Glauben verloren hat, der muß an dem Altar, wo das Opfer Christi gegenwärtiggesetzt wird, vorübergehen. Es hängt alles – noch einmal und immer wieder sei es gesagt – es hängt alles am Glauben! Wer nicht davon überzeugt ist, daß hier auf diesem Altar in geheimnisvollen Zeichen das Kreuzesopfer Christi gegenwärtig wird, auf daß wir in es eingehen können, auf daß wir an der Hand Christi gleichsam zum Vater schreiten können, für den muß das Meßopfer eine zu vernachlässigende Angelegenheit sein. Es kommt also darauf an, meine lieben Freunde, daß wir unseren Glauben an das Meßopfer erneuern, daß wir diesen Glauben in uns lebendig und stark und sieghaft machen und daß wir, soweit es an uns ist, diesen Glauben den uns Anvertrauten vermitteln durch die Wertschätzung, die wir dem Meßopfer entgegenbringen, und durch die Kenntnisse, die wir uns über dieses Geschehen erworben haben und die wir unseren Kindern und Verwandten vermitteln wollen.

Amen.K[1] 

K [1]

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt