Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. März 1995

Die Abtreibung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es wird wohl keinen Christen geben, dem es nicht ans Herz greift, wenn er am Fest der Unschuldigen Kinder die Worte hört: „Ein Weinen und Wehklagen erhob sich in Rama. Rachel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr.“ Was uns bei diesem Evangelium so packt, ist der Gegensatz zwischen dem Leben und dem Tod. Eben ist erschienen der Urheber des Lebens, Christus, und der grausame Tyrann überantwortet unschuldige Knäblein dem bitteren Tode. „Eine Stimme ward gehört zu Rama, Weinen und Wehklagen. Rachel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr.“

Heute muß Mutter Kirche über die Kinder weinen, denen man es versagt hat, das Leben auf Erden zu durchlaufen. „Läutet die Totenglocken, verhängt die Altäre mit schwarzen Tüchern!“ So hat vor etwa 70 Jahren Kardinal Faulhaber ausgerufen. Mutter Kirche weint um all die Ungeborenen, denen es nicht vergönnt war, das Licht des Lebens zu erblicken, die sterben mußten, bevor sie den ersten Atemzug getan haben.

Wenn das eine Angelegenheit wäre, die unter Christen nicht einmal genannt würde, dann bräuchten wir darüber nicht zu sprechen. Aber wir alle wissen, wie der weiße Tod auch in christlichen Familien sich eingenistet hat. Und so müssen wir an erster Stelle sagen: Der gewaltsame Tod, der einem Kinde im Mutterleib zugefügt wird, ist ein Eingriff in Gottes Herrschaftsrechte. Gott ist der Herr des Lebens und des Todes. Das Recht auf Leben geben einem Kind nicht die Eltern. Das Recht auf Leben gibt einem Kinde Gott. Niemand darf dieses Recht auf Leben antasten, aus keinem Grunde, aus keiner medizinischen, eugenischen, sozialen oder sittlichen Indikation. Derjenige, der wie im Buch des Propheten Ezechiel bezeugt ist, gesprochen hat: „Mein sind alle Seelen“, der hat auch am Berge Sinai gesagt: „Du sollst nicht töten!“ Die katholische Kirche, meine lieben Freunde, ist in der heutigen Zeit die einzige, die konsequent an dem Verbot der Tötung ungeborenen Lebens festhält. Der Staat hat sich längst gebeugt, und die Herren und Damen Umweltschützer möchten zwar vor jeden Froschteich eine Wache stellen, aber im Kampfe gegen den weißen Tod, da schweigen sie. Und was tut der Protestantismus? Im Jahre 1976 hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland – das ist das oberste Verfassungsorgan des deutschen Protestantismus – erklärt, man könne sich auch schuldig machen, wenn man nicht abtreibt. Ich habe mich nicht versprochen: Man könne sich auch schuldig machen, wenn man nicht abtreibt.

Kein Wunder, wenn dieses Laster sich überall eingenistet hat. Die Ausreden, die da gefunden werden, etwa vom Bundesverfassungsrichter Zeidler, es handle sich hier um eine himbeerartige Masse – für Zeidler ist ein Kind im Entwicklungsstadium eine himbeerartige Masse! –, diese Ausreden zählen nicht. Denn vom ersten Augenblick, in dem das junge, neue Leben im Leib der Mutter entsteht, ist es mit einer unsterblichen Seele begabt. Das Geschöpf mag noch so wenig in die Vollentwicklung eingetreten sein: Was da im Leibe der Mutter lebt, ist ein Kind, ein Kind im Anfangsstadium seiner Entwicklung. Man kann auch nicht sagen: „Mein Bauch gehört mir.“ Natürlich gehört dir dein Bauch, aber du gehörst Gott – und dein Bauch und das Leben in deinem Bauch dazu! Es ist ein Eingriff in Gottes Herrschaftsrechte, wenn ein Kind im Mutterleib getötet wird.

Es ist aber auch zweitens eine Entweihung des Heiligtums der Ehe; denn solche Tötungen kommen ja nicht nur vor der Ehe vor, sie kommen auch in der Ehe vor. Die Ehe ist eingesetzt, damit das Kind einen Schutz findet. Das wehrlose, hilflose Kind soll in der Hut der Ehe, von Vater und Mutter, heranwachsen. Und Gott hat in die Familie die Wiege des Lebens hineingestellt, nicht den Friedhof des Todes. Wenn deswegen eine Frucht der Ehe, wie es das Kind ist, getötet wird, dann ist es, wie wenn man eine Quelle verschüttet. Das Altertum hat über den Quellen Tempel gebaut und sie den Gottheiten geweiht. Und auch Gott hat über der Quelle des Lebens, die man Ehe nennt, einen Tempel gebaut, das Ehesakrament, und gesagt: „Du sollst nicht töten!“ – „Du sollst nicht ehebrechen!“

Freilich, meine lieben Freunde, wollen wir uns davor hüten, allein oder einzig der Mutter die Schuld zu geben. Häufig sind es andere, die eine Frau veranlassen, die Frucht ihres Leibes zu töten. Ich habe hier den Brief einer Mutter, in dem folgendes steht: „Es wird überall und immer geglaubt, daß Mütter die Schuld tragen, wenn sie ein keimendes Leben töten. Dem ist nicht so. Ich fühlte mich zum dritten Mal Mutter und sagte dies eines Tages meinem Mann. Da sah er mich wütend an und sagte, daß er das auf keinen Fall dulden werde. Was sollte ich tun? Ich wußte nicht mehr, was Recht und Unrecht ist in meiner Verzweiflung. Ein paar Tage vergingen; ich unternahm nichts, weil ich im Stillen hoffte, mein Mann würde anderen Sinnes werden. Da fragte er mich eines Tages, wie es sei. Als er die Wahrheit erfuhr, beschimpfte er mich und fluchte er ganz fürchterlich und sagte dann tagelang kein Wort zu mir. Da versprach ich ihm in meiner Verzweiflung, zu einer weisen Frau zu gehen, und er antwortete, daß er mich begleiten werde, um sich zu überzeugen, daß ich wirklich hingehe. Nun lernte ich meinen Mann kennen. Grausam und brutal war er. Mir graute vor ihm, ja ich muß bekennen: Es starb damals nicht nur das Kind unter meinem Herzen, sondern die Liebe zu meinem Mann.“ Die Tötung des ungeborenen Lebens ist eine Entweihung des Heiligtums der Ehe.

Sie ist aber auch drittens ein schreckliches Unrecht gegenüber dem Kind. Denn das Kind wird seinem Leibe nach getötet. Aber wohin geht seine Seele? Wir wissen es nicht. Wir haben keine Offenbarung, daß die Seelen ungetauft sterbender Kinder in die Seligkeit des Himmels eingehen. Es bleibt eine Ungewißheit, und diese Ungewißheit hat  der zu verantworten, der ein solches Kind seines irdischen Lebens beraubt hat. Hier wird ein furchtbarer Gottesraub begangen, nämlich dem Kinde wird unter Umständen sein Himmel geraubt, und Gott wird die Möglichkeit geraubt, sein Gnadenleben in einem Kinde zu entfalten. Wo wollen Väter und Mütter einmal ihr Kind wiederfinden, das sie getötet haben? Wenn es, wie wir wohl mit manchen Theologen annehmen müssen, einen limbus puerorum gibt, also eine eigene Stätte, wo die ungetauft sterbenden Kinder aufbewahrt werden, nicht in der Seligkeit des Himmels, natürlich auch nicht in der Verlorenheit der Hölle, sondern in einem Zustand, wo sie weder Schmerz noch Freude empfinden?

Die Tötung der Ungeborenen ist schließlich viertens eine schreckliche Belastung des Gewissens. Wer ein im Mutterleib getötetes Kind auf dem Gewissen hat, dem geht ein Todesschatten zeitlebens zur Seite. Es ist ein Geschehnis, das man niemals vergessen und das man niemals verdrängen kann. In dem Buche von Berghoff „Gott hinter Kerkermauern“ berichtet ein Gefängnisseelsorger von einem Gefangenen, der ihm folgendes erzählt: Seine Frau war zum dritten Mal schwanger, sie wollten ein Häuschen kaufen, und so war das Kind unwillkommen. Sie taten alles mögliche, um es zu beseitigen. Aber das Kind kam gesund zur Welt. „Es wurde“, so hat der Gefangene dem Gefängnispfarrer erzählt, „unser liebstes Kind. Es war unsere Freude. Jedesmal, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, da stand es schon an der Straßenecke und hat mich erwartet. Da leuchteten seine klugen Äuglein. Aber in mir, in mir, da pochte es: 'Und dieses wunderbare Kerlchen wolltest du töten!'„ Es belastet ein Gewissen eine solche Tat, und manchmal kommt es im Tode heraus, was eine solche Tat im Menschen bewirkt hat. Lisbeth Burger berichtet in ihrem Buche „Vierzig Jahre Storchentante“ von einer Frau, die im Todeskampfe lag und immer zählte. Sie zählte 1, 2, 3... Bis 13 zählte sie – und immer wieder. Und aus den Wortfetzen und aus den Geständnissen konnten die Umstehenden entnehmen, daß es die Zahl derer war, die sie abgetrieben hatte – von 1 bis 13.

Eine solche Tat trägt man das ganze Leben mit sich bis vor den Richterstuhl. Da wird der Richter – nicht mehr ein Prediger! – fragen: Wie konntest du in meine Herrschaftsrechte eingreifen? Wie konntest du das Heiligtum der Ehe entweihen? Wie konntest du so ein Unrecht an einem ungeborenen Wesen tun? Die Schwere dieser Tat, meine lieben Freunde, hat die Kirche dadurch äußerlich zu kennzeichnen versucht, daß sie die Exkommunikation auf Abtreibung setzt, der alle verfallen, die an der Abtreibung beteiligt sind, also auch der Arzt oder die Schwester, die dabei behilflich sind. Auch sie verfallen der Exkommunikation. Dennoch, meine lieben Freunde, haben wir, die wir ja nicht in dieser Verlegenheit sind, keinen Anlaß, überheblich zu sein oder es an Mitleid und Nächstenliebe fehlen zu lassen. Denn es gibt tatsächlich eine Not von Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind; es gibt eine solche Not. Was ist in manchen Menschen vorgegangen, bevor sie zu einer solchen Tat geschritten sind!? Eine 16-jährige Gymnasiastin wußte, daß sie schwanger geworden war. Sie trug dieses Geheimnis mit sich herum bis zum Anfang des sechsten Monats. Jetzt mußte es offenbar werden. Eine Freundin gab ihr eine Adresse, und sie benutzte eine Ferienreise, um sich das Kind nehmen zu lassen. Als die Abtreibung vollzogen war, hörte sie das Kind schreien. Es war also lebendig. Sie bat, ihr das Kind zu bringen. Aber die Täter erklärten: „Wir haben es totgemacht.“ Mit einer solchen Last muß ein Mädchen von 16 Jahren durchs Leben gehen. Es ist eine Not, weil die Gesellschaft zwar nicht die freie Sexualität verurteilt, aber deren Frucht dem Menschen ankreidet, der nun das Kind austragen möchte. Diese heuchlerische Gesellschaft, die das Laster offen propagiert, aber das unschuldige Kind, das aus einem solchen Tun entsteht, töten will und die Mutter diskriminiert, bringt Schwangere in Not.

Doch ist die Abtreibung kein Ausweg aus der Not, sondern sie macht die Not nur noch schlimmer. Die Not der unehelichen Mutter oder auch der kinderreichen Mutter kann behoben werden. Es gibt heute viele Möglichkeiten, hier einzugreifen. Man kann das Kind in ein Heim geben, man kann es adoptieren lassen. Es gibt in Deutschland so viele adoptionswillige Eltern, daß man aus dem Ausland Kinder einführt, um sie diesen Eltern zu verschaffen. Es wird ein schwunghafter Handel betrieben mit adoptiergeeigneten Kindern. Man darf auch nicht sagen: Besser Empfängnisverhütung als Abtreibung. Warum darf man das nicht sagen? Weil die Empfängnisverhütung nicht gut ist, kann sie nicht besser sein als eine Abtreibung. Sie ist weniger schlimm als die Abtreibung, selbstverständlich, aber sie ist deswegen nicht gut. Außerdem ist der Empfängnisverhütung und der Abtreibung eines gemeinsam, nämlich die Mentalität gegen das Leben, eine lebensfeindliche Einstellung. Es besteht die Gefahr, daß, wer sich diese lebensfeindliche Einstellung durch Dauerempfängnisverhütung zu eigen gemacht hat, dann auch zur Abtreibung greift, wenn die Empfängnisverhütung wider Erwarten nicht funktioniert haben sollte.

Wir müssen, meine lieben Freunde, eine Front aufbauen gegen den weißen Tod, eine Front für das Leben. Hochachtung vor der Mutter, vor jeder Mutter, auch vor der unehelichen Mutter! Und Hilfe für die Mutter, für jede Mutter, auch für die uneheliche Mutter. Achtung vor der Frau und Achtung vor dem Leben des Kindes; denn wie hat Gott gesagt: „Mir lebt jede Seele. Alle Seelen gehören mir, und alle werde ich sie von deiner Hand fordern.“

Amen.

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