7. Juli 1996
Die Beziehung zwischen Kreuzesopfer und Meßopfer
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Ist die heilige Messe eine „vermaledeite Abgötterei“, wie der Heidelberger Katechismus, eine protestantische Bekenntnisschrift, in der Frage 18 sagt? Tritt das Meßopfer dem Kreuzesopfer zu nahe? Ist es die Aufrichtung eines Menschenwerkes gegenüber dem Gotteswerk des Kreuzesopfers? Seit über 400 Jahren erhebt der Protestantismus diesen Vorwurf gegen unsere Kirche, hat er das Meßopfer in seinem Bereich vernichtet und polemisiert er gegen das Meßopfer der katholischen Kirche. Wir fragen am heutigen Tage nach dem Zusammenhang von Kreuzesopfer und Meßopfer.
Christus hat am Kreuze ein Opfer dargebracht. Das ist eine unumstößliche Wahrheit, welche die Heilige Schrift an vielen Stellen uns bezeugt. Er hat sich dem Vater im Himmel hingegeben, um die Menschen von ihren Sünden zu erlösen. Der Vater hat ihn in den Tod gegeben, um die große Versöhnung zu bewirken. Christus hat am Kreuze ein Opfer dargebracht. Es war dies ein einmaliges Opfer. Das Opfer am Kreuze wird nicht wiederholt; es kann nicht wiederholt werden, denn es ist überfließend reich. Seine Heilskraft genügt für alle Menschen aller Zeiten. Die Hohenpriester des Alten Bundes mußten jedes Jahr einmal ins Allerheiligste eintreten mit Blut, weil eben die Aussöhnung immer nur für ein Jahr reichte. Und in den mythischen Religionen mußten die Opfer gehäuft und wiederholt werden, weil sie schwach und deswegen der Wiederholung bedürftig waren. Das Opfer Christi am Kreuze ist keiner Wiederholung bedürftig und keiner Wiederholung fähig. Christus ist ein für allemal gestorben, und sein Kreuzesopfer ist überfließend reich an Wert und Kraft.
Im Himmel übt Christus sein ewiges Priestertum aus. Er stellt dem Vater fortwährend sein Opfer vor Augen – bildlich und menschlich gesprochen. Er weist auf die Wunden an seinen Händen und Füßen und an seiner Seite hin und tritt so als Hoherpriester der ewigen Güter für uns beim Vater im Himmel ein. Wenn wir erlöst werden wollen, müssen wir mit Christus in Gemeinschaft treten. Dieser Eintritt in die Gemeinschaft mit ihm geschieht nicht naturhaft wie ein Sonnenaufgang oder ein Regenfall, sondern sie geschieht durch Glaube und Liebe. Glaube und Liebe verleiblichen sich und äußern sich im Taufsakrament. Wer in Glaube und Liebe die Taufe empfängt, der gewinnt Anteil am Heilswerk Christi. Aber die Taufe ist kein Opfer. Durch die Taufe kommen wir in Verbindung mit Christus, aber noch einmal: Die Taufe ist kein Opfer. Sie ist hingeordnet auf ein Opfer, sie weist auf ein Opfer hin, aber sie selbst ist kein Opfer. Die Taufe weist auf jene Hingabe hin, die wir im eucharistischen Opfersakrament vollziehen. Wir brauchen ein Opfer, weil wir nicht unter dem Kreuze gestanden sind, sondern weil wir auf eine andere Weise mit dem Kreuzesopfer in Verbindung treten müssen. Dieses In-Beziehung-Treten zum Kreuzesopfer geschieht in der heiligen Messe, im Meßopfer der katholischen Kirche. Die heilige Messe, das Meßopfer der Kirche ist nichts anderes als das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Die Messe ist das Sakrament des Kreuzesopfers. Kreuzesopfer und Meßopfer sind wesentlich identisch. Die Dieselbigkeit von Kreuzesopfer und Meßopfer ergibt sich daraus, daß beide Male die Opfergabe und der Opferpriester dieselben sind; Opfergabe ist Christus, Opferpriester ist Christus, am Kreuze wie im Meßopfer. Und deswegen besteht eine wesenhafte Identität zwischen Kreuzesopfer und Meßopfer.
Das Konzil von Trient hat die Beziehung von Kreuzesopfer und Meßopfer mit den beiden Ausdrücken memoria und repraesentatio beschrieben. Memoria heißt Gedächtnis, Repraesentatio heißt Abbildung, Gegenwärtigsetzung, Bild. Wir wenden uns zunächst dem ersten Begriffe zu, nämlich dem Begriff Gedächtnis.
Das Wort „Gedächtnis“ ist vieldeutig. Wir können unter Gedächtnis zunächst einmal die Erinnerung verstehen. Wir erinnern uns an vergangene Ereignisse. Sie sind in die Vergangenheit versunken, aber wir können sie in einer gewissen Weise verlebendigen, indem wir an sie denken, indem wir sie gleichsam aus der Erinnerung herausholen und indem wir uns auf sie zurückbesinnen. Damit die Erinnerung festgehalten wird, setzen die Menschen Denkmäler. Vor dem Rathaus in Budenheim steht das Denkmal des Freiherrn vom Stein. Er ist der große Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung; und weil die Budenheimer offenbar ein starkes Bewußtsein vom Wert und Nutzen ihrer Selbstverwaltung haben, haben sie ein Denkmal des Freiherrn vom Stein vor ihr Rathaus gesetzt. Die heilige Messe ist nicht nur eine Erinnerung, sie ist nicht nur ein Denkmal des Kreuzestodes Christi, sondern sie ist das In-Erscheinung-Treten, die Darstellung des Todes Christi. In der heiligen Messe wird kraft der Wandlung des Brotes nur der Leib Christi dargestellt und kraft der Wandlung des Weines nur das Blut Christi. Es werden also die beiden Opferelemente getrennt dargestellt, und diese getrennte Darstellung ist ein Abbild des Todes. Durch die Doppelkonsekration in getrennter Gestalt wird der Tod Jesu am Kreuze abgebildet. Die heilige Messe ist gewissermaßen eine sakramentale Epiphanie, ein sakramentales In-Erscheinung-Treten von Golgotha. Was am wirklichen Leibe Christi in blutiger Gestalt geschah, das geschieht am sakramentalen Leibe Christi in unblutiger Weise. Es besteht also auch ein gewisser Unterschied zwischen Kreuzesopfer und Meßopfer, denn das Kreuzesopfer vollzog sich in schmerzhafter und blutiger Weise, das Meßopfer vollzieht sich in nicht schmerzhafter und nicht in blutiger Weise, eben wegen der sakramentalen Gestalt.
Die heilige Messe ist das In-Erscheinung-Treten des Kreuzesopfers. Die Kirchenväter bezeichnen sie oft als eine Nachahmung des Kreuzesopfers. Es wird nämlich das, was in geschichtlicher Weise am Leibe Christi geschah, in sakramentaler Weise wieder vor die Menschen hingestellt; es vollzieht sich eine Nachahmung des Kreuzesopfers in sakramentaler Weise. Ein In-Erscheinung-Treten des Kreuzesopfers, ein sakramentaler Nachvollzug des Kreuzesopfers, das ist das heilige Meßopfer. Die Beziehung des Meßopfers zum Kreuzesopfer ist unaufgebbar und entscheidend. Man kann die heilige Messe, wie es das Konzil von Trient getan hat, auch als Gegenwärtigsetzung oder Bild oder Abbildung des Kreuzesopfers bezeichnen. Es gibt eine begründete theologische Meinung, daß nicht nur der Christus passus, der geopferte Christus, gegenwärtig wird, sondern daß auch sein Leiden, seine Opferung gegenwärtig wird, und zwar in sakramentaler Gestalt. In einem geheimnisvollen Vorgang tritt der Tod Christi gleichsam aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Es gibt ja gewisse Analogien zu diesem Geschehen. Wenn in Oberammergau das Passionsspiel gehalten wird, dann tritt auch der Tod Christi aus der Vergangenheit in die Gegenwart, und zwar in der Weise der abbildhaften Erinnerung, in dem Spiel der frommen – hoffentlich frommen – Laienschauspieler zu Oberammergau. Ähnlich, freilich in viel mehr wirklichkeitserfüllter Gestalt ist das In-Erscheinung-Treten des Opfers Christi in der heiligen Messe. Die heilige Messe ist ein Gedächtnis des Kreuzesopfers Christi, aber ein wirklichkeitserfülltes Gedächtnis. Das Gedächtnis, das in Oberammergau geschieht, ist nicht wirklichkeitserfüllt, sondern es ist ein Spiel, ein reines Spiel und ein bloßes Spiel. Was in der heiligen Messe geschieht, ist mehr als ein Spiel: Es ist eine Verkündigung des Todes Christi durch den Vollzug. So sagt der Apostel Paulus: „Immer, wenn ihr dieses Opfer feiert, verkündet ihr den Tod des Herrn.“ Diese Verkündigung geschieht nicht nur durch Worte, das wäre zu wenig, sondern durch den Vollzug. Die Messe ist ein wirklichkeitserfüllter Vollzug des Todes Christi. Die Heilstat des Todes Christi tritt aus der Vergangenheit in sakramentaler Gestalt in die Gegenwart über. Und wozu? Damit wir am Opfer Christi uns opfern lernen, damit das Opfer Christi unser Opfer werde, damit wir in die Selbsthingabe Christi eingehen können, damit wir unsere Hingabe mit der Selbsthingabe Christi vereinen können. Jetzt haben wir also das Wesen des Meßopfers erkannt. Das Meßopfer setzt die Heilstat Christi gegenwärtig, und wir opfern die gegenwärtigen Opfergaben, Leib und Blut des Herrn, dem Vater im Himmel auf.
Das wichtigste und entscheidende Gebet in unserer heiligen Messe, das diesen Zusammenhang uns vor Augen führt, das ist jenes Gebet, das wir nach der heiligen Wandlung sprechen. Da heißt es: „Daher“, d.h. weil der Herr es geboten hat, „sind wir denn eingedenk, Herr, wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens“ (und natürlich damit verbunden) „der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus und“ (jetzt kommen die Opferteilnehmer) „bringen so deiner erhabenen Majestät von deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer, das heilige Brot des ewigen lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles.“ Hier haben wir die Opfertheologie, die ich zu entfalten versucht habe, in einem einzigen Gebet ausgesprochen. Wir können, weil wir die Heilstat Christi im Sakrament gegenwärtigsetzen, in sie eingehen und das Opfer Christi zu unserem Opfer machen. Wir können unsere Hingabe mit der Selbsthingabe Christi verbinden.
Derselbe Gedankengang ergibt sich auch aus dem Wesen des Sakramentes. Die Sakramente wirken das, was sie bezeichnen. Was bezeichnet das eucharistische Opfersakrament? Es bezeichnet den Tod Christi. Also muß aúch der Tod Christi gegenwärtig werden – im Zeichen. Wir haben das, und gar nicht falsch, im Katechismus gelernt: „in unblutiger Weise“. So wird das Opfer Christi gegenwärtig.
Jetzt verstehen wir auch, meine lieben Freunde, warum man beim Meßopfer nicht jedes Gebet, das der Priester spricht, mitbeten muß. Das ist gar nicht notwendig. Entscheidend ist, daß Sie wissen: Hier wird das Opfer Christi gegenwärtig, und ich gehe in dieses Opfer ein. Wer diesen einen Gedanken, diesen einzigen Gedankengang festgehalten hätte, der hätte die Messe gut mitgefeiert. Alle Zeremonien der heiligen Messe deuten auf den Zusammenhang von Kreuzesopfer und Meßopfer hin. Wenn der Priester mit ausgebreiteten Armen betet, dann will er damit die Gebetshaltung einnehmen, die ein Abbild des Herrn am Kreuze ist. Wenn er nach der Wandlung die Gestalten erhebt, dann ist das ein Hinweis darauf, daß Christus am Kreuze erhöht wurde. Und wenn er auf dem Meßgewande ein Kreuz trägt, dann soll damit der Zusammenhang zwischen Meßopfer und Kreuzesopfer ausgedrückt werden. Und die vielen Kreuzzeichen, die der Priester während des Meßopfers macht, sind keineswegs überflüssig; es sind auch nicht zu viele, sondern sie sind immer neue Erinnerungen daran, daß hier der Tod Christi in sakramentaler Gestalt gegenwärtig wird.
So wissen wir also, was wir am Meßopfer haben und was wir im Meßopfer zu tun haben. Wir bringen hier nicht eine „vermaledeite Abgötterei“ zustande, wie der Heidelberger Katechismus sagt. Wir treten dem Kreuzesopfer Christi nicht zu nahe, wir erheben vielmehr das Kreuzesopfer, wir machen es wirksam. Indem wir es gegenwärtigsetzen, haben wir die Möglichkeit, in dieses heilbringende Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn einzugehen. O, welches Glück, meine lieben Freunde, o welches Glück, diesem heiligen Meßopfer mit Herz und Sinn beiwohnen zu dürfen.
Amen.