3. April 1994
Zeugnis des Osterglaubens
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!
„Am dritten Tage nach seiner Hinrichtung ist der Herr glorreich aus dem Grabe erstanden.“ Diese Wahrheit ist der Inhalt aller Glaubensbekenntnisse der Kirche. Sie ist der Angelpunkt unseres ganzen Glaubens. Die Auferstehung Christi hat in der Verkündigung der Apostel immer die erste Stelle eingenommen. Der Ostertag war für die Jünger nicht nur eine Bestätigung dessen, was sie von Jesus zuvor gehört hatten, sondern die Eröffnung einer neuen Sicht auf ihren Herrn und Meister. Gewiß sahen sie in der Auferstehung Jesu die Bekräftigung seiner messianischen Ansprüche durch den himmlischen Vater. Sie konnten jetzt die Worte, die sie von Jesus gehört, und die Taten, die sie von ihm gesehen hatten, besser einordnen, als es vorher möglich war, als sie noch nicht um das Geheimnis seiner Auferstehung wußten.
Die Wirklichkeit des Auferstandenen aber hat ihnen auch klar gemacht, daß der Messias von göttlicher Würde erfüllt ist, daß es sich bei Jesus nicht nur um einen irdischen Befreier handelt, sondern um einen himmlischen Beseliger. Für Paulus ist das Kreuz und die Auferstehung Jesu der zentrale Punkt der Verkündigung. Und Petrus stellt als Bedingung für den Ersatz des Judas auf, daß ein Zeuge der Auferstehung des Herrn gewählt werden muß. Ja, das wird als das Wesen der Verkündiger Jesu angesehen, Zeuge der Auferstehung Jesu zu sein. Gegenüber diesem Ereignis, gegenüber dieser Wahrheit tritt alles andere, was Jesus getan und gesagt hat, in den Hintergrund.
Freilich erhebt sich gegen die Auferstehung des Herrn der Einspruch des Menschen, der nur mit seiner Erfahrung und mit seinem Nachsinnen rechnet. Immer wieder setzt der selbstherrliche Mensch der Auferstehung Jesu das Nein seines philosophischen Nachsinnens und seiner alltäglichen Erfahrung entgegen. Dem Menschen, der nur mit dem Menschlichen rechnet, ist es denkbar, daß jemand in der Erinnerung anderer weiterlebt, daß jemand in seinen Taten und Worten irgendeine Spur zieht, vielleicht auch, daß er geistig fortexistiert. Aber die Wahrheit, daß ein Verstorbener in leibhaftiger Wirklichkeit bei Gott lebt, ist nur dem zugänglich, der aufhört, vom Menschen her zu denken, und anfängt, von Gott her zu denken.
Die Apostel und die Jünger Jesu haben einen langen Umwandlungsprozeß gebraucht, bis sie diese neue Sichtweise lernten. Der Herr hat ihnen seinen Tod in Jerusalem vorhergesagt. Aber er hat immer damit die Verheißung verknüpft, daß er auferstehen werde. Doch sie überhörten diese Verheißung. Es war nichts in ihnen, was ihr entgegenkam. Es fehlte ihnen das Organ, um sie aufzunehmen. Und deswegen waren sie am Karfreitag auch so zerschmettert, so verzweifelt, weil die Verkündigung der Auferstehung in ihrem Herzen nicht Besitz ergriffen hatte.
Gerade diese skeptische Haltung der Jünger, gerade dieses Unverständnis und dieser Mangel an Erwartung sind aber nun für das Zeugnis von der Auferstehung von größtem Gewicht. Denn weil die Jünger durch die Hinrichtung Jesu zermalmt und verzweifelt waren, weil sie die Auferstehung nicht erwarteten und nicht mit ihr rechneten, deswegen konnte die Auferstehung nicht wie ein Wunschtraum, wie eine Vision aus ihrem Inneren hervorbrechen, so daß also gewissermaßen eine geheimnisvoll schaffende Macht ihres Inneren die Lehre von der Auferstehung hervorgetrieben hätte, daß sie also einer Selbsttäuschung und wir einer Täuschung erlegen wären. Nein, ihr ganzer Seelenzustand erhebt Einspruch dagegen, daß es sich bei den Erscheinungen des Auferstandenen um subjektive Visionen, Halluzinationen, Einbildungen der Jünger gehandelt haben könnte.
Diese Meinung wird aber seit über 160 Jahren von nicht wenigen liberalen Theologen vertreten. Ihr Urheber ist David Friedrich Strauß, ein protestantischer Tübinger Theologe. Nach ihm sind die Erscheinungen Jesu geschichtlicher Art, aber nicht als von außen kommende Ereignisse, die auf die Jünger eindrangen, sondern als subjektive, aus dem Inneren der Jünger hervorbrechende Vorstellungen. Und um diese Vorstellungen mit einem Inhalt zu füllen, haben sie gesagt: Jesus ist auferstanden.
Diese Irrlehre, meine lieben Christen, hat nicht aufgehört, immer weitere Kreise von Theologen zu faszinieren. Soeben – in diesem Jahr! – ist ein Buch des protestantischen Professors für Neues Testament in Göttingen erschienen, Gerd Lüdemann, der die Auferstehung Jesu auf diese Weise erklärt, das heißt eben leugnet. Er hat viele Genossen in seiner Leugnung und noch viel mehr Nachsprecher.
Wir müssen uns mit dieser Behauptung befassen, die Auferstehung Jesu sei das Ergebnis eines Wunschtraumes der Jünger, die sich aus ihrer Depression durch solche selbstfabrizierte Vorstellungen erhoben haben. Läßt sich gegen diese Meinung etwas anführen? Ich meine ja.
Erstens, diese Anschauung verkennt die Stimmung, in der die Jünger am Ostertage waren. Sie waren nämlich verzweifelt. Sie waren ohne Hoffnung, sie waren ohne Erwartung auf Jesu Auferstehung. Und die Hoffnung und die Erwartung sind aber die notwendige psychische Voraussetzung, um zu einer solchen Vorstellung zu gelangen. Denn wer hofft, der hält ja gern für wahr, was er erhofft. Wer etwas erwartet, der sieht ja gerne seine Erwartung erfüllt. Aber diese Hoffnung und diese Erwartung fehlten bei den Jüngern. Ein Verzweifelter hat keine Möglichkeit, mit einer Hoffnung seine Depression zu überwinden.
Der zweite Einwand geht davon aus, daß man vom Unglauben zum Glauben nicht gleichsam über Nacht kommt. Es muß eine Entwicklung vor sich gehen. Man muß Argumente gegen den Unglauben suchen, um zum Glauben zu finden, man muß die Einwände die der Unglaube erhebt, aus den Angeln heben. Man muß sich mit anderen besprechen und austauschen, und das alles braucht Zeit. Für die Entwicklung vom Unglauben zum Glauben benötigt man unweigerlich einen erheblichen Zeitraum. Aber ein solcher Zeitraum steht für die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung nicht zur Verfügung, denn der Glaube an die Auferstehung ist wenige Stunden nach der Hinrichtung Jesu da. Der Glaube an die Auferstehung ist am Ostertage vorhanden, nicht Monate später oder Jahre später, nachdem sich die Erinnerung verloren und verfärbt hat, nachdem die Zeugen gestorben sind. Nein, am Ostertage ist der Osterglaube vorhanden. Es fehlt an dem längeren Zeitraum, den jede Psychologie benötigt, um den Umschlag vom Unglauben zum Glauben zu erklären.
Der dritte Einwand gegen diese Meinung ist der schwerwiegendste. Denn die Theologen, welche die Auferstehung Jesu als inneres Erlebnis der Jünger erklären, gehen nicht von den Berichten der Augenzeugen aus, sondern von einer vorgefaßten Meinung; von dem ideologischen Vorurteil, daß Wunder unmöglich sind und daß alle Berichte von Wundern deswegen Legenden sein müssen. Man horcht also nicht auf das Zeugnis derer, die gesehen und gehört haben, sondern man geht von vornherein mit einer vorgefaßten Meinung an die Berichte heran. Und dann muß man natürlich die Texte vergewaltigen, muß sie leichtfertig als unecht erklären, als Produkte der Gemeindetheologie, als der zweiten oder dritten Generation angehörig, als Ausdruck des Animismus oder des Materialismus.
Wer dagegen die Texte unbefangen auf sich wirken läßt, ist von der Frische, der Kürze und der Knappheit dieser Berichte angetan. Hier wird nicht fabuliert, sondern hier wird ein überwältigendes Ereignis in schlichter, unverbildeter Weise von den Zeugen des Geschehens wiedergegeben.
Man bemüht in der neuesten Zeit die Tiefenpsychologie, um die Auferstehung Jesu, besser: den Glauben an die Auferstehung, denn die Auferstehung ist nach der Meinung dieser Leute natürlich niemals geschehen, zu erklären. Man sagt, das Unbewußte in den Jüngern habe gearbeitet und gegen die Erkenntnisse des bewußten Seelenlebens die Meinung, die Überzeugung von der Auferstehung Jesu hervorgetrieben. Das Unbewußte ist eine Tatsache, meine lieben Freunde, aber das Unbewußte, das bestimmte Vorstellungen hervorbringen soll, muß in einem irgendwie gearteten verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem, was da hervorgebracht wird, stehen. Das Unbewußte muß irgendeine Beziehung, eine Affinität zu dem haben, was da an Erzeugnissen des Bewußten vorgewiesen werden soll. Die Gestalt eines Gottes, der seine Leiblichkeit nach seiner Hinrichtung und Auferstehung in die himmlische Seinsweise mitnimmt, war etwas für palästinensische Juden völlig Fremdes. Das konnte unmöglich aus ihrem Unbewußten emporsteigen. Es führt keine Brücke von dem, was in ihrem Unbewußten gelebt haben mag, zu dem, was ihnen von außen durch die Auferstehung Jesu kundgemacht worden ist.
Man greift darum zu einer zweiten Hypothese, um den Glauben an die Auferstehung zu erklären, d.h. ihn praktisch zu erledigen. Es ist die Betrugshypothese. Sie ist aufgebracht worden von einem Hamburger Protestanten namens Hermann Samuel Reimarus. Nach Reimarus haben die Jünger den Leichnam Jesu gestohlen, dann haben sie auf das leere Grab verwiesen und gesagt: Seht, er ist auferstanden!
Diese Hypothese hat zwei entscheidende Einwände gegen sich. Der erste ist der Charakter der Jünger. Wir kennen die Jünger, wissen um ihre Stärken und ihre Schwächen. Wir haben in der Passionsgeschichte von ihrer Flucht und von der Verleugnung des Petrus gehört. Aber eines ist sicher: Diese Jünger waren keine Betrüger. Sie waren ehrliche, lautere, einfache und würdige Männer; es ist undenkbar, daß sie mit einer Lüge und einem Betrug ihr ganzes Leben aufgebaut und andere in diese Lüge und in diesen Betrug hineingezogen hätten.
Außerdem scheitert diese Hypothese an ihrer Stimmung. Die Jünger waren am Karfreitag zerbrochen, zerschmettert, gleichsam innerlich zerstört. Es fehlte ihnen aller Antrieb und aller Auftrieb. In einer solchen Stimmung der Depression, der Niedergeschlagenheit, der Furcht ist es ausgeschlossen, daß man eine erhebliche verbrecherische Aktivität entwickelt, nämlich ein Grab erbricht und den Leichnam herausholt, ihn irgendwo verbirgt, um dann zu erklären, er ist auferstanden. Das ist psychologisch unmöglich.
In abgeschwächter Form wird die Betrugshypothese vorgetragen von anderen, die sagen: Nicht die Jünger, sondern jemand anderes, z.B. Joseph von Arimathäa oder der Hohe Rat, haben den Leichnam Jesu fortgeschafft, entwendet, und dann haben die Jünger das leere Grab zum Anlaß genommen, von der Auferstehung Jesu zu sprechen. Auch das wäre natürlich ein Betrug und hat deswegen die Einwände gegen sich, die ich eben formuliert habe. Vor allem aber hätten diejenigen, die den Leichnam Jesu aus dem Grabe entfernten, gewiß nicht geschwiegen zu der Verkündigung der Apostel von der Auferstehung Jesu. Sie hätten den Leichnam Jesu vorgewiesen und gesagt: Hier ist er ja! Wie könnt ihr da behaupten, er ist auferstanden? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, den Leichnam Jesu gleichsam im Triumphzug durch Jerusalem zu tragen, und dann wäre die Botschaft der Apostel, die Verkündigung der Jünger ein für allemal erledigt gewesen.
Das leere Grab hat auch gar nicht den Glauben der Jünger begründet, sondern den Glauben der Jünger begründete das Sehen des Auferstandenen. Seine Erscheinungen haben sie dazu geführt, daß er auferstanden ist. Sein Reden mit ihnen und seine Weisungen, die sie in den folgenden Wochen empfangen sollten, haben den Glauben an die Auferstehung in ihnen befestigt. Das leere Grab hat sie entmutigt, sie waren ratlos. Sie wußten nicht, wie es zu deuten sei. Erst als der Auferstandene ihnen erschien, waren sie gewiß, daß der Tod besiegt sei.
Ich kann nicht davon schweigen, meine lieben Freunde, und ich tue es mit Schmerz, daß es immer wieder auch und jüngst katholische Theologen gibt, die sagen: Die Leichenreste Jesu seien irgendwohin verbracht worden. Das lehrt der katholische Theologe Adolf Kolping in Freiburg, ein früherer Kollege unseres Bischofs. Jedermann ist klar, daß mit dieser Irrlehre der Auferstehung Jesu und dem Glauben an die Auferstehung Jesu der Boden entzogen wird. Denn das ist ja nun gerade das Wesen der Auferstehung, daß der entseelte Leib des Herrn in verwandelter Gestalt in die Herrlichkeit Gottes eingegangen ist. Es wurde nicht ein neuer Jesus geschaffen, sondern der auf Erden lebende und wirkende Jesus, der am Kreuze aufgehängt und getötet wurde, er ist lebendig geworden und siegreich dem Grabe entstiegen.
Ohne die Auferstehung Jesu, meine lieben Freunde, werden viele Dinge, die sich an dieses Ereignis anschlossen, völlig unerklärlich. Warum hätten die Jünger denn in Jerusalem zusammenkommen sollen, wenn alles zu Ende war? Warum hätten sie die Verkündigung von Jesus aufnehmen sollen, wenn ihr Heiland am Kreuze gescheitert war? Die Jünger sind durch die Auferstehung Jesu mutig geworden. Sie waren nämlich vorher feige, sie hatten Angst. Aus Furcht vor den Juden kamen sie in einem verschlossenen Raum zusammen. Man wird aber doch nicht mutig durch eine Einbildung oder durch eine Betrügerei. Mutig wird man durch ein überwältigendes Ereignis, das einem zur innersten Gewißheit geworden ist. Außerdem hat man ja mit Drohungen und Gewalt gegen sie gewütet. Sie sind verhaftet, eingesperrt, gegeißelt, hingerichtet worden. Sie hätten sich leicht von diesen Verfolgungen befreien können, wenn sie zugegeben hätten: Ja, wir haben uns das eingebildet, oder: wir haben eine Betrügerei angestellt. Keiner hat das getan. Jeder ist bei seinem Bekenntnis geblieben. Keiner der Zeugen ist umgefallen vor der Todesdrohung. Wenn das kein Beweis dafür ist, daß sie wirklich den auferstandenen Heiland gesehen haben, dann weiß ich nicht, welche Beweise man überhaupt einfordern möchte.
Es liegt über den Jüngern ein Müssen. Sie können nicht schweigen von dem, was sie gesehen und gehört haben. „Ihn hat Gott auferweckt, des sind wir Zeugen!“ So heißt es in der Apostelgeschichte. Und als der Hohe Rat ihnen die Predigt untersagt, geben sie zur Antwort: „Wir können nicht schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“ Es liegt ein Müssen über ihnen. Sie haben der Auferstehung Jesu innerlich widerstrebt, aber sie sind von der Tatsache bezwungen worden.
Deswegen gilt auch heute, meine lieben Freunde, allen Anzweiflungen und Attacken zum Trotz der wunderbare Ruf: „Christus erstand wahrhaft vom Tod. Du Sieger, du König, sieh unsere Not!“
Amen.